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Treffen von akademischen Zentren zu Curricula der Neuen Evangelisierung

Der Päpstliche Rat zur Förderung der Neuevangelisierung hatte zu einem Austausch über curricula der Neuen Evangelisierung (NE) nach Rom eingeladen (26./27.4.2017). Teilnehmer waren Vertreter von verschiedenen (zu­meist) katholischen Universitäten oder anderen Einrichtungen aus Ita­lien, Polen, Frankreich, Österreich, den USA und Kolumbien, die mit einem Schwerpunkt auf „Formation“ und Bildungs­programmen die NE voranbringen wollen. Mit dem Leiter der KAMP war die Perspektive der Arbeitsstelle auf Deutschland in seiner Säku­larität ohne Bezug zu ope­rativen Bildungsprogrammen eingeladen.

Der Präsident des Rates, Erzbischof Rino Fisichella, betonte in seiner Be­grüßung, dass man kontextuelle Unterschiede wahrnehmen müsse, es könne keine Uniformität der Programme geben. Der Päpstliche Rat ver­suche, ein Instrument der Weiterentwicklung zu sein, indem er die Rea­litäten in den Ländern wahrnimmt und bündelt. Der Rat versteht sich also nicht als zentrales Steuerungsorgan einer NE, sondern versucht an den kontextuellen Situationen zu lernen. Fisichella betonte, dass sich erst langsam zeigt, was mit der NE gemeint sein kann.

Die Vorstellung der teilnehmenden Einrichtungen und ihrer themati­schen Ausrichtung zeigten die Vielfalt: Bologna steht in Auseinander­setzung mit dem marxistischen Weltbild; in Kalabrien spielt angesichts von Migration, Arbeitslosigkeit und Mafia die soziale Dimension des Evangeliums eine zentrale Rolle. In Großbritannien verfolgt ein bene­dik­tinisch geprägtes Zentrum für Spiritualität mit gregorianischem Gesang die via pulchritudinis. In den pragmatischen USA geht es in Steubenville/​Ohio um das Ziel, „freudige Jünger zu formen, die die Welt verändern“; zu diesem Zweck werden mission trips, Wochenend-Konferenzen zur Evangelisierung mit Studenten und Jugendlichen in einer Mischung von akademischer Lehre, Evangelisierung und Kate­chese angeboten. In Detroit gibt es Trainings für lay ministers und Priester in Evangelisierung sowie katechetische Ausbildungsseminare/​Abendkurse, die durch Diözesen gebucht werden können. Washington legt den Schwerpunkt auf die Pfarrei und auf Online-Communitys in social media. Beteiligt war auch die Emmanuel School of Mission in Rom, die junge Missionare nach 10-Monats-Trainings für 3 bis 4 Jahre „in die Mission“ schickt. In Breslau und Lublin beschäftigt man sich mit Religionssoziologie und der sozialen Dimension des Evangeliums.

Es wird neu erkannt, dass nicht zuletzt durch das Lehramt von Papst Fran­ziskus eine systematische Befassung mit Evangelisierung von einer neuen „Pastoralität“ umfasst wird. Es ist eigentlich allen dort Versam­melten deutlich, dass es nicht um vordergründige „Programme“ und „Strategien“ gehen kann, sondern um einen grundlegenden Mentali­tätswandel, der die Glieder der Kirche in Kontakt mit der Realität der Milieus zwischen den Fragen der zeitgenössischen Kultur bringt. Religi­onssoziologie und andere empirische Wissenschaften (im Gefolge von Gaudium et spes) sind noch nicht überall theologisch anerkannt, aber im Kommen.

In seinem Vortrag bekräftigte Erzbischof Vincenzo Zani, der Präsident der Bildungskongregation, den Zusammenhang von Doktrin und Pas­toral. Er warb für eine chiesa in uscita – eine Kirche, die aus sich her­aus­geht. Pastoralität sei nach GS 44 als lex omnis evangelisationis zu sehen; daher sei die Kirche in beständiger Reform, das Wachstum der Per­sonen sei das Ziel kirchlicher Gemeinschaft. Rino Fisichella bezeichnete die „neue Evangelisierung“ als einen locus theologicus für das Lehren der Theologie. Er beklagte jedoch eine zunehmende Fragmentarisierung. Ob sein Votum für ein Bewusstsein für das Gemeinsame des Wissens (visione unitaria ed organica del sapere) angesichts der Heterogenität der Gesellschaft jedoch nicht ein Rückfall in überkommene Einheitsvorstel­lun­gen ist? Für Fisichella sollte der Zusammenhang von Evangelisie­rung und Katechese mehr hervorgehoben werden, die verschiedenen Modelle von Evangelisierung sollten erforscht werden, wie sie sich im Laufe der Geschichte entwickelt haben! Dabei sei Barmherzigkeit (misericordia) das theologisch orientierende Element. Erzbischof Octavio Ruiz Arenas, der Vizepräsident des Päpstlichen Rates, sprach über die „Formation“ der Handelnden (Formación de Agentes de Nueva Evangelización). Wichtig sei eine authentische spirituelle Begleitung, die einen Weg der Formation und Reifung zu Wachstum und Gestaltung mit Christus unterstützt. Diese Prozesse laufen in der Person ab; Formation hat menschliche, spirituelle, inhaltliche und pastorale Dimensionen. Die missionarische Erneuerung muss zu einer personalen Begegnung mit Christus führen. Wichtig sind Kenntnisse neuer Sprachen und der Technologie für eine „Kultur der Begegnung“.

