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„Gott liebt, einfach so“

Ein Besuch bei „Bibel auf – hereinspaziert!“

Von allen Seiten strömen kleine Menschen mit ihren Begleitern auf das Augustinerkloster in Erfurt zu. Es sind Kinder und Jugendliche der ersten bis ungefähr siebten Schulklasse von Erfurter und umliegenden Schulen, die in der letzten Woche vor den Sommerferien der Einladung zu „Bibel auf – hereinspaziert!“ gefolgt sind. Der evangelische Kirchenkreis und das Dekanat Erfurt laden seit 1999 alle zwei Jahre zu dieser halbtägigen Veranstaltung ein.

In der Auftaktveranstaltung in der vollen Augustinerkirche singen wir „Eingeladen zum Fest des Glaubens“. Ja, die Veranstalter bezeichnen ihr Projekt als ein wahres Fest des Glaubens, denn durch den Glauben und die Heilige Schrift sind wir reich beschenkt – und das soll heute geteilt und vermehrt werden! Der Dank der Veranstalter richtet sich an die Mitwirkenden, denn sie eröffnen „Einstiege“ in die Bibel, eröffnen Zugänge durch ihre Angebote.

Auf geht’s dann zum Spazieren durch die Bibel: im Kreuzgang, in den angrenzenden Räumen, im Hof, im Keller des Klosters und in der Kirche. Es beginnt ein Gewusel voll positiver Energie und Neugierde. Die meis­­­ten Kinder versuchen, in kurzer Zeit möglichst viele Angebote und Stän­de zu besuchen. Über 500 sind gekommen und als Teilnehmende oder Mitwirkende beteiligt. An einigen Ständen hängen die „Schichtpläne“, die die Klassen geschrieben haben, damit jeder weiß, wann er mit der Standbetreuung dran ist. Die Kinder leiten selbst die Angebote an. An anderen Stellen sind es erwachsene Hauptamtliche oder Ehrenamtliche der beteiligten Kirchen und Einrichtungen.

Da werden Christus-Fische aus Ton geformt und Schalom-Schriftzüge auf kleine Jute-Beutel gezeichnet. Kreuzwegstationen sind in Schuhkar­tons ausgestellt. Ein überlebensgroßer Martin Luther wandelt durch den Kreuzgang und kommentiert den Trubel augenzwinkernd. Die Kinder sprechen gern mit ihm.

Kinder malen mit Aquarellfarben Bibelverse, die sie sich von ausliegen­den Listen ausgewählt haben. Sie haben Sprüche gewählt, die von Hoff­nung und Zuversicht zeugen („Ein Engel möge euch begleiten“, „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“, „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird […] das Licht des Lebens haben“) – „Warum die­se Sprüche?“, frage ich. „Weil es sich gut anfühlt!“, sind sie sich einig.

Die Angebote der evangelischen Grundschule beschäftigen sich an ver­schiedenen Orten mit Psalmtexten. Auf kleinen Podesten stehen je zwei Kinder in Gewändern mit geneigtem Haupt. Schlägt man neben ihnen eine Klangschale an, richten sie sich auf und tragen einen Psalm vor. Ne­ben ihnen auf einer Staffelei befindet sich jeweils eine grafische Umset­zung durch die Schüler aus den vergangenen Wochen. Ich höre einen Aus­zug aus Psalm 104. – Was den Kindern daran besonders gefällt? Gott hat die Tiere gemacht! Einige Psalmen sind selbst geschrieben – in heu­tiger Sprache und heutigem Lebensgefühl.

Jugendliche des Sportgymnasiums laden ein, Mazzen zu kosten. Sie haben sich im Religionsunterricht mit dem Auszug aus Ägypten be­schäftigt. Was uns die Bibel heute noch sagen kann, frage ich. – Wie das Leben früher war … und dass man durchaus an Wunder im Leben glau­ben könne. Die Lieblingsgeschichten der Jugendlichen: Moses spaltet das Meer und auch der Kampf Davids gegen Goliath.

Ein Erfurter Kinderchor singt die Kinderkantate „Das goldene Kalb“. Im Gespräch im Anschluss daran erfahre ich: Die Geschichte gefällt den Kin­dern, aber ihnen gefällt nicht, dass Gott in der biblischen Geschichte straft; in der Kantate gibt Gott den Menschen zwar nach mahnenden Worten, aber ohne vorherige Strafe eine zweite Chance. Mit Gott zu leben ist in jedem Fall besser als ohne, ist ihr Fazit!

Drei Ehrenamtliche aus der Gemeinde Ermstedt gönnen sich einen Becher Kaffee. An ihrem Stand haben Kinder Kreuze aus XXL-Pfeifen­putzern und Holzperlen gebastelt. Eine Stunde vor Veranstaltungsende ist sämtliches Material aufgebraucht. Die Ehrenamtlichen dreier Gene­ra­tionen sind positiv überrascht und heben im Gespräch die Offenheit der Kinder für solch ein Angebot ins Wort. Nicht alle Kinder wussten etwas mit dem Symbol des Kreuzes anzufangen, gingen aber unvor­eingenommen ans Basteln. Alle Kinder nehmen gern etwas von diesem Tag mit nach Hause.

Ein ruhigeres Angebot unterbreitet die Grundschule 31 aus dem Norden der Stadt Erfurt. Bunte Bilderkarten auf den Stufen weisen den Weg ins Obergeschoss zu einem Raum, der heute als „Tankstelle“ deklariert wird. Hier finden die Kinder verschiedene Angebote zum Danken, Bit­ten, Geschichtenhören und können sich segnen lassen. Ein paar Dritt­kläs­sler schreiben gerade auf bunte Zettel, wofür sie danken können, fal­ten diese zusammen, lassen sie in einer Wasserschüssel schwimmen und beobachten staunend, wie sie sich wieder entfalten.

Den Raum zum „Auftanken“ hat die Religionslehrerin Tabea Trommer mit den wohl jüngsten Mitwirkenden des Tages gestaltet. Sie unterrich­tet die Erst- und Zweitklässler in evangelischer Religion, nur ein einziges Kind ihrer Gruppe ist überhaupt getauft. Religionsunterricht gibt es an der Grundschule Roter Berg erst seit zwei Jahren. Sie verfolgt daher einen ausgesprochen ganzheitlichen Ansatz: Die Kinder sollen die Dinge des Glaubens selbst erfah­ren, z. B. den Segen, das Gebet, einen Dank formulieren. Die „Bilanz“ der ersten zwei Jahre Religionsunterricht ist gut: Die Kinder sind neugierig, nehmen Gebet und Segen gern an und betrachten dies schon zum Teil als ihre Formen.

Ich beobachte weiter die Kinder. Die kleine Leonie macht ein Tröpfchen Öl auf die Fingerspitze und segnet damit andere Kinder, die sich dazu auf einen mit goldenem Tuch behangenen Stuhl setzen und für den Augenblick eine Krone tragen dürfen. Sie sollen die Erfahrung machen, etwas Besonderes und einmalig zu sein. Nach dem Kreuzzeichen auf die Stirn gibt es ein Bonbon mit auf den Weg. Um zu erklären, was es mit dem Segen auf sich hat, fehlen Leonie noch die richtigen Worte. Aber dass der Segen bleibt und gut tut, das weiß sie – sie hat es selbst erfah­ren im Religionsunterricht.

Kirchenkreisreferentin Karin Eisbrenner, Veranstalterin und Koordinato­rin in einem ökumenischen Team und seit der ersten Veranstaltung im Jahr 1999 mit dabei, berichtet: „Der ursprüngliche Gedanke von ‚Bibel auf – hereinspaziert!‘ war, dass Kinder- und Jugendgruppen etwas aus dem Religionsunterricht in den Gemeinden in die Schulen tragen. Sie sollten ihre Themen und Personen aus biblischen Geschichten vorstellen.“

Aus anfänglichen Präsentationen im reinen Wortsinn sind im Laufe der Jahre vielfältige kreative Mitmach-Angebote geworden, die die Gäste dazu einladen, etwas auszuprobieren und schließlich auch Kleinigkeiten mitzunehmen. Verschiedene Sinne werden angesprochen – durch musi­ka­lische und theatralische Beiträge, Bastelangebote, Psalmenrezitation, Gang durchs Labyrinth und andere Selbsterfahrungs-Angebote.

Mittlerweile stemmen viele Mitarbeiter (auch erwachsene Ehrenamt­li­che) von Gemeinden, kirchlichen und privaten Einrichtungen sowie von Erfurter Schulen die Großveranstaltung. Es sind nicht mehr die Religi­ons- und Ethikklassen, die den Großteil der Stände vorbereiten, sie sind nun überwiegend als Teilnehmende – als „Konsumenten“ – dabei. Dies wird möglicherweise mittelfristig zu einer Konzeptverschiebung führen. Karin Eisbrenner bedauert, dass nicht mehr so viele Schulklassen an der Gestaltung der Angebote beteiligt sind wie früher, denn an diesem Pro­jekt mitzuwirken sei eine tolle Erfahrung für die Kinder und führe eine Klasse oder Schülergruppe in der Vorbereitungs- und Durchführungs­phase insgesamt zu einem gruppendynamischen Hoch.

Dass uns die Bibel jeden Tag etwas Neues erzählen kann, diese Erfah­rung hat Karin Eisbrenner gemacht. Den Ursprung unseres Missionsauf­trags und den Auftrag, immer wieder neu loszugehen, sieht sie in der Bibel selbst. Wären die Apostel nicht hinausgegangen in alle Welt, wären wir heute um einiges ärmer. Und so will sie auch selbst immer wieder Zeugnis geben für andere.

Eine ihrer Lieblingsbibelstellen: Jakob und die Himmelsleiter. Darin er­lebt Jakob, der sich nun wahrlich nicht „mit Ruhm bekleckert hat“, das Tor des Himmels – „in der Wüste seines Lebens erfährt er Gottes Zusage und seine Verheißungen, erlebt er ‚die Brücke‘ zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und den Menschen“. Dass solche Erfahrungen auch heute möglich sind – im Lachen und Fröhlichsein, aber auch da, wo wir denken, dass es nicht mehr weitergeht, in Lebenssituationen, die quasi „auf harten Steinen liegen“ lassen –, davon will sie selbst Zeugnis ge­ben: davon, dass Gott liebt, einfach so – das können Menschen erfahren und dann geht der Himmel auf.