Inhalt

Laudato si’ revisited

Pastorale Konsequenzen der „Sorge für das gemeinsame Haus“

Klimawandel, nachhaltige Entwicklung und globale Gerechtigkeit sind welt­weite dringliche Herausforderungen, die in der Enzyklika „Laudato si’“ erst­mals auch vom päpstlichen Lehramt systematisch besprochen werden. Den­noch spielt das Thema „Schöpfungsverantwortung“ bislang keine zentrale Rolle im kirchlichen Kontext. Mattias Kiefer plädiert dafür, auch die pastora­le Relevanz dieses Themas anzuerkennen, damit Kirche nicht bei den anste­hen­den gesellschaftlichen Transformationsprozessen außen vor bleibt.

Eineinhalb Jahre ist es nun her, dass Papst Franziskus seine Enzyklika „Laudato si’“ (im Weiteren: LS) am 18.6.2015 der Weltöffentlichkeit vorgestellt hat. Eineinhalb Jahre, in denen der anfängliche mediale Hype mit schnellen Reaktionen aus Kirchenamt, Politik und umwelt- und ent­wicklungspolitischer Zivilgesellschaft abgelöst wurde von einer mit dem Herbst 2015 einsetzenden intensiven binnenkirchlichen Befassung u. a. in Räten, Verbänden, den Hilfswerken und der katholischen Erwachse­nen­bildung; eineinhalb Jahre, in deren Verlauf der Text der Enzyklika beim Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz nachgefragt und ab­ge­rufen wurde wie noch keine Veröffentlichung zuvor in dessen Ge­schich­te. Trotz dieser zum Teil beeindruckenden Aktivitäten kann man sich inzwischen des Eindrucks nicht erwehren, dass die Enzyklika außer- wie binnenkirchlich weitgehend „durch“ ist, abgehakt, ohne dass sich jedoch an der in der Enzyklika sehr deutlich kritisierten Ausgangssitua­tion wahrnehmbar etwas verändert hätte.

Der Befund des Papstes ist klar: Das gemeinsame Haus, der Planet Erde, ist in großer Gefahr, sozial wie ökologisch. Das vielfältige Leid der Armen und der Schrei des Planeten fordern ein grundlegendes Umsteuern des Einzelnen wie der Weltgemeinschaft, da ein Weitermachen wie bisher zutiefst ungerecht und gleichzeitig nicht dauerhaft-zu­kunftsfähig ist. Ungerecht, weil der Großteil der Menschheit ausgeschlossen wird von echter umfassender Entwicklung, nicht nachhaltig, nicht dauerhaft-zukunftsfähig, weil die planetaren Grenzen, die ökologischen Leitplan­ken heute schon bzgl. des globalen Klimawandels, des massiven Rück­gangs der Biodiversität und eines völlig aus dem Gleichgewicht gerate­nen Stickstoff-Kreislaufs in Böden und Wasser deutlich überschritten werden.

Warum aber ist trotz dieses eindringlichen Aufrufs des Papstes zur Än­derung der eigenen Alltagsroutinen selbst seine Kirche offenbar so schnell wieder zur Tagesordnung, zum business as usual, überge­gangen?

Dieser Beitrag versucht, im ersten Teil einige der möglichen Gründe hier­für nachzuzeichnen, die u. a. – so eine der hier vertretenen Thesen – mit einer unzulänglichen Kategorisierung der Enzyklika zusammenhängen, was wiederum das Heraustreten des Themas „Schöpfungsverant­wor­tung“ aus seiner bisherigen kirchlichen Randexistenz erschwert. Das Anerkennen der auch pastoralen Dimension des Themas – der zweite Teil des Beitrags – aber wäre unabdingbare Voraussetzung, soll Kirche zukünftig einen ihrem Selbstverständnis (vgl. als eine von vielen mögli­chen Referenzen Gaudium et spes 3) entsprechenden wichtigen Part in den gesellschaftlich und politisch bevorstehenden Transformations­pro­zessen spielen. Der abschließende dritte Teil des Beitrags will anhand einiger konkreter Beispiele aufzeigen, wo pastorale Handlungsnot­wen­digkeiten liegen und worin deren pastorale Potenziale bestehen.

