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Inklusive Liturgie

Vielfalt im Gottesdienst leben

Bestimmte liturgische Feierformen, wie sie sich in der Vergangenheit entwickelt haben, sind in der Gefahr, durch ihr Sosein Menschen auszuschließen, und dies in verschärfter Weise angesichts der sich immer stärker ausdifferenzierenden Lebens-, Kommunikations- und Kulturstile in der Gesellschaft. Kann eine gemeinschaftliche Liturgie überhaupt dem Anspruch genügen, „alle“ anzusprechen? Aber was bedeutet es, dass die Gruppe der Liturgiefeiernden immer kleiner und homogener wird? Es ist wichtig, sich den exkludierenden Aspekten liturgischer (und pastoraler) Praxis zu stellen.

„Aber am Sonntag in der Kirche sieht man sie ja auch nie.“

Ein Satz, den vermutlich viele Menschen im kirchlichen Kontext nur zu gut kennen, wird er doch gerne angebracht, wenn es darum geht, den Grad des Engagements und der Zugehörigkeit zu einer Gemeinde ins Wort zu bringen. Das zieht sich durch von der Jugendarbeit bis hin zu hauptberuflichen pastoralen Mitarbeiter:innen, und eines haben alle gemeinsam: einen guten Grund, warum sie nicht im Sonntagsgottesdienst sind. So schnell diese Worte gesprochen sind, so schlecht sind sie gealtert, denn längst ist klar, dass der sonntägliche Kirchgang nicht der einzige Maßstab für das kirchliche Engagement ist. Was die Gründe sind, warum Menschen sonntags nicht (mehr) in den Gottesdienst gehen oder auf der Suche nach anderen liturgischen Feierformen sind, wird oft zweitrangig behandelt. Dabei ist dies eines der großen Themen im liturgiewissenschaftlichen und -pastoralen Diskurs: Wie können Gottesdienste so gefeiert werden, dass sich alle angesprochen fühlen?

Zunehmende Heterogenität und tätige Teilnahme in der Liturgie

Liturgie ist immer auch ein Kommunikationsgeschehen: Gott spricht den Menschen an und dieser antwortet Gott auf die ihm entsprechende Weise. Im Gebet, im Lied, in der Gebärde oder in der Stille. Die Möglichkeiten sind dabei so vielfältig, wie es die Menschen sind. Gemeinschaft ist konstitutiv für die Liturgie und zeitgleich ist sie eine Herausforderung, da die Heterogenität den Anspruch an die Umsetzung der tätigen Teilnahme erhöht. In der Heterogenität verschiedene Zugangswege zu bieten, ist die Grundlage eines inklusiven Liturgieverständnisses, das auch dem Wesen der Liturgie entspricht. Da die Feier der Liturgie selbsterklärend und verständlich sein soll (Sacrosanctum concilium 10; 50) und die tätige Teilnahme aller fördert, bedarf es Methoden, die auf die Liturgie hinführen, damit dieser Anspruch gehalten werden kann. Dies ist eine Herausforderung für die Pastoral, da es auch jenseits der Sakramentenkatechese eine Art mystagogischer Erschließung der Inhalte des Gottesdienstes braucht, da diese sich nicht für alle direkt erschließen. Der Begriff der mystagogischen Vertiefung resp. Erschließung stammt ursprünglich aus der Religionspädagogik und beschreibt einen Lernprozess, der vom (konkreten) Erleben zum Deuten führt. Bezogen auf liturgische Feiern bedeutet dies, dass zunächst der Gottesdienst gefeiert und dann das Erlebte gedeutet wird. Dies nimmt die Mitfeiernden in ihrer Individualität ernst und verschiebt zeitgleich die Deutungshoheit, die bisher hauptsächlich bei den Vorsteher:innen liegt. Durch das Konzept der mystagogischen Erschließung wird deutlich, dass es vielfältige Zugänge zur Liturgie braucht, die sich auch jenseits der „klassischen“ Angebote bewegen. Liturgie kann und darf sich verändern und letztlich muss sie es auch, wenn sie keinen Relevanzverlust erleiden möchte. Längst sind die Mitfeiernden eines Sonntagsgottesdienstes nicht mehr deckungsgleich mit der Gemeinde, da Menschen sich bewusst auch für Gottesdienste entscheiden, die zu ihrer Lebenswirklichkeit passen. Damit Liturgie inklusiver wird, muss sich nicht alles komplett ändern, sondern es kann zunächst an einzelnen Schrauben gedreht werden. Wichtig ist dabei, möglichst viele Perspektiven einzunehmen und Menschen an Prozessen zu beteiligen, die ihre je eigene Lebenswirklichkeit einbringen. Und es braucht den Mut, Dinge auszuprobieren, zu erleben und dann in die Reflexion zu gehen. Daraus ergeben sich dann wie folgt Konsequenzen für liturgische Feiern.

Liturgie muss vielfältig sein

Die Forderung nach einer vielfältigen Liturgie kann aus zwei Blickwinkeln gesehen werden: Einerseits ist es der Bedarf einer Vielfalt der Feierformen und andererseits die Sichtbarkeit der Vielfalt des Lebens. Ohne eine offene Haltung seitens der vorstehenden Personen resp. jener, die für die Vorbereitung der Liturgie verantwortlich sind, wird eine vielfältige Liturgie ein Wunsch bleiben. Es ist ihre Aufgabe, liturgische Vollzüge und theologische Inhalte verständlich und erfahrbar zu machen. Beides kann gelingen, wenn die vielfältigen Lebenswirklichkeiten der Mitfeiernden wahrgenommen werden. Die gottesdienstliche Gemeinde ist immer auch ein Abbild der Gesellschaft. Für den Gottesdienst treten die Menschen aus ihrem Alltag heraus in die Feier ein und kehren danach wieder zurück. Leider erleben viele von ihnen, dass die Feier selbst wenig mit ihrem Alltag und mit ihnen selbst als Person zu tun hat. Dies bedeutet nicht, dass Liturgie sich komplett säkularisieren muss, sondern dass sie einen Bezug zum Alltag haben muss und trotzdem auch ihre ganz eigene Form bewahren kann. Das Hinaustreten aus dem Alltag in eine komplett andere Situation hinein bietet die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, sich neu zu sortieren und im Gebet und in der Begegnung mit Gott Kraft zu schöpfen für den Alltag. Wenn dies jedoch wenig mit der Person selbst zu tun hat, dann ist auch dies nicht möglich. Die Beziehung zu Gott ist oft so individuell wie die Person selbst, was sich beispielsweise in der Gebetssprache zeigt. Diese variiert je nach Anlass und kann vom überlieferten Gebet bis zum freien Gebet alles sein. Die komplette Vielfalt wird sich nicht in einem Gottesdienst abbilden lassen, es können jedoch einzelne Aspekte überdacht werden. Die Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich bewusst gemacht wird, dass die liturgische Sprache exklusiv ist und damit auch Menschen ausschließt. Sie ist einerseits männlich dominiert und andererseits so reich an theologischen Bildern, dass viele davon sich nicht von selbst erschließen. Die Konsequenz dieser Bestandsaufnahme ist, dass die genannten sprachlichen Barrieren an manchen Stellen aufgelöst werden. Eine gute Möglichkeit liegt in der Schriftauslegung, da die Predigt komplett in der Hand der Vorsteher:innen liegt. Hier ist die Möglichkeit gegeben, in verständlichen Worten die Schriftstelle, aber auch die Liturgie zu erschließen.

Der andere Aspekt sind die vielfältigen Feierformen, die für viele einen Zugang zur Liturgie ermöglichen. Noch immer gibt es eine klare Fokussierung auf die Eucharistiefeier, die sich vermutlich nur schwer auflösen lässt. Eine lange Zeit gab es rund um die Eucharistiefeier eine ganze Reihe von gottesdienstlichen Feiern, die sowohl zur Eucharistie hingeführt haben, aber auch für sich selbst standen. Es ist zu beobachten, dass dies abgenommen hat und dass auch Zielgruppengottesdienste oft Eucharistiefeiern sind. Hier braucht es den Mut, neue Feierformen zu entwickeln, aber auch jene wieder zum Leben zu erwecken, die etwas in den Hintergrund getreten sind. Die Wort-Gottes-Feier ist nur eine Form, die Möglichkeiten einer freieren Gestaltung bietet. Weitere Formen sind Andachten und auch die Tagzeitenliturgie. Die genannten Formen ermöglichen auch eine stärkere Beteiligung an den einzelnen liturgischen Elementen. So kann beispielsweise ein angeleitetes Schriftgespräch in einer Wort-Gottes-Feier deutlich besser platziert werden als in einer Eucharistiefeier. Was die passende Feierform ist, muss dann mit den jeweiligen Gemeinden und Gruppen entwickelt werden und kann auch je nach Anlass und Bedürfnis variieren.

Liturgie darf sich verändern

Veränderungen der Liturgie werden oft als eklatanter Eingriff gewertet und dargestellt, als dürfe dies nicht sein. Dabei ist der Gottesdienst die sichtbare Form des dialogischen Geschehens zwischen Gott und Mensch, das in der konkreten Feier einen Ausdruck findet. Daher muss sich Liturgie eigentlich verändern, um auf die unterschiedlichen Kommunikationsformen reagieren zu können. Eine Veränderung bedeutet nicht, dass sich der Ablauf oder Kerninhalt(e) verändern müssen, sondern der Umgang und die Ausdrucksform(en) für die Inhalte. Dies ist möglich, indem rituelle Zeichenhandlungen eine stärkere Bedeutung bekommen, was gerade für Menschen mit Einschränkungen von Bedeutung ist. Es kann aber auch ein stärkerer Fokus auf Beteiligungsmöglichkeiten gelegt werden, was nicht bedeutet, dass Liturgie dann zur Unterhaltungsveranstaltung wird. Die Beteiligungsmöglichkeit muss auch nicht sichtbar und für alle im gleichen Maß gegeben sein. Es fängt viel grundsätzlicher an, wenn Gottesdienste so gestaltet werden, dass Beteiligung erst möglich wird, d. h. dass sprachliche und auch räumliche Barrieren abgebaut werden.

Liturgie braucht eine verständliche Sprache

Liturgie hat ihre eigene Sprache, die ebenfalls exkludiert. Diese ist nicht die Sprache der Mitfeiernden und muss es auch nicht immer sein. Sie muss jedoch so verständlich sein, so dass alle in den Dialog mit Gott eintreten können. Die Verantwortung für verständliche liturgische Texte liegt jedoch nicht nur in der Verantwortung der Vorsteher:innen oder jener, die sich mit liturgischen Texten auseinandersetzen. Es ist auch eine Aufgabe für jene, die neue und zeitgemäße liturgische Texte entwerfen. Bis dato gibt es keine approbierten liturgischen Texte in verständlicher oder gar Leichter Sprache. Auch die Arbeit am neuen Messbuch zeigt, dass liturgische Bücher scheinbar für die Ewigkeit gemacht werden und nicht für bestimmte Generationen. Dabei ist die Frage, warum nicht jede Generation auch ihr Messbuch oder ihre liturgischen Texte haben kann, durchaus berechtigt. Sicherlich steht hinter der Erarbeitung liturgischer Texte ein immenser Aufwand. Da aber durchaus gute und praxiserprobte Texte existieren, ist es auch möglich, diese aufzugreifen. Wenn sich Kommissionen und Übersetzer:innengruppen offiziell damit auseinandersetzen, liturgische Texte in verständliche und lebensnahe Sprache zu bringen, dann hat dies auch eine Wirkung auf jene, die sich in Gemeinden damit mühen. Viele werden sich in ihrem Tun bestärkt fühlen und anderen gibt es die Legitimation, liturgische Texte auch zu überdenken und zu verändern.

Inklusive Liturgie braucht inklusive Pastoral

Eine inklusive Liturgie ist nur an den Orten möglich, wo Inklusion auch in anderen pastoralen Kontexten eine Rolle spielt. Da man in diesen Zusammenhängen, insbesondere in der Sakramentenkatechese, bereits einen Schritt weiter ist, muss die Liturgie nun nachziehen. Beide Bereiche, Pastoral und Liturgie, werden aufeinander ausstrahlen und es ist nicht relevant, welcher Bereich als erstes inklusiv gestaltet wird. Es ist nur schwer vorstellbar, dass eine inklusive Vorbereitung auf die Erstkommunion in einem Gottesdienst mündet, der nicht inklusiv gestaltet ist. Dieses Beispiel lässt sich für viele andere pastorale Handlungsfelder durchspielen. Damit sich diese Perspektive ändert, braucht es eine offene Haltung für die Vielfalt in der Gemeinde, die sich auch in der Liturgie zeigt. Inklusive Pastoral bedeutet auch, dass Angebote für alle Menschen offen sein müssen und dass allen die Teilnahme ermöglicht wird. Dies beginnt bereits bei der Ausschreibung, die sprachlich so sein muss, dass sie verstanden wird. Zudem muss es möglich sein anzugeben, wenn man Unterstützungsbedarf benötigt. Diese Offenheit muss aber auch für die Gottesdienste gelten, denn auch sie müssen so sein, dass sie ihrem Wesen entsprechen und dass alle mitfeiern können. Inklusion bedeutet dann, dass es allen ermöglicht werden muss, über Gott und ihren Glauben ins Gespräch zu kommen, sich mit anderen dazu auszutauschen und Neues zu lernen. Dies spiegelt sich dann auch in der gottesdienstlichen Feier.

Neben allen inhaltlichen und methodischen Aspekten, die durch Veränderung Liturgie inklusiver machen, ist Inklusion immer auch eine Haltungsfrage. Wenn Menschen sich für vielfältige Zugangsweisen öffnen und wahrnehmen, dass es nicht nur eine Sicht auf die Inhalte gibt, dass nicht nur die eigenen Worte verwendet werden und dass andere Perspektiven wahr- und ernstgenommen werden: Nur dann ist der aktuell so häufig formulierte Satz „Come as you are“, der alle Menschen einlädt und sie in ihrem Sosein ernst nimmt, auch wirklich ernst gemeint.