Arbeiten, um auf Religiöses in der Welt hinzuweisen
Kirchen im Professionsparadox
Hinführung: Bilder von religiöser Beruflichkeit im Kontext ihrer Zeit
Die Arbeit wird nicht weniger. Das sieht der Herr des Weinbergs und schickt zu immer weiter fortschreitenden Stunden Menschen in seinen Betrieb, die nur darauf gewartet haben, dies oder Ähnliches zu tun. Am Ende bekommen alle den gleichen Lohn. Zum Verdruss der einen, die früh aufgestanden sind. Was die anderen meinen, überliefert das Matthäusevangelium nicht (Mt 20, 1–9).
Die biblische Tradition des Christentums liefert hier und auch andernorts verschiedene, aber starke, normativ gelesene Bilder eines Tätigseins, das Auskömmlichkeit verheißt. Sie fußen auf Berufung zu einer Zeit, die als die richtige gilt, und suggerieren, allgemeine Lebensbewältigungskompetenzen reichten aus, die Arbeit im Weinberg des Herrn zu tun. Die Aufgaben sind klar, und auch, wer das Sagen hat.
Bilder von damals, aus der Zeit erster christlicher Gemeinden, erweisen sich – trotz aller zeitgenössischer Sprengkraft – als wenig hilfreich, um den Anforderungen der Gegenwart gerecht zu werden.
Kirchliche Organisationen entwickeln allerdings auch heute – wie damals – ihre Tätigkeitsprofile im Kontext der Gesellschaften, in denen sie zu stehen kommen. Die beiden großen Kirchen, denen derzeit jeweils etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung via Mitgliedschaft angehört, zählen zu den größten Arbeitgebern des Landes. Dennoch mutet es terminologisch fremd an, berufliches Handeln im kirchlichen Kontext umstandslos als „Arbeit“ zu bezeichnen.
In den evangelischen Kirchen galt lange Zeit das Pastorat als der kirchliche Referenzberuf, der für das Funktionssystem Religion in der Gesellschaft stand – sowohl symbolpolitisch als auch mit dem, wofür die Berufsrollenträger – und ab den ca. 1960er Jahren auch die Berufsrollenträgerinnen – die Repräsentationslast trugen und was sie taten. All dies spielte sich oft im Rekurs auf das Bild einer theologischen Lehrperson ab, das sich bis in die Kleidung hinein auf die ständische Ordnung der Reformationszeit bezog und immer noch bezieht. Zugleich ist es Martin Luther selbst, der als Ahnherr eines modernen Berufsverständnisses gilt:
„Daher kommts, dass ein frum Magd, so sie in ihrem Befehl hingeht und nach Ihrem Amt den Hof kehret oder Mist austrägt, oder ein Knecht in gleicher Meinung pflügt und fähret, stracks zu gen Himmel geht, auf der richtigen Strass, dieweil ein ander, der zu St. Jacob oder zur Kirchen geht, sein Amt und Werk liegen lässt, stracks zur Hellen geht … Geht aber der Gehorsam und Befehl nit, so ist das Werk auch nit recht und verdammlich, geweisslich des Teufels eigen, obs gleich so gross wäre als Toten aufwecken […]“
(Weihnachtspostille von 1522)
Martin Luthers radikale Gleichordnung religiöser und weltlicher Berufsausübungen lässt umso mehr danach fragen, in welcher Weise kirchliche Beruflichkeit die gesellschaftlichen Entwicklungen des Berufsverständnisses bis in die Gegenwart hinein mitvollzogen hat.
Arbeiten in der Kirche: Ämter, Dienste und Berufe
In Bezug auf die Tätigkeit von Pfarrer*innen sind dabei Erwartungen und Selbstverständnis bleibend geprägt von einer Trias von Amt, Dienst und Beruf.
Das evangelische Amtsverständnis hat eine doppelte Vorgeschichte als Beauftragung durch Gott zum einen, als funktionaler Dienst am Wort Gottes zum anderen. Es betont die Öffentlichkeit dieser Aufgabe und ihren Bezug auf und die Verantwortung für die gesamte Kirche. Durch Art und Umfang dieser Tätigkeit verfestigte sich die intuitive Erwartung, dass das Amt eine vollumfängliche, lebenszeitliche Beanspruchung der gesamten Person erfordere. In einem klassischen Gemeindepfarramt konnte ein solches integriertes kirchliches Handeln dann und wann in einer Weise zur Darstellung kommen, dass sich ein mentales Bild eines „Gestus von Kirchlichkeit“ formte, das normativ verstanden werden konnte. Angesichts der zunehmenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft im 20. Jahrhundert wurde dies mehr und mehr zum gegenkulturellen Klischee. An die Seite einer angenommenen Generalist*innenrolle des Pfarramts trat eine funktionale Spezialisierung, die faktisch zunehmend auch das Gemeindepfarramt erfasste.