Etikettierungen und ihre Folgen

Die ersten Reaktionen nach ihrer Veröffentlichung deklarierten LS als Umwelt-, Öko- oder Klimaenzyklika. Dafür sprechen gute Gründe: Zum einen firmierte sie bereits während der knapp zweijährigen Vorbericht­erstat­tung wiederholt als ebensolche, zum zweiten handelt es sich bei LS tatsächlich um die erstmalige ausführliche und systematische Aus­ein­andersetzung des päpstlichen Lehramts mit Fragen der Ökologie, nach punktuellen Einlassungen zum Thema aller Päpste seit Paul VI., und zum dritten wollte Papst Franziskus erklärtermaßen den politischen Prozess der globalen Klimaverhandlungen vor allem im Hinblick auf die COP21, den Weltklimagipfel in Paris Ende November 2015, positiv be­ein­flussen, etwa wenn er in der Enzyklika scheinbar lapidar, aber folgen­schwer, feststellt: „Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle“ (LS 23). Nach Aussagen etlicher maßgeblich an den Ver­handlungen Beteiligter spielte der Papst, spielte die Enzyklika dann tat­sächlich eine nicht zu unterschätzende Rolle beim Zustandekommen des einstimmig verabschiedeten Pariser Beschlusses, die globale Erwär­mung bis 2050, gemessen am Referenzjahr 1990, auf unter zwei Grad zu begrenzen.

Dennoch haben viele Kommentatoren im weiteren Verlauf der Diskus­sion zu Recht darauf hingewiesen, dass LS weit mehr ist als eine bloße „Öko-Enzyklika“: Aufgrund der Verklammerung der Umwelt- mit Ar­muts- und Gerechtigkeitsfragen handele es sich um eine genuine Sozial­enzyklika, die die Tradition der kirchlichen Soziallehre fortschreibe, wenngleich erstmals ergänzt um die Folgen menschlichen Handelns auch für die natürliche Um- und Mitwelt, also mit Blick nicht nur auf die Mitmenschen, sondern ebenso auf den nichtmenschlichen Teil der Schöpfung. Die Reichweite dieses Schritts kann dabei nicht hoch genug eingeschätzt werden, dürfte doch das Miteinbeziehen von Langzeitfol­gen menschlichen Handelns auch auf die Ökosysteme in der katholi­schen Sozialethik von nun an gesetzt sein.

Die Kategorisierung von LS als Umwelt- bzw. Sozialenzyklika scheint in der binnen- wie außerkirchlichen Rezeption bislang die bei Weitem vor­herrschende – mit der unbeabsichtigten Folge, dass die Enzyklika als solche inzwischen kaum mehr Interesse hervorruft. Warum? Seine mit ihrer Veröffentlichung verbundenen unmittelbaren politischen Ziele hat der Papst ja offenkundig erreicht, das Abkommen auf dem Weltklima­gip­fel und die Verabschiedung der neuen sustainable development goals durch die UN-Vollversammlung im September 2015; das Thema des Agenda-Settings bzgl. der Weiterentwicklung der kirchlichen Soziallehre scheint erfolgreich erledigt (was aber ohnehin nur den Spezialdiskurs einer kleinen sozialethischen Expertengemeinde interessiert); und für den verbleibenden Rest, also das jährliche Fastenessen, das Umweltpa­pier im Pfarrbüro und die Versorgung der auch bei uns am Rande der Gesellschaft Lebenden, gibt es kirchliche Spezialisten. Für die Mehrheit der catholica also ein Haken unter der Enzyklika – um was kümmern wir uns als nächstes?

Möglicherweise noch zusätzlich verstärkt wurde und wird ein derartiges Gefühl des „Fertigseins“ mit LS durch eines der spezifischen Merkmale der Enzyklika selbst, die sich – ein Novum in der Geschichte des päpst­lichen Lehramts – ja ausdrücklich versteht als Dialogangebot an „jeden Menschen, der auf diesem Planeten wohnt“ (LS 3). Darüber wurde und wird aber dann gern vergessen, dass es sich zumindest für die Katholi­kinnnen und Katholiken trotzdem immer noch um eine Enzyklika han­delt, also um ein Lehr- und Mahnschreiben eines Papstes an seine Kirche mit hohem Verbindlichkeitsgrad, die Herausforderung der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Text also bestehen bleibt.

