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Mutmaßungen über das zukünftige Arbeiten in der deutschen Kirche. Ein Essay

Stefan Gärtner blickt aus der niederländischen Perspektive auf die katholische Kirche in Deutschland. Im Vergleich mit den Niederlanden leben die deutschen Katholik*innen immer noch in einem „religiösen Schlaraffenland“ finanzieller und rechtlicher Privilegien die aber auch zum Ballast werden können. Für Mitarbeitende in der Pastoral ist es gar nicht so einfach, sich von einer volkskirchlichen Mentalität zu emanzipieren und nach der jeweils evangeliumsgemäßen Pastoral zu fragen.

In die Zukunft zu schauen, hat immer etwas von einem Blick in die Glaskugel: Ob man recht hat oder nicht, das zeigt sich schließlich erst später. Darum kann man freiheraus dies oder das behaupten. Dementsprechend möchte ich einige Mutmaßungen über das Morgen von hauptamtlichen Seelsorgenden und ihrer Arbeit anstellen. Dabei bin ich bewusst einseitig und provokant, um schnell zum Punkt kommen zu können. Und ich schreibe diagnostisch und weniger konstruktiv.

Immer wieder gibt es in der Theologie solche Versuche, die Entwicklung der Kirche und des pastoralen Dienstes zu prognostizieren. So hat Paul M. Zulehner 1990 als letzten Band seines Handbuchs die Pastorale Futurologie ins theologische Hausaufgabenheft geschrieben. Eine Generation später hat sein Luzerner Kollege Christian Preidel eine Künstliche Intelligenz mit Karl Rahners Handbuch der Pastoraltheologie sowie mit bisher übersehenen Texten aus randständigen Institutionen, von Theologinnen und aus dem globalen Süden gefüttert, um ein Bild von der Zukunft zu generieren.

Einen anderen Weg wählte die Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz im April 2024. Sie bereiste die Niederlande zu einem einwöchigen Arbeitsbesuch. Ziel war für ihren Vorsitzenden, den Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, laut eines Interviews auf katholisch.de, „zu sehen, zu hören und zu lernen, welche Erfahrungen die Niederländer mit kirchlichen Transformationsprozessen in einer säkularen Gesellschaft machen. Die Niederlande geben uns vielleicht eine Ahnung, was auch auf die Kirche in Deutschland zukommen wird.“ Die Bischöfe konfrontierten sich also bewusst mit einer fremden Umgebung. Sie wollten am eigenen Leib erleben, was sie mutmaßlich auch in Deutschland erwartet. Dabei darf die passive Sprache („… auf die Kirche in Deutschland zukommen wird“) nicht verdecken, dass die Bischöfe selbst entscheidenden Einfluss auf die Zukunft der Seelsorge und die Anstellungspolitik in ihren Bistümern haben.

Bei aller Nähe zwischen beiden Ländern gibt es wichtige Unterschiede. Ich denke vor allem an das liebe Geld und das Staat-Kirche-Verhältnis. Die niederländischen Diözesen sind darauf angewiesen, dass die Pfarreien auf Spendenbasis in der jährlichen Aktion Kerkbalans Geld einsammeln und mit den Bistümern teilen. Faktisch sind aber nur die wenigen aktiven Kirchenmitglieder bei einer Pfarrei eingeschrieben und tragen ihren Obolus bei. Denn anders als in Deutschland ermittelt der Staat die Religionszugehörigkeit nur allgemein und nicht für jede(n) Einzelne(n). Er kann den Konfessionsgemeinschaften darum auch keine Mitgliederverzeichnisse zur Verfügung stellen und sammelt nicht wie in Deutschland die Kirchensteuer ein.

Das schafft eine andere Ausgangslage für den pastoralen Dienst. Man ist permanent knapp bei Kasse. Es geht schon lange nicht mehr um z. B. die Umgestaltung eines liturgischen Raums, sondern nur noch ganz pragmatisch um dessen bautechnischen Erhalt. Daneben bekommen Hauptamtliche in der niederländischen Pastoral den Erfolg und den Misserfolg ihrer Arbeit sehr direkt zu spüren. Wenn nämlich das Kirchenvolk mit der einen Gemeinde nicht mehr einverstanden ist, schreibt es sich einfach bei einer anderen mit einem passenderen Angebot ein. Oder man lässt sich gleich ganz aus dem Kirchenregister streichen.

Die finanziell noch immer vorzügliche und gesellschaftlich privilegierte Lage der deutschen Kirche prägt deren Bewusstsein. Solange sich an der Symbiose von Staat und Konfessionsgemeinschaften nichts Grundlegendes ändert, wird dies auch weiterhin so bleiben. Eine Symbiose übrigens zum beiderseitigen Vorteil, wie sich an der ablehnenden Haltung der Bundesländer gegenüber der Initiative zur Ablöse der Staatsleistungen an die Kirchen zeigt. Ein anderes Beispiel ist die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts mit der dazugehörigen Lehrer*innenausbildung an öffentlichen Universitäten. Der neue Spieler auf dem religiösen Feld konnte so in das bestehende System eingemeindet werden. In der Folge werden die christlichen Kirchen auch in Zukunft nach dem Staat die größten Arbeitgeber bleiben.

Der Katholizismus ist also beeinflusst durch die jeweiligen in den Ländern herrschenden Rahmenbedingungen. Seine in Deutschland finanziell und rechtlich gut abgesicherte Position hinterlässt Spuren in der Mentalität der Mitglieder wie der Hauptamtlichen. Wenn sich diese Position nicht ändert, so können wir folgern, wird sich auch in der Kirche wenig ändern. Denn frei nach Karl Marx bestimmt das institutionelle Sein das pastorale Bewusstsein, und nicht umgekehrt. Zumindest hat es eine Kirche als etablierte Konfessionsgemeinschaft schwerer, sich zu reformieren. Denn wer in einem bequemen Sessel sitzt, der steht nicht gerne auf, um sich zu bewegen. Erstarrt der deutsche Katholizismus also immer weiter, mit den entsprechenden Folgen für den pastoralen Dienst?

In dieser Frage klingt die Kritik an, die Papst Benedikt 2011 in seiner Freiburger Rede geäußert hat. Es geht mir hier nicht um seine These von der Entweltlichung der Kirche, die der Papst später relativiert hat. Auch die Tatsache, dass er selbst als Theologieprofessor und als Erzbischof jahrelang von der staatlichen Alimentierung profitiert hat, braucht uns nicht zu beschäftigen. Doch eine „von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. […] Sie öffnet sich der Welt, nicht um die Menschen für eine Institution mit eigenen Machtansprüchen zu gewinnen, sondern um sie zu sich selbst zu führen, indem sie sie zu dem führt, von dem jeder Mensch mit Augustinus sagen kann: Er ist mir innerlicher als ich mir selbst“. Ein mystagogisches Seelsorgekonzept also. Es geht um die Zuwendung zur Welt um des Evangeliums willen, damit Menschen dem Geheimnis begegnen, das der Gott Jesu Christi für jeden und jede bereits ist. Dies ist eine wesentliche Aufgabe für die Pastoral in einem säkularen bzw. weltanschaulich pluralen Zusammenleben. Eine solche Pastoral muss freilich durch diakonisches und gesellschaftspolitisches Engagement flankiert sein.

Die aktuellen Sparrunden in der deutschen Kirche sind natürlich schmerzhaft, insbesondere wo sie nicht gerecht, transparent und partizipativ beschlossen werden. Und sie treffen vor allem diejenigen, die um ihre Anstellung bangen müssen, sowie die Nachwuchskräfte, die keinen Job in der Kirche finden. Daneben beklagen manche das Verdampfen der christlichen Werte, Normen und Haltungen in der Gesellschaft, wobei sie oftmals eine idealisierte Vergangenheit als Vergleich heranziehen. Doch insgesamt leben die deutschen Katholik*innen weiterhin in einem religiösen Schlaraffenland mit konfessionellen Kindertagesstätten und Schulen, einer akademischen Theologie auf hohem Niveau, dem Zugang zu staatlichen Einrichtungen für Seelsorgende, einem eindrucksvollen Immobilienbesitz, dem großen Anteil am öffentlichen Wohlfahrtssystem, christlich geprägten Grundwerten als Basis des Zusammenlebens und weiterhin einem gewissen Einfluss auf die politische Debatte und die Zivilgesellschaft. Kein Grund eigentlich, um sorgenvoll auf das Morgen zu blicken. Man tut schließlich viel Bedeutsames, wenn auch vielleicht nicht unbedingt das Wesentliche.

In den Niederlanden ist es dagegen mit einer solchen gesellschaftlichen Anerkennung des Christentums vorbei. Kirchliche Positionen oder theologische Argumente werden in den Medien selten wahrgenommen – und wenn, dann als exotische Beigabe. Das Band zwischen Amtskirche und kategorialer Seelsorge ist fast vollständig zerrissen und katholische Bildungs- oder Wohlfahrtseinrichtungen unterscheiden sich kaum von den staatlichen oder von denen freier Träger. Die Organisationen und Verbände der ehemals eindrucksvollen und homogenen holländischen Volkskirche sind bereits seit den 1980er Jahren komplett zerbröckelt. Dementsprechend wird die Frage aufgeworfen, welche Zukunft die Kirche bzw. das Christentum in den Niederlanden überhaupt noch hat.

Wie dramatisch die Entwicklung ist, zeigen die regelmäßigen Erhebungen des Katholiek Sociaal-Kerkelijk Instituut. So hat sich z. B. die Zahl der Ehrenamtlichen in den Gemeinden zwischen 2012 und 2021 beinahe halbiert. Zusätzlich zeigt sich eine deutliche Überalterung der aktiven Mitglieder. Erstkommunionkinder gab es 2012 landesweit noch 27.460 und 2021 dann 9.500; bei kirchlichen Eheschließungen gibt es einen Rückgang in diesem Zeitraum von 2.915 auf 660. Auch was die Zukunft der pastoralen Berufe angeht, ist die Entwicklung beunruhigend. Seit 2012 ist die Zahl der hauptamtlichen Seelsorgenden um ein Drittel gesunken, wovon der Rückgang bei Priestern in diesem Zeitraum 19 Prozent beträgt, dagegen bei Laientheolog*innen beinahe 50 Prozent. Mehr als 80 Prozent der in den Gemeinden Tätigen sind heute Priester oder haupt- bzw. ehrenamtlicher Diakon.

In Deutschland sorgen unter anderem die auch in Zukunft noch vorhandenen Anstellungsmöglichkeiten im pastoralen Dienst dafür, dass die Volkskirche zumindest als handlungsleitendes Ideal der Seelsorge aufrechterhalten werden kann. Tatsächlich sind nämlich das Leben und die Einstellungen vieler Getaufter ähnlich säkularisiert wie bei ihren niederländischen Glaubensgeschwistern. Trotzdem können sich kirchliche Mitarbeitende auf dem richtigen Weg wähnen, weil die Institution, bei der sie angestellt sind, noch immer als (relativ) bedeutend angesehen wird. Man bekommt Anteil am Renommee seines Arbeitgebers, selbst wenn dieses Renommee durch den Umgang mit sexueller Gewalt in den eigenen Reihen massiv beschädigt ist. Doch durch die vorhandenen kirchlichen Strukturen und Einflussmöglichkeiten bleibt man weiterhin sichtbar und präsent. Beides wird auch in Zukunft nicht einfach wegfallen, wie in den Niederlanden geschehen, eben, weil es finanziell und institutionell so gut abgesichert ist.

Das hat unmittelbar Folgen für die Arbeit im pastoralen Dienst. Die zumindest nach außen manifeste Wichtigkeit lässt einen die Frage, ob die eigene berufliche Tätigkeit denn überhaupt noch bedeutungsvoll im Sinne des Evangeliums ist, leicht überhören. Man braucht sie sich in einer Pfarrei oder einem Generalvikariat auch nicht notwendigerweise zu stellen. Der Betrieb geht schließlich weiter, wenn auch vielleicht im pastoralen Leerlauf und mit weniger Resonanz beim Kirchenvolk als früher.

Eine konkrete Folge für die Pfarrseelsorge will ich herausheben. Sie besteht in einer Kundenmentalität im Kirchenvolk. Die inzwischen emeritierte englische Religionssoziologin Grace Davie sprach in diesem Zusammenhang von vicarious religion. Die Gläubigen behandeln die Kirche und ihre Mitarbeiter*innen, wie sie auch das Verkaufspersonal im Supermarkt behandeln: als Dienstleister*innen, nur eben für religiöse Angelegenheiten. Nicht Teilhabe ist erwünscht, sondern eine gute Leistung wird erwartet. Das konterkariert die Bemühungen der Hauptamtlichen, dass die Leute ihre christliche Berufung in der eigenen Pfarrei verwirklichen. Kund*innen wollen nämlich nicht aktiviert, sondern bedient werden. Dafür hat man schließlich Kirchensteuer bezahlt. Die Seelsorgenden sollen Rituale, Gemeinschaft, Glaubenswissen, Caritas oder Sinnstiftung stellvertretend vorhalten, damit man sie bei Bedarf in Anspruch nehmen kann. Hinzu kommt die beschleunigte virtuelle Kaufmentalität: Ich bestelle, es wird geliefert und bei Nichtgefallen zurückgesendet. Das alles sorgt für pastoralen Leistungsdruck, wenn auch anders als in den Niederlanden.

Die durch die eindrucksvolle Fassade symbolisierte Bedeutsamkeit der kirchlichen Institutionen in Deutschland – und darüber die Bedeutsamkeit ihrer Angestellten – wird sich immer mehr als das entpuppen, was sie ist: eben Fassade. Es bleibt die Illusion von der eigenen Wichtigkeit. Daneben könnte sich die Beamten- und Verwaltungsmentalität unter deutschen Seelsorgenden verstärken. Zwar investieren viele von ihnen Zeit und Energie in neue pastorale Initiativen, Mitbestimmungsprozesse, digitale Vernetzung oder geistliche Vertiefung. Inhaltlich verbleibt dies aber oftmals in den bereits ausgetretenen Pfaden. Zumindest wird es einem institutionell schwergemacht, wirklich out of the box zu denken. Das passt allerdings perfekt zur Mehrheit der heutigen Bewerber*innen für den kirchlichen Dienst. Unter ihnen finden sich überdurchschnittlich viele vorsichtige Persönlichkeiten, die beruflich und theologisch Sicherheit, Ordnung und Kontinuität schätzen. Das aber sind die Leitungsverantwortlichen von morgen.

Um nicht missverstanden zu werden: Das Abwerfen des Ballasts finanzieller, rechtlicher und institutioneller Privilegien und Sicherheiten führt nicht automatisch zu einer zukunftsfähigen Glaubensgemeinschaft. Auch dafür sind die Niederlande ein Beispiel. Der Zusammenbruch war dort so dramatisch und für manche wohl auch traumatisch, dass sich insbesondere die Amtskirche heute in eine soziale und mentale Nische manövriert hat. Sie vertritt theologisch orthodoxe Positionen und setzt auf die Hierarchie und auf binnenkirchliche Handlungsfelder wie die Liturgie oder die Katechese. Zwar erhebt die Minderheitskirche einen missionarischen Anspruch nach außen, doch faktisch orientieren sich die Bistümer anders. Bei Gemeindefusionen ist z. B. die Schaffung eucharistischer Zentren und von small Christian communities bzw. Hauskirchen ein wichtiges Ziel. Beides wird zum Symbol für eine nach innen gerichtete Pastoral. Unter Hauptamtlichen spiegelt sich dieselbe Tendenz wider. Vor allem junge Priester und Priesteramtskandidaten haben ein sazerdotales Selbstbild. Die Feier des (hochliturgischen) Gottesdienstes ist ein wesentlicher Baustein ihrer beruflichen Identität.

Als Reaktion auf die starke religiöse Deinstitutionalisierung in den Niederlanden wird das Tätigkeitsfeld der Hauptamtlichen immer enger. Die Seelsorgenden ziehen sich auf ein integralistisches Kirchen- und Gemeindebild zurück. Die Pastoral wird in Zukunft wohl noch kerygmatischer, klerikaler und sakramentaler werden. Es führt zu Loyalitätskonflikten und der Eliminierung von Diversität, wenn Mitarbeitende eine andere Theologie vertreten und den persönlichen Glauben bei ihrer Arbeit einbringen wollen, dafür aber kein Raum bleibt. Auch gibt es keine Vernetzung der Kirche mehr mit anderen christlichen Konfessionen und anderen Religionsgemeinschaften sowie mit zivilgesellschaftlichen Gruppen.

Was sagt dies alles über die zukünftige Arbeit im deutschen Katholizismus aus? Zunächst sollten wir der Versuchung widerstehen, diese Frage, wie das in der Kirche öfters geschieht, zu personalisieren und an den Einzelnen festzumachen. Ich erinnere mich an eine Podiumsdiskussion mit dem Generalvikar eines deutschen Bistums. Er könne meiner Kritik am Kirchensteuerwesen und den Privilegien der Konfessionsgemeinschaften durchaus etwas abgewinnen, aber vielleicht wolle ich auch einmal im deutschen Kirchendienst mein Brot verdienen. Er wollte damit sagen: Das finanzielle Hemd ist einem näher als der pastoraltheologische Rock. Wir sollten unser Thema also nicht individualisieren. Natürlich ist es gut, wenn Theolog*innen auch morgen noch in der Seelsorge ihre berufliche Erfüllung finden. Dies ist in Deutschland zum Glück anders als in den Niederlanden auf absehbare Zeit weiterhin möglich. Eine arme Kirche ist nicht automatisch eine bessere Kirche.

Die Herausforderungen, die aus der privilegierten Lage des deutschen Katholizismus entstehen, sind demnach zuvörderst strukturelle und systemische bzw. ekklesiologische Herausforderungen. Ein erster Schritt wäre es, den Ballast finanzieller, rechtlicher und institutioneller Vorteile und Sicherheiten als das zu erkennen, was er ist, eben als Ballast. Natürlich ist es verlockend, sich als anerkannte Konfessionsgemeinschaft weiterhin in den gefestigten Strukturen und im warmen Nest der vom Staat gewährten Privilegien auszuruhen. Das verhindert ja nicht grundsätzlich christliches Engagement. Im Gegenteil: So trägt die katholische Kirche viel zu einem solidarischen und gerechten Zusammenleben bei. Daneben ist Ballast immer auch ein Gewicht, um nicht abzuheben, d. h. um nicht schwärmerisch oder schwätzerisch zu werden in der Pastoral.

Die Probleme beginnen da, wo der privilegierte Status quo eine ehrliche Besinnung auf das behindert, was in Kirche und Gesellschaft dem Evangelium gemäß ist und welche Rolle pastorale Mitarbeitende bei dessen Verwirklichung spielen können. Die immer noch eindrucksvolle Stärke und Präsenz des deutschen Katholizismus leisten dem Eindruck Vorschub, als ob die volkskirchlichen Zeiten noch nicht definitiv vorbei wären. Auch wenn die Klage über den Auszug der Getauften aus den Gemeinden Legion ist, er bedroht in Deutschland nicht die Institution selbst. Darum setzt sich die volkskirchliche Mentalität in den Köpfen weiter fort. Man kann sich im pastoralen Beruf einreden, jemand zu sein.

Natürlich soll man auch jemand sein, bzw. man darf in der Seelsorge kein Niemand werden. Und natürlich steht die Kirche auch in Deutschland in der Kritik. Doch wer kritisiert wird, erhält Aufmerksamkeit und wird als ein gesellschaftlicher Faktor angesehen. Der synodale Prozess z. B. ist kein Thema in den weltlichen Medien in den Niederlanden, während er in den deutschen durchaus verfolgt und besprochen wird. Die in vielen Fällen nicht nur berechtigte, sondern auch anspruchsvolle Kritik am Katholizismus bietet eine gute Gelegenheit zur Selbstkritik, um das Evangelium noch glaubwürdiger in einer pluralen und säkularen Gesellschaft zu verkündigen.

Die Situation des Katholizismus in Deutschland und in den Niederlanden ist somit bei allen Gemeinsamkeiten unterschiedlich – ganz zu schweigen von den Differenzen in jedem Land selbst. Das wird auch morgen so bleiben. Das Christentum manifestierte sich seit Beginn der Kirchengeschichte in verschiedenen Kontexten unterschiedlich. Diese Inkulturation ist weder gut noch schlecht, sondern sie ist einfach eine Tatsache des christlichen Glaubens. Die Kirche muss darum nüchtern und ohne kulturpessimistische Brille von den konkreten Gegebenheiten vor Ort ausgehen, um das Evangelium je neu zu leben, zu feiern und zu verantworten.

Dabei kann der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus inspirierend sein, selbst wenn das holländische Szenario nicht die Zukunft der deutschen Kirche(n) sein wird. Keinesfalls sollten sich die Bischöfe die pastoralen und theologischen Grundoptionen ihrer niederländischen Mitbrüder zu eigen machen. Zum Glück brauchen sie dies auch nicht, weil sie finanziell, personell, intellektuell und institutionell über ganz andere Möglichkeiten verfügen. Das bietet eine ekklesiologische Beinfreiheit, die sie nutzen sollten.

Die Herausforderung der deutschen Kirche und ihrer Seelsorge liegt eher darin, diese Beinfreiheit so zu gebrauchen, dass dabei die wesentlichen Fragen einer evangeliumsgemäßen Seelsorge, Verkündigung und Liturgie nicht stillgestellt werden. Das würde nämlich auf eine kontrafaktische Verlängerung des volkskirchlichen Denkens hinauslaufen. Die Folge wäre ein grundsätzliches „Weiter so!“, obwohl paradoxerweise gleichzeitig viel Energie in Fortbildungen, Strukturverbesserungen, Personalplanung und Gemeindeentwicklung investiert wird. Doch diese Energie wird durch die Beharrungsmacht der kirchlichen Strukturen und Gewohnheiten immer wieder aufgefressen.

Distanz zum Vertrauten und Selbstverständlichen ist somit wichtig, wie die Reise der Pastoralkommission beweist. Nun kommt es darauf an, für die Arbeit im pastoralen Dienst die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die katholische Selbstmarginalisierung in den Niederlanden zeigt, dass Menschen und Organisationen nicht unbedingt schlauer sind als Dinosaurier, die sich nicht auf ein verändertes Klima einstellen konnten und darum ausstarben. Kirche und Seelsorge sollten sich stattdessen offensiv auf das gesellschaftliche und religiöse Umfeld einlassen, um in Treue zum Evangelium bedeutsam zu sein und zu bleiben.