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Arbeiten in der Kirche von morgen?

Die Zukunft ist jetzt!

Eine Kirche, in der neben Priestern und Ordensleuten in der Pastoral professionell ausgebildete Nicht-Ordinierte arbeiten, hat in der Vergangenheit einen Professionalisierungsschub gebracht, der in der zunehmend professionalisierten und sich ausdifferenzierenden Gesellschaft auch wichtig war und ist. Die Expert:innenkirche hat aber auch Schattenseiten, die mit dem zukünftigen Fachkräftemangel in der Pastoral immer deutlicher werden. Sozialraumorientierte Grundhaltungen und die Arbeit in Netzwerken mit unterschiedlichen Partnern machen Pastoral jetzt schon zu einem Lernprogramm dafür, wie Kirche eigentlich auch geht …

Einleitung

Eine gute Übung ist es, auch im Zwischenfeld von theologischer Reflexion und seelsorgerlicher Praxis auf die Ich-Form beim Schreiben eines Textes zu verzichten, um so zu annähernd allgemeinen Aussagen zu kommen. Wenn es bei der gestellten Aufgabe bei diesem Modus hätte bleiben sollen, wäre dann hier nicht nur Weißfläche zu sehen statt aneinandergereihter Buchstaben mit Anspruch auf Sinnhaftigkeit? Wer weiß denn schon Bescheid über eine Kirche von morgen, wo wir doch gerade mit allerhand Anstrengungen versuchen, im Heute anzukommen? Sehen wir dabei nicht mehr in den Rückspiegel (und damit in das, was hinter uns liegt) als mit klarer Sicht nach vorne? Ist es nicht gerade in unsere Zeit eingeschrieben, dass Versuche der linearen Verlängerung von der Vergangenheit in die Zukunft aus der Hand geschlagen werden? Kann überhaupt etwas über die Zukunft noch gesagt werden, angesichts disruptiver Ereignisse, sich auftürmender gesellschaftlicher Herausforderungen und des radikalen Abschmelzens gemeinsam getragener Handlungsoptionen?

Was also bleibt: aus der Vielzahl denkbarer Zukünfte eine Auswahl zu treffen und dabei zu riskieren, dass genau dies zu beobachten sein wird, wie nämlich der Autor damit Einblicke in seine eigenen Präferenzen gibt, die ständig gegenbeobachtbar und zu entlarven sind als seine Perspektiven, die auch aus guten Gründen anders aussehen könnten. Einen solchen Text zu schreiben ist also ein Risiko – genau wie es die Pastoral einer Kirche der Zukunft auch ist (vgl. Beck 2024).

Nichts Neues unter der Sonne?

Eine der Reaktionen auf die folgenden Überlegungen könnte (und das zurecht) sein, dass dies alles keine neuen Gedanken sind. Viele kluge Menschen haben ihre Perspektiven auf die Zukunft festgehalten, es verändert sich allerdings nur wenig, obwohl die Situation dramatisch ist, wenn man auf die „Abschmelzprozesse“ schaut, denen sich die Kirchen hierzulande ausgesetzt sehen (und zu denen sie auch ihre eigenen Beiträge leisten). Appelle an den Veränderungswillen zerschellen an hyperstabilen (Erwartungs‑)​Strukturen, die im kirchlichen Bereich am Werk sind. Aufrüttelnde Worte eines Dietrich Bonhoeffer, kluge Analysen eines Karl Rahner: Schon lange kann gewusst werden, was an Veränderungen im Gefüge der Kirchen ansteht. Es ist also keine Frage, dass das Wissen um die Notwendigkeit nicht zur Verfügung stehen würde. Eine Spur, die es möglicherweise zu verfolgen gilt, ist die Klärung, ob sich die Kirchen im funktional-differenzierten Gesellschaftstyp allzu leicht als Organisationen etabliert haben, deren Funktion im Lösen von Problemen besteht, die sie zum Teil als Organisationen selbst geschaffen haben. Ist das der Preis für die „Auf-Dauer-Stellung“ der eigenen Existenz als Kirche unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft? Andererseits: Will man die Leistungsfähigkeit der organisationalen Verfasstheit, die sich unter anderem in dem Betrieb von Pflegeheimen, Krankenhäusern, Schulen und Bildungsstätten zeigt, aber auch die Möglichkeit der Einflussnahme auf politische Prozesse, der Mitgestaltung der Medienlandschaft etc. eröffnet, aufgeben, um wieder stärker in den Charakter einer Bewegung zu kommen?

Unter diesen Rahmenbedingungen steht auch die Frage nach dem zukünftigen Arbeiten in der Pastoral. Sie ist nicht abzulösen von der Beobachtung der gesellschaftlichen Prozesse.

Wenn also Appelle zur Veränderung auf soziale Systeme treffen, wie es Organisationen sind, dann ist schnell einsichtig, dass diese Appelle weitgehend verhallen. Denn Organisationen haben kein Bewusstsein, das darauf reagieren könnte. Organisationen entwickeln sich durch Veränderung ihrer Regeln, Abläufe und Strukturen. Damit sie auf Dauer gestellt sein können, haben sie sich weitgehend unabhängig von den Mitgliedern gemacht, auf die sie Zugriff haben. Diese können ausgetauscht werden, das System funktioniert weiter.

Die Hände in den Schoß zu legen, gilt aber nicht! Die Notwendigkeit der Veränderung an andere delegieren ebenso wenig. Vielleicht gilt es, mehr Geschichten zu erzählen von Menschen und ihren Situationen, wie sie Zukunft anders angehen, welche Erfahrungen sie machen und wie das sie selbst verändert. Und wenn es noch zu wenig solcher Geschichten gäbe, dann müsste man welche erfinden. Geschichten, die Lust machen auf eine ungewisse Zukunft und die davon erzählen können, wie andere sie gemeistert haben und daran gewachsen sind. Elemente eines solchen Storytellings sind hier mitverarbeitet. Vielleicht regen sie an, eigene Geschichten zu erzählen (auch solche des vermeintlichen Scheiterns) und die Lernerträge zu sichern.

Von der Expertenkirche zu einer Pastoral der Ermöglichung

In den letzten Jahrzehnten haben sich bestimmte Muster einer „Expertenkirche“ (P. M. Zulehner) etabliert, die die Pastoral im deutschsprachigen Bereich in besonderer Weise geprägt haben. (Ich nutze hier zunächst einen eingeschränkten Pastoralbegriff, der noch nicht die von Gaudium et Spes gesetzte Öffnung expliziert. Darin einer eingespielten Redeweise zu folgen und vor allem auf das Handeln der Hauptamtlichen zu fokussieren, ist die Schwachstelle in der Nutzung dieses Begriffs.) Die finanziellen Ressourcen ermöglichten einen stetigen Aufbau neuer pastoraler Berufsgruppen, die für einen deutlichen Professionalisierungsschub in vielen Arbeitsfeldern sorgten. In besonderer Weise wird dies für die Bereiche der kategorialen Seelsorge gelten, die unter Einbezug humanwissenschaftlicher Konzepte pastorales Handeln im Schnittfeld dieser Bezugswissenschaften und der Theologie weiterentwickeln konnten. Ebenso profitierte die Seelsorge insgesamt von der Einbeziehung nicht geweihter Männer und Frauen, die mit ihrer theologischen Kompetenz, ihren Lebenserfahrungen und didaktisch-methodischem Geschick in allen Feldern dazu beitragen konnten, eine zeitgemäße Kommunikation des Evangeliums zu gestalten.

Angesichts dieser Verdienste kann dennoch auch zum Ausdruck gebracht werden, dass möglicherweise die Schattenseite dieser guten Arbeit der Expert:innen eine Verlängerung der bekannten Trennung zwischen den „normalen“ Gläubigen und den Klerikern bzw. Expert:innen war. Folgen dieser Trennung sind ein deutliches Gefälle an Einfluss und Macht, ein gegenseitiges Zuschreiben entlastender Rollenbilder, die der eigenen Rolle Plausibilität gewähren. So können die Kirchenmitglieder davon ausgehen, dass die Hauptamtlichen – sie haben ja auch Zeit dafür – die Kirche „am Laufen“ halten, während diese wiederum damit rechnen können, dass ihnen von den Gläubigen dafür Beifall gezollt wird. Auch die Einführung von Rätestrukturen hat an dieser Arbeitsteilung wenig verändert, weil die Gremien in der Regel nur beratende Funktion haben.

