Mission – geht’s noch?
Warum wir postkoloniale Perspektiven brauchen
Mission – ein Thema, mit dem man an kein Ende kommt und das weiter nicht nur ein Auftrag, sondern auch eine Herausforderung für Christinnen und Christen bleibt: gerade deshalb, weil fortwährend um ein angemessenes Verständnis von Mission gerungen wird. Der zu besprechende Band von Claudia Währisch-Oblau, Leiterin der Abteilung Evangelisation der Vereinten Evangelischen Mission (VEM), leistet dazu mit seiner postkolonialen Perspektive einen wertvollen Beitrag.
Das Buch ist kein Sammelband im klassischen Sinn. In den Grundaufbau und Grundtext sind – je nach Kapitel in unterschiedlicher Dichte, aber doch sehr umfangreich – Texte anderer Autoren und Autorinnen eingefügt. Mit diesen Stimmen aus Deutschland wie aus dem Globalen Süden macht Währisch-Oblau die Vielfalt von Mission und Missionsverständnissen deutlich. Ganz im Sinne einer postkolonialen Perspektive wird eine eurozentristische Sicht damit aufgebrochen. Entsprechend gibt das Buch auch einige Einblicke in Reverse Mission, also in Mission, die aus dem einst von Europa (und Nordamerika) aus christianisierten Globalen Süden nun zurückgetragen wird. Mission wird also vielfältiger und ist keine Einbahnstraße; Währisch-Oblau plädiert dafür, das freie Wirken des Geistes Gottes zuzulassen.
Konsequent kritisiert Währisch-Oblau ein immer noch weitverbreitetes Missionsverständnis, das die Menschen im Globalen Süden zu Objekten, also zu bloßen Empfängern und Empfängerinnen von Mission macht; einen White Saviourism gelte es zu überwinden. Währisch-Oblau geht auf ungute Machtkonstellationen und Strukturen des Missbrauchs ein, die sich seit der Kolonialzeit bis heute hinziehen – ohne freilich die Weltmission, deren Verstrickungen in kolonialistische Gewalt an einigen Beispielen deutlich herausgestellt werden, grundsätzlich zu verdammen: Mission war auch Segensgeschichte, für das Kennenlernen des christlichen Glaubens sind unzählige Menschen dankbar. Und dennoch benennt Währisch-Oblau den Kolonialismus klar als bleibende Verantwortung und als bleibende Herausforderung angesichts vielen Leids und vieler Schuldverstrickungen.
In diesem Kontext wird in Kapitel 3 auch eine Neuinterpretation des sog. „Missionsbefehls“ (Mt 28,16–20) vorgestellt: Gegen ein unterkomplexes Verständnis als Verpflichtung, möglichst viele Menschen zu taufen, wird eine Deutung entfaltet, die die Einladung zur Lerngemeinschaft Jesu (das griechische Wort für Jünger bedeutet ja Schüler) betont. Das ist spannend und kann eingefahrene Deutungsmuster aufbrechen (auch wenn der Rezensent als Bibliker hier einige Anfragen hat).
Sympathisch ist, wie Währisch-Oblau für ein gegenüber der religiösen und kulturellen Vielfalt offenes Christentum plädiert – und gerade in interreligiösem Dialog und gegenseitiger Gastfreundschaft die Berechtigung und Bedeutung von Mission neu verortet. Mission ist nicht überholt, aber neu zu kontextualisieren: „Das universale Evangelium spricht nur Dialekt“ (193)! Entsprechend ist es auch eine von den deutschen Kirchen noch zu wenig gesehene Herausforderung, sich in der Begegnung mit Menschen anderer Herkunft die Frage nach dem Missionarischen neu zu stellen. Spannend ist in diesem Zusammenhang zu lesen, wie in der eigenen (ursprünglich deutschen) Organisation der Herausgeberin, der VEM, die Macht und Kontrolle nun zwischen allen Mitgliedskirchen (die meisten aus Afrika und Asien) aufgeteilt ist.
Wenngleich das Buch aus einer evangelischen Perspektive geschrieben ist und die spezifisch katholische Missionsgeschichte kaum vorkommt, können Christinnen und Christen aller Konfessionen (und ebenso Menschen anderen Glaubens oder ohne religiöse Affinität) beim Lesen viel lernen und ihre Ansichten auf den Prüfstand stellen, wenn verschiedene Erfahrungen, Ansichten und Theologien vorgestellt werden bzw. zur Sprache kommen. Freilich werden die verschiedenen Aspekte und Problemfelder von Mission in dem Band nicht erschöpfend abgehandelt; von Sprache und Darstellungsweise her richtet sich der Band mehr an ein breiteres Publikum, kommt ohne Literaturangaben aus. Es ist eine Anregung zum eigenen Weiterdenken – manches wird eher nur angerissen. Ein gutes Beispiel ist dafür das Kapitel 7 zu Power Evangelism, Prosperity Gospel, Geisterglauben, Befreiungsdiensten etc.: Diese für die traditionelle (west‑)europäische Christenheit eher befremdlichen Themen dürfen im Buch nicht fehlen, sind sie doch insbesondere für pentekostale Strömungen im Globalen Süden zentral (und werden über Migration auch nach Europa getragen); doch das Kapitel stellt insgesamt eher nur eine Sensibilisierung dar, eine kritische Auseinandersetzung geschieht nur in kürzester Form.
Das soll aber nicht von der Lektüre abhalten, sondern deutlich machen, was das Buch zu leisten vermag und was nicht: Es ist ein durchaus niveauvoller, gut lesbarer Gang durch verschiedene für eine postkoloniale Perspektive wichtige Aspekte von Mission, der die Perspektive auch von Fachleuten, die sich schon länger mit Mission beschäftigen, deutlich erweitern kann. Darüber hinaus gilt das eingangs Gesagte: Mission ist ein Thema, mit dem man an kein Ende kommt.
Martin Hochholzer
