Pastorale Innovation als strategische Option in den Bistümern in Deutschland
Fachtagung des überdiözesanen Netzwerks Innovation in Essen
Schon seit längerem existiert ein überdiözesanes Netzwerk von Personen, die in verschiedenen Bistümern mit dem Auftrag betraut sind, pastorale Innovation zu unterstützen. In regelmäßigen Abständen tauschen sie sich digital über die Prozesse und Praxis von Innovation in den Bistümern aus und beraten sich gegenseitig. Aus dem Bedürfnis heraus, intensiver über die Verständnisse von Innovation nachzudenken und darüber, was es an Strategien braucht, wie sie in den betreffenden Bistümern nachhaltig implementiert und überdiözesan unterstützt werden kann, organisierte eine Projektgruppe die Fachtagung Pastorale Innovation (30.9.–1.10.2025 in Essen), zu der die begleitende Arbeitsstelle KAMP einlud und deren organisatorische Abwicklung das Bistum Essen übernahm.
Bereits im Vorfeld wurden die angemeldeten Teilnehmenden gebeten, das Verständnis ihres Bistums von Innovation und ihr eigenes zu formulieren. Demnach wird als Ursache der Bruch zwischen Evangelium und Kultur diagnostiziert und somit als Ziele der pastoralen Innovation formuliert, die zeitgenössische Kultur besser zu verstehen, neue Wege, Strukturen und Formen zu entwickeln und für möglichst viele Menschen eine lebendige Erfahrung und Begegnung mit Gott zu ermöglichen. Immer wieder werden die Orientierung kirchlichen Handelns an den Bedürfnissen der Menschen genannt, um für sie Relevanz und Nutzen zu generieren, und die Ausrichtung am sozio-kulturellen Kontext und Lebensraum, die für pastorale Veränderungen ausschlaggebend sind. Dabei spielen Kooperationen mit nicht-kirchlichen Partnern sowie Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Auch Partizipation und Ressourcenorientierung werden als Kriterien innovativer Entwicklung der Pastoral genannt.
Maßnahmen, wie die Bistümer das erreichen wollen, sind Trainings/Coachings, um Hauptberufliche und freiwillig Engagierte zu einem veränderten Bewusstsein zu begleiten, kollegiale Netzwerke, Entdeckerreisen, Pioniersstellen, pastorale Experimente und die Entwicklung einer Kultur des Ausprobierens, aber auch des Verabschiedens dessen, was nicht mehr „funktioniert“ (Exnovation). Wenige Bistümer nutzen Beiträge aus dem säkularen Bereich für die Entwicklung ihres Innovationsverständnisses wie Design Thinking und Effectuation. Es geht darum – so die Rückmeldungen – über die bisherigen Horizonte hinauszudenken und mutig, manchmal unbequem, aber auch dienend einer zukünftig veränderten Gestalt und Praxis von Kirche den Weg zu bahnen. Dabei werden in den Bistümern Innovationsfelder identifiziert, aber dann auch Prozesse gestaltet, die exemplarisch für die verändernde Weiterentwicklung der gesamten Organisation sind.
Auch Probleme wurden bereits im Vorherein benannt: Innovation erscheint manchmal isoliert, zumeist existieren kein systematisches Innovationsverständnis und keine Strategie, oft ist Innovation nicht in der Organisationshierarchie „oben“ angedockt und wird als Leitungsverantwortung verstanden, sondern es werden eher dezentrale Stellen aufgegeben. Man denkt mehr an inkrementelle (kleinschrittige) statt an radikale/disruptive Innovation. Wo es Innovationsstellen, ‑büros oder ‑teams gibt: Wo können sie auch territorial in der Fläche eines Bistums andocken?