Nicht erst der im Gang befindliche rasante Umbruch in den Personalstrukturen der Diözesen durch die Verrentung der sogenannten „Boomer-Generation“ macht darauf aufmerksam, dass die Schattenseite der Expertenkirche zum drängenden Problem geworden ist. Das Einstehen der Getauften und Gefirmten für ihren Glauben im Alltag, ihr Gestalten der liturgischen, diakonischen und verkündigenden Dimensionen von Kirchesein sind nicht eine Aufgabe, die erst in Zukunft zu bewerkstelligen ist. Vielmehr: Genau in diesem Dienst der Förderung all dessen lag bisher und liegt erst recht jetzt und zukünftig die Aufgabe der hauptberuflich Tätigen. Alle Kräfte, die jetzt noch zur Verfügung stehen, sollten dazu eingesetzt werden, dass der Übergang von der Expertenkirche zu einer Kirche der Engagierten gelingen kann. Vielerorts wird daran gearbeitet, aber es braucht weitere Anstrengungen im Sinne einer Ermöglichungspastoral, die bedarfs- und kompetenzorientiert unterstützt.
 

Katja arbeitet als Gemeindereferentin in einer großen Pfarrei. Vor vielen Jahren wurde im Bistum der Bestattungsdienst auch für die Berufsgruppen der Gemeinde- und Pastoralreferent:innen geöffnet. Schnell hatte sie bis zu drei Beerdigungen pro Woche, auch weil die Anzahl der Priester in der Pfarrei sich bald halbiert hatte. Gemeinsam mit einem Kollegen aus der Nachbarpfarrei und unterstützt durch eine diözesane Stelle organisierte sie einen Kurs für Ehrenamtliche, die gerne diesen Dienst mittragen wollten – im Sinne eines Werkes der Barmherzigkeit. „Eigentlich habe ich gerne Beerdigungen übernommen, aber angesichts einer Vielzahl von Aufgaben hat es mir manchmal meinen Terminkalender zerschossen. Jetzt begleite ich die Ehrenamtlichen und freue mich daran, wie sie in dieser Aufgabe gewachsen sind. Ab und zu, wenn in einem Todesfall mit einem erschwerten Trauerprozess zu rechnen ist, etwa, weil ein Kind verstorben ist, springe ich auch gerne mal ein und entlaste die freiwillig Engagierten. Bei ihnen liegt meine Aufmerksamkeit, für sie bin ich Seelsorgerin. Ich bin froh um diesen Schritt – und wir haben auch in anderen Bereichen gelernt, dass wir unsere Rolle verändern müssen und können. Jetzt sind wir mehr Ermöglicher und Begleiter der Ehrenamtlichen und nicht mehr diejenigen, die in allen seelsorgerlichen Fragen alleinzuständig sind.“
 

Hier wird ein fundamentaler Wandel in den Aufgaben der hauptberuflichen Mitarbeitenden thematisiert, der längst schon im Gange ist, aber dennoch so schwer scheint. Im Grunde geht es darum, Seelsorge nicht abhängig zu machen davon, ob jemand aus dem bezahlten Personal zur Verfügung steht. Es geht darum, dass Menschen einander zu Seelsorgenden werden können: einander zuhören, Emotionen zur Sprache bringen, Feedback geben, Gehörtes und Gefühltes mit dem Reichtum des christlichen Glaubens in Kontakt bringen.
 

