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Was erschwert, was erleichtert Veränderungen in der Kirche?

Fünf Thesen

Aus soziologischer Sicht trägt Michael N. Ebertz Gründe zusammen, warum Veränderungen in der Kirche oft so schwer sind. Es besteht aber die Notwen­digkeit, dass Kirche sich in einer komplex gewordenen Gesellschaft darüber verständigen muss, ob sie als Organisation lernen und wie sie gegebe­nen­falls Lernprozesse nachhaltig gestalten will.

Veränderungen in den Kirchen und anderswo scheinen dann angesagt, wenn sich „ein eingespieltes Verhältnis bzw. ein institutionalisierter Austausch zwischen zwei und mehr Systemen verändert“ (Hondrich 1975, 26) hat. Solche Verschiebungen können zum Beispiel die Geldzu­fuhr betreffen, die rechtlichen Rahmenbedingungen, das Vertrauen, die Akzeptanz oder Legitimation, die Nachfrage oder Wirksamkeit von An­geboten – Verschiebungen, die auf demographische Veränderungen, auf den Wechsel von Mehrheiten im politischen Entscheidungssystem, auf den Wandel der Geschlechterordnung, auf neue wissenschaftliche Er­kenntnisse oder auf Alternativen durch Konkurrenz zurückführbar sind. Ob sich eine Kirche auf solche Verschiebungen einstellt und Verände­rungen vornimmt, also zum Beispiel neue Geldquellen erschließt oder Kosten reduziert, ihr Arbeitsrecht ändert, Maßnahmen zur Neugewin­nung von Institutionsvertrauen ergreift, ihre liturgische Angebotspa­let­te erweitert, Frauen aufwertet und als Kernpersonal zulässt, ihre Hal­tung zur Homosexualität ändert, sich aus bestimmten Bereichen der Wohlfahrtsproduktion zurückzieht oder nicht, ist von vielen Faktoren abhängig, jedenfalls nicht unilinear prognostizierbar bzw. erklärbar. Konkrete Veränderungen, ihre Erschwernisse und Erleichterungen be­dürfen der Einzelfallrekonstruktion und der Analyse ihrer jeweiligen Konstellation, wie man etwa am Drama des Verbleibs und dann des Ausstiegs der katholischen Kirche und ihrer Caritas aus der gesetzlich geregelten Schwangerschaftskonfliktberatung in Deutschland erkennen kann.

Gleichwohl wird man einige Erschwernisse und Erleichterungen hervor­heben können, wenn es um Veränderungen im Sinne von Lernprozessen der römisch-katholischen Kirche, genauer gesagt: um offensives Lernen geht, das zu einer „Verbesserung der Relationen zwischen Organisation und Umgebung“ führt (Laeyendecker 1996, 105). Dabei können kultu­rel­le Erschwernisse und Erleichterungen von strukturellen unterschie­den werden.

These 1:

Eine erste Einschränkung für eine lernende Veränderung der Kirche als Organisation ist bereits darin zu vermuten, dass „im kirchlichen Den­ken tief verankert ein Denkmodell ist, das den Einzelnen eine besonders hohe Verantwortung zuschreibt“ (Schabel 2010, 21) und nicht dem Kol­lektiv, also einem organisierten Kommunikations- und Handlungszu­sam­menhang. So ist in der deutschen Kirche recht „gut ausgebaut der Fortbildungsbereich für ehrenamtlich und hauptberuflich in der Kirche Tätige“, der allerdings häufig „ohne eine Entsprechung im Lernen der Organisation bleibt“ und damit im „besten Fall folgenlos, im schlechten Fall frustrierend für lern- und veränderungswillige Einzelne“ (Schabel 2010, 21). Das Lernen von Einzelpersonen übersetzt sich aber nicht selbstverständlich in Strukturen und Prozesse, und das Lernen in Teil­strukturen bzw. auf bestimmen Ebenen der Organisation garantiert noch kein Lernen in anderen Teilen und Ebenen. Auch hat die Vielzahl an Gremien und Sitzungen, die „in der Kirche in den letzten Jahren bedrohlich angewachsen“ ist, wie ein Weihbischof (Krätzl 1997, 121) schreibt, zwar die Binnenkommunikation erhöht, aber deshalb noch lange nicht die Verbundenheit und Durchlässigkeit dieser kommunika­tiven Orte und schon gar nicht den verpflichtenden Transport ihrer Er­kenntnisse zu den Entscheidern und auch nicht die verpflichtende Re­zeption seitens der Entscheider. Mit anderen Worten: Neben der Akzep­tanz der Vorstellung von Kirche als lernender Organisation (und evtl. überhaupt von Kirche als Organisation) fehlt es ihr an institutionalisier­ten Strukturen und Verfahren, die es braucht, um Veränderungsprozes­se als Lernprozesse einer Organisation insgesamt, d. h. auf all ihren Ebe­nen in die Wege zu leiten, umzusetzen, zu überprüfen und neu zu initi­ieren. Damit wird die in der katholischen Kirche typische Delegation von Verantwortung für Lernprozesse und damit deren Fragmentierung und Blockade begünstigt.

These 2:

Obwohl das Zweite Vatikanische Konzil bereits vor 50 Jahren einen zeit­lich, sachlich und sozial umfassenden Wandel des Zusammenlebens und der Bedingungen des Zusammenlebens diagnostizierte und „von einer wirklichen sozialen und kulturellen Umgestaltung sprechen“ konn­te, „die sich auch auf das religiöse Leben auswirkt“ (GS 4), hat das Führungspersonal der katholischen Kirche noch keine gemeinsame De­finition und Identifikation dieses Wandels und seiner Relevanz für die Kirche gefunden. Es konkurrieren unterschiedliche Etiketten der Be­schrei­bung dieses Wandels, und selbst die Rede von der ‚säkularisierten Gesellschaft‘ erfährt innerkirchlich divergente Deutungen und Beurtei­lungen. Man weiß zwar: Religiöse und kirchliche Traditionen lösen sich in den modernen Gesellschaften als Selbstverständlichkeiten auf, aber man weiß diese Auflösungsprozesse kirchlicherseits nicht zu begreifen, jedenfalls mangelt es an einem einheitlichen Interpretationsrahmen. Da­mit steht die Kirchenleitung freilich nicht allein, zeigen doch auch soziologische Zeitdiagnosen eine hochgradige Heterogenität. Wer je­doch leiten will – und das müssen Soziologinnen und Soziologen nicht –, braucht einen Konsens in der Identifikation dessen, was der Fall ist, um Bewahrung und/oder Veränderung herbeizuführen. Kirche in der ‚Risikogesellschaft‘ tönt anders als Kirche in der ‚Erlebnisge­sell­schaft‘, in der ‚Bürgergesellschaft‘, in der ‚gespaltenen Gesellschaft‘, in der ‚Mul­tioptionsgesellschaft‘, in der ‚Beschleunigungsgesellschaft‘ usw. Auch das päpstliche Postulat der ‚Entweltlichung‘ fällt je nach Gesell­schafts­diagnose anders aus und ist selbst vielleicht Ergebnis einer be­stimm­ten Gesellschaftswahrnehmung. Jenen Konsens herbeizu­füh­ren, ist, realistisch gesehen, umso unwahrscheinlicher, je zahlreicher und vielfältiger die Gesellschaften sind, in denen ein ‚global player‘ wie die römisch-katholische Kirche präsent ist. Eine zeitdiagnostische Konsens­bildung dürfte in relativ überschaubaren nationalen oder regionalen Kontexten zwar nicht garantiert, aber leichter möglich sein. „Was sind die ‚Zeichen der Zeit‘? Und was heißt eigentlich Erneuerung der Kirche für unsere Zeit? Diese Frage muss sich jeder Christ, jede Christin stellen, der für oder auch gegen eine Reform in der Kirche eintritt“ (http://www.themakirche.at/articles/2011/09/01/a4139; abgerufen am 11.06.2014) – solche Formulierungen, die auf einem online-Mitar­bei­ter/innen-Magazin des Erzbistums Wien zu finden sind, erschweren freilich eher eine binnenkirchliche Konsensbildung hin­sicht­lich der Zeit­diagnose, ja lassen erkennen, dass man an einer solchen nicht interessiert ist.

