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Jugendkirchen

Wenn der (Kirchen-)Raum die Haltung widerspiegelt

Passt die Gestalt unserer Kirchen noch für die heutigen Menschen? Besonders konsequent stellen sich dieser Frage Jugendkirchen. Eileen Krauße stellt verschiedene Formen von Jugendkirchen vor und zeigt, welche theologische Botschaft Ästhetik haben kann.

Waren Sie schon einmal in einer Jugendkirche?

Haben Sie sich wohlgefühlt?

War etwas anders oder ungewöhnlich für Sie?

Wenn ich an Jugendkirchen denke, fällt mir zunächst die Ästhetik ein. Jugendkirchen strahlen eine besondere Atmosphäre aus, haben für Kir­chenräume ungewöhnliche Gestaltelemente. Zudem denke ich an Licht­inszenierungen und stimmungsvolle Musik – gerade im Gottesdienst. Ich habe durch und durch das Gefühl, es hat sich jemand Gedanken ge­macht. Wenn ich eine Jugendkirche zum ersten Mal betrete, bin ich neugierig und freue ich mich, in mir unbekannten Kirchenräumen Spannendes zu entdecken.

Jugendkirchen gibt es seit 19 Jahren und mittlerweile in fast allen Bistü­mern in Deutschland. Waren Jugendkirchen zunächst außergewöhnlich und als Projekt angelegt, sind sie nun als ein Handlungsfeld ein wichti­ger Baustein in der Fülle der Angebote von Jugendpastoral. (Die weite­ren 14 jugendpastoralen Handlungsfelder und ihre Spezifika sind auf www.jugendpastoral.de nachzulesen.) Die jugendpastorale Vielfalt antwortet auf die Lebenswelten junger Menschen und Jugendkirchen sind ein Teil davon.

Die Anfänge

Als erste katholische Jugendkirche in Deutschland lässt sich die Jugend­kirche TABGHA in Oberhausen bezeichnen. Noch vor Ende des Experi­mentstatus der Jugendkirche TABGHA, der auf fünf Jahre angelegt war, entstanden weitere Jugendkirchen – mittlerweile gibt es deutschland­weit 45 katholische Jugendkirchen. (Zur Vernetzungslandkarte aller Jugendkirchenstandorte in Deutschland gelangt man über www.afj.de/themen/jugendkirchen.)

Doch was war damals eigentlich das Neue und Besondere? Zunächst war das Alleinstellungsmerkmal der Kirchenraum, der als offener und für die jungen Menschen gestaltbarer Raum angeboten wurde. Damit ver­banden sich konzeptionelle Überlegungen: „Einerseits soll den jungen Menschen signalisiert werden, wir meinen es ernst mit unserem Ange­bot an euch, denn wir stellen euch etwas zur Verfügung, das uns etwas wert ist, etwas, das uns heilig ist. Zum zweiten wird auf die ‚Raumspra­che‘ eines Kirchenraums und seine Inszenierung vertraut. Bei allem, was Jugendliche in dem Kirchenraum tun, soll deutlich bleiben, dass sie es im Angesicht Gottes tun“ (Hobelsberger 2009, 92).

Das Besondere an Jugendkirchen ist, dass sie sich die konzeptionelle Weiterentwicklung von Anfang an auf die Fahnen geschrieben haben, so wie es Elisa Stams in ihrem abschließenden Fazit zum Experiment der Jugendkirche TAGHA beschreibt: „Als besonders zukunftsweisend erweist sich dabei die Anlage des Projekts ‚Jugendkirche‘ in der Form des (wissenschaftlich begleiteten) Experiments: Die Jugendkirche ist nicht durch rigide Planungsmuster in ihrer Arbeit eingeengt, sondern kann konzeptionell variabler reagieren. Auch mit der Jugendkirche ist der ‚Stein des Weisen‘ nicht gefunden, aber eine neue, in Teilbereichen sehr vielversprechende Suche hat begonnen“ (Stams 2008, 436).

Jugendkirchenformate

Diese sehr vielversprechende Suche hat eine mittlerweile 19-jährige Geschichte, in der sich unterschiedliche Konzepte ausgehend von der Grundidee Jugendkirche entwickelt haben. Das Bereitstellen eines (sakralen) Raumes bleibt bis heute wichtig und ist ein Spezifikum von Jugendkirchen, nur ist das Vorhandensein eines Kirchenraums nicht mehr das ausschließliche Kriterium. Jugendkirchen erscheinen in folgenden Formen:

  • Jugendkirchen mit Kirchenraumkonzept
    „Als Jugendkirche unterscheidet sich KANA in manchem von ‚klassischen‘ Kirchen, bringt gleichzeitig aber auch viele Gemeinsamkeiten mit. Das Wort Kirche in ‚Jugendkirche‘ steht unter anderem für… neue Ideen // Veranstaltungen // Projekte… die den Kirchenraum als zentrales Ele­ment in den Fokus nehmen. Diesen durch kreatives und innovatives Arbei­ten mit jugendlicher Lebenswelt zu verbinden ist ein grundlegender Ge­danke der jugendkirchlichen Arbeit. […] Jugendkirche lebt allerdings auch von Veränderung. So bringt unsere Arbeit immer auch ein Stück Veränderung in den Kirchenraum. Von ausgestellten Bildern, über Raum­installationen zu einem bestimmten Thema bis hin zur gänzlichen Umge­staltung während unseres Großprojekts.“
    (
    https://jugendkirche-wiesbaden.bistumlimburg.de/beitrag/kana-die-idee-der-jugendkirche/)
    Jugendkirchen mit Kirchenraumkonzept haben einen Kirchenraum zur Verfügung, den sie sowohl für Gottesdienste als auch für Aktio­nen und Projekte nutzen. Diese sind konzeptionell bewusst im Kir­chenraum angesiedelt. Jugendkirchen mit Kirchenraumkonzept sind die Ursprungsjugendkirchen, die die Idee des Raumgebens für junge Menschen erstmalig umgesetzt haben. Hervorstechendes optisches Merkmal ist wohl zunächst das Fehlen von Kirchenbänken, um mit Bestuhlung flexibler sein zu können. Weiteres optisches Merkmal ist die Gestaltung durch Jugendliche, die oftmals eine andere Ästhetik in die Kirche bringt. Konzeptionell ist der Kirchenraum somit Gestal­tungsraum, Aneignungsraum, Resonanzraum und Bühne und Aus­stellungsraum (vgl. Hobelsberger 2009, 92–96).

  •  Hausjugendkirchen
    „kafarna:um ist eine Hauskirche von Jugendlichen und jungen Erwachse­­nen in Aachen. Und vielleicht ist es bald auch Deine Kirche. In kafarna:um muss man nicht Mitglied werden. Du kommst einfach vorbei und wenn Du willst, kommst Du wieder. Weil hier so gut wie täglich neue Freund­schaften entstehen oder jemand die ganz große Liebe findet. Weil hier fast jeden Abend ein Feuer brennt, jemand wunder:volle Musik spielt oder es so lecker aus der Küche duftet. Weil Du hier endlich so beten kannst, wie du es brauchst oder mit anderen nach Antworten auf die kniffligen Fragen des Lebens suchen kannst.“
    (www.kafarnaum.de/neu-hier/)
    Hausjugendkirchen finden haben einen festen Ort, an dem über die Liturgie hinaus das tägliche Leben geteilt wird. Eine Hausjugend­kirche ist ein Raum, der kein Kirchenraum ist, sondern vielmehr ein Raum bzw. eine ganze Wohnung, der/​die als Jugendraum genutzt wird und durch einen Meditations‑/​Gebetsraum quasi „sakralisiert“ wird. Hier wird Gemeinschaft gelebt und so ähnlich dem Modell der urchristlichen Hauskirche Kirche erfahren. In der Hausjugendkirche herrscht ein Geist der Gleichberechtigung, alle bilden gemeinsam Gemeinde, jede/-r hat Zugang (und Schlüssel). Insofern ist die Haus­jugendkirche keine geschlossene Gesellschaft und offen für neue Leute.

  •  Mobile Jugendkirchen
    „OOPS - die mobile Jugendkirche des Dekanats Heidenheim - findet viermal jährlich abwechselnd in den Gemeinden des Dekanats statt.

    OOPS bietet Freiraum um neue Gottesdienstformen kennen zu lernen, Glauben neu zu erleben und sich mit allen Sinnen ansprechen zu lassen.
    OOPS-Gottesdienste finden je an einem Sonntag im Januar, April, Juli und Oktober immer um 18:00 Uhr statt. Außerdem lädt die BDKJ-Dekanatslei­tung am 1. Adventssonntag zum OOPS 4+1 ein.“
    (
    https://heidenheim.bdkj.info/themen/mobile-jugendkirche-oops/)
    Mobile Jugendkirchen sind aufsuchend, bereiten vor und feiern mit Jugendlichen Gottesdienst – in einer Kirche oder an anderen Orten. Sie nutzen Kirchenräume oder andere Orte und bestehen vorrangig im ländlichen Raum. Die Mobilität ist konzeptionell festgeschrieben, um auf die Gegebenheiten vor Ort reagieren zu können.

  •  Teilmobile Jugendkirchen
    „Sam versteht sich als Jugendkirche ohne festen Standort. In der Regel finden die Gottesdienste in St. Michael (Berlin - Kreuzberg) statt, darüber hinaus wird man in der Kirche allerdings nicht erkennen, dass hier eine Jugendkirche angesiedelt ist. Stattdessen geht sam zu den Lebensorten der Jugendlichen, um gemäß dem Leitbild kirchliche Tradition und Jugend­kultur aufeinandertreffen und daraus neue Impulse entstehen zu lassen.“
    (
    www.jugendkirche-berlin.de/ueber-uns)
    Teilmobile Jugendkirchen haben einen festen Standort und dort auch feste und regelmäßige Angebote, sind aber dennoch mobil und auf­suchend, wenn sie andere Orte für Gottesdienste und/​oder Projekte nutzen. Sie versuchen, neben einer Komm-Struktur bewusst andere Orte aufzusuchen und dort mit den jungen Menschen in Kontakt kommen.

Allen Jugendkirchenformen ist somit eines gemeinsam: Jungen Men­schen wird Raum gegeben, sich und ihre Vorstellungen von Kirche einzubringen und zu leben.

Immer mehr Jugendliche haben eine geringe Sozialisierung in Religion und Kirche hinein erfahren, sodass neue Arten von Begegnung mit den jungen Menschen gesucht werden und sich Konzepte weiterentwickeln müssen. In Jugendkirchen geschieht das durch Ausprobieren neuer For­mate und Ideen, die auf das reagieren, was bei Jugendlichen aktuell ist.

Jungen Menschen wird durch und in Jugendkirchen die Gelegenheit ge­geben, sich mit ihrem Leben, mit ihrer Sehnsucht, mit Gott auseinan­derzusetzen. In Jugendkirchen geschieht dies auf vielfältige Weise: durch Kulturarbeit, durch Begegnung, durch Gottesdienst, durch Ver­kündigung und Projekte. Auch hier kommt die Bandbreite der jugend­pastoralen Methoden zur Anwendung, doch scheint dabei eins im Vor­dergrund zu stehen: der Versuch einer Antwort auf die Sehnsucht nach mehr, die Sehnsucht nach Spiritualität. Jugendkirchen haben die Mög­lichkeit, Gottesdienstorte zu schaffen, und sie haben ihre große Stärke in einer jugendaffinen Liturgie, an deren Vorbereitung Jugendliche mit­wirken. Jugendkirchen eröffnen demnach Lebens- und Glaubensräume für junge Menschen und versuchen sich immer wieder neu auf die Le­benswirklichkeiten der jungen Menschen einzustellen.

Jugendkirchen sind ästhetisch ansprechende Orte. Es wird Wert auf Raumgestaltung gelegt, wozu Lichtinszenierung und Stationen der Partizipation gehören können. In manchen Jugendkirchen wird Alltäg­liches mit dem Kirchenraum vermischt – so findet man moderne Sitz­gelegenheiten oder Caféelemente. Das ist keine Anbiederung an jugend­lichen Zeitgeist, sondern ein Zeichen von konzeptionellen Überlegun­gen und Qualität. Es wird Wert auf eine Atmosphäre des Willkommens gelegt – bis hin zur Begrüßung mit den Worten: „Schön, dass du da bist.“ Ebenso gibt es in Jugendkirchen Elemente, die von Jugendlichen genutzt werden können: ein „Fenster zum Himmel“, also eine Glas­wand, auf die jederzeit Fürbitten und Wünsche an Gott geschrieben werden können, oder Bücher, in denen Gedanken Platz finden.

Der ganze Raum drückt Wertschätzung aus und eine Verknüpfung von Lebenswelt und Spiritualität. Dafür braucht es nicht zwingend ein gro­ßes Budget und exklusive Technik, wohl aber die Überlegung, welche theologischen Vorgaben es für bestimmte Elemente im Kirchenraum gibt und wie man sie in die heutige Zeit übersetzen kann.

Zudem können junge Menschen hier einfach nur sein. Sie müssen nicht unbedingt mitgestalten, sondern können Resonanz geben. Immer wie­der neu diesen Erfahrungsraum für junge Menschen zu öffnen und ihn immer wieder umzugestalten, zeugt von Wertschätzung den jungen Menschen gegenüber und macht theologisch Sinn: Ein solcher Kirchen­raum drückt implizit und explizit aus: Du bist von Gott geliebt, du bist angenommen vor jeder Leistung, du darfst hier Kirche mitgestalten. Schön, dass du da bist.

 

Teile des Artikels sind einer Broschüre entnommen, die über die afj bezogen werden kann: Jugendkirche gibt jungen Menschen (sakralen) Raum. Eine Beschreibung der aktuellen Situation der katholischen Jugendkirchen in den deutschen (Erz‑)​Bistümern, Düsseldorf 2015.