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Hauptamt und freiwilliges Engagement

Neue Verhältnisbestimmung

Wenn es nicht mehr so viele Hauptamtliche gibt … werden es die Ehrenamtlichen schon richten? So einfach ist es nicht! Martin Hochholzer legt dar, wie Kirche vom freiwilligen Engagement her neu zu denken ist.

Eine Kirche ohne Hauptamtliche? Unvorstellbar?

Es ist nicht überliefert, dass in einer der ersten christlichen Gemeinden jemand fest angestellt und nach Tarif bezahlt worden wäre. Aber dennoch bildeten sich rasch Ämter heraus, übernahmen Einzelne bestimmte Aufgaben für die Gemeinden – und erhielten dafür teilweise auch materielle Kompensationen. Indirekt erfahren wir davon, wenn Paulus gegenüber den Korinthern hervorhebt, dass er für sich gerade nicht in Anspruch nimmt, sich von den Gemeinden unterhalten zu lassen (vgl. 1 Kor 9).

Ämter kennt auch die Neuapostolische Kirche, mit über 300.000 Mitgliedern eine der größten christlichen Gemeinschaften in Deutschland nach den beiden großen Kirchen. Doch bemerkenswert ist, dass dort Leitungsaufgaben und Seelsorge fast ausschließlich ehrenamtlich geleistet werden.

Das System der Hauptamtlichkeit, das wir in den beiden großen Kirchen in Deutschland kennen, ist also keineswegs selbstverständlich – auch nicht mit Blick auf die katholische Kirche in den meisten anderen Ländern der Welt. Und doch schreien regelmäßig viele auf, wenn „unser Pfarrer“ wegkommt – weil die Stelle nicht wiederbesetzt werden kann, weil ein neuer Pfarrer gleich mehrere Pfarreien übernehmen muss, weil man in einem neugegründeten großen pastoralen Raum den Pfarrer nicht mehr „exklusiv“ hat.

Dahinter steht, dass die Gemeinden nicht nur jahrelang, sondern jahrhundertelang auf den Pfarrer als Zentrum christlichen Lebens geeicht worden sind. Dieser hatte sich um seine „Schäfchen“ zu kümmern und war für das gesamte pfarrliche Leben verantwortlich. Zur Seite standen ihm Kapläne, später kamen Gemeinde- und Pastoralreferent*innen dazu. Was aber blieb: Die Hauptamtlichen standen und stehen vielfach bis heute im Mittelpunkt des pastoralen Geschehens; Kirche und kirchliches Handeln werden von ihnen her gedacht.

Wer Kirche ausmacht

Doch was oder besser: wer macht Kirche und kirchliches Handeln aus? Es sind nicht primär die Hauptamtlichen – allein schon deshalb, weil Gottes Handeln jedem menschlichen Tun vorausgeht. Quantitativ wird der Großteil dessen, was unter dem Dach von Kirche geschieht, ehrenamtlich geleistet.

Entscheidend ist, was man als kirchliches Handeln versteht. Immer noch begegnet man gelegentlich einer verengenden Fokussierung auf die Sakramentenspendung, was natürlich Priester als die zentralen Akteure ins Licht stellt. Doch die Sakramentalität von Kirche realisiert sich nicht nur in den sieben Sakramenten und in liturgischen Vollzügen, sondern auch in diakonischem Handeln, in der Verkündigung und in gelebter Gemeinschaft. Kirche ereignet sich nicht nur rund um den Kirchturm, sondern auch in Akademien und Bildungsveranstaltungen, in Caritas und Verbänden, in geistlichen Gemeinschaften und Fresh Expressions – und auch in der Familie, in der Freizeit oder sogar am Arbeitsplatz. Und überall dort liefe nichts ohne die unzähligen Menschen, die sich (auch) aus ihrem Glauben heraus freiwillig und kreativ engagieren.

Die Konzilskonstitution Lumen Gentium stellt das Volk Gottes an den Anfang; von diesem her ist Kirche zu denken. Das heißt auch: Kirche nicht von den Hauptamtlichen her zu denken. Eher von den Ehrenamtlichen her – doch auch das ist noch etwas zu verengt, denn über organisiertes freiwilliges Engagement hinaus gibt es viele andere Möglichkeiten, sich getragen vom Glauben in Kirche und Welt einzubringen. Viele haben keine Zeit für ein Ehrenamt, weil sie die Sorge um die Familie oder um pflegebedürftige Angehörige absorbiert; andere sind aus gesundheitlichen Gründen froh, wenn sie zumindest noch den Fernsehgottesdienst mitfeiern können. Doch auch sie tragen auf ihre Weise und nach ihrem Vermögen zum Leben der Kirche bei.