Knud ist schon seit zwölf Jahren in einer Diasporapfarrei als Priester tätig. „Am Anfang versuchte ich noch, am Herz-Jesu-Freitag möglichst vielen Menschen selbst die Krankenkommunion zu bringen. Allein durch die großen Entfernungen war das nicht wirklich möglich. Wir haben uns im Pfarrgemeinderat zusammengesetzt und mit Hilfe der kirchlichen Organisationsberatung, die das Bistum eingerichtet hat, ein Modell entwickelt, das für viele Bereiche umsetzbar ist. Wir haben das so umschrieben: Am Anfang ist die Beobachtung, was wir als Hauptamtliche alles so „operativ“ selbst machen. Dann ist schnell die Spur da, dass es so nicht mehr geht, dass andere mitmachen müssen, damit der Mangel behoben werden kann. Im Grunde ist das hoffentlich nur ein Zwischenschritt, weil wir so Ehrenamtliche zu Lückenbüßern machen für etwas, was wir allein nicht mehr hinbekommen. Gemeinsam haben wir es geschafft, eine strategische Ebene in den Blick zu bekommen. In einem längeren Prozess haben wir die Fragen von Älterwerden und Krankheit in den Gremien, in den Gruppen der Gemeinden und gemeinsam mit anderen kommunalen und privaten Trägern und Einrichtungen thematisiert. Dabei schälte sich heraus, was es braucht, damit Menschen in ihren jeweiligen Lebenssituationen gut unterstützt und begleitet werden können. Wir sind stolz darauf, dass wir ein solches Projekt angegangen sind. Es hat unseren Blick geweitet und jetzt sehen wir klarer, was wir als Gemeinde dazu beitragen können. Und es sind viele, die sich gerne dafür engagieren, auch indem sie Menschen zuhause die Krankenkommunion bringen. Ich habe dabei für mich gelernt, dass mein Beitrag in der Seelsorge immer stärker die Sorge um die Seele des Ganzen ist, das durch viele getragen wird.“

Vom Kreisen um den eigenen Kirchturm zu einer diakonischen und sozialräumlichen Ausrichtung der Pastoral

In diese weiter zu entwickelnde Ermöglichungspastoral gesellt sich eine Erkenntnis, die schon Karl Rahner eindringlich beschrieb: „Eine gesellschaftliche Gruppe, die bedrängt ist und sich dennoch nicht aufgeben will und kann, ist unvermeidlich in der großen Versuchung, vor allem an sich und ihre Weiterexistenz zu denken. So ist es auch bei uns“ (Rahner 1972, 66). Dieses „Kreisen um den eigenen Kirchturm“ ist ein wohlbekanntes Phänomen. Gemeint ist das Organisieren gemeindlichen Lebens in seiner Binnenstruktur, noch bevor die drängende Frage sich Raum verschaffen kann: Wozu hat uns eigentlich Gott berufen, hier Kirche Jesu Christi zu sein?

Auch und gerade in Zeiten, in denen die Christen weniger werden und ihre Anzahl schrumpft, scheint es für viele plausibel zu sein, zusammenzurücken und den internen Zusammenhalt in den Mittelpunkt zu stellen. Das Bild der „kleinen Herde“ wird oft dafür in Anspruch genommen. Die Gefährdung kommt schnell in den Blick: Eine kleine Gruppe – und das ist sozialpsychologisch gut erklärbar – sucht den Kontakt mit den Gleichgesinnten, um sich der eigenen Position zu vergewissern. Unter sich zu bleiben, kann dann Nähe und Geborgenheit vermitteln und gleichzeitig ist die Gefahr da, den Sendungsauftrag des Evangeliums zu vernachlässigen.
 