Die Rede vom kirchlichen Dienst knüpft an die neutestamentlich überlieferte Aufgabenteilung in der Gemeinde an. Sie macht deutlich, dass diejenigen, die in der Kirche tätig sind, durch den Bezug auf den Auftrag der Kirche miteinander verbunden sind – unabhängig davon, was sie konkret tun. Die Rede vom „Dienst“ der Kirche zielt auf eine Verbundenheit aus Überzeugung und Glauben, die einerseits Loyalität, andererseits Fürsorge erfordert und damit organisationskulturell und juristisch mehr darstellt als eine reine Tendenzbetrieblichkeit kirchlicher Organisationen.
Beruf bzw. Beruflichkeit machen terminologisch deutlich, dass kirchliche Tätigkeiten Teil eines gesellschaftlichen Arbeitsmarktes und seiner Wettbewerbsregeln sind. Beruflichkeit entsteht durch die Teilnahme an einem Bildungssystem, das Abschlüsse und Qualifikationen ermöglicht. Sie hat damit zur Folge, dass die Berufszugehörigkeit durch die Mechanismen gesellschaftlicher Inklusion und Exklusion notwendigerweise hingeordnet ist auf ein System von sozialen Schichtungen, Lebensstilen und Milieus.
Immer geht es bei den verschiedenen Redeweisen über kirchliches Arbeiten auch darum, dass mit der Semantik Struktureffekte erwartet werden, die von den Rollenträger*innen ausgehen: Mal wird eine Komplexitätsreduktion durch Hierarchie erwartet, im anderen Fall eine koordinierte Zusammenarbeit auf der Basis geteilter Überzeugungen, im Feld der Beruflichkeit schließlich das Versprechen einer modernen, zeitgemäßen Tätigkeit im Kontext der Gegenwartsgesellschaft.
Die Veränderungskrisen von Erwerbstätigkeiten im 20. Jahrhundert (vgl. Rosendahl u. a. 2012) lassen sich damit auch für Berufe in der evangelischen Kirche nachvollziehen.
Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit: Generalisierung, Dienstleistung, Selbstverantwortung
In den 1970er/1980er Jahren zeigten soziologische Studien, dass Fachkräfte oft über den erlernten Beruf hinaus in anderen Arbeitsfeldern arbeiteten, damit verbunden auch berufliche Mobilität einsetzte. Es folgte dementsprechend eine Entspezialisierung von Ausbildungscurricula – ein relatives Generalistentum wurde etabliert, gelegentlich mit der Suggestion von Allzuständigkeit. Im kirchlichen Kontext wurde diese Entwicklung unterstützt durch die Logik der parochialen Zuordnung, die genau dies von den beruflich in ihr Tätigen implizit erwartet.
In den 1990er Jahren vollzog sich der Wandel von der Industrie- zu einer verstärkten Dienstleistungs- und Wissensökonomie. Qualität und individuelle Passung wurden zu legitimen Erwartungen. Um sich dem Wandel zu stellen, der durch eine verstärkte Orientierung an den nutzenden Personen nötig wurde, entstand ein Fokus auf der Ausbildung und Steigerung beruflicher Kompetenzen. Mit dieser Emphase auf individuellen Bildungsportfolios wurde unübersichtlicher, was vormals standardisiert in einem Berufsfeld erwartet werden konnte.
Veränderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts schließlich sind mit den Begriffen „Europäisierung der Bildungspolitik“ und „Digitalisierung“ verbunden. Es treten Tendenzen auf, die Ordnungsleistung von Berufen durch die Forderung einer individuellen employability, also der eigenen Verantwortung für die persönliche Berufsfähigkeit, abzulösen. Diese Entwicklung wird im Blick auf Tätigkeiten in der evangelischen Kirche unterstützt durch die dort ohnehin tradierte Hochschätzung des Individuums, die Sehnsucht nach der Zuschreibung authentischen Ausdrucks in der religiösen Berufsrolle sowie die einsetzende Programmatik der multi- oder interprofessionellen Zusammenarbeit, die organisationale Verantwortung, wenn nicht an den*die Einzelne*n, so doch in die Fläche delegiert.