These 3:

Die eigene zeitdiagnostische Kraft wird allerdings auch dadurch ge­schwächt, dass nicht wenige Köpfe des leitenden Klerus von einem natur­rechtlichen, kirchenrechtlichen, dogmatischen, quasidogmati­schen, spirituellen und moralistischen Denken bestimmt sind, womit Wandel wie Gestaltbarkeit des gesellschaftlichen und auch des kirchli­chen Zusammenlebens kaum begriffen werden können. Darüber wird in kirchenamtlichen Kreisen z. B. die neuere Interpretation der Ordnung der Geschlechter, die ‚sex‘ und ‚gender‘ unterscheidet, ebenso abge­lehnt wie die Historizität des Verständnisses von Sexualität, Ehe, Pries­ter­amt und von kirchlichen Strukturen. So gilt Homosexualität „als na­turwidrig und bei ihrer Ausübung als Sünde, als Normübertretung, also ohne darauf zu schauen, wie, mit welcher Liebe, Treue und Freund­schaft dabei Männer mit Männern und Frauen mit Frauen tatsächlich umgehen. Die Normenübertretung ist dann das entscheidende Merk­mal, nicht etwa, ob die Menschen ihre Beziehungen menschenwürdig gestalten“ (Fuchs 2012, 312). Liturgische Abläufe werden in starre und wiederholbare, kirchenrechtlich vorgeschriebene Formen ge­bracht, ob­wohl heutige Menschen in bestimmten Situationen der Lebenswende ein einzigartiges und geradezu unwiederholbares Ereignis wünschen (und deshalb ihren Ritualbedarf anderswo decken), sich also der Lebens­sinn bestimmter religiöser Riten gewandelt hat (vgl. Finger 2014). Auch das Pfarreiprinzip – um noch ein anderes Beispiel zu nennen – wurde (gemeinde-)theologisiert invariant gesetzt, obwohl die Parochie eine historisch verortbare Konstruktion ist und immer weniger Akzeptanz unter den heutigen Kirchenmitgliedern findet. Veränderungen, ja schon Veränderungsabsichten können auf dem Hintergrund solcher Denk­muster als Verletzung von überzeitlich erachteten Verboten und Gebo­ten, von Tabus, verdächtigt und mit entsprechenden Schuldzuweisun­gen und Sanktionsandrohungen verbunden werden. Kreative Lösungen, die solche normativen Grenzen zu überschreiten drohen, werden im Keim erstickt und riskieren, binnenkirchlich stigmatisiert zu werden. Kirche ist ein Ort, „wo geurteilt, bewertet, ausgegrenzt, verletzt und – oft sehr subtil – aggressiv übereinander hergefallen wird […] Mir scheint“, so der Generalvikar im Bistum Essen, Klaus Pfeffer (2014, 139), weiter, „dass das leider viel zu oft auf allen Ebenen unserer Kirche geschieht“. Veränderungen könnten dadurch erleichtert werden, dass Themen und Sachverhalte – auch mit Hilfe externer Begleitung – auf eine versachlichende Ebene gehoben, d. h. von Wertungen und Abwer­tungen getrennt werden und Perspektiven jenseits der normativen Begrenztheiten kirchlicher Vorstellungen zumindest kommunikativ Raum erhalten und ernst genommen werden.

