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Hat der Dritte Weg Zukunft?

Arbeiten in der Kirche wird wesentlich auch durch das Arbeitsrecht mitbestimmt. Stephan Schwär nimmt den Dritten Weg unter die Lupe und prüft kritisch, inwiefern er der kirchlichen Mission entspricht.

Beschreibung

Die Kirchen befinden sich in einer schwierigen Situation. Sie sind herausgefordert, scheinbare Selbstverständlichkeiten neu zu begründen. Die postmoderne Gesellschaft nimmt nichts als „gottgegeben“ hin.

Dabei geht es dem kirchlichen Arbeitsrecht wie dem Missionsbegriff: mit alten und negativen Begriffen und Vorstellungen belastet, und das nicht nur zu Unrecht. Der Dritte Weg als eigenständige Möglichkeit der Gestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts braucht heute nachvollziehbare Begründungen.

Weltweit einmalig ist dabei die Situation des kirchlichen Arbeitsrechts in Deutschland. Es ist weder im weltkirchlichen Kontext noch im Zusammenhang europäischen Rechts für Außenstehende leicht zu verstehen. Umso wichtiger ist es, sich die staatsrechtliche Dimension wie auch die innere Begründung dieses Sonderweges zu verdeutlichen.

Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Grundgesetz und Weimarer Reichsverfassung (Art. 140 Grundgesetz i. V. m. Art. 137 Weimarer Reichsverfassung) ist u. a. die Folge der individuellen Religionsfreiheit und daher eng verbunden mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG: Der Staat garantiert jedem Menschen Religionsfreiheit und gewährt in der Folge auch der rechtlich verfassten Gemeinschaft von Individuen gleicher Religion Gestaltungsfreiheit und Selbstbestimmungsrechte im Rahmen der allgemein gültigen Gesetze.

Dies gilt auch dann, wenn die Religionsgemeinschaft in der Form von Unternehmen und Betrieben nach staatlichem Recht mit Beschäftigungsverhältnissen ihrem originären Auftrag nachkommt. Es braucht die Möglichkeit, Prozesse und Inhalte an die Anforderungen der Gemeinschaft anzupassen.

Viel zu lange ist das Selbstbestimmungsrecht ein unkontrollierter und unzugänglicher Bereich gewesen. In der katholischen Kirche wurde diese Freiheit lange genutzt, um die im Staat demokratisch legitimierte und kontrollierte Macht durch kirchenrechtliche, absolutistische Macht zu ersetzen. Dies wurde (und wird) durch „göttlichen Willen“ legitimiert. Das ging lange gut – oder vielmehr schlecht –, hat aber nicht erst heute in vielen Bereichen gesellschaftlich und durch Gerichtsentscheide (u. a. Bundesarbeitsgericht, Europäischer Gerichtshof) Begründung und Glaubwürdigkeit verloren und muss neu und besser in Theorie und Praxis erarbeitet werden.

Die Kirchen sind in einem säkularen Umfeld unterwegs, mit Mitarbeitenden, die nicht einer christlichen Kirche angehören, mit Angeboten, die längst nicht mehr nur kirchliche Träger als Betätigungsfeld entdeckt haben. Sind wir mit Kitas, sozialen Einrichtungen, Krankenhäusern usw. nicht ein Anbieter unter vielen? Unterscheidet sich die Qualität des Angebots durch die Kirchlichkeit des Trägers? Darf Mitarbeitenden via Arbeitsrecht und Gestaltung des Arbeitsrechts eine Unterordnung unter das aus der Religion hergeleitete Selbstbestimmungsrecht zugemutet werden?

Was ist der Grund, auf dem sich ein Selbstbestimmungsrecht der Kirche(n) und ein eigener, ein Dritter Weg, rechtfertigen ließe? Nicht neben den anderen Möglichkeiten der Gestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts, sondern vor allen anderen Möglichkeiten, die das Tarifrecht oder die unternehmerische Freiheit anbieten.