Die Gegenwart: Kirchliche Erwerbstätigkeit unter Druck
Unter gegenwärtigen Bedingungen wird deutlich, dass die Beschreibungstrias kirchlicher Berufe von Amt, Dienst, Beruf insgesamt unter Druck gerät: Die Amtslogik verliert in dem Maße an Plausibilität, wie Institutionen immer weniger Prestige und Bedeutung zugeschrieben wird. Dass die Logiken von Hierarchie und Bürokratie in religiösen Dingen noch stärker in Frage stehen, als es in Bezug auf andere gesellschaftliche Funktionsbereiche der Fall ist, mag auch daran liegen, dass religiöses Expert*innenwissen wenig nachgefragt ist. Zudem weisen empirische Daten darauf hin, dass sich das religiöse Feld in Deutschland zusehends zu einem kulturellen Faktor entwickelt und damit sein Platz in der gesellschaftlichen Funktionslogik zumindest zur Diskussion steht.
Die Dienstlogik wird einerseits durch die Programmatiken vieler Landeskirchen, inter- und transprofessionelle Zusammenarbeit zu stärken, gestützt. Dazu zählen auch aktuelle Erwägungen, Anstellungslogiken kirchlicher Berufe weg vom Beamtentum und auf eine Tarifvertraglichkeit hin zu egalisieren. Wo es allerdings nicht gelingt, personelle Ressourcen stark zu konzentrieren, hat die Wirklichkeit diesen Ansatz vielerorts bereits überholt: Die Anzahl von Menschen, die sich beruflich in Kirchen betätigen, sinkt durch die hohen Ruhestandssetzungen, die geringe Nachwuchsquote oder auch ressourcenbedingt zurückhaltende Einstellungspolitik stark. Nicht alles, was in Organisationen getan werden muss, kann in Ehrenamtlichkeit überführt werden. Kirchenbindung wird außerhalb des pastoralen Dienstes in kirchlichen Berufen zum Sonderfall, Dienstgemeinschaftlichkeit entwickelt sich nolens volens zur Tendenzbetrieblichkeit, weil die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt kaum ein anderes Wahlverhalten der Organisation in Bewerbungsverfahren zulässt.
Die höchste Entwicklungsdynamik allerdings zeichnet sich im Feld von Beruf und Beruflichkeit ab: Kirchliche Berufe diversifizieren sich durch eine Zunahme an Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten. Die verschiedenen institutionellen Träger treten zunehmend zueinander in Konkurrenz um die wenigen Berufsstarter*innen. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Fachkräften, die fähig sind, mit überkomplexen Situationen umzugehen und gleichzeitig ein derzeit noch hohes Maß an Routinen zu bewältigen. Neben das Paradox der religiösen Organisation, einen Markenkern zu haben, der sich nicht organisational einhegen lässt, tritt ein „Professionsparadox“: Kirchen sind als wesentliche Akteure des Öffentlich-Religiösen in unserer Gesellschaft auf Professionsberuflichkeiten angewiesen. Sie benötigen Berufstätige mit einem großen Set an Wissen und Fähigkeiten, auf das sie aufsetzen können, um im Kontakt mit Einzelnen Vertrauen aufzubauen und Situationen von Unsicherheit zu bearbeiten. Gleichzeitig benötigen dieselben Organisationen aber auch Akteure des Wandels und der Transformation. Die, die als religiöse Expert*innen tätig sind, sind im Regelfall die gleichen Personen, von denen erwartet wird, dass sie Wandel gestalten, unterstützen und vorantreiben. Professionen begegnen den Aufwänden der Organisation nun aber im Regelfall im Modus von Konflikt: Werden professionell Tätige mit managerialen Aufgaben betraut, führt dies gemeinhin und auf Dauer zu Prozessen der Deprofessionalisierung. Dies wird beispielsweise im pastoralen Feld noch dadurch beschleunigt, dass religiöses Expert*innenwissen auf der Höhe der Professionalität im Regelfall gar nicht abgerufen wird (vgl. Krech/Höhmann 2005). Das Vertrauen in kirchliches Personal beruht überwiegend auf dem diffusen Rollenanteil der Berufstätigkeit, auf der