Kai berichtet gerne davon, auf welche Weise er seinen Beruf als Diakon neu gelernt hat. Nachdem er einige Jahre sehr „klassisch“ in vielfältigen liturgischen Diensten unterwegs gewesen war, kam er in Kontakt mit der neuen Kollegin Anna, die für den Caritasverband die Gemeindecaritas unterstützen sollte. Sie hatte den Auftrag, sozialräumliche Konzepte in die Kooperation mit den Pfarreien einzubringen. Kai war zunächst skeptisch, doch bei einer gemeinsamen Sozialraumerkundung in einem durch vielfältige schwierige soziale Situationen belasteten Quartier fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Hier hörte er davon, wie Menschen ihren Alltag gestalten, wie sie sich hier und da untereinander helfen, wie soziale Organisationen, Sozialamt der Stadt, Wohnungsbaugesellschaft und Vereine sich für ein besseres Leben in diesem Stadtteil engagieren. In der Reflexion der kleinen Interviews auf der Straße, in den wenigen Geschäften und mit wichtigen Schlüsselpersonen wurde Kai klar: „Würde nicht Jesus hier fragen: Was soll ich dir tun?“ Gemeinsam mit einigen aus dem Caritasausschuss und der Mitarbeiterin des Caritasverbandes ist er am Ball geblieben, hat in der Stadtteilkonferenz mitgearbeitet und wichtige Themen auch in die Seelsorgearbeit der Gemeinde eingebracht.

„Für mich war dieser Stadtteil irgendwie fremdes Terrain, da ist man einfach nicht hingegangen, wenn es nicht unbedingt sein musste. Jetzt sind mir die Menschen dort ans Herz gewachsen, auch weil ich sehe, wie sie ringen müssen um ihre Würde. Hier habe ich eigentlich gelernt, wer ich als Diakon sein will. Und wenn ich es mir recht überlege: Brauchen wir das nicht dringend in unseren Gemeinden, dass wir noch einmal neu lernen, wozu es uns Christen in dieser Welt gibt? Wir waren im guten Sinn missionarisch unterwegs, weil wir unsere Mission entdeckt haben, aber wir waren nicht missionierend.“
 

Noch einmal neu lernen, wozu wir als Christen in dieser Welt sind. Sozialraumorientiertes Arbeiten ist eine der Möglichkeiten, noch einmal einen Reset in den pastoralen Haltungsfragen (vgl. Ebertz/​Stürner-Höld 2022) anzugehen, in eben jene Haltung hineinzufinden, die einst Bischof Hemmerle so treffend umschrieb: Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe. Sozialraumorientierung kann genau ein solches Lernprogramm sein, das uns aus den kirchlichen Mauern hinausführt, auf fremdes Terrain. Hier geht es darum, sich in der Motivation des Evangeliums den Menschen zuzuwenden, ihre Themen, Bedürfnisse und Interessen wahr- und ernst zu nehmen und mit ihnen tätig zu werden für das gute Leben in allen seinen Dimensionen – und genau darin zu lernen, was das Evangelium vom Leben für uns heute heißt. Dieses Lernprogramm führt heraus aus den eingespielten Routinen gemeindlichen Lebens, in denen das Kirchenjahr den Takt angibt, führt hinein in die Kooperation mit vielen anderen, die aus unterschiedlichen Motiven andocken an dem, was Reich-Gottes-Orientierung genannt werden kann. Mit großer Weitsicht hat die Synode des Bistums Trier bereits 2016 formuliert: „Die Orientierung am Sozialraum der Menschen wird grundlegend sein für die zukünftige pastorale und caritative Arbeit des Bistums Trier. Die Sozialraumorientierung wird der Seelsorge, der Katechese sowie der sozial-caritativen Arbeit als Handlungsprinzip verbindlich zu Grunde gelegt“ (heraus gerufen, Kap. 4.1.1)

Wer pastorales Handeln so konturiert, wird schnell bemerken, dass dieses Engagement gar nicht flächendeckend in allen Sozialräumen, auf die sich der Organisationsraum „Pfarrei“ bezieht, umgesetzt werden kann. Es wird vielmehr exemplarisch und ernsthaft an den Orten anzusetzen sein, wo Menschen um die Anerkennung ihrer Würde ringen (H.‑J. Sander). Denn, so Sander, am Ende entscheidet sich an der Frage, wo wir als Christen anzutreffen sind, wer wir als Kirche sind.

Pastoral jetzt und in Zukunft muss in diesem Sinn immer eine diakonische Pastoral sein, eine dienend besorgte (K. Rahner), denn sie ist das Lern- und Veränderungsprogramm, das aus der Selbstzentrierung herausführen kann. So sagen etwa die Verantwortlichen der Kirche „St. Maria als“ in Stuttgart: Mit jedem Projekt, das wir in unserer leergeräumten Kirche ermöglichen, mit jeder Öffnung auf den Sozialraum hin lernen wir, wozu wir eigentlich da sind.