Engagement im Wandel

Derzeit kommt jedoch das freiwillige Engagement in der Kirche vornehmlich aus ganz anderen Gründen neu in den Blick: durch den fortschreitenden Schwund des hauptamtlichen Personals. Auch „Kernaufgaben“ können vielerorts nicht mehr hauptamtlich geleistet werden, weswegen man zunehmend auch Lai*innen dafür zu gewinnen sucht: etwa für Begräbnisdienste, für die Feier von Wortgottesdiensten oder gar für Gemeindeleitung.

Doch es ist keineswegs selbstverständlich, dass sich für all das genügend Ehrenamtliche finden. Das liegt nicht nur am beständigen Rückgang der Zahl der Kirchenmitglieder.

Umfragen zeigen, dass wesentliche Motivation für ein freiwilliges Engagement der Spaß an der Tätigkeit, die Sinnhaftigkeit, das gemeinsame Tun, das Einbringen der eigenen Fähigkeiten und das selbstbestimmte Handeln sind. Gerade beim letzten Punkt sollte eine Institution wie die Kirche aufmerken: Menschen sind offenbar immer weniger zu einem Engagement bereit, nur weil sie sich einer Organisation verpflichtet fühlen.

Auch wenn die persönliche Ansprache und ein bereits vertrauter institutioneller Rahmen weiterhin für die Übernahme einer freiwilligen Aufgabe eine wichtige Rolle spielen: Angesichts der heutigen Vielfalt von Engagementmöglichkeiten können Menschen heute auswählen, wo sie sich einbringen wollen – und tun das auch. Zunehmend überlegen sie ganz genau, ob ein Engagement für sie und ihre konkrete Lebenssituation passt. Teilweise spielt dann auch eine Rolle, ob sich im Rahmen der Tätigkeiten auch neue Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben lassen (die ggf. für eine spätere berufliche Tätigkeit relevant sein könnten).

Die Kirchen sind in der deutschen Engagementlandschaft aber nach wie vor gewichtige Player. Immer noch sind sie für viele der passende Ort für ihren Einsatz. Doch auch bei kirchenverbundenen Menschen ist es keineswegs mehr selbstverständlich, sich in der Kirche zu engagieren. Die Bedingungen müssen stimmen. Ansonsten gibt es genügend andere Engagementmöglichkeiten.

Der Rahmen muss passen

Die Ansprüche sind also gestiegen. Und das ist auch gut so! Allzu oft wurden (und werden immer noch) Engagierte mit ihren Aufgaben alleingelassen – ohne adäquate Einführung, Ausbildung und Begleitung, ohne eigentlich notwendige Unterstützungsstrukturen und Vernetzung. Allzu oft stellen Aufgaben eine zeitliche Überforderung dar, bekommt man einmal übernommene Ämter nicht mehr los. Es ist richtig, wenn Engagierte nicht mehr alles mitmachen.

Aber umso mehr ist es Aufgabe der Hauptamtlichen, für gute Engagementbedingungen zu sorgen! In immer mehr Bistümern werden in den neuen großen Pfarreien (hauptamtliche) Stellen für Engagementförderung geschaffen: Häufig Quereinsteiger*innen mit entsprechender Ausbildung beraten Engagementsuchende, erarbeiten mit ihnen ihre Stärken und Möglichkeiten, vermitteln und vernetzen sie und sorgen ganz allgemein für eine gute Engagementkultur – und das, ohne die Menschen, die zu ihnen kommen, für die herkömmlichen kirchlichen Aufgaben zu vereinnahmen. Doch auch dort, wo es das noch nicht gibt oder aus v. a. finanziellen Gründen nicht realisierbar ist, können Hauptamtliche einiges tun: nach den Charismen und Interessen der Engagementwilligen suchen; sich vornehmlich als Unterstützer*innen ihrer Ideen verstehen, statt sie als Hilfskräfte zu betrachten; Mitbestimmung über Projekte etc. zulassen und partizipatorische Strukturen fördern; kirchliche Ressourcen (Räume, Kopierer, Kontakte …) großzügig zur Verfügung stellen; hauptamtliche Ansprechpartner*innen klar benennen; durch Schulung, Einführung, Begleitung und Verabschiedung für einen guten Engagementverlauf sorgen; sensibel sein für Engagementbarrieren (z. B. Behinderungen, Milieugrenzen, begrenzte Zeitressourcen) etc.