These 4:

Innerhalb der Kirche konkurrieren nicht nur unterschiedliche Interpre­tationen des gesellschaftlichen Kontextes, sondern auch unterschied­li­che, ja gegensätzliche Kirchenbilder. Zwischen zwei extremen Kirchen­vor­stellungen, gleichsam den Endpunkten einer Skala, lassen sich mehr oder weniger inklusive bzw. exklusive Kirchenbilder ausmachen. Am einen Skalenpol lässt sich das ‚exklusive‘ Kirchenbild denken, in dem „die Zugehörigkeit zum Reich Gottes strikt an die Zugehörigkeit und Mitgliedschaft in der Kirche gebunden“ und Gottes Heilsradius auf die Kirchengrenzen begrenzt wird (Fuchs 1995, 300). Diesem exklusiven Kirchenbild steht am anderen Pol der Skala das ‚inklusive‘ Kirchenbild gegenüber. Es „sieht die ausschlaggebenden Kontakte und Austausch­­prozesse zwischen Kirche und Umwelt immer unter den unteilbaren Kriterien des Reiches Gottes selbst und bestimmt von diesem Bezugs­punkt her die gemeinsamen Anknüpfungspunkte und Veränderungs­ansprüche“ (Fuchs 1995, 299). Gemäß dem inklusiven Kirchenbild hat die Kirche „keinen Selbstwert, sondern bezieht ihren Wert von dem Dienst her, den sie zu­gunsten des Reiches Gottes in der Welt einnimmt. Nicht Kirchenräson ist das Ziel, sondern Proexistenz, also ein Sein zu­gunsten heilender Gottes- und solidarischer Menschenbeziehung“ (Fuchs 1995, 299). Beide Kirchenbilder und ihre Mischungen blockieren sich wechselseitig, wenn es um Fragen der Veränderung geht, denn In­ten­tionen und Reichweite von Veränderungen sehen je nach Kirchen­bild unterschiedlich aus. Dies gilt auch für die Frage nach dem Anstoß zu Veränderung und zur Beurteilung ihres Erfolgs. Dem inklusiven Kirchenbild gemäß holt sich die Kirche von der Umwelt „das Feedback dafür ein, ob man denn tatsächlich […] als teilend und befreiend erlebt wird“ (Fuchs 1995, 299).

In der alltäglichen Praxis der Kirche scheint das inklusive Kirchenbild noch nicht angekommen zu sein, wenn man – noch einmal – dem Essener Generalvikar folgt, der den Eindruck formuliert, „dass wir in der Kirche viel zu sehr um uns selbst kreisen: Vieles ist zum Selbstzweck geworden, und es wird zu wenig gefragt, was die Menschen um uns herum – und vor allem außerhalb unserer binnenkirchlichen Räume – eigentlich brauchen“ (Pfeffer 2014, 140). Wenn die Kirche – gemäß LG 4 – Strukturen der „Gemeinschaft und Dienstleistung“ auszudifferen­zie­ren hat, werden die Akteure sowohl der ‚communio‘ als auch der ‚mini­stra­tio‘ je nach – eher inklusivem oder eher exklusivem – Kirchenbild mit unterschiedlichen Erwartungen ‚gefüllt‘ werden. Eine lernende Kir­che sollte, organisationstheoretisch gesprochen, negative Rückkop­pe­lun­gen, die nur der Abwehr von externen Bedrohungen und der Pflege der institutionellen Selbststabilität dienen, zugunsten von positiven Rückkoppe­lungen meiden, auch das institutionelle Gefüge selbst zu ändern und eine neue Relation zur Umwelt aufzubauen. Ein anschau­liches Beispiel dafür, dass die katholische Kirche schon jahrzehntelang mit negativen Rückkoppelungen auf Umweltveränderungen reagiert, lässt sich am Beispiel der Statusveränderung der Frauen zeigen. Bereits vor mehr als 50 Jahren hat Joseph Kardinal Höffner (1983, 86f) in Kritik am überkommenen patriarchalischen Familienbild das Prinzip des „part­­nerschaftlichen Gattenverhältnisses“ formuliert und realistisch gesehen, dass dieser Paradigmenwechsel in der (katholischen) Fami­lien­semantik auch Folge einer neuen Machtbalance zwischen den Ge­schlech­­tern sei: „Folge der außerhäuslichen Berufstätigkeit der Mäd­chen und Frauen, dass sie sich dem Mann gegenüber nicht mehr hilflos und abhängig fühlen“. Was allerdings – wie er formuliert – „für die Menschheitsgeschichte bedeutsamer als etwa die Entdeckung der Atom­energie oder die Ausbreitung der Automation“ sei, scheint weder aus seiner Sicht noch aus der Sicht anderer Vertreter der Kirchenleitung relevant für die Kirche und ihre Relation zu ihrer Umwelt zu sein. Bis­lang hat die Kirchenleitung auf diesen massiven Wandel ihrer Umwelt vorwiegend mit negativen Rückkoppelungen reagiert. Wir werden nach der Bischofssynode in Rom im Herbst 2014 sehen, ob auf die Umwelt­­wahrnehmung des Wandels in Sachen Ehe und Sexualität die offizielle Kirche mit negativen oder mit positiven Rückkoppelungen antwortet, d. h. ihre bisherige Lehre und Praxis verteidigt oder sie konstruktiv im Sinne einer „Kombination von festzuhaltendem und zu veränderndem Wissen“ (Luhmann 1984, 447f) umbaut.