Das ist ein Risiko! Da wird immer wieder neu etwas aufs Spiel gesetzt, dessen Erfolg nicht auszurechnen ist. Dafür mag es keinen Beifall geben von denen, die einen kirchlichen Ort bisher als ihr Quasi-Eigentum angesehen haben, das sie nach ihren Prinzipien „bespielen“. Aber damit wird Pastoral zu einem echten Lernprogramm, das aus erstarrten Routinen herausführt und neue Haltungen lernen lässt. Diese sind dann nicht mehr ein- und abgrenzbar, so dass man auch in allen Bezügen seelsorgerlichen Handelns lernend, wahrnehmend, wertschätzend, exemplarisch und mit spiritueller Tiefe unterwegs wird sein können.

Vom Alleinunternehmen zu einer Pastoral im Netzwerk

„Ich fand die Ausschreibung spannend. In einem riesigen Raum, in dem es vor Jahren noch fast ein Dutzend Pfarreien gab, sollte was Neues passieren können. Die klassischen pastoralen Berufe waren sozusagen ausgegangen, nur wenige wollten Theologie studieren und dann für die Diözese arbeiten. Ausgegangen waren auch die bisherigen Ehrenamtlichen, die in großer Beständigkeit Verantwortung für kirchliches Leben vor Ort übernommen hatten. Zu zweit haben wir hier als Ehrenamtsentwicklerin und als Innovationsagentin angefangen. Zu uns wurde gesagt: Ihr müsst nicht das aufrechterhalten, was zu Ende geht, und eure Aufgabe ist es nicht, zu retten, was noch zu retten ist.

Was wir gemacht haben, ist eigentlich relativ einfach. Wir haben mit dem Pfund gewuchert, das noch genügend vorhanden war, nämlich: kirchliche Räume. Und wir haben Menschen gefunden, die für die Ideen, für die sie brannten, Orte suchten, um sich mit anderen zusammenschließen zu können. Hier und da haben wir Lehrgeld bezahlt, weil wir nicht genau hingeschaut haben, ob deren Ideen mit einer christlichen Ausrichtung kompatibel waren. Aber im Großen und Ganzen sind so viele Menschen unterwegs, die mit großem Ernst diese Welt besser machen wollen, sich einsetzen für die Schöpfung, für Frieden, für Gerechtigkeit. Da haben wir jetzt keinen christlichen Stempel draufgedrückt. Aber viele spüren, dass es diese Verbindungen mit der Botschaft der Bibel gibt. Und die kirchlichen Räumlichkeiten sind so zu Herbergen geworden, die für viele offenstehen. Und diejenigen, die bewusst vor Ort als Christ:innen unterwegs sind, haben sich eingebunden gefühlt in ein neues Netzwerk für ein gutes Leben.“
 

In vielen diözesanen Konzepten ist das Konzept des Netzwerkes bereits verankert, allerdings in einer großen Bandbreite, wie dieses Netzwerk gedacht wird: als Netzwerk der Gemeinden, als Netzwerk der Kirchorte oder der Orte von Kirche, als Netzwerk der katholischen Einrichtungen. Meistens ist „Netzwerk“ ein Synonym dafür, dass man zusammenarbeitet und sich nicht aus dem Blick verliert. Eine solche Form des Netzwerkes wird meist in Besitzverhältnissen organisiert und wie eine Organisation als zentral steuerbar gedacht. Es ist zwar modern, von Netzwerken zu sprechen und sich in solchen arbeitend zu beschreiben, allerdings braucht es dafür auch ein konsistentes Netzwerkkonzept. Im Unterschied zu Organisationen sind Netzwerke nicht linear steuerbar, sie sind auf die Aushandlungsprozesse angewiesen, mittels derer die Zweckgebundenheit immer wieder neu austariert wird. Netzwerke haben kein steuerndes Zentrum, sondern sind eine Form der Selbstorganisation. Deshalb „gehören“ sie auch niemandem und sind nicht instrumentalisierbar für Organisationszwecke (vgl. auch Schüssler/​Schweighofer 2022). In Netzwerke werden Ideen und Ressourcen investiert, ohne dass sie eine Rendite im Sinn der Organisation „erwirtschaften“ müssen.