Gerade der letzte Punkt rüttelt an einer Art Selbstbeschränkung: Kirchlicherseits hat man noch immer zu oft nur die „Kerngemeinde“ als Rekrutierungspool für Engagierte im Blick. Doch Kirche hat einen Auftrag für die Welt, für das Wohl nicht nur der eigenen „Schäfchen“! Deshalb ist eine verstärkte Sensibilität für den Sozialraum eine wichtige Lernaufgabe für viele Gemeinden. Zudem gewinnen Kooperationen mit nichtkirchlichen Partnern an Bedeutung – und eine Offenheit für nicht kirchenverbundene Menschen, die sich aber trotzdem für kirchlich getragene Engagementmöglichkeiten interessieren. So kann Kirche zu einem Dach für Engagement und für Engagierte werden. Dafür muss man freilich Scheuklappen ablegen und neue Kontakte knüpfen. Auch wenn hier vieles bereits von der „Basis“ her geschieht, ist es entscheidend, ob hier Hauptamtliche vorangehen und neue Wege bahnen.

Neue Verhältnisbestimmung

Gute Rahmenbedingungen sind aber nur das eine. Das andere ist ein Wandel der Rollen, der über eine – trotzdem notwendige – Änderung der Haltung der Hauptamtlichen gegenüber den Engagierten deutlich hinausgeht.

Besonders deutlich wird das, wenn Menschen auf ehrenamtlicher Basis und mit umfangreicher Ausbildung seelsorgliche und leitende Aufgaben oder Laienämter übernehmen: etwa als Notfallseelsorgerinnen, Begräbnisleiter, Gemeindeleiterinnen – oder auch als Katechisten, die ja in vielen Regionen der Welt das kirchliche Leben wesentlich tragen. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Haupt- und Ehrenamt ein Stück weit, wenn es sich zeigt, dass bestimmte Aufgaben auch ohne akademische Ausbildung und umfangreiche Berufseinführung erfüllt werden können.

Hauptamtliche sollten sich dann aber nicht auf Bereiche, die wirklich nur sie können, zurückziehen. Vielmehr müssen sie ihre Rolle neu fassen: Sie sind heute mehr als Begleiter, vielleicht auch als Coaches der Engagierten gefragt; sie stehen für verlässliche Ansprechbarkeit und Verantwortungsübernahme, wo Freiwillige mit ihren beschränkten zeitlichen Möglichkeiten dies nicht leisten können; sie schaffen und halten Kontakte und Netzwerke. Und sie bringen ihre spezifischen theologischen etc. Fähigkeiten so ein, dass sie eine Grundlage, Stärkung und Sicherheit für ihre ehren- und auch hauptamtlichen Mitstreiter*innen darstellen; das impliziert auch eine verstärkte Weitergabe und Vermittlung ihrer in Studium und Ausbildung erworbenen fachlichen Kenntnisse im Rahmen von Fortbildungsangeboten.

Und umgekehrt erfordert es auch für viele Engagierten einen Wandel im Rollenverständnis, wenn man Kirche nicht mehr vom Hauptamt her denkt. Sie sind nicht die „Helfer des Herrn Pfarrer“, sondern als Getaufte und Gefirmte berufen und ermächtigt, mit ihren ganz spezifischen Fähigkeiten und Möglichkeiten ihren Beitrag zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags einzubringen. Das bedeutet: mehr Selbstbewusstsein, aber auch mehr Initiative, Kreativität und Verantwortung.

Fazit

Nicht nur der Schwund an Mitgliedern, Mitarbeitenden und Finanzen in der Kirche, nicht nur der gesellschaftliche Wandel und demografisch, wirtschaftlich, kulturell etc. bedingte Änderungen im Leben der Menschen, sondern auch theologische Gründe sprechen dafür, das Verhältnis zwischen Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten neu in den Blick zu nehmen.

Wichtige Stichworte für diesen „Umbau“ sind Taufberufung, Charismen und Charismenorientierung, Engagemententwicklung und auch der wiederentdeckte synodale Charakter von Kirche. Theorie ist da – aber in die Praxis kommt sie nicht ohne einen Wandel von Denkweisen, Haltungen, Rollenverständnissen und Kirchenbildern.

Das alles ist eine Aufgabe, die alle, die in der und für die Pastoral Verantwortung tragen, in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen wird. Dabei wird es letztlich auch darum gehen, die Strukturen so anzupassen, dass wirklich alle in gutem Miteinander zur Mission der Kirche beitragen können.