Was ist das gute Leben?
Über Glauben und Handeln. Ein Streitgespräch
Wenn Kirche einen Auftrag für das Heil der Menschen hat und dieser Auftrag nicht verengt auf das Erreichen einer jenseitigen Erlösung verstanden wird, so stellt sich die Frage, wie menschliches Leben als gut und gelungen erfahren werden kann: Was macht ein gutes Leben aus? Und was kann der christliche Glaube dazu sagen und beitragen?
Das sind zentrale Fragen, denen der zu besprechende Band nachgeht. Er ist dialogisch angelegt: Jeder und jede der Autorinnen und Autoren legt in einem Aufsatz einen geschlossenen Gedankengang vor – und darauf folgen jeweils kurze Kommentare der anderen drei.
Anders, als es der Untertitel besagt, hat das wenig den Charakter eines Streitgesprächs: Die Repliken würdigen die Ausführungen des Kollegen/der Kollegin und stellen zumeist nur einige kritische Rückfragen, heben einzelne Aspekte hervor oder bieten ergänzende Perspektiven an. Dennoch ist dies ein kritisches Auf-den-Prüfstand-Stellen, das den Argumentationen mehr Tiefe verleiht.
Martin Breul arbeitet in seinem Aufsatz die Bedeutung von Gemeinschaft für das menschliche Leben heraus. Doch alle irdische Gemeinschaft ist endlich. Breul macht auch deshalb weitere Dimensionen von Gemeinschaft und Verbundenheit auf: mit Gott, mit den bereits Verstorbenen, aber auch mit zukünftigen Generationen: „Heute ein gutes Leben zu haben funktioniert nicht, wenn der Preis dafür die Vernichtung der Möglichkeit eines guten Lebens für zukünftige Generationen ist“ (38), mahnt er im Hinblick insbesondere auf die ökologischen Bedrohungen.
Veronika Weidner geht der Bedeutung von Tugenden für ein gelingendes Leben nach. Dabei orientiert sie sich stark an der aristotelischen Tugendlehre, die das rechte Maßhalten – also eine Position in der Mitte – betont. Aus christlicher Perspektive stellt sie insbesondere Christus als Vorbildgestalt für die Entwicklung der eigenen Tugenden heraus.
Franca Spies legt in ihrem Beitrag dar, dass Theorie und Praxis nicht als getrennte Größen zu betrachten sind. „Vielmehr greifen Theorien selbst schon tief in die Praxis ein oder sind gar als eine eigene, spezifische Form der Praxis zu betrachten, da sie sich in einem intersubjektiven Raum bewegen, der sich in ihnen erklärt und durch sie gewisse Ordnungen erfährt“ (114). Mit kritischem Blick auf bestehende Ordnungen hebt sie dann – unter Rückgriff auf die Neue Politische Theologie – eine Nachfolge Jesu hervor, die insbesondere dem schwachen, verletzlichen Leben die nötige Anerkennung zuteilwerden lässt und dafür nicht nur auf das individuelle Leben schaut: „Das christliche Heilsversprechen muss auch gesellschaftlich realisiert werden“ (121).
Aaron Langenfeld schließlich fragt danach, was ein Leben „erfüllt“ im Sinne von: ihm Sinn gibt. „Vieles spricht dafür, dass die Möglichkeiten, unser Dasein mit Sinn anzufüllen, begrenzt sind“ (141). Vor dem Hintergrund der vielfachen Unzulänglichkeiten menschlichen Lebens setzt er sich mit christlichen Rechtfertigungslehren auseinander. Als eine Perspektive, die eine individualistische Verengung überschreitet und eine Antwort auf die Risse in der Beziehung zu anderen Menschen und zu Gott zu bieten vermag, stellt er schließlich die Bedeutung der Liebe für ein erfülltes Leben heraus.
Die vier Aufsätze enthalten also Reflexionen zu grundsätzlichen Fragestellungen, die differenziert und unter Aufgriff philosophischer und theologischer Entwürfe entfaltet werden. Das erreicht teilweise – insbesondere bei Spies – ein hohes Abstraktionsniveau. Die vier Autorinnen und Autoren, die Theologie (insbesondere Fundamentaltheologie) lehren, bauen zudem spezifisch christliche Denktraditionen prominent in ihre Argumentationen ein und bieten so Perspektiven des Glaubens heutigen Menschen an.
Das macht die Lektüre anspruchsvoll. Auch wenn aktuelle Herausforderungen – die existenziellen Nöte der Armen, die Klimakrise, politische Verwerfungen und andere gesellschaftliche Pathologien – aufgegriffen werden, wird der enttäuscht, der konkrete Tipps für ein gutes Leben erwartet. Vielmehr ist zu würdigen – angesichts einer gewissen Abstinenz in der politischen Philosophie, die Martin Breul darstellt (vgl. 16 ff.) –, dass im Band die Frage nach dem guten Leben als gesellschaftsrelevante Frage überhaupt thematisiert wird. Dies konkret-praktisch zu entfalten, ist bleibende Aufgabe. Der vorliegende Band liefert dazu einige grundlegende Überlegungen, die als ein kritisches Korrektiv für zu schnelle, oberflächliche Antworten dienen können.
Martin Hochholzer