Fähigkeit, soziale Nähe zu erzeugen und mit dem eigenen Leben – gelegentlich noch in Gestalt des evangelischen Pfarrhauses – ein Paradigma protestantischen Lebenstils zu zeigen. Deprofessionalisierung ist demnach sowohl sozial als auch organisational erwünscht. So wird es leicht, Qualifikationsvorschriften für den Berufszugang abzusenken, aufzuheben oder zu erweitern: Erlernte und ausgeübte Berufe treten mitunter weit auseinander. Denn bei aller Betonung von Fachlichkeiten können Kirchen unter gegenwärtigen Bedingungen nicht auf Agent*innen des Wandels verzichten. Quereinstiege, fachfremde Stellenbesetzungen oder auch das training on the job in pastoralen Feldern für Menschen mit vormals ganz anderen beruflichen Hintergründen sind kaum mehr Ausnahmefälle. In eine Reihe von Berufsbiografien passt eine second career in einem religiösen Beruf sehr gut hinein: Mit den Erfahrungen und ökonomischen Absicherungen einer ersten Berufskarriere wird in späteren Jahren die Frage nach Sinn und Verantwortung bestimmender für das eigene berufliche Handeln. Derzeit stehen zudem auch noch Menschen im Erwerbsleben, denen eine grundständige akademische theologische Ausbildung biografisch verschlossen blieb und die dies nun – in anderer Form – zu einem späteren Zeitpunkt nachholen und auf diesem Weg in einen kirchlichen Beruf kommen. In solchen Berufsentscheidungen zeigt sich, das Employografie für viele Menschen heute zentral ist: Es ist weniger die Passung in einen vorgegebenen Beruf oder die Kuratierung der eigenen Berufsfähigkeit, die ausschlaggebend für eine berufliche Umorientierung ist, sondern die Stimmigkeit, die im Blick auf die eigene Berufsbiografie empfunden wird (vgl. Erichsen-Wendt 2025).
Andere Aspekte kommen hinzu: Mehr und mehr wird sich auch die akademische Ausbildung zum/zur Theolog*in daraufhin befragen lassen müssen, welchen Mehrwert für das gesellschaftliche Leben sie bietet. Damit ist die Frage verbunden, welchen Ort das religiöse Funktionssystem in der Gesellschaft eigentlich unter den Bedingungen von fortschreitender Säkularisierung und schwer messbarer Individualisierung hat und für sich beansprucht.
Perspektiven für das Arbeiten in einer Kirche von morgen
Es lässt sich ahnen, wie dieses Arbeiten in der Kirche unterstützt wird: bestenfalls mit systematischer beruflicher Fort- und Weiterbildung, mit einer Erschließung der Rede von der „lernenden Organisation“ für die Programmatik und Kultur der Kirchen selbst und vor allem auch: mit einer neuen Suche nach dem Ort der Theologie im religiös-kirchlichen Feld. Es könnte sein, dass dieser Ort außerhalb der formalen Organisationen liegt, bei den Menschen und in der Welt. Dann ginge es bei einem neuen religiösen Expert*innentum darum, mit anderen gemeinsam Sprache und Formen zu finden, die dem Unverfügbaren des Lebens Raum, Ausdruck und Gestalt geben.
Auch heute wird die Arbeit nicht weniger. Die mentalen Bilder religiöser Berufe sind stark, zumindest innerhalb der Kirche. In empirischen Studien, wie etwa der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU), wird deutlich: Menschen erinnern sich an Kontakte mit kirchlichen Personen – ob es sich dabei um Berufsrollenträger*innen, Ehrenamtliche oder schlicht Menschen handelt, die in ihrem Quartier als Christ*innen erkennbar sind, spielt dabei keine ausschlaggebende Rolle. Wird es gelingen, mit den gegenwärtigen Logiken von Amt, Dienst und Beruf wirklich ins „Morgen“ kirchlicher Arbeit zu kommen? Wichtig dürfte bleiben: Ohne verantwortlich Handelnde, die professionell und organisational verantwortlich vorgehen, dürfte es die sichtbare Kirche perspektivisch schwer haben, öffentlich unter den Menschen das Evangelium verlässlich laut werden zu lassen.