Warum nun wird sich kirchliches Handeln zukünftig mehr in Netzwerkkontexten ereignen können und sollen? Wenn es doch der Organisation nichts einbringt? Vielleicht, weil es der christlichen Botschaft entspricht, sich einzusetzen (bis hin zum Verausgaben) für Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen, mit denen wir in den Gemeinwesen zusammenleben. Vielleicht, weil sie uns helfen, die Kontaktfläche in die Gesellschaft hinein lebendig zu halten. Vielleicht, weil wir auch etwas zu geben haben an Sinnstiftendem, weil Christ:innen Worte haben für die kleinen und großen Fragen. Vielleicht, damit sie wieder lernen können, dass die Ideen Taten brauchen, dass Glaube und Handeln zusammengehören, dass angesichts vielfältiger Herausforderungen ein Sich-Einmischen mehr dem Geist Jesu entspricht als ein distanziertes Abwarten und Zuschauen.

Ein solches Denken und Handeln in Netzwerken, ein stärkeres Zugehen darauf kann gespeist werden von neuen kirchlichen Berufen, die aus ihrer eigenen Professionalität heraus binnenkirchliche Strukturen hinterfragen und sich freier fühlen, ungewohnte Kooperationen einzugehen. Schon jetzt gibt es sie, etwa in multiprofessionellen Teams. Ihre Anzahl und Bedeutung werden größer werden.

In diesen Netzwerken wird man auch lernen können, dass die eigenen Vorstellungen, wie bestimmte Situationen bewertet und Probleme gelöst werden können, immer auch perspektivisch sind, geprägt von Vorannahmen, die andere vielleicht nicht so teilen können. So werden Netzwerke auch zu Orten, an denen der Umgang mit Diversität bis hin zum konflikthaften Austragen von Unterschieden eingeübt werden kann. Das wird auch helfen, die erwartbaren intra- und innerkonfessionellen Differenzen besser bewältigen zu können. Ist doch davon auszugehen, dass sich in abschmelzenden volkskirchlichen Strukturen Gemeinschaften stärker zeigen werden, die bestimmte Ausprägungen des Christlichen bis hin zu integralistischen Tendenzen ins Spiel bringen werden. Wie sich eine „Ökumene“ hier etablieren kann, diese Frage ist immer wieder neu zu beantworten, wird man doch davon ausgehen müssen, dass eine normierende, zentrale Instanz immer weniger in der Lage sein wird, einer unübersichtlichen Vielfalt deutliche Grenzen zu setzen.
 

Eva-Maria arbeitet in ihrer Diözese als Konfliktberaterin. So würde sie es wohl auf den Punkt bringen. Nach dem Theologiestudium war sie zunächst als Pastoralreferentin tätig, bevor sie eine Ausbildung in systemischer Organisationsberatung absolvierte und sich dann auf die Konfliktthematik spezialisierte. „Je unklarer es wird, wie die Zukunft wohl aussieht, desto stärker werden die Konflikte. Wozu nutzen wir unsere Gebäude, welche Schwerpunkte können wir ausbilden, was werden wir bleibenlassen? Das sind nur einige der Fragen, die ich immer wieder vorfinde. Ich sehe meine Aufgabe darin, zu helfen, dass sich Interessen und Anliegen klären, dass einander zugehört werden kann und trotz aller Unterschiedlichkeit auch Verstehen geschieht. Wie sollen wir gesellschaftlich einen Beitrag dazu leisten können, wenn wir es oft innerkirchlich nicht hinbekommen?“