Im Diskurs wurden verschiedene Themenbereiche angerissen:

  • Was ist wirklich „Konversion“ im Sinne des Zum-Glauben-Kommens? Wie kann man das wahrnehmen, beschreiben, welche Formen hat das, welche unterschiedlichen Gestalten christlicher Existenz und Gemeinschaftserfahrung resultieren daraus? Wie kann die Figur des/​der „missionarischen Jüngers/in“ realistisch beschrieben werden?
  • Wie kann Inkulturation angesichts von gesellschaftlicher Differenzie­rung gehen? Unterschiede, die nicht exkludieren, können auch wie­der interessant machen. Was ist der Unterschied, den wir als Christen machen? Wichtig sind Offenheit, Begegnung und Unterscheidung. Die rezeptive, entdeckende Dimension der Evangelisierung sollte gestärkt werden.
  • Ein Weg von der Dogmatik zur Pastoraltheologie, ein akademischer Weg der Formation, ist eine Bewusstwerdung des je kulturellen Kon­textes, sollte positive Aspekte des Evangeliums in den Kulturen se­hen, nicht nur die negativen. Was bedeutet es, dass in Frankreich bei einer starken Katechumenatsbewegung mit einer Vorbereitungszeit von zwei Jahren 70 % der Bewerber wieder in die religiöse Indiffe­renz gehen? Was bedeutet wirklich conversión pastoral, für die Fran­ziskus wirbt? Wie leben wir die parochiale Gemeinschaft? Es braucht einen Mentalitätswandel!
  • Leider tauchten im Diskurs immer wieder Ansätze von Kulturpessi­mis­mus auf (gottlose Gesellschaft, Probleme der Familie, Internet als Raum für Hass und Manipulation, Faulheit, weil man immer gleich eine Antwort auf seine Fragen haben will, individualistische Kommu­nikation …).

Eine italienischsprachige Arbeitsgruppe befasste sich mit dem Thema Heiligtümer und Volksfrömmigkeit. Es gibt Unterschiede zwischen Reli­gion und Glaube; in Süditalien sind noch Reste vorchristlicher indigener Frömmigkeit vorhanden (Wendung an die Fruchtbarkeitsgöttin Juno; Aushandlungsvoten [do ut des] mit der Gottheit; Gebet zum Hl. Antoni­us, wenn man etwas verloren hat). Die Probleme einer formalen Katho­lizität in Süditalien werden wahrgenommen, wenn alle sagen, dass sie katholisch sind, auch nie „austreten“ würden, aber nicht wirklich eine bewusste (An‑)​Teilnahme am Geheimnis Christi und an einem christli­chen Lebensentwurf haben oder wollen. Oft gibt es Überheblichkeit des Klerus gegenüber der Volksfrömmigkeit, weil sie angeblich nicht intel­lektuell genug ist. Man sollte die Volksfrömmigkeit aber eher mit einer pastoralen Liebe betrachten. Den „reinen Glauben“ gibt es nicht. Es ist wichtig, die Bedürfnisse und Fragen, Träume und Wünsche des „Volkes“ wahrzunehmen. Mehr „vom Leben zum Wort“ als „vom Wort zum Le­ben“. Es ist entscheidend, nicht in Ritualisierungen blockiert zu sein; manche wollen die Kirche wie früher, es geht aber um Reifung und darum, die eigenen Wurzeln neu zu akzentuieren.

Fazit

In Rom wurden interessante Ansätze von Evangelisierung als Lernen kommuniziert (z. B. Evangelisierung als Lernen am Anderen, Identität als Sich-Ausdrücken in dem Ausdruck des Anderen als transfigurierte Kultur von Sterben und Auferstehen [österliches Mysterium]), aber es zeigte sich auch immer wieder ein Rückfall in „alte“ Muster: Priester­orientierung, lehrende Kirche – gehorsame Menschen, Inkulturation als „Taufen“ der aktuellen Kultur. Die Rede von der NE verbleibt zumeist in einem theoretischen Kontext, es wird zu wenig deutlich, wie das in der Praxis die Pastoral zunehmend prägt und wie sich dies mit den jeweili­gen kirchlichen Situationen verbindet. Es gibt darüber hinaus keinen Konsens über Begrifflichkeiten wie z. B. Inkulturation, Kultur, Evange­lisierung, Säkularität.

Ist die Heterogenität der Postmoderne wirklich angenommen? Es wird Fragmentarität und eine fehlende Kontinuität und Integration beklagt. Es bleibt unklar, ob man sich auf eine neue Gestalt von Kirche einlassen will. Spannend ist die starke Betonung der je persönlichen Berufung als Antwort und Lebenskonzept im aktuell präsenten Geheimnis des Chris­tusereignisses, dies kommt in Deutschland oft zu kurz gegenüber den Strukturveränderungen bzw. der Pastoralentwicklung. Wir könnten bei uns m. E.  ein größeres Augenmerk auf die Formung von Menschen zur Annahme und bewussten Gestaltung ihrer christlichen Existenz (ka­te­­chetische Prozesse, begleitete geistliche Wege, Begleitung von Beru­fungswegen …) legen. Es geht um die lebendige Erfahrung Gottes in seiner Begegnung mit dem lebendigen Menschen.

Die bei der Konferenz beteiligten Einrichtungen zeigten eine starke Orientierung auf Priesterbildung. Themen im deutschen Sprachraum wie Charismenorientierung, Stärkung der Taufberufung, Veränderung pastoraler Strukturen, neue Formen von (kommunialer) Leitung kom­men im Kontext der Weltkirche zu wenig vor. Hier gibt es Möglichkei­ten, pastoraltheologische Diskurse in Deutschland auch in die römische „Zentrale“ verstärkt einzubringen.