These 5:

Veränderungen in der Kirche werden auch dadurch erschwert, dass kaum Konsens darüber besteht, wie der künftige Kirchenkurs zu be­stim­men sei. Ein sich darin ausdrückendes Strategiedefizit lässt die Kommunikation kreisen und auf der Stelle treten, statt die Kräfte ziel- und lösungsorientiert zu konzentrieren. Idealtypisch lassen sich derzeit fünf grundlegend unterscheidbare Kirchenkursoptionen erkennen: 1. die Option der institutionellen Stabilisierung, 2. die fundamentalisti­sche Option, 3. die Option der pragmatischen Selbstregulierung, 4. die Option der elitären Minorisierung und 5. die Option des Umlernens. Überzeugt von der Richtigkeit der alten Lösungen (nach dem Leitsatz: ‚Das haben wir immer so gemacht‘) bleibt, der Option der institutionel­len Stabilisierung (1) entsprechend, alles beim Alten, mit leichten Kor­rek­turen an der Peripherie. Krisen und Schwierigkeiten werden ausge­ses­sen, da sie als vorübergehend definiert werden. Auf äußeres und inneres Wachstum oder Mission wird – zumindest vorübergehend – verzichtet. Wenn man nur fest an seinen traditionellen Prinzipien und Strukturen festhält, werden schon bessere Zeiten kommen. Mit dieser Option hat die fundamentalistische Option (2) einiges gemeinsam. Letz­tere pflegt aber eine scharfe Weltdistanz und das Unterscheidende zwi­schen den Religionen und Konfessionen zu betonen, andere religiöse Traditionen abzuwerten und eine Tendenz zur Jahrhunderte lang gepflegten dogmatischen Intoleranz im Zuge des Anspruchs, in der kirchlichen Institution die allein wahre Religion zu vertreten und dem Irrtum kein Recht zu lassen. Aufgeschlossen für Veränderungen in der Umwelt der Kirche versucht dagegen die Option der pragmatischen Selbstregulierung (3) es allen recht zu machen und jede Chance zu nutzen, die sich ad hoc bietet. Der gesellschaftliche Kontext wird als unabänderlich hingenommen, man muss sich – mehr oder weniger ohnmächtig – darauf einstellen, zugleich aber auch der innerkirchlich ausgeprägten defensiven Routine und Widerstandskultur gegen Verän­derungen und Neuerungen Rechnung tragen. Diese Option, die sich salopp auch als ‚Durchwursteln‘ bezeichnen lässt, kann bis hin zu einem theologisch unreflektierten Umbau bisheriger pastoraler Struk­turen und dahin reichen, dass von Haupt- oder Ehrenamtlichen Gottes­dienste geleitet und Sakramente gespendet werden, was nicht notwen­dig nach der offiziellen kirchlichen Ordnung stattfindet. Gemäß der Option der elitären Minorisierung (4) erkennt die Kirche, dass sie keine gesellschaftsbeherrschende Kraft mehr sein kann, und konzentriert ihre Aufgaben und Programme auf ‚das Wesentliche‘, also