Der Dritte Weg in der Spannung von Wunsch und Wirklichkeit

Es gehört wesentlich zu jeder Religionsgemeinschaft, sich in Utopia aufzuhalten. Das liegt in der Natur der Sache. Eine Religionsgemeinschaft ohne Utopie verliert ihren Sinn und ihre Daseinsberechtigung. Das bedingt eine enorme Spannung: Die Idealvorstellung von Menschen und der Gestaltung ihrer Beziehungen trifft auf die Wirklichkeit; auf gesetzte Rahmenbedingungen, auf Menschen mit ihrer Unvollkommenheit und auch ihren Abgründen. Die Augenblicke, in denen Ideal und Wirklichkeit übereinstimmen, sind selten. Sollte solch ein Moment einmal erreicht sein, ist er niemals von Dauer. Biblisch betrachtet: Ein Leben im Paradies ist uns nicht möglich, der Garten Eden ist versperrt. Wir können uns dem Wunsch der Jünger bei der Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor anschließen: „Hier ist es gut, hier wollen wir bleiben. Hütten bauen und den Glanz genießen!“ (vgl. Mk 9,2 ff. u. a.) – kaum ist der Wunsch ausgesprochen, ist der Glanz dahin, die Herrlichkeit nur noch eine Erinnerung.

Aber die Utopie aufzugeben ist keine Lösung. Das Ideal für den Dritten Weg ist in der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ von 2022 grundgelegt, im Begriff der „Dienstgemeinschaft“ (Art. 2 GrO). Diese Vorstellung setzt voraus, dass alle in der Kirche Tätigen eine gemeinsame Vision haben: der Welt und den Menschen zu dienen und die Welt im Sinne des Evangeliums besser zu machen. Dies impliziert, dass jedem Beruf eine „Berufung“ zu Grunde liegt, dass Menschen mit ihren jeweiligen Fähigkeiten und Tätigkeiten zu diesem großen Ganzen beitragen und jeder Beitrag unverzichtbar und damit prinzipiell gleichwertig ist. Es muss hier nicht ausgeführt werden, wie weit Utopie und Wirklichkeit voneinander entfernt sind. Die Spannung muss man erkennen und bejahen. Jeder Mission geht eine Vision voraus.

Ist der Dritte Weg Teil der Mission? Für eine Antwort ist es notwendig, das Ideal des Dritten Weges zu skizzieren. Um dann zu prüfen, ob der Dritte Weg glaubwürdig ist und nicht im Gegensatz zum christlichen Auftrag steht.

Nicht Regeln sind entscheidend, sondern Haltung

„Culture eats strategy for breakfast“ (Peter Drucker, Ökonom, 1909–2005). Frei übersetzt: „Die Kultur verspeist alle Strategien zum Frühstück“ und meint so viel wie: Mit den besten Regeln und der tollsten Taktik erreicht man nichts, wenn der Umgang miteinander nicht stimmt.

Der Satz öffnet den Blick auf die Haltung der einzelnen Person wie auch auf die Kultur einer Gruppe von Menschen, die von innen oder außen betrachtet zusammengehören. Haltung prägt Kultur, die Kultur bildet den inneren Zusammenhalt, den wesentlichen Kern der Identität einer Gemeinschaft. Kultur und Mission dürfen sich nicht widersprechen. Der Blick auf Haltung und Kultur ist wesentlich, steht vor allem anderen. Um eine Anleihe beim Urchristentum zu nehmen: „Seht, wie sie einander lieben!“ (Tertullian, 2. Jh.) faszinierte die Umwelt der ersten Christengemeinden und „fügte täglich ihrer Gemeinschaft“ Neue „hinzu“ (Apg 2,47). Wahrscheinlich hat die Wirklichkeit oft anders ausgesehen.

Der Blick auf und die Frage nach der Kultur ist also entscheidend. Es ist zuerst zu betrachten, wie auf dem Dritten Weg Regeln und Beschlüsse zustande kommen (sollen), bevor man sich Gedanken um das Was, den Inhalt der Regelungen, macht.