Auch wenn die meisten LS nun mit einem ähnlichen Etikett versehen ha­­ben, ist damit ja noch nichts darüber ausgesagt, ob das Etikett wirklich zu den Inhalten passt. Was also sind die zentralen Themen? LS 16 be­nennt sie selbst als „die enge Beziehung zwischen den Armen und der Anfälligkeit des Planeten; die Überzeugung, dass in der Welt alles mit­ein­ander verbunden ist; die Kritik am neuen Machtmodell und den For­men der Macht, die aus der Technik abgeleitet sind; die Einladung, nach einem anderen Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt zu suchen; der Eigenwert eines jeden Geschöpfes, der menschliche Sinn der Ökolo­gie; die Notwendigkeit aufrichtiger und ehrlicher Debatten; die schwere Verantwortung der internationalen und lokalen Politik; die Wegwerf­kul­tur und der Vorschlag eines neuen Lebensstils“.

Diese Reihung nun führt etliche Themen auf, die auch Gegenstand einer klassischen Sozialenzyklika sein könnten: die Frage weltweiter Gerech­tig­keit etwa, die Macht- und Systemfrage, das Thema Verantwortung auf unterschiedlichen Regelungs- und Entscheidungsebenen. Die ande­ren dort genannten Themen aber sind viel allgemeinerer Natur: Sie grei­fen einmal mehr immer wiederkehrende Anliegen dieses Pontifikats auf – vgl. dazu Bernd Hagenkord, der auf den engen Zusammenhang zwi­schen Evangelii gaudium, der Programmschrift Papst Franziskus’ für seine Kirche, und LS verweist –,  und sie stellen in Form einer Grundla­gen­reflexion einen Zusammenhang her zwi­schen einem „neuen Lebens­stil“ und dessen geistlich-religiöser Fundierung. In Michael Rosenber­gers Interpretation ist LS deshalb mindestens so sehr als eine Enzyklika zur Spiritua­lität zu lesen wie als Sozialenzyklika – mit LS 216 als Kron­zeuge: „Ich möchte den Christen einige Leitlinien ökologischer Spiritua­lität vorschlagen, die aus den Überzeugungen unseres Glaubens ent­sprin­gen, denn was das Evangelium uns lehrt, hat Konsequenzen für unsere Art zu denken, zu empfinden und zu leben. Es geht darum, nicht so sehr über Ideen, sondern vor allem über die Beweggründe zu spre­chen, die sich aus der Spiritualität ergeben, um eine Leidenschaft für den Umweltschutz zu fördern. Denn es wird nicht möglich sein, sich für große Dinge zu engagieren allein mit Lehren, ohne eine »Mystik«, die uns beseelt, ohne »innere Beweggründe, die das persönliche und ge­mein­schaftliche Handeln anspornen, motivieren, ermutigen und ihm Sinn verleihen« (EG 261).“

Einen der Kerninhalte der Enzyklika bildet denn auch die bibeltheolo­gisch und dogmatisch abgestützte Reflexion des Papstes über den christ­lichen Schöpfungsglauben, damit einer spezifischen Deutung von Welt und ihres Verhältnisses zu Gott. Papst Franziskus entfaltet das Angebot des christlichen Glaubens zur Interpretation von Wirklichkeit und fordert dabei auf zu einer ganzheitlichen, einer spirituellen Wahrnehmung von Realität als Gottes Schöpfung. Aus dieser Weltsicht heraus, genährt von einer „ökologischen“, das heißt ganzheitlichen bzw. integralen Spiritua­lität, entwickeln sich in seiner Lesart dann mehr oder weniger automa­tisch andere, lebensverträglichere Praxen, bis sie zu einem neuen Le­bens­stil werden, der den großen sozialen und ökologischen Heraus­for­derungen entspricht.

Spielfeldverschiebung – re-framing

Damit hat der Papst das Feld verschoben, auf dem bislang kirchlicher­seits das Thema Schöpfungsverantwortung i. d. R. gespielt wurde: ein Stück weg von den Katholischen Büros, den Räten und Verbänden, die versuchen, die kirchliche Position im Wettstreit der Argumente einer pluralen Demokratie hörbar werden zu lassen; auch ein Stück weg von den (wenigen) kirchlichen Fachleuten, die sich um globale Gerechtigkeit und einen kleineren ökologischen Fußabdruck des eigenen kirchlichen Handelns kümmern; und ein großes Stück hinein in das Feld der Pastoral.

Ganz in dieser Logik liegen dann auch die wenigen konkreten Forderun­gen des Papstes in Richtung seiner Kirche, die LS formuliert:

  1. Katechese und Verkündigung: „In jedem Fall wird man an die Glau­benden appellieren müssen, in Übereinstimmung mit ihrem Glauben zu leben und ihm nicht mit ihrem Tun zu widerspre­­chen; man wird sie ermahnen müssen, sich wieder der Gnade Gottes zu öffnen und zutiefst aus den eigenen Überzeugungen von Liebe, Gerech­tigkeit und Frieden zu schöpfen“ (LS 200).
  2. Verkündigung und Erziehung/Bildung: „Auch der Kirche kommt diese Aufgabe [die Sensibilisierung der Bevölkerung] zu. Alle christlichen Gemeinschaften haben bei dieser Erziehung eine wichtige Rolle zu erfüllen. Ich hoffe auch, dass in unseren Semi­na­ren und den Ausbildungsstätten der Orden zu einer verant­wort­lichen Genügsamkeit, zur dankerfüllten Betrachtung der Welt und zur Achtsamkeit gegenüber der Schwäche der Armen und der Umwelt erzogen wird“ (LS 214).
  3. Pflege einer Spiritualität, „die nicht von der Leiblichkeit, noch von der Natur oder den Wirklichkeiten dieser Welt getrennt ist, son­dern damit und darin gelebt wird, in Gemeinschaft mit allem, was uns umgibt“ (LS 216).

Neu an diesen Forderungen ist ihr Absender, das päpstliche Lehramt. In der Sache ganz ähnlich dagegen haben bereits vor knapp 20 Jahren die deutschen Bischöfe in ihrem umfangreichen Dokument „Handeln für die Zukunft der Schöpfung“ (1998) argumentiert:

  • „[D]ie Umweltfrage [geht] auch die Kirche unmittelbar an. Die spiri­tu­elle und gemeinschaftsstiftende Kraft des Glaubens und das darin gründende pastorale Handeln der Kirche können und sollen einen wichtigen Beitrag zu einer notwendigen Erneuerung leisten“ (HZS 165).
  • „Eine solche theologische Begründung des Umweltengagements, die von dem ureigensten Sendungsauftrag der Kirche ausgeht, kommt aus der Mitte des Glaubens. […] Einbindung in die Pastoral kann dazu beitragen, daß das Umweltengagement nicht in einem reinen Prag­ma­­tismus verflacht, sondern auch die spirituellen, geistigen und see­li­schen Dimensionen des Handelns für die Zukunft der Schöpfung angesprochen werden“ (HZS 166).
  • „Dennoch hat die ökologische Frage bisher noch zu wenig Eingang in den Kernbereich des kirchlichen Handelns gefunden. Umweltengage­ment gilt innerhalb der verschiedenen kirchlichen Aufgabenfelder vielfach nur als sogenannte ‚Vorfeldarbeit‘, die zwar der eigentlichen Aufgabe der Kirche, dem pastoralen Heilsdienst am Menschen, indirekt zugutekommen könne, aber nicht integral zur Pastoral gehöre“ (HZS 168).

Noch einen Schritt weiter gingen die deutschen Bischöfe acht Jahre spä­ter, als sie in ihrem Papier zum Klimawandel aus dem Jahr 2006 sehr klar festhielten:

  • „Für eine ernsthafte Wahrnehmung der kirchlichen Klimaverantwor­tung ist […] unverzichtbar: a) eine pastorale Verankerung der Schöp­fungsverantwortung im Selbstverständnis der Kirche sowie in der Diakonie, Verkündigung und Liturgie; Schöpfungsverantwortung ist genuiner Teil des pastoralen Auftrags der Kirche […]“ (Klimawan­del 62).

Von der pastoralen Vorfeldarbeit als Querschnitt hinein in die kirchlichen Grundvollzüge, eine fürwahr steile Karriere – leider weitgehend be­schränkt auf geduldiges Papier, die kirchliche Praxis in Deutschland sieht trotz der mehrfachen Bekräftigung der herausragenden Bedeutung der Pastoral anders aus. Als Querschnittsaufgabe kirchlichen Handelns ist Schöpfungsverantwortung in den Diözesen seltenst verortet, es gibt in den deutschen Bistümern zudem nach wie vor kaum Fachpersonal für Umweltfragen: Von den 27 Bistümern haben aktuell gerade einmal vier hauptamtliche diözesane Umweltbeauftragte mit vollem Stundende­putat; dort, wo es in den letzten Jahren diesbezüglich Fortschritte gab, passierte das in der Regel auf Grundlage eines Förderprogramms, der sog. Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums, d. h. mit zeitlich befristeten Projektstellen; in den Ausbildungs-Curricula v. a. des pastoralen Personals spielen Fragen einer ganzheitlichen Spiritualität und praktischer Schöpfungs­verantwortung – wenn überhaupt – eine höchstens marginale Rolle; die Struktur der Organe der Deutschen Bi­schofskonferenz bildet gleichermaßen nur das ab, was überall der Fall ist: eine bestenfalls sehr nachgeordnete Stellung des Themas Schöp­fungs­verantwortung; und immer wieder bekommen die Fachstellen in den Ordinariaten Rückmeldungen aus den ortskirchlichen Kontexten, d. h. in der Regel von der Gemeindeebene, dass „Schöpfung“ als Thema der Verkündigung bzw. in liturgischen Kontexten dort so gut wie nicht vorkommt.

Die hier vertretene zusammenfassende Doppelthese lautet demnach:

  1. LS spielt kaum mehr eine Rolle in der binnenkirchlichen Diskus­sion, weil die Enzyklika vermeintlich eindeutig etikettiert und da­mit gleichzeitig abdelegiert wurde an einen kleinen Kreis von kirchlichen Spezialisten aus dem Umwelt- und globalen Gerech­tigkeitsdiskurs. Damit wurde mit der Enzyklika genau gleich ver­fahren wie kirchlicherseits mit dem Thema Schöpfungsverant­wortung und globaler Gerechtigkeit überhaupt.
  2. Solange die pastorale Dimension des Themas Schöpfungsverant­wortung nicht erkannt und konsequent praktisch umgesetzt wird, wird sich daran wenig ändern. Die Kirche aber wäre schon allein aus Eigeninteresse gut beraten, diesen Kurs viel stringenter zu verfolgen, da die Handlungsfelder Schöpfungsverantwortung und globale Gerechtigkeit großes pastorales Potenzial enthalten.

Im nun folgenden abschließenden Teil soll obige zweite These anhand einiger konkreter Beispiele illustriert werden, die aufgrund des Erfah­rungshintergrunds des Autors vornehmlich das Thema Schöpfungs­ver­antwortung im Blick haben.

Schöpfungsverantwortung in pastoraler Perspektive

Zwei Leitplanken für die folgenden Überlegungen seien klärend vor­aus­geschickt:

  1. Mit dem pastoralen Aufgreifen des Themenfelds Schöpfungsver­antwortung inklusive seines Kontexts globaler Gerechtigkeit be­treibt Kirche kein Zeitgeist-Surfing, sondern sie würde ganz im Sinn der oben zitierten DBK-Positionen versuchen, ein spätestens mit LS als Merkmal christlicher Identität verstandenes Thema zu operationalisieren.
  2. Es handelt sich um ein Aufgaben- und Handlungsfeld, das in un­terschiedlichen Konzeptionen von Pastoral geboten ist, sowohl in ihrem eher klassischen Verständnis als Pastoral des Angebots bzw. Erreichens als auch in ihrer neueren Variante einer Pastoral des Lernens unter den Bedingungen von Säkularität. Vor dem Hin­tergrund der bevorstehenden grundlegenden Transforma­tionsdebatten in Politik und Gesellschaft, zu denen uns Phäno­me­ne wie das Erreichen und zunehmende Überschreiten der pla­ne­taren Grenzen, Ressourcenerschöpfung, Klimawandel, Migra­tion, Globalisierung etc. zwingen, werden vermutlich beide pas­toralen Paradigmen ihre Berechtigung haben und entsprechend nachgefragt werden.

Praktizierte Schöpfungsverantwortung ist als Thema attraktiv für Grup­pen, die sich von den traditionellen Partizipationsangeboten einer Orts­gemeinde wenig ansprechen lassen, namentlich Männer sowohl in der Familienphase – aufgrund der erhöhten Sensibilität für Fragen interge­nerationeller Gerechtigkeit – als auch im Ruhestand – wegen der Mög­lich­keit des Einbringens von Erfahrungen und Kompetenzen aus den je­weiligen Berufsbiographien in z. B. Handwerk und Industrie, die kirch­licherseits sonst kaum nachgefragt werden. Zahllose Erfahrungen von Pfarreien und Gemeinden, die sich in den letzten Jahren z. B. um die Einführung von Umweltmanagementsystemen bemüht haben, belegen dies. Solche Aktivitäten dienen des Weiteren häufig dem Gemeindeauf­bau, insofern die Aufbau- und Ablauforganisation, also die Struktur sämtlicher kirchlicher Aktivitäten einer Pfarrei, in solchen Prozessen häufig erstmals erfasst und visualisiert wird.

Gleichermaßen aber ist religiös motiviertes Suchen nach neuen zu­kunfts­fähigen Formen von Gesellschaft und damit sozialem Miteinander attraktiv für Gruppen, die mit ähnlichen Fragen unterwegs sind – dies wäre eine Form pastoralen Lernens, die gerade nicht davon ausgeht, immer schon Antworten für alles und jedes zu haben.

Aktives Schöpfungshandeln hat eine geistig-geistliche Dimension, die sich in ganz konkreter Praxis ausdrücken muss: Hier greift ein pastoraler Angebotscharakter, also z. B. aktiver Klimaschutz vor Ort durch Energie­effizienzmaßnahmen in den Pfarrgebäuden, lokaler Artenschutz und damit Biodiversitätserhalt durch das Mitleben-Lassen von Gebäudebrü­tern und Fledermäusen in den historischen Kirchengebäuden vor Ort, Ressourcenschutz durch Müllvermeidung, Wiederverwenden und Recycling in der Pfarrei etc. Aber aktives Schöpfungshandeln erschöpft sich nicht in dieser Praxis. Letzten Endes zielt es auf eine religiös moti­vier­te, ganzheitliche, individuelle wie kollektive Umkehrbewegung, wie sie exemplarisch LS beschreibt und über die der Papst mit möglichst vielen unterschiedslos ihrer Herkunft in den Dialog kommen möchte – hier also wieder eher der Ansatz einer Pastoral des gemeinsamen Lernens.

Schöpfungshandeln hat transformierende Kraft und wird insofern in vielen Kontexten als zukunftsweisend wahrgenommen, was ihm pas­toral-missionarisches Potenzial zuweist. In anderen Kreisen, Kontexten und Milieus dagegen definiert öko‑sozial verantwortliches Handeln schlicht den örtlichen Standard – entsprechend zu agieren ist demnach nichts Besonderes, wiewohl nicht so zu handeln als deutlich negativ wahrgenommen würde.

Schließlich: Pastoral braucht Infrastruktur, eine Tatsache, die für zumin­dest manche der pastoral-visionären Theoretiker viel zu mundan ist, als dass sie bei ihren Konzeptdesigns auch nur Beachtung geschweige denn ihren Niederschlag fände. Eine solche Haltung übersieht dabei zum ei­nen, welche Bedeutung Räume und Infrastruktur für lokale kirchliche Identitäten haben – zum Teil über Jahrzehnte ausgeprägt und erhal­ten –, zum anderen aber auch, dass lokales kirchliches Engagement im Haupt‑, vor allem aber Ehrenamt mit viel Einsatz, Energie und häufig hoher Fachkompetenz versucht, genau diese Infrastruktur bereitzu­stel­len. Pastoral passiert über Personen, und entscheidende Personen­grup­pen samt ihrer Anliegen bei Zukunftsplanungen auszublenden, gibt leichtfertig einen großen Vorteil aus der Hand. Das Entwickeln kirchli­cher Gebäudestrategien wird zukünftig für die diözesanen und lokalen Verwaltungen ein noch wichtigeres Thema als heute schon sein, aus finanziellen Gründen, aus Klimaschutzgesichtspunkten bzgl. des Ener­gieverbrauchs bei Bau und Betrieb der Gebäude – samt der damit in Zusammenhang stehenden örtlichen Mobilitätskonzepte – und aus pastoralen Notwendigkeiten. Eine viel stärkere Verzahnung als bislang zwischen pastoraler Planung und Liegenschaftsverwaltung ist dringend geboten.

Kirchliches Eintreten für Klimaschutz und für globale Gerechtigkeit folgt logisch zwingend aus dem christlichen Schöpfungsverständnis, aus einer spezifisch gedachten Gott-Welt-Relation, wie sie die Bibel vorstellt. Die Enzyklika Laudato si’ hat dies so eindrücklich wie eindringlich entfaltet. Eine diesem christlichen Identitätsmerkmal entsprechende, wahrnehm­bare eigene kirchliche Praxis wird sich nur dann einstellen, wenn Schöp­fungsverantwortung und globale Gerechtigkeit nicht als Themen einiger weniger Spezialisten verstanden werden, sondern auch zu einem Thema pastoraler Konzeptentwicklung wie pastoraler Praxis vor Ort werden.