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Macht und Ohnmacht in der Kirche

Wege aus der Krise

Auch wenn laut Obertitel „Macht und Ohnmacht“ das Thema des vorliegenden Sammelbandes sind, so bildet ein weiteres Thema den Hintergrund: Machtmissbrauch, speziell sexueller Missbrauch. Den Beiträgen gemeinsam ist die Frage, „wie Macht und Ohnmacht in der Kirche neu gedacht werden“ können (13).

Die Aufsätze gehen auf Vorträge einer öffentlichen Vorlesungsreihe in Paderborn zurück, weshalb viele der Beitragenden aus der Theologischen Fakultät Paderborn stammen. Doch kommen auch einige andere Stimmen zu Wort, und es wird mit manchen der Aufsätze nicht nur theologische Expertise eingebracht.

Es sollen hier nicht alle 14 Beiträge im Einzelnen vorgestellt werden; sie sind auch von unterschiedlicher inhaltlicher Tiefe und Gewichtigkeit.

Manche Aufsätze wirkten auf den Rezensenten weniger überraschend, sondern vertieften eher nur hinlänglich Bekanntes: so etwa Thomas Södings Ausführungen zu Macht, Machtgelüsten und Ohnmacht der Jünger Jesu oder wie Magnus Striet sich an traditionellen kirchlichen Positionen zu Freiheit, Autorität und Berufung abarbeitet.

In anderen Beiträgen kommen mehr einzelne Aspekte in den Blick, die für sich genommen aber durchaus interessant sind: Nicole Priesching etwa wirft einzelne Schlaglichter auf die historische Entwicklung der Lehre zum menschlichen Gewissen – die auch darauf zielte, den Missbrauch von Macht einzudämmen; Reinhard Bingener und Benjamin Dahlke machen in ihrem kurzen gemeinsamen Beitrag darauf aufmerksam, dass auch kritischer Journalismus für die Einhegung kirchlichen Machtgebrauchs eine wichtige Rolle spielt – und ebenso die Frage, wer die kirchlichen Finanzeinnahmen verteilt.

Manche Beiträge zeigen aber umfangreich auf, wie marode an manchen Stellen das kirchliche „System“ ist. Herbert Haslinger etwa stellt Sexualität als „Problemknoten des Weiheamtes“ (173) dar, diagnostiziert massive Probleme bei Klerikern, mit dem Thema Sexualität angemessen umzugehen, und erläutert, wie gerade auch der Zölibat eine ausreichende Auseinandersetzung damit blockiert. In ähnlicher Richtung weist Wolfgang Weig auf die essentielle Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen für gelingendes menschliches Leben hin – und darauf, wie viele Priester problematische Bindungsstile aufweisen und welche Auswirkungen das hat. Christoph Jacobs skizziert Möglichkeiten für eine neue Kultur geistlicher Autorität in der Kirche – und vermittelt die Dringlichkeit eines solchen umgreifenden Kulturwandels und dass es verbunden damit neue Leitbilder für Leitung braucht, die modernen theologischen, psychologischen etc. Einsichten entsprechen.

Demgegenüber befremdet es, wenn Peter Schallenberg zwar um die Gefahr übergriffