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Die Welt als Schöpfung

Als eine der wichtigsten und grundlegendsten globalen Herausforderungen gilt aus christlicher Perspektive die Bewahrung der Schöpfung. Frank Vogel­sang analysiert den Begriff der Schöpfung als spezifisch christlichen Begriff, der die Verdanktheit und Unverfügbarkeit der geschöpflichen Existenz impli­ziert und aus dem sich moralische Imperative ableiten.

Wenn wir heute das Ganze dessen, was existiert, wenn wir die Welt als Ganzes genauer beschreiben wollen, gebrauchen wir in der Regel den Begriff Universum. Dieser Begriff ist eng mit der astrophysikalischen Forschung verbunden. Die Naturwissenschaften setzen in den modernen Gesellschaften einen Vorstellungsrahmen, innerhalb dessen sich Aussa­gen über die Welt bewähren müssen.

Wie und in welcher Hinsicht aber gebrauchen wir dann den Begriff der Schöpfung? Meint der Begriff der Schöpfung dasselbe wie der Begriff des Universums? Dann kann man das Universum als Schöpfung bezeich­nen, man muss es aber nicht, da beide Begriffe sich im Bedeutungsum­fang nicht unterscheiden. Der Begriff signalisiert dann nur, dass die- oder derjenige, die oder der ihn verwendet, sich religiös verortet. Der folgende Beitrag will demgegenüber zeigen, dass der Begriff Schöpfung tatsächlich aber auf mehr referiert als der Begriff des Universums. Doch dann stellt sich die Frage, welche eigenständige Bedeutung der Begriff der Schöpfung entwickeln kann. Verweist er auf etwas, was der Begriff des Universums nicht beschreiben kann?

Zunächst soll der naturwissenschaftliche Begriff des Universums in gro­ben Zügen beschrieben werden. Die Darstellung der Erdgeschichte und auch die der Evolution des Lebens lässt sich daran anschließend ohne Komplikationen darin einfügen. Auf der Grundlage des naturwis­sen­schaftlichen Wissens kann man den Schöpfungsbegriff zunächst einmal historisch relativieren. Er entstammt einer Epoche, die noch nicht über das astrophysikalische und biologische Wissen verfügte. Eine solche Re­­la­ti­vierung stellt aufgrund der fundierten Kenntnisse über das Univer­sum die Aussagekraft des Begriffs der Schöpfung in Frage.

In einem zweiten Schritt sollen unsere Erkenntnisbedingungen für eine philosophische Beschreibung der Wirklichkeit im Ganzen genauer be­trachtet werden. Hier zeigt sich: Das Ganze der Wirklichkeit kann nie­mals nur „Objekt“ naturwissenschaftlicher Beschreibung sein, denn zugleich ist eben dieselbe Wirklichkeit auch Voraussetzung für die Fä­higkeit der Beobachtenden, überhaupt etwas zum Objekt zu machen. Die Wirklichkeit lässt sich nie nur als das Beobachtete darstellen, weil sie auch Grundlage für die Beobachtung selbst ist. Dieser Verwicklung von „Subjekt“ und „Objekt“ kann man dann besonders gut gerecht wer­den, wenn man die leibliche Existenz des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Sie legt nahe, dass sich bestimmte Dimensionen der Wirklichkeit einem objektivierenden Blick entziehen, es gibt existentielle Vorausset­zungen, die nicht über objektivierende Methoden eingeholt werden können.

Der dritte Schritt beschreibt dann die religiöse Rede von der Schöpfung als eine spezifische Interpretation der Bedingungen dieser leiblichen Existenz. Der Begriff der Schöpfung bezeugt, dass die leibliche Existenz, in der wir uns vorfinden, von Gott, dem Schöpfer von Himmel und Erde, abhängig ist. So kann der Schöpfungsbegriff auch moralische Qualitäten entfalten. Denn er bezeugt, dass ich über die Grundlage meines Lebens und des Lebens überhaupt nicht verfüge. Das Leben erscheint als Ge­schenk, als Gabe. Die Haltung, die daraus resultiert, ist eine der Dank­bar­keit und der Bewahrung der Gabe: Die „Schöpfung zu bewahren“ wird zu einem sich daraus ableitenden Imperativ. Dieser Begriff hat eine weit über die Kirchen hinausgehende gesellschaftliche Resonanz, gerade weil er mit starken Bildern an grundlegende Bedingungen unserer leibli­chen Existenz erinnert.

1. Welt und Mensch in der naturwissenschaftlichen Beschreibung

Eine naturwissenschaftliche Beschreibung zeigt die Welt als Universum, das sich nach Naturgesetzen entwickelt. Dieses Universum ist relativ ge­nau beschreibbar, die moderne Astrophysik hat viel Erstaunliches her­aus­gefunden, die Grundzüge des Wissens vom Universum sind bekannt: Das Universum ist nicht statisch, sondern dehnt sich seit etwa 13,7 Mrd. Jahren kontinuierlich aus. Der Anfangspunkt dieses Prozesses ist durch den sogenannten „Urknall“ gekennzeichnet. Das Universum besteht aus einer sehr großen Zahl von Galaxien, jede Galaxie wiederum aus einer sehr großen Zahl von Sonnensystemen. Die Erde ist dem Rand einer solchen Galaxie zuzuordnen, die am nächtlichen Himmel als Milchstra­ße erkennbar ist.

An dieser Stelle sei schon darauf hingewiesen, dass die Physik tatsäch­lich sich dem „Anfangspunkt“ des sogenannten Urknalls nur annähern kann, da unterhalb einer bestimmten Mindestlänge bzw. -zeit die phy­sikalischen Gesetze ihre Gültigkeit verlieren (Planck-Zeit). Diese Ein­schränkung ist für die aktuellen kosmologischen Modelle nicht sehr relevant, sie ist es aber für die philosophische und theologische Bewer­tung dieses Bildes vom Universum. Die Physik kann die Ausdehnung von etwas Gegebenem beschreiben, sie kann mit ihren Mittel aber keinen ab­soluten Anfangspunkt beschreiben. Dies unterscheidet das kosmologi­sche Modell von der Schöpfungsgeschichte, die gerade den Anfang betont: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde […]“ (Gen 1,1).

Die Naturwissenschaften beschreiben weiterhin die Entwicklung des menschlichen Habitats, des Planeten Erde. Die Erdgeschichte ist Teil der Geschichte des Universums und umfasst angesichts ihrer Kleinheit eine erstaunlich große Zeitspanne: Der Planet ist etwa 5 Mrd. Jahre alt. Seit etwa 3,5 Mrd. Jahren gibt es Lebensformen auf der Erde. Die Daten der Evolutionsbiologie, die in den letzten Jahrzehnten zusammengetragen wurden, geben einen guten Überblick über die Entwicklung des Lebens auf der Erde, auch wenn die Forschung in diesem Bereich weit davon ent­fernt ist, eine vollständige Darstellung liefern zu können. Zudem gibt es immer noch grundlegende Fragen, etwa die, wie die „Akteure“ inner­halb des Evolutionsgeschehens zu beschreiben sind, die am „struggle for existence“ teilhaben, ob es die Arten sind, wie es Charles Darwin dar­stellt, oder doch Individuen oder gar die Gene, wie es Richard Dawkins vorschlägt. Unabhängig von diesen konzeptionellen Fragen ergibt die Vielzahl der Erkenntnisse ein so engmaschiges Netz von Daten, dass es völlig abwegig zu sein scheint, dass die theoretische Konzeption der Evolutionsbiologie noch einmal grundlegend in Frage gestellt werden könnte. Die Entwicklung des Menschen als homo sapiens wiederum ist Teil dieser evolutionären Entwicklung. Mensch und Affe haben gemein­same Vorfahren, vor etwa zwei Millionen Jahren hat sich die Gattung homo ausdifferenziert, vor etwa 200.000 Jahren die heute rezente Art homo sapiens sapiens, der Mensch, wie wir ihn kennen.

Wie geht man nun angesichts dieses Wissens mit dem biblischen Schöp­fungsbericht um? Die naturwissenschaftliche Beschreibung der Welt als Universum und des Menschen als Teil des evolutionären Geschehens stellt die religiöse Rede von der Schöpfung vor gravierende Probleme. Worauf bezieht sich der Begriff der Schöpfung im Unterschied zu den naturwissenschaftlichen, vom Universum, von dem Planeten Erde, von der Entwicklung der Arten bis hin zum homo sapiens?

Nicht selten wird dann der biblische Schöpfungsbericht religionshisto­risch relativiert: Das Volk Israel hat mit dieser Erzählung die Entstehung der Welt und des Menschen für die damalige Zeit gedeutet. Man kann et­wa den ersten Schöpfungsbericht der Bibel als eine kritische Abset­zung gegenüber babylonischen Schöpfungsmythen der Exilzeit sehen, die den Sternen und der Sonne eine göttliche Rolle zuwiesen. Sonne und Mond sind hiernach keine Gottheiten, sondern nur Werke des schöpfe­risch tätigen Gottes. Doch bieten diese historischen Erklärungen der konkreten Gestalt des biblischen Schöpfungsberichts keine Grundlage für die Relevanz der Rede von der Schöpfung heute. Denn heute muss sich der Begriff nicht von babylonischen Schöpfungsmythen absetzen, sondern von naturwissen­schaftlichen Be­schreibungen, wenn er denn eine eigenständige Relevanz haben will. Diskussionen, in denen Chris­tin­nen und Christen die Schöpfung durch Gott behaupten, spitzen sich deshalb schnell auf die Frage zu, ob sie der naturwis­senschaftlichen Beschreibung zustimmen oder ob sie sie ablehnen und dem biblischen Bericht den Vorzug geben. Im Raum der europäischen Kirchen ist die Antwort überwiegend die, dass zunächst einmal die naturwissen­schaft­liche Beschreibung bestätigt wird. Doch auch dann bleibt die Frage, ob die Schöpfung nur ein Synonym zu dem des Universums ist oder ob dieser Begriff einen eigenen, von Universum unterscheidbaren Informa­tionsgehalt hat.

2. Die leibliche Existenz als Grundlage für die Erkenntnis der Wirklichkeit

Eine Pointe der Begriffe Schöpfung und Universum liegt darin, dass sie den Anspruch erheben, eine Aussage über das Ganze der Wirklichkeit zu machen. Nun lautet die entscheidende Frage: Kann die mit naturwis­sen­schaftlichen Mitteln gefundene Beschreibung der Welt als Universum das Ganze der Wirklichkeit abbilden? Das Universum beruht auf einer physikalischen Beschreibung, die die Objektivierung des Beschriebenen voraussetzt. Es gibt gute philosophische Gründe, warum das so Beschrie­be­­ne nicht das Ganze der Wirklichkeit sein kann. Der Philosoph Thomas Nagel weist darauf hin, dass dieses objektive Bild nicht berücksichtigen kann, dass der objektivie­rende Beobachter selbst Teil dieses Universums ist (vgl. Nagel 1986). Selbst wenn es, so Thomas Nagel, gelänge, die gan­ze Welt einschließlich des Individuums „Thomas Nagel“ objektivierend zu beschreiben, so wäre es ihm nicht möglich, in diesem Bild die Tatsa­che zu berücksichtigen, dass es ihm, Thomas Nagel, nicht egal ist, dass er eben jener „Thomas Nagel“ ist. Das heißt, die persönliche Verfloch­tenheit des Betrachters mit dem Betrachteten muss in dem objektivie­renden Bild außen vor bleiben. Doch damit bleibt eine entscheidende Qualität der Wirklichkeit, in der wir leben, außen vor.

Das Problem ist, dass wir uns nicht genügend von der Wirklichkeit dis­tan­zieren können, um sie als ganze objektivierend zu beschreiben. Als leiblich existierende Wesen sind wir auf konstitutive Weise immer zu­gleich auch Teil der zu beschreibenden Wirklichkeit. Wenn wir uns auf das Ganze der Wirklichkeit beziehen, verlieren wir in gewisser Weise die Kontrolle über die Erkenntnisbedingungen. Wir können das zu Erken­nen­de von der Art und Weise, wie wir erkennen, nicht mehr hinreichend unterscheiden. Voraussetzungslose Erkenntnis ist für leibliche Wesen nicht möglich. Der Philosoph Maurice Merleau-Ponty hat mit phänome­no­lo­gischen Mitteln diese Verwobenheit des Beobachters mit dem Beob­achteten beschrieben, indem er die menschliche Existenz als leibliche Existenz darstellte (vgl. Merleau-Ponty 1945). Unser Leib lässt sich in diesem Sinne so charakterisieren, dass er sowohl dem Beobachtenden zugehört wie auch dem Beobachteten. Gerade weil wir leibliche Wesen sind, haben wir keine Möglichkeit, zu der Wirklichkeit im Ganzen in Distanz zu gehen, wir müssten dann unser Eingebundensein verleug­nen. Nach Merleau-Ponty gehen wir immer schon von einem „Wahrneh­mungsglauben“ aus, wir setzen immer schon etwas voraus, wir sind im­mer schon von der zu untersuchenden Wirklichkeit geprägt. Das führt aber zu der Erkenntnis, dass wir uns aufgrund unserer leiblichen Exis­tenz nicht nur in einem aktiven, kontrollierenden Verhältnis zur Wirk­lichkeit befinden. Unser Verhältnis zur Wirk­­lichkeit ist zentral durch ein passives Moment bestimmt, wir sind immer schon Teil der Wirklichkeit, bevor wir uns Gedanken über die Wirklichkeit machen können.

Was folgt aus dieser Beschreibung unserer leiblichen Existenz? In aller Kürze können wir festhalten: Wenn wir das Ganze der Wirklichkeit er­kennen wollen, entgleitet uns eine vollständige Kontrolle des Erkennt­nisprozesses. Man kann in der Tat die Wirklichkeit mit physikalischen Methoden als Universum beschreiben. Doch ist es nicht möglich, ebenso den Vorgang des Beobachtens vollständig mit physikalischen Mitteln zu bestimmen. Die eigene existentielle Beteiligung bleibt bei der Beschrei­bung des Universums außen vor. Das muss man wissen, wenn man vom Universum redet. Gleiches gilt auch für andere wissenschaftliche Be­schrei­bungen, etwa die Darstellungen der Evolutionsbiologie. Wissen­schaftliche Methoden bewirken eine Distanzierung zu dem zu Beobach­ten­den. Das ist auf der einen Seite ihre unbezweifelbare Stärke, denn unabhängig von ihrer existentiellen Situation können Wissenschaftle­rin­nen und Wissenschaftler sich auf eine gemeinsame Beschreibung eini­gen. Doch zugleich lässt die Fähigkeit nach, ihre Verwobenheit mit dem, was sie beobachten, zu beschreiben. Das ist zumeist kein Problem, die Verwobenheit mit einem beliebigen Objekt, etwa mit einer Kaffeetasse, ist gering. Hier lässt eine objektive Darstellung nichts vermissen. Doch ist das Ganze der Wirklichkeit anders geartet als eine Kaffeetasse. Beim Ganzen der Wirklichkeit bleibt notwendigerweise ein blinder Fleck, der nur indirekt adressiert werden kann. Jede konfrontative, jede sich me­tho­disch distanzierende Haltung muss jene Verbundenheit ignorieren, die zugleich Grundlage unserer Existenz ist. Unsere existentielle Ver­bundenheit lässt sich nur indirekt adressieren.

3. Besonderheiten des Begriffs der Schöpfung

Diesen hier zunächst allgemein philosophisch beschriebenen Sachver­halt bringt der biblische Bericht der Schöpfung auf eigene Weise zum Ausdruck. Wer von der Schöpfung redet, weist auch auf den Schöpfer und damit ebenso auf das passive Moment der eigenen Existenz (vgl. Vogelsang 2016, 263 ff.). Die Welt wird wie das eigene Leben zu einer Gabe, die man dankbar annehmen kann. Hier bietet die Darstellung der Wirklichkeit als Schöpfung Hinweise auf Aspekte der Wirklichkeit, die nicht Teil einer naturwissenschaftlichen Darstellung werden können. Diese Aspekte lassen sich wegen des passiven Moments nicht in ein Wissen überführen, das in klaren Begriffen beschreibbar wäre. Sie sind eher Momente unseres existentiellen Bestimmtseins. In diesem Sinne geht der Begriff der Schöpfung über den Begriff des Universums hinaus. Er berücksichtigt, dass der Beobachtende Teil des Beobachteten ist.

Das, auf das der Begriff Schöpfung im Besonderen weist, ist deshalb kein Wissen im eigentlichen Sinn. Es ist eher ein Ausdruck für die Aner­kennung unserer existentiellen Grundbedingung. Diese Bedingungen kann man nicht in ein begriffliches Wissen überführen, aber man kann es indirekt über Erzählungen beschreiben. Der Schöpfungsbericht hat nicht von ungefähr die Form einer Erzählung. Schon Platon hat darauf hingewiesen, dass die Darstellung der Schöpfung die Form einer Erzäh­lung haben muss (vgl. Platon 2016, 29c–d). Erzählungen sind nicht dar­auf angewiesen, dass die methodische Distanz, die in einer naturwis­­senschaftlichen Beschreibung vorausgesetzt ist, eingehalten werden muss. Ein wichtiges Beispiel dieser Leistung einer Erzählung, existen­tielle Aspekte des Erzählenden mit aufzunehmen, ist etwa die autobio­graphische Erzählung. Gefragt, wer man sei, beginnt man zu erzählen: Ich bin dort aufgewachsen, habe jene Schulen besucht, diese Ausbildung gemacht, diese und jene Menschen kennengelernt, geheiratet usw. Er­zäh­­lungen dieser Art sind die vornehmliche Weise, wie wir uns unserer eigenen Identität versichern, ohne uns zu objektivieren. Die Rede von der Schöpfung hat immer auch mit der Erfahrungswelt der an der Rede beteiligten Menschen zu tun (vgl. Link 2012, 40).

Erzählungen haben darüber hinaus noch andere Eigenschaften als natur­wissenschaftliche Theorien. Erzählungen kennen einen Anfang und ein Ende, sie setzen einen Anfang. Dieser Anfang ist fragil, er kann jederzeit auch durch einen anderen ausgetauscht werden, was wiederum eine Aus­wirkung auf die Erzählung hat. Erzählungen bilden keine festen Ord­nungen, sondern eher Arrangements, die von spannungsvollen Verhält­nissen geprägt sind. So entwickelt sich in den Erzählungen ein Gesche­hen, das nie vollständig überblickt werden kann. Erzählungen rechnen mit dem, was in ihren Ordnungen nicht aufgeht, auch mit dem, was eine Ordnung setzt, so zum Beispiel ein Anfang. Die physikalische Größe der Zeit sieht keinen Index vor, die einen besonderen Zeitpunkt als absolu­ten Anfang ausweisen könnte. Deshalb ist in der kosmologischen Theorie nur eine asymptotische Annäherung an den Moment des Urknalls dar­stell­bar. Sollte es eines Tages gelingen, den Urknall in eine physikalische Theorie einzubinden, dann entstünde sofort die Frage: Und was war da­vor? Erzählungen haben dagegen die Fähigkeit, von einem (stets gesetz­ten) Anfang zu reden.

4. Wirkungen des Begriffs der Schöpfung

Das, was an der biblischen Schöpfungserzählung heute noch aktuell ist, ist nicht die Ausführung, etwa die Vorstellung von sechs voneinander un­terscheidbaren Phasen, den biblischen „Schöpfungstagen“. Der theologi­sche Gehalt besteht nicht so sehr in der detaillierten Beschreibung der einzelnen Schritte der Schöpfung. Das scheint übrigens immer schon ge­golten zu haben, denn sonst wäre es kaum vorstellbar, dass die Redak­teure des biblischen Textes die beiden disparaten Schöpfungsberichte so unvermittelt aneinander gereiht hätten. Offenkundig geht es hier nicht um eine Systematik. Entscheidend an der Schilderung der Schöpfung ist, dass die Wirklichkeit, wie wir sie erleben, nicht aus sich selbst heraus verstehbar ist, dass sie auf Voraussetzungen weist, die wir als erkennen­de Menschen nicht kontrollieren können. Wir finden uns immer schon als leibliche, und das heißt, als mit der Wirklichkeit verwickelte Wesen vor. Den Anfang setzen nicht wir, wir erleben ihn als gesetzt und können ihn nur nachträglich erzählerisch versuchen einzufangen.

Es gibt einen weiteren Aspekt, auf den die Erzählung von der Schöpfung weisen kann. Eine naturwissenschaftliche Beschreibung der Wirklichkeit muss sich aufgrund der methodischen Distanzierung jeder moralischen Wertung enthalten. Dies erzwingen die Methoden, die der naturwissen­schaftlichen Erkenntnis zugrunde liegen. Anders ist es bei der Schöp­fungs­erzählung, Gott resümiert am Ende des sechsten Schöpfungstages: „Und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31). Die Schöpfung ist die gute Schöp­­fung, eine zu bewahrende Schöpfung. Der Mensch ist nicht neu­tra­ler Beobachter, sondern er ist voll und ganz Teil der Schöpfung und soll die übrige Schöpfung wie ein Gärtner behüten und bewahren. So wie Thomas Nagel es nicht egal ist, dass er mit dem Individuum Thomas Nagel identisch ist, so ist es Christinnen und Christen nicht egal, dass die Schöpfung so ist, wie sie ist.

In den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts ist der Begriff der Schöp­fung in dem Slogan „Schöpfung bewahren“ zu einer weit über die Kirche hinaus verbreiteten Ausdrucksform geworden. Vielleicht lässt sich ja ihr Erfolg darüber erklären, dass sie ein starker Ausdruck für die existentielle Verwobenheit von uns Menschen mit der Wirklichkeit ist. Sie betont eine Weise unserer Existenz, die naturwissenschaftliche Darstellungen aus grundsätzlichen Gründen nicht erfassen können. Der Begriff der Schöpfung gibt zugleich eine Ahnung dafür, dass die Wirklichkeit nicht wertneutral beschrieben werden kann, dass ihr ein Sinn innewohnt, der eine engagierte Bewertung notwendig macht.

So kann man schließlich festhalten: Wer von der Schöpfung redet, redet von einer weiteren Wirklichkeit als eine naturwissenschaftliche Darstel­lung der Welt als Universum. Diese Rede verleugnet nicht das natur­wis­senschaftliche Wissen. Sie kann sich aber auch auf einen Anfang bezie­hen, sie zeigt die Wirklichkeit so, dass wir, die Beobachtenden, existen­tiell in sie eingebunden sind und dass es für uns ein passives Moment gibt, über das wir nicht verfügen und das wir auch nicht aufheben kön­nen. Schließlich betont der Begriff die Sinnhaftigkeit der Ordnungen, die wir erkennen können. Unser Leben ist immer ausgesetzt und gefährdet. Das Leben ist begrenzt und stets von dem Tod bedroht. Doch all das nimmt ihm seine Würde nicht. Wer von der Schöpfung redet, bestätigt, dass die Wirklichkeit als Grundlage allen Lebens wertvoll ist: „Und siehe, es war sehr gut.“