darauf, was man dafür hält, bündelt die Kräfte und akzentuiert, dass die Kirche für diese Welt, aber nicht von dieser Welt ist. Das Kirchenschiff habe deshalb konsequent ‚gegen den Strom‘ zu steuern, tendenziell alle historisch gewachsenen staatlichen oder staatsähnlichen Sicherungsmecha­­nis­men aufzugeben. Diese Option plädiert einerseits für eine ‚inhaltliche Aufrüstung‘ und andererseits für eine ‚strukturelle Abrüstung‘ (ange­fan­gen von der Kirchensteuer bis hin zu den kirchenbürokratischen Struk­turen). Gemäß der Option des Lernens (5) ist die Kirche aufge­schlossen für Veränderungen in ihrer Umwelt, erkennt unausweichliche Anpassungszwänge, weiß also, dass die Wahl, sich anzupassen oder nicht, nur in der Theorie besteht. Statt – passiv – angepasst zu werden, versucht sie solche Anpassungszwänge in intendierte Entwicklungs­pro­zesse (im Hinblick auf sich selbst, aber auch bezüglich ihrer Umwelt) zu transformieren, um den kirchlichen und nichtkirchlichen Zeitgenossen sinnstiftend und ‚heilsdienlich‘ zu sein. Kontextveränderungen werden dann nicht nur als Zwang zum Nachziehen oder Rückzug hingenom­men, sondern als Lern- und Veränderungschance begriffen. Zu dieser Option gehören der Verzicht auf Wiederherstellung des alten geistlichen Herrschaftsanspruchs und damit ein konstruktiver Umgang mit der wach­senden Erfahrung religiöser Ohnmacht. Gibt es doch eine kreative und eine destruktive Ohnmacht: „Die destruktive sucht nach Resten der verlorenen Macht und verliert darüber alle Autorität. Die kreative sucht in der eigenen Machtlosigkeit die verborgene Macht der Chance zur Be­geg­nung auf neuer Basis“ (Bucher 2003, 356). Diese unterschiedlichen Kirchenkursoptionen schlagen sich auch in unterschiedlichen Gemein­deverständnissen nieder und blockieren Veränderungen. Erleichternd wären Verfahren der Abstimmung über Visionen und strategische Ziele, um überhaupt zu einer gemeinsamen Richtung von Veränderungen zu kommen.

In einer komplex gewordenen Gesellschaft braucht die Kirche, so meine Generalthese, Verfahren der verbindlichen Verständigung über sich selbst, über die Zeichen der Zeit, über ihr Verhältnis zu ihrer Umwelt bzw. zu ihren Umwelten, über ihre Ziele und Strategien und letztlich darüber, ob sie überhaupt aktiv als Organisation lernen will und gegebe­nenfalls wie sie Lernprozesse so gestalten will, damit Lernergebnisse auch gesichert werden können. Kirche darf sich nicht nur von ihrem Ur­sprung her verändern („Ecclesia semper reformanda“), sondern sie muss sich auch aus ihrem jeweiligen soziohistorischen Kontext heraus umgestalten, damit ihre Botschaft überhaupt rezipiert werden kann.