Das Problem des Machtgefälles

Macht haben heißt wirksam sein, gestalten können, Werte umsetzen und Ideen verwirklichen. Das kann positiv oder negativ sein.

Auch dazu eine Anleihe bei einer biblischen Rede, in diesem Fall bei Jesus: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken […] Bei euch aber soll es nicht so sein“ (Mk 10,42 f.). Das Wörtchen „soll“ zeigt erneut die Spannung von Utopie und Wirklichkeit. Die Aufforderung Jesu ist keine Absage an Macht, sie fordert einen verantwortlichen und reflektierten Umgang damit und stellt die Machthabenden (in der Kirche) in die Pflicht, dem Ideal zu folgen.

In den Kommissionen des Dritten Weges (KODAen, Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbands) zeigt sich häufig: Beide Seiten haben Recht, aber nur auf einer Seite ist Macht und vor allem strukturelle Macht. Nur mit Macht lässt sich durchsetzen, worin man Recht hat. Den Vertreterinnen und Vertretern der Dienstgeber ist innerhalb des Systems Leitungs- und Führungskompetenz zugeordnet. Sie treffen in den Einrichtungen Entscheidungen, sie sind Dienstvorgesetzte. Sie befinden über Ressourcen und ggf. sogar über Zukunft oder Ende einer Einrichtung, eines Betriebes. Die Struktur verleiht ihnen Macht, innerhalb des Systems zu handeln.

Macht ist auch die Möglichkeit, das System im eigenen Interesse beeinflussen und gestalten zu können. Besonders im verfassten Bereich zeigt sich, dass die Mitglieder der Dienstgeberseite in den Kommissionen gleichzeitig die Beraterinnen und Berater der (Erz‑)​Bischöfe sind. Die (Erz‑)​Bischöfe entscheiden über die Gestaltung des Systems. Damit hat die Dienstgeberseite entscheidenden Einfluss, die Regeln für das Miteinander in der Kommission zu gestalten. Das ist mit der Dienstgemeinschaft nicht vereinbar. Damit gibt es mittelbar eine höchst ungleiche Verteilung von struktureller Macht.

Der (Erz‑)​Bischof wiederum als Ordnungsgeber hat ungeteilte Macht. In eigener Kompetenz öffnet oder begrenzt er die Möglichkeiten der Mitbestimmung. Eine wirksame Kontrolle oder Einschränkung gibt es an dieser Stelle nicht. Die Grenzen der Dienstgemeinschaft sind einseitig festgelegt.

Nicht nur bei der Gestaltung der Regeln für das System zeigt sich die Ungleichheit der Parteien: (Fast) jede Regelung ist auslegungsbedürftig. Jede Anwendung hat Ermessensspielräume. Wie die Auslegung erfolgt, wie Spielräume genutzt werden, das liegt im Wirken der Dienstgeber. Die Haltung der Leitung bestimmt die Kultur der Einrichtung. Haltung lässt sich nicht verordnen.

Das entscheidende Merkmal sollte – wie in der Mission – die Gleichberechtigung, die Augenhöhe sein. Nicht: „Ich weiß, was für dich gut ist!“, sondern: „Ich bemühe mich, dich zu sehen, zu verstehen, deine Interessen kennenzulernen, ohne mich unter- oder überzuordnen.“

Parität ist ein Qualitätsmerkmal

Das Ideal der Dienstgemeinschaft setzt für die Arbeit der arbeitsrechtlichen Kommissionen Parität der beiden Seiten voraus. Dabei verstellt das Ideal sehr oft den Blick auf die unterschiedlichen Wirklichkeiten der beiden Seiten:

  • Die zur Verfügung stehenden Mittel sind ungleich verteilt. Die Dienstgeberseite entscheidet über den Umfang der personellen Unterstützung der Mitarbeiterseite. Und über das zur Verfügung stehende Budget.
  • Dienstgeber bekräftigen immer wieder, wie viel Zeit sich die Mitglieder der Mitarbeiterseite nehmen könnten, um sich mit den Inhalten zu beschäftigen. Freistellungen müssen aber oft hart erkämpft werden und die liegengebliebene Arbeit zusätzlich von den Kolleginnen und Kollegen erledigt werden. Das macht Druck. Und sehr viel Zeit fließt in die interne Organisation, nicht in die inhaltliche Arbeit.
  • Die Mitglieder der Mitarbeiterseite sind meist selbst oder durch Kolleginnen und Kollegen in ihrem Umfeld von den zu regelnden Themen betroffen. Die Vertreter der Dienstgeber sind aufgrund anderer Vertragsgestaltungen als Kirchenbeamte oder mit außertariflichen Verträgen oft nicht von den Beschlüssen der Kommissionen erfasst. Persönliche Betroffenheit bringt andere Motivation und anderes Engagement mit sich.
  • Ein hoher Aufwand wird für Arbeitsfähigkeit und Arbeitsmittel erbracht. Die Organisation der Mitarbeiterseite bindet erhebliche zeitliche Ressourcen. Die Dienstgeberseite hat dafür meist die entsprechende Unterstützung, personell, organisatorisch, strukturell.
  • Die Mitarbeiterseite hat häufig den Nachteil, dass ihr niemand zuarbeitet. Kein koordinierendes Sekretariat für die Absprache von Terminen, Buchung von Reisen, Belegung von Räumen, Sorge für Verpflegung. Kein Netzwerk an Sachbearbeitungen, keine Kontakte in andere Behörden. Kein eigener Hintergrund durch eine juristische, betriebswirtschaftliche, kaufmännische oder verwaltungswissenschaftliche (Hochschul‑)​Bildung.
  • Weiterer Aufwand entsteht durch notwendige Rückbindung und Kommunikation zu den anderen Beschäftigten: Information über neue Beschlüsse, Beratung von Mitarbeitervertretungen.

Zwischenfazit

Wo sind Parallelen? Ohne zu sehr überziehen zu wollen: Der Dritte Weg und die Mission brauchen die Wahrnehmung und Anerkennung der Unterschiedlichkeiten, gleichwertige Partnerschaft, den Verzicht auf Machtmittel zur Durchsetzung eigener Interessen.

Im Dritten Weg fordert das beide Seiten. Parität und Machtgleichheit müssen in der Haltung der Beteiligten und in den Ordnungen strukturell verankert sein und dürfen nicht einseitig – auch nicht mittelbar einseitig – gestaltet oder verändert werden können. Gelingt dies nicht, ist das Ideal der Dienstgemeinschaft im Dritten Weg in Gefahr.

Das Gefühl der Unterlegenheit drückt sich oft in unangemessener Weise aus: Polemik, Sarkasmus, moralische Überheblichkeit, Blockade, Optimierung von Eigennutz usw. Wo das beobachtet werden kann, gibt es möglicherweise tiefer liegende Ursachen.

Es ist aber nicht so, dass die eine Seite die andere braucht, um nach eigener Einsicht handeln zu können. Wieder an der Bibel orientiert, hier Jesus vor Pilatus: Der angeblich Mächtige verweist auf seine Möglichkeiten: „Weißt du nicht, dass ich Macht habe …?“ Der vermeintlich Machtlose gibt zurück: „Versteck dich nicht hinter geliehener Macht, die du aus Gnade eines anderen auf Zeit ausüben darfst. Was und wer bist du ohne sie?“ (vgl. Joh 19,10 f.). Das Beispiel zeigt, dass Augenhöhe von beiden Seiten her erreichbar ist – wenn auch mit unterschiedlicher Anstrengung und unterschiedlichem Risiko. Das Ideal des Dritten Weges braucht zwingend eine spirituelle Grundlage.

Eigene Haltung – eigene Inhalte

Was muss den Dritten Weg darüber hinaus auszeichnen?