Diese Vorabfrage zeigte bereits deutlich, dass man sich in den Bistümern oft einer genauen Definition entzieht und stattdessen grundlegende kirchliche Ziele (z. B. die sogenannten Grunddienste) als Innovation formuliert. Die Formulierungen sind zumeist sehr weich (Pastoralprosa?) und nennen keine klaren Ziele, die letztlich eine Messung erlauben würden. Zu oft wird Innovation aus der Perspektive der Hauptberuflichkeit (und damit für sie) gedacht, und es scheint so, als gebe es zu wenig Bilder davon, was das Neue in der Pastoral sein könnte.
Auf der Tagung selbst wurde dann zu den Innovationsverständnissen der Bistümer und der damit beauftragten Personen weiter gearbeitet. Felix Goldinger, selbst Leiter der Stabsstelle Innovation und Transformation im Bistum Speyer, gab Einblicke in Erkenntnisse der (säkularen) Innovationsforschung:
Es gibt eine Abgrenzung zwischen Erfindung, Invention und Innovation, von dieser kann man eigentlich erst dann sprechen, wenn etwas regelmäßig stattfindet bzw. eine Marktumsetzung stattgefunden hat. Nur den Gottesdienst von 9 auf 11 Uhr zu legen und hinterher Kaffee zu trinken, ist eher inkrementelle Innovation; radikal und disruptiv wäre stattdessen, ein Café zu kaufen und darin Gottesdienst zu feiern. Innovation löst etwas aus, was ich nicht mehr im Griff habe, deshalb braucht sie einen Schutz im System, weil sie es als Anomalie, die zuerst Zweifel, Spott und Konflikt erzeugt, am Anfang schwer hat. Es braucht Prototypen und eine Bündelung der Pilotdaten; Verbündete wollen gesucht werden, um gemeinsam kleine neue Standards zu schaffen. Dabei sollte man Innovationszyklen beachten und möglichst breit mit Co-Creation und User-Involvement die Nutzer:innen beim Design beteiligen (Partizipation). Innovation sollte systemisch sein, indem sich Leitung als lernende versteht. Smarte Ziele sind wichtig, um zu verstehen und sich zu committen, wohin man will. Man kommt vom Experiment zur Regel bzw. in die Breite nur dann, wenn auch andere Teilsysteme (Recht, Finanzierungen etc.) angepasst werden; eine zentrale Rolle spielt Öffentlichkeitsarbeit. Beim Versuch, ein gemeinsames Verständnis zu formulieren, zeigte sich einerseits, dass Innovation eine relevante Lebensverbesserung, die Lösung eines Problems oder das Füllen einer Lücke bedeutet. Auf der anderen Seite muss immer das Wozu, der purpose von Kirche, ihre Sendung im Sinne der Bezogenheit auf das Evangelium mitgedacht werden.
Am zweiten Tag standen die Strategien für Innovation in einzelnen Bistümern im Mittelpunkt. Die „Limburger“ kamen von vereinzelten Teilen von Innovationsförderung (Funktionsstellen, multiprofessionelle Teams, Netzwerke, Gründerunterstützung) letztlich zu einer Strategie, indem sie für bestimmte Regionen gesellschaftliche Trends und deren Schnittmengen zu den strategischen Zielen des Bistums identifizierten. Mittlerweile gibt es Unterstützungsformate wie Pioniersprint und Pionierzeit zum Austausch, ein Beirat evaluiert Ideen, es gibt Erprobungsphasen und permanente Evaluation, 3 % der Bistumsmittel sollen mittelfristig für Innovation verwendet werden.
Das Bistum Essen kam ebenfalls von einem klassischen Innovationsfonds her, hat jedoch bis heute ein Management mit Coaches und Formaten wie InnoSummit und „Denkbar“ entwickelt. Für die Strukturen bedeutet dies, dass eine (große) Stadtpfarrei mit einer Stadtkirche und neuen kreativen Orten von Kirche gesehen wird.
