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Was glaubt Österreich?

„Was glaubt Österreich?“ ist ein interdisziplinäres Mixed-Methods-Projekt des Forschungszentrums Religion and Transformation in Contemporary Society der Universität Wien unter der Leitung von Regina Polak, Patrick Rohs und Astrid Mattes-Zippenfenig. Es verbindet sozialwissenschaftliche und praktisch-theologische Expertise und verschränkt durch die Kooperation mit der Religionsabteilung des ORF zudem Forschung und Medienarbeit. Auf der Basis einer im Frühjahr 2023 durchgeführten qualitativen Pilotstudie, die die Antworten von über 1.000 Personen zu Glaubens-, Werte- und Sinnfragen analysierte, wurde ein Fragebogen entwickelt, der im April/‌‌‌‌‌‌‌Mai 2024 von 2.160 Personen zwischen 14 und 75 Jahren mit Wohnsitz in Österreich beantwortet wurde. Die Stichprobe ist für diese Bevölkerungsgruppe repräsentativ und beinhaltet ein Oversampling der Altersgruppe von 14 bis 25 Jahren (n = 560), die für die repräsentativen Ergebnisse entsprechend gewichtet wurde. In den Fragebogen flossen zudem Items aus der Europäischen Wertestudie und der Antisemitismus-Studie des österreichischen Parlaments ein. Die Befragung erfolgte durch Webinterviews eines österreichischen Meinungsforschungsinstituts (Marketagent.com).

Im Endbericht vom 30. Mai 2025, auf den im Weiteren Bezug genommen wird, wird anhand von zehn ausgewählten Themen eine Überblicksauswertung aufgrund von Häufigkeitsauszählungen und Zusammenhangsdaten sowie sich anschließenden Interpretationen gegeben. Hinsichtlich der religiösen Zugehörigkeit wird unterschieden zwischen der formalen Zugehörigkeit und der subjektiven Selbstzuschreibung. Laut der formalen Zugehörigkeit gehören 40 % der Stichprobe keiner Religionsgemeinschaft an, 40 % der katholischen Kirche, etwa 8 % einer anderen christlichen Konfession (davon 3 % der evangelischen Kirche A.B. und H.B. [Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses] und 1,5 % der griechisch-orientalischen Kirche in Österreich; alle anderen umfassen jeweils weniger als ein Prozent); 4 % gehören zur islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, 0,5 % zur israelitischen Religionsgemeinschaft, 0,2 % zur österreichischen buddhistischen Religionsgesellschaft und 0,8 % einer anderen Religionsgemeinschaft an; 7 % machen keine Angabe. Die subjektiven Selbstzuschreibungen weichen teilweise von den formalen Angaben ab. Es bezeichnen sich in dieser Hinsicht 38 % als katholisch, 4 % als evangelisch, 2,5 % als orthodox sowie 16 % als „christlich, aber nicht katholisch, evangelisch oder orthodox“ – von den Letztgenannten gehören 50 % keiner Religionsgemeinschaft an, 40 % sind katholisch. Neben 4 %, die sich als sunnitisch, schiitisch oder alevitisch bezeichnen, verstehen sich 2,5 % als „islamisch, aber nicht sunnitisch, schiitisch oder alevitisch“. Als atheistisch verstehen sich 9 %, als agnostisch 3 %, 2 % als alternativ/‌anders spirituell, 11 % können sich keiner Kategorie zuordnen. Eine erwartbar hohe Binnenheterogenität ist v. a. in der Gruppe derer festzustellen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören: Von ihnen schätzen sich 19 % als atheistisch, 6 % als agnostisch, 18 % als christlich, 17 % als katholisch, 5 % als alternativ/‌anders spirituell sowie 23 % als keiner der genannten Kategorien zugehörig ein.