Vom Weitermachen über das Aufhören zum Neu-Anfangen

In vielen diözesanen Veränderungsprozessen ist davon die Rede, dass zukünftig Dinge auch sein gelassen werden sollen. Manuel, Angela und Martin aus dem Pastoralteam und der Pfarrgemeinderat von St. Agnes haben ihren Bischof beim Wort genommen. „Bisher haben wir immer oben drauf gepackt, jedes neue Projekt kam zusätzlich zu dem, was wir schon an guten Ideen und Traditionen praktiziert haben. Und als es von der Diözese hieß, wir sollten mit Sachen aufhören, da schien das etwas zu sein, was wir zusätzlich auch noch machen müssen. Das war schon paradox! Es ging ums Aufhören und wir haben es gespürt, dass es eine zusätzliche Aufgabe ist, die uns noch mehr Kräfte raubt.“ Zum Glück gab es im Pfarrgemeinderat einige Frauen und Männer, die kreative Ideen einbrachten: „Bräuchten wir nicht eine Art Sabbatjahr, um zu überprüfen, was uns dann wirklich fehlt und was am Ende vielleicht doch nur Ballast war?“ Das war dann doch der Startschuss, das mit dem Aufhören konkret werden zu lassen. Martin war es wichtig, dass es beim Aufhören auch um das Aufgeben von eingespielten Rollenmustern gehen könnte. Angela brachte ein, dass in der Vielzahl von Projekten und Aktionen für sie manchmal nicht mehr ersichtlich sei, wofür die Pfarrei eigentlich stehe. Bärbel, die Vorsitzende des Pfarrgemeinderates, gab zu bedenken, dass manches Angebot nur aufrechterhalten werde, weil man die Menschen, die es tragen, nicht enttäuschen wolle. Obwohl doch immer die wenigen selben kämen. Manchmal frage sie sich, wer hier um wessentwillen etwas gegen besseres Wissen weitermache.

Manuel hatte von einem Projekt gehört, bei dem die Kirche ausgeräumt worden war, alle Bänke raus, alles, was sich an Mobiliar und Zierrat über die Jahre angesammelt hatte. So fing es an in St. Agnes, mit einer leeren Kirche, mit der Bereitschaft, alles in Frage zu stellen und zu entscheidenden Fragen durchzustoßen.

„Wir haben uns neu sortieren können. Das war eine echte Fastenzeit mit einem spannenden Umkehrprozess. Mit der Frage, was unsere Aufgabe als Kirche hier vor Ort ist, sind wir noch nicht am Ende. Vielleicht gibt es auch kein Ende für diese Frage“, so blickt Bärbel auf die ersten Prozessschritte zurück. Mut zum Weitergehen haben sie in St. Agnes.

Fazit

Was steht am Ende dieser Überlegungen? Die Kirchen in Deutschland stehen an einem echten Wendepunkt, an dem sie Entscheidungen treffen müssen.

Entschieden werden muss die Frage der Verteilung von Ressourcen. Wofür werden Geld und Personal, das jetzt noch da ist, investiert?

Hoffentlich in den Aufbau selbsttragender Strukturen, die in ihrer Gemeinwohlorientierung andocken an gesellschaftlichen Problemstellungen.

Hoffentlich in die Begleitung der notwendigen Umbauprozesse, die oft damit anfangen, mit etwas aufzuhören, leerzuräumen, damit andere Fragen und ein anderes Anfangen möglich werden, so die Überschrift zu einem spannenden Fortbildungsprojekt des TPI Mainz mit Professor Hans-Joachim Sander in der Stuttgarter Kirche „St. Maria als“.

Hoffentlich in die Weiterentwicklung einer Ermöglichungspastoral, die ablässt vom Abspulen vorgefertigter Programme und einschwenkt auf sozialraumorientiertes und netzwerkförmiges Arbeiten mit Menschen guten Willens.

Hoffentlich in das kreative Nutzen von Chancen und Gelegenheiten, mit anderen in Such- und Findeprozesse einzusteigen.

Und wenn die notwendigen Entscheidungen ausbleiben? Dann gibt es mutige Männer und Frauen, die mit unternehmerischem Elan und klarem Blick als Hauptamtliche und freiwillig Engagierte selbst ins Risiko gehen, ausprobieren, vielleicht scheitern, aber jedenfalls viel davon lernen werden, wozu auch heute das Evangelium herausfordert.