Das Bistum Speyer gestaltet gemäß seiner Vision „Segensorte“ in sechs Bereichen. Es sieht Projekte und Personalgemeinden unter dem Dach einer der künftig neun Pfarreien des Bistums. Zum Kreislauf der Innovation gehören Vision, Zurüstung, Ressourcen, Rechtliches und Beauftragung. Aus der Anglikanischen Kirche haben die Speyerer vier verschiedene Pionierstypen entlehnt: Die Replikatoren führen eine Form von Kirche an einem neuen Ort ein, die Adaptierer passen eine bekannte Form von Kirche an, um eine neue Form zu kreieren, Innovatoren erfinden mit anderen in einem fremden Kontext neue Formen von Kirche (z. B. Kunstkirche), und Aktivisten schließlich engagieren sich in einem säkularen Umfeld und sammeln Menschen um sich, um Gottes Spuren zu entdecken und zu bezeugen. Alle diese gibt es und sollen gefördert werden. Deren erste beiden sind wohl eher mit dem Thema Verbesserung der pastoralen Qualität verbunden, die beiden letzten dann mit tatsächlich innovativen Projekten und (recht frei sich sammelnden) Personalgemeinden.
Der Nachmittag war dem Thema Wirkungsmanagement und -messung gewidmet. Manuel Müller, impact measurement consultant (Berater für Fragen der Wirkungsmessung) der Firma Leonardo unterschied drei Verständnisse von Wirkung in Bezug auf den Einsatz von Personal, Finanzen und Zeit: output als unmittelbare Leistungen und Aktivitäten („Was wir tun!“), dann outcome, die Effekte für Zielgruppen und ihr Umfeld („Was sich bei anderen wirklich verändert!“), und schließlich impact – langfristige und nachhaltige Effekte auf gesellschaftlicher oder globaler Ebene. Man müsse unterscheiden zwischen Wirkungsanalyse, -messung und -management. Letzteres zielt darauf ab, Wirkungsmessung als iterativen Prozess in die Arbeit zu integrieren. Dazu müssen zuvor konkrete Wirkungsziele und Indikatoren für die Zielerreichung definiert werden. Hinzu kommen Entscheidungen für Methoden zur Datenerhebung sowie Anreizsysteme (incentives).
Am letzten Vormittag arbeiteten die Teilnehmenden in einem Barcamp zu eruierten Themenbereichen: Ist radikale Innovation überhaupt möglich? Wie zeigt sich das Geistliche in Innovationsstrategien/-prozessen? Wie kann das erarbeitete Innovationsverständnis in das jeweilige Bistum eingebracht werden? Welche Strukturen sind dienlich für Innovation? Und: Wie kann Wirkungsmessung praktikabel gestaltet werden?
Wirksame Elemente einer Innovationsstrategie für ein Bistum sind demnach Innovationsfelder, Vision und Mission, damit verbundene Werte/Prinzipien und eine Kultur. Weiter muss man sich über Rollen und Verantwortung, Ressourcen und Kooperationen sowie Umsetzungsschritte und Wirkungsmanagement Gedanken machen.
Da die Zeit nicht ausreichte, wurde vereinbart, die Ansätze und Empfehlungen zu einer gemeinsamen Agenda, was das Verständnis und die Strategien von Innovation betrifft, in einer Projektgruppe weiterzuentwickeln und in das Netzwerk wieder einzuspeisen.
Was bleibt als Lernertrag? Es gibt oft Differenzen zwischen Leitung und Beauftragten für Innovation, es gibt „gläserne Decken“, wo es nicht mehr weitergeht. Innovation muss von der Leitung gewollt werden. Die Erfahrung ist, dass es oft dann schwierig wird, wenn es „ans Eingemachte geht“. Strategien für pastorale Innovation müssen stärker mit den Zielen, Leitbildern und Prozessen der Bistümer koordiniert werden, sonst bleibt es ein „Glasperlenspiel“ oder ein „nettes Experiment“. Innovation muss sich zu einer Kultur entwickeln, die von möglichst vielen – gerade auch Leitenden – unterstützt und mitgeprägt wird. Die Tagung in Essen hat die „Innovator:innen“ in den Bistümern jedoch einen weiten Schritt vorangebracht.