Hinsichtlich des religiösen bzw. spirituellen Selbstverständnisses und der Transzendenzvorstellungen lässt sich feststellen, dass ein traditionelles religiöses Selbstverständnis einen Tiefpunkt erreicht hat: Während sich 1990 noch 80 % der befragten Österreicher:innen als einen religiösen Menschen bezeichneten, sind es aktuell nur noch 52 %; der Glaube an einen persönlichen Gott ist im gleichen Zeitraum von 29 % auf 21 % abgesunken. Ein gutes Drittel der Bevölkerung glaubt an ein höheres Wesen/‌eine höhere Energie/‌eine geistige Macht; gut 20 % lehnen Transzendenzvorstellungen explizit ab; mit 15 % gibt ein nennenswerter Anteil an, nicht zu wissen, was man glauben soll. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass der „in Österreich auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang weit verbreitete traditionelle und kulturchristlich geprägte Glaube an Gott […] im Zuge der Covid-19-Pandemie vorläufig implodiert“ ist (18). Dabei hat die Pandemie eine bereits vorher länger virulente Dynamik beschleunigt, so dass „der Verlust eines inhaltlich im Sinne des Christentums konfigurierten Gottesglaubens“ (19) deutlich wird. Transzendenzvorstellungen werden zunehmend heterogener; die Vorstellung eines persönlichen Gottes verdunstet und wird zunehmend fremder: Von denjenigen, die die Existenz einer Transzendenz (Gott/‌‌göttliche Wirklichkeit bzw. höheres Wesen/‌Energie/‌‌Macht) annehmen, glauben nur 14 % an einen „persönlichen Gott, mit dem ich sprechen und zu dem ich ‚Du‘ sagen kann“; 11 % glauben an einen „Gott, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat“. Für diejenigen, die an Gott glauben, ist dieser Glaube allerdings auch im Leben wichtig und oft mit konkreten Erfahrungen verbunden. Es zeigen sich somit Säkularisierungs- und Individualisierungsprozesse, gleichzeitig aber auch Transformationen und Refigurationen christlicher (Transzendenz-)‌Vorstellungen. Die Studie lässt offen, ob hier eher von einem Abbruch oder eher einem Umbruch gesprochen werden kann. Sie resümiert zu diesem Punkt: „Die Ergebnisse legen aber zugleich nahe, dass von einem radikalen Verlust von Religiosität und Transzendenzglaube in Österreich dennoch nicht gesprochen werden kann. […] Generell lässt sich feststellen, dass die Säkularisierung im Sinne eines individuellen Bedeutungsverlustes von Religiosität und Gottesglaube im Alltagsleben fortschreitet“ (20 f.).

Es findet sich weiterhin ein Trend zur Privatisierung und Individualisierung von Sinnfragen; nur ein sehr kleiner Teil der Befragten hat Interesse an großen Narrativen oder Interesse an Sinnkonzepten, die die eigene kleine Lebenswelt überschreiten. Sinnvorstellungen folgen – ebenso wie die Praxis – vorwiegend Nützlichkeitsaspekten und funktionalistischen Lebenshilfe-Erfahrungen. Die katholische Kirche hat somit ihr religiöses Deutungsmonopol verloren; die Mehrheit der Befragten hat eine in Sachen religiöser Wahrheit inklusivistische oder religiös-pluralistische Einstellung. Eine dominant funktionalistische Sicht von Religion macht die Wahrheitsfrage überflüssig und beurteilt Religion nach ihrem Nutzen für den Einzelnen und die Gesellschaft (dabei ist eher der Nutzen der Religion für andere Menschen, weniger für das eigene Leben gemeint). Die Studie fasst dies als einen „religionsfreundlichen Indifferentismus“ zusammen (50), der Religion v. a. im Privatbereich verortet und ihren Öffentlichkeitsanspruch kritisch betrachtet. Bei religionskritischen Aussagen findet die höchste Zustimmung das Item, dass Religion ein Mittel zur Machtausübung sei (43 %). 21 % der Befragten befürworten eine völlig religionslose Gesellschaft.