Wenn der Dritte Weg die Spannung zwischen Utopie und Realität aushalten und aufzeigen soll, dann muss er zwingend eigenständig sein. Er muss sich sehr kritisch hinterfragen, wenn er Tarifverträge des öffentlichen Dienstes einfach abschreibt oder sich ganz auf dynamische Verweisungen verlässt. Ein als positiv betrachtetes und behauptetes System kommt nicht ohne die positive Inkraftsetzung aus. Der Dritte Weg muss die Verantwortung für seine Inhalte selber tragen und kann sie nicht an andere delegieren. Es ist ein Unding, als eigene Leistung zu verkünden, was andere – teilweise mühsam und mit hohem Einsatz – erkämpft haben.

Der Dritte Weg muss Verantwortung übernehmen: für das Streben nach dem Ideal, für die eigene Vision und ebenso für das Scheitern. Das Zurückbleiben hinter dem, was wünschenswert wäre, was z. B. der christlichen Gesellschaftsethik entspricht, gehört konstitutiv zum Dritten Weg dazu. Das Ringen um den „gerechten Lohn“ (vgl. can. 231 § 2 und can. 1286 CIC) ist zentraler Auftrag des Dritten Weges. Es bedeutet ein Glaubwürdigkeitsproblem, sich hinter den Tarifparteien zu verstecken und die eigene Diskussion zu vermeiden.

Die Gründe für die Nähe zu den öffentlichen Tarifen mögen einsichtig sein: Mit gleichem Niveau gelingt Refinanzierung. Mit gleichen Löhnen gelingt Mitarbeitergewinnung und ‑bindung. Der Verweis sichert Beschäftigten die Teilhabe an der allgemeinen Lohnentwicklung u. v. m. Trotzdem ist ein ungeprüfter dynamischer Verweis immer auch eine Flucht oder – was noch schlimmer wäre – ein Eingeständnis mangelhafter eigener Regelungskompetenz.

Die Wirklichkeit ist auch vielschichtiger: Sind die Tarife für alle Lehrkräfte gleich, bei allen Trägern? Werden alle Pflegekräfte gleich entlohnt? Alle Beschäftigten in der Industrie, bei Banken, Versicherungen? Was gewinnt Menschen und was bindet Menschen wirklich an ein Unternehmen? Wieso bieten nur die Tarifregelungen des öffentlichen Dienstes Angemessenheit für den kirchlichen Dienst? Und sind alle Beschäftigten dort wirklich davon erfasst?

In vielen Kommissionen sind beide Seiten an diesem Punkt rasch einig. Was beide Seiten übersehen: Die Legitimation eines eigenen, des Dritten Weges kann nur Bestand haben, wenn es auch eigenständige Ergebnisse gibt. Als leere Hülle braucht es das nicht. Der Zeugnischarakter hängt am Verfahren und am Inhalt.

Zu Recht beklagen Gewerkschaften diese Form des unbedingten Abschreibens als „Trittbrettfahren“. Ohne Risiko, ohne Aufwand und eigene Anstrengung werden Ergebnisse kopiert. Darüber, ob es dem eigenen Wertegerüst entspricht, macht man sich keine Gedanken. Aber Freiheit ohne Risiko, Selbstbestimmungsrecht ohne Anstrengung, Dritter Weg ohne Verantwortung für die Ergebnisse, das geht schlichtweg nicht.

Überdies rühmt man sich möglicherweise eigener „Streitkultur“, die gar nicht praktiziert wird. Sie ist nach außen verlagert und man sonnt sich in eigener „Gewaltfreiheit“.

Mit einem eigenem Ideal hat das nichts zu tun. Das Schiff, das im Hafen bleibt, wird keine neuen Kontinente entdecken. Der Verbleib im vermeintlich sicheren Hafen ist immer auch eine Sackgasse; ohne Kreativität, ohne Innovation, ohne die Kraft des Windes im eigenen Segel zu spüren. Ein Schiff im Hafen hat keinen Druck auf dem Ruder und keinen Kurs, den es steuern will. Letztlich braucht es noch nicht mal einen Kompass, um sich nach etwas auszurichten.

Der Inhalt muss zum Rahmen passen

Somit stellt sich natürlich die Frage nach dem Inhalt. „An Ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!“ (Mt 7,16). Woran orientieren sich „gute“ Arbeitsbedingungen, die im Dritten Weg zustande gekommen sind?

Reflexhaft (aber deshalb nicht falsch) müssen Zitate aus den Sozialenzykliken kommen. „Gerechter Lohn“, „Familienfreundlichkeit“, „Vorrang der Arbeit vor dem Kapital“. Das ist nicht abwertend gemeint, ganz im Gegenteil. Ich möchte es aus der Ecke der Sozialromantik herausholen: BWL-Studium, erstes Semester, erste Vorlesung in VWL: „Das Ziel des Wirtschaftens ist der Mensch!“ Das hat mich beeindruckt. Darauf kann sich jede und jeder berufen. Aber nicht im Sinn eines Egotrips. Der Mensch, der das Ziel des Wirtschaftens ist, ist kein Einzelner, das sind viele. Es ist unser Menschenbild, dass wir in der Masse der Vielen den Einzelnen nicht aus dem Blick verlieren. Bei allen eigenen Interessen müssen wir immer auch die Interessen anderer im Blick behalten. Am Gemeinwohl ebenso orientiert wie am Eigeninteresse (vgl. Phil 2,4). In gewaltfrei geführten Auseinandersetzungen, damit auch die Ergebnisse gewaltfrei und damit „schadlos für alle“ sind.

Die Regelungen des Dritten Weges müssen ein Dreieck im Blick behalten: Erstens der Auftrag, kirchlich traditionell als „Dienst“ bezeichnet. Dieser Begriff ist wertvoll. Zweitens die Mitarbeitenden: Sie erbringen den Dienst und setzen die Vision in die Mission um. Drittens die Einrichtung: Sie bietet die Struktur, in der Mitarbeitende den Dienst an den Menschen leisten können.

Dieser Anspruch bewegt sich in einem Umfeld gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, öffentlicher Wahrnehmung und der inneren und äußeren Anforderungen an Übereinstimmung mit dem Sendungsauftrag.

Gerechtigkeit ist nicht gleich Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist im Dritten Weg eine Haltung, die über eine Orientierung an Leistung hinausgeht. Allgemein wird im Arbeitsrecht eher von Leistungsgerechtigkeit ausgegangen, vom Niveau der übertragenen Tätigkeit, von „besonderer Schwierigkeit und Bedeutung“, von erforderlicher und nachzuweisender Qualifikation und möglicherweise auch von jährlich neu vereinbarten Zielen und Leistungskomponenten.

Hier ist das kirchliche Arbeitsrecht wieder in einer eigenen Spannung. Leistungsgerechtigkeit ist nicht alles. Zumal es nicht einfach ist, diese tatsächlich herzustellen. Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen können Menschen nicht auf Zahlen und Fakten, auf Leistung und Erfolg im Sinne von „Output“ und „Produktivität“ reduzieren. „Das Ziel des Wirtschaftens ist der Mensch!“ – der mehr ist als die Summe der betreuten Kinder, der jährlichen Operationen, der ausgefüllten Anträge oder erledigten Personalfälle.

Gute und angemessene Arbeitsbedingungen und arbeitsrechtliche Regelungen in der Kirche versuchen zumindest, Menschen in ihren Bedürfnissen, in ihren sozialen Beziehungen und Verpflichtungen, in ihren Beschränkungen und Belastungen wahrzunehmen und diese zu berücksichtigen. Das gehört zwingend zum Gerechtigkeitsbegriff der Kirchen dazu.

Ressourcen sind begrenzt. Daher geht es ganz klar um Verteilung nach einem Wertekanon. Die Begünstigten einer reinen Leistungsgerechtigkeit kommen bei einer solchen Verteilung im Vergleich zu außerkirchlichen Regelungen schlechter weg. Starke müssen Schwache tragen. Das Prinzip von Solidarität und Subsidiarität zeigt für manche auch konkrete und individuell unerwünschte Nebenwirkungen.

Dem müssen sich Kommissionen stellen. Gemeinsam einen Weg suchen und finden. In den Diskurs miteinander einsteigen. Gegenüber den Beschäftigten Transparenz herstellen. Spannungen und Konflikte aushalten. Für Öffentlichkeit sorgen. Werben, dass der Dritte Weg eigenständig ist und die Ergebnisse anders und im Sinn des Wertekanons besser.

Ich weiß, wovon ich schreibe. Die KODA in Freiburg hat nach wie vor eine Kinderzulage. Die Finanzierung erfolgt zu einem Teil aus der Verschiebung von Gehaltserhöhungen im Vergleich zum öffentlichen Dienst. Es gibt Freistellungen und Arbeitszeitreduzierung mit Lohnausgleich für Care-Aufgaben. Das muss finanziert und in der täglichen Praxis in den Einrichtungen aufgefangen werden. Das fordert das Miteinander immer wieder heraus. Die Diskussionen und Reaktionen auf solche Beschlüsse sind oft hart – und aus der Sicht der Einzelnen auch verständlich. „Verordnete Solidarität“ hören wir Mitarbeitervertreter in der Kommission dann als Vorwurf. Und dass wir abgehoben seien, nicht die Interessen der Mitarbeitenden verträten. Das ist manchmal schwer auszuhalten.

Fazit

Das Ideal des Dritten Weges entspricht der Grundbotschaft des christlichen Glaubens. Den Anspruch aufzugeben und sich damit „der Realität zu beugen“, kann nicht die Lösung sein. So lange die Spannung von Ideal und Wirklichkeit besteht, muss an der Veränderung der Wirklichkeit gearbeitet werden, ohne vom Ideal Abstriche zu machen.

Für die Zukunft wird es darauf ankommen, die guten Ergebnisse in den Vordergrund zu stellen. Der Dritte Weg hat eine hohe Reichweite, umfasst praktisch alle Beschäftigten in Einrichtungen kirchlich-katholischer Träger. Das schafft kein Tarifvertrag. Der Dritte Weg könnte daher noch viel stärker zur „Arbeitgebermarke“ beitragen. Vor allem da, wo sich seine Regelungen positiv im Sinne von Solidarität und sozialer Verantwortung von anderen arbeitsrechtlichen Regelungen abheben. Das bedingt bei gegebenen Ressourcen Umverteilungen und ist ein sehr schwieriges Feld. Aber kann es deshalb schon vermieden werden?

Schwierig ist und bleibt, mit kollektiven Regelungen den einzelnen Menschen im Blick zu behalten. „Das Ziel des Wirtschaftens ist der Mensch!“ Das gelingt nur, wenn es eine christliche Haltung zu den Regelungen gibt: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat!“ (Mk 2,27; vgl. vor allem aber Joh 5,1–18). Das ist ja auch die größte Kritik am kirchlichen Arbeitsrecht: Es sei unbarmherzig und mehr an der Reinheit der kirchlichen Lehre als an der Menschenfreundlichkeit des Kirchengründers orientiert. Diese Vorwürfe treffen in Einzelfällen sicher zu, für die Gesamtheit des kirchlichen Arbeitsrechts und vor allem des Dritten Weges sehe ich das nicht. Beispielsweise ist es gelungen, einheitliche Einschränkungen zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen für alle katholischen kirchlichen Träger auf Bundesebene zu schaffen. Eine langjährige Forderung, die weder auf der Ebene des Gesetzgebers noch durch Tarifparteien erreicht wurde. Hier hat die Zentrale Arbeitsrechtliche Kommission auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz einen beispielgebenden Kompromiss geschaffen.

Aus meiner Sicht hat der Dritte Weg Zukunft. Vielleicht mehr denn je. Er ist kein besonderer Luxus, den sich die Kirchen leisten wollen oder können. Er ist notwendig, um der Botschaft auch in diesem Bereich Glaubwürdigkeit zu verleihen. Dabei bleibt er in einer unauflöslichen Spannung. Diese Spannung durch ein Aufgeben des Dritten Weges vermeiden zu wollen, würde zu einer neuen Glaubwürdigkeitsfrage führen.