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„Geheimnisvolle Gärten“

Der Dom zu Erfurt ist ein Besuchermagnet und als katholische Kathedrale ein wichtiger Gebetsort im Bistum Erfurt. Täglich wird er von zahlreichen Menschen aufgesucht. Im vergangenen Jahr konnte jeder und jede beim Dombesuch helfen, einen „geheimnisvollen Garten“ anzulegen. Es war ein Mitmachprojekt, bei dem sich über 14.000 Personen beteiligten. Dabei zeigte sich, wie tief das Gespür für das Leben, wie selbstverständlich die Hoffnung in Jesus Christus und wie verbindend die Sehnsucht nach Frieden ist.

„Ich wünsche mir und dem Gotteshaus, dass es in der Welt nur noch Frieden gibt und die Völker friedlich miteinander verkehren.“
(eine Besucherin oder ein Besucher)

Wie kam es dazu?

Der Dom besitzt zahlreiche mittelalterliche Kunstwerke. Immer wieder stellt sich die Frage: Wie kann ihr christlicher Sinngehalt erschlossen werden, besonders dann, wenn die mittelalterliche Bildsprache wenig bekannt und die christliche Hoffnung befremdlich ist?

Anlass des Projektes war die Bundesgartenschau (BUGA), für die 2021 die Stadt Erfurt als Austragungsort gewählt war. Als Mitarbeitende an der in der Stadt befindlichen katholischen Kathedrale war unsere Frage: Was haben wir dabei zu bieten?

Christliche Ikonografie benutzt in langer Tradition und unglaublicher Vielfalt florale Motive als Informationsträger. Deshalb lag nahe, die Pflanzen und Blumenmotive der christlichen Kunstwerke in einen Zusammenhang zum Blühen und Grünen der BUGA-Wochen zu stellen. Wir wählten dafür drei mittelalterliche Gemälde, die unter dem Titel der Einhornjagd im hortus conclusus (lat. „verschlossener Garten“) kunst- und kulturgeschichtlich große Bedeutung haben. Die Nähe zur Bundesgartenschau ergab sich vordergründig durch Titel und Bildmotiv der Gemälde: den verschlossenen und blühenden Garten, in dessen Mitte Maria mit dem Einhorn zu sehen ist. Unser Anliegen war, den theologischen Gehalt der Gemälde darzustellen, durch ein Mitmachprojekt ins Heute zu holen und persönlich erlebbar zu machen.

„Danke, dass ich so ein schönes Leben habe.“
(ein Kind)

Äußerlich: ein einfaches Angebot!

Dazu wurden die drei mittelalterlichen Tafelbilder in geeigneter Weise im Domlanghaus präsentiert. Als weiterer Akzent wurde eine vierte Schaufläche geschaffen, auf der das Mitmachprojekt etabliert war. Die große, aufrechtstehende Wand war mit einem einheitlich grünen Untergrund gestaltet und zeigte in Anlehnung an die Einhorngemälde einen stilisierten Gartenzaun. Vor dieser Mitmachfläche lagen aus farbigem Papier geschnittene Blätter und Blüten, Schreibgeräte (Hygieneregel-konform) und Anstecknadeln bereit. Die Besucher konnten hier ihre Gedanken aufschreiben oder zeichnen und die so gestalteten Papierelemente an der Wand anbringen, also sinnfällig „in den Garten einpflanzen“. Zur Erläuterung waren an allen vier Bereichen entsprechende Informationstafeln zu finden.

Was ist das Besondere?

Das Thema der Einhornjagd im hortus conclusus ist eine allegorische Darstellung der Verkündigung Mariä. Mit der Verkündigung drückt sich der Beginn des göttlichen Erlösungswerkes durch Jesus Christus aus und nimmt in Maria seinen Anfang. Geheimnisvoll wie dieses göttliche Beginnen sind deshalb die bildhaften Zeichen, die christliche Kunst als Ausdruck verwendet und die es in den Erfurter Bildern zu entdecken gab. Wer ist die Frau im Garten und was macht das Einhorn auf den Tafeln? Welche Bedeutung haben die unterschiedlichen Blumen und Pflanzen auch auf vielen anderen Werken? Dem tieferen Sinn auf die Spur zu kommen, dazu lud das Mitmachprojekt ein. Es ermöglichte, sich dem Geheimnis von Wachsen und Vergehen sowie den Wundern im eigenen Leben auf kreative Weise zu nähern und dieses persönliche Leben in den Gotteshorizont zu stellen.

„Hilf mir, verzeihen zu können.“
(eine Besucherin oder ein Besucher)

Wer war beteiligt?

Neben zwei Kunsthistorikern, einer Religionspädagogin und Theologen waren an der Konzeptentwicklung Mitarbeiterinnen der benachbarten Kindertagesstätte beteiligt. Die Umsetzung geschah unter Beratung der örtlichen technischen Mitarbeiter. Die aktive Phase betreuten die Mitarbeitenden des Domes, die auch Themenführungen für Gäste und Kindergruppen anboten. Der Kinder- und Jugendchor des Domes, Kinder einer kirchlichen Kindertagesstätte und eine Pilgergruppe gestalteten mit Gesang und Gebet die Eröffnung und den Abschluss des Projektes. Die von den Besuchern formulierten Anliegen wurden in das Gebet der Kirchengemeinde bei Vespern, Dienstbesprechungen und ganz individuell aufgenommen.

Was waren die Herausforderungen?

Das kunsthistorisch komplexe ikonografische Programm der Gemälde in Texten für Tagesbesucher zu erschließen, gleichzeitig aber auch Fachpublikum gerecht zu werden, erforderte wissenschaftlich sensible, sachlich verständliche und prägnant formulierte Begleittexte.

Ein niederschwelliges, mit einfachen künstlerischen Mitteln gestaltetes aktuelles Projekt neben kostbare mittelalterliche Kunst zu stellen, war eine ästhetisch große Herausforderung. Die optisch deutliche Trennung von Gemälden und Mitmachprojekt hat sich als gute Lösung erwiesen.

Die Entwicklung und Umsetzung des Projektes benötigte eine längere Vorbereitung. Neben der Erarbeitung der Konzeptidee, zu der von Anfang an gehörte, dass nur ein sehr begrenztes finanzielles Budget vorhanden war, galt es in umfangreicherer Art Verständnis und Akzeptanz für das Projekt zu schaffen. Dieser Prozess war nicht einfach. Die positive Entwicklung wurde möglich durch zahlreiche Gespräche und die mehrmalige Anpassung der ursprünglichen Konzeptidee an die örtlichen Gegebenheiten. Dadurch entstand eine kreative Zusammenarbeit, die die technische Umsetzung perfektionierte und die aktive Phase (unter Corona-Bedingungen) sehr gut begleitete.

„Ich wünsche mir, dass wir bald die Masken loswerden, damit wir den Blumenduft riechen können.“
(eine Besucherin oder ein Besucher)

Was konnte wachsen im „geheimnisvollen Garten“?

14.000 „eingepflanzte“ Blätter und Blüten bezeugen die große Resonanz des Projektes. Eindrucksvoll erwies sich hier der Kirchenraum als „Schaltstelle“. Besucher, die sicher oftmals vornehmlich als Touristen in den Dom kamen, um diesen zunächst „nur“ als Baudenkmal zu erkunden, konnten durch das niederschwellige Mitmachprojekt einen Moment innehalten. Viele nahmen dieses Angebot wahr und gaben ihrem Dank, ihrer Bitte und Hoffnung, aber auch ihrer Trauer Ausdruck in Form eines aufgeschriebenen und in den Garten eingepflanzten Gedankens. Diese Aspekte des Lebens wurden so ganz sinnfällig zum Wachsen und Erblühen gebracht.

Die kleinen persönlichen Gebete zeugten von einer tiefen Sehnsucht der Menschen nach Heilung, Frieden und Lebendigkeit, und vielleicht konnte der eine oder andere Besucher auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens Gott begegnen.

„Danke, dass ich weiterleben darf.“
(eine Besucherin oder ein Besucher)