Für die Kirchen ergibt sich somit die Herausforderung, angesichts der Lücke zwischen der traditionellen Gottes- und Glaubensverkündigung und den sich heterogenisierenden Transzendenzvorstellungen der Menschen die zu beobachtenden Transformationen verantwortungsvoll zu begleiten. Erfahrungsbezogene, intellektuell redliche und anschlussfähige Übersetzungen des Glaubens in die Vorstellungs- und Lebenswelt der Menschen sind eine der wichtigsten und notwendigsten Aufgaben der Kirchen. Es geht darum, den Mehrwert eines transzendenzbasierten Glaubens an den personalen Gott aufzuzeigen.

Interessant ist die sehr heterogene jüngste Gruppe der 14- bis 25-Jährigen: Man kann zwar nicht von einem generationsbedingten Comeback von Religion sprechen, denn in weiten Teilen der jüngsten Kohorte finden sich die gleichen religiösen Erosionsdynamiken wie in der Gesamtstichprobe, doch bejahen junge Menschen häufiger als die Gesamtbevölkerung ein religiöses Selbstverständnis, und sie denken häufiger über religiöse Fragen nach. Vergleichsweise traditionelle Glaubensvorstellungen und eine vergleichsweise umfangreiche religiöse Praxis bei jungen Menschen sind dabei nur teilweise über Migration zu erklären. Typisch zeigt sich eine hohe Offenheit und eine Mentalität des Ausprobierens bei religiösen Ritualen. „Eine unkritischere und unbefangenere Zugangsweise macht freilich auch vulnerabler durch problematische Formen von Religiosität“ (77). Schließlich fallen in dieser Kohorte pessimistische Zukunftseinstellungen und ein ethischer Subjektivismus und Relativismus auf.

Zum Thema „Demokratie und Weltanschauungen“ kommt die Studie zu dem Schluss: „Die liberale Demokratie in Österreich befindet sich in einer deutlich erkennbaren Vertrauenskrise, die zunächst unabhängig von der Rolle von Religion und Weltanschauung zu konstatieren ist“ (113). Religion spielt hier eine ambivalente Rolle: Das Vertrauen in Institutionen und die Zufriedenheit mit der Demokratie sind einerseits bei Religiösen höher, andererseits gibt es unter den Religiösen, besonders unter den sich aktiv Engagierenden, auch eine Gruppe mit einer stärkeren Neigung zu Autoritarismus, z. B. die Zustimmung zu einem starken Führer. Es entsteht der Eindruck, dass die eher traditionellen, konservativeren Kreise in den Religionsgemeinschaften zurückbleiben, während die liberalen Flügel die religiösen Institutionen schrittweise verlassen. Ein prinzipiell großer Solidarradius ist bei einer Mehrheit auf den lokalen bzw. nationalen Bereich eingeschränkt und gilt nicht universal. Es lässt sich auch eine beunruhigende Zunahme antisemitischer Einstellungen erkennen; offensichtlich wird ein latenter, nie verschwundener Antisemitismus durch aktuelle Ereignisse wieder reaktiviert. Zusätzlich zeigen die Befunde eine schwierige und fragile Situation intermediärer Organisationen wie der Kirchen. Hier besteht die Gefahr von individualisierenden Rückzugstendenzen in die eigene Kleingruppe und in Konsequenz dann einer für totalitäre Herrschaft anfälligen atomisierten Massengesellschaft. „Für die christlichen Kirchen bedeuten die Befunde die Gefahr eines Endes der Kirchen als gesellschaftliche Räume, die es schaffen, breite Schichten anzusprechen“ (129). Es gilt also, die politische Dimension von Religion zu reflektieren, insbesondere auch den Umgang mit Macht durch das kirchliche Führungspersonal, und den Beitrag der Kirchen für Gemeinwohl und Demokratie zu stärken und gesellschaftlich sichtbar zu machen.

Weiterführende Informationen zu „Was glaubt Österreich“ finden sich auf der Projekthomepage, dort auch der Abschlussbericht zur repräsentativen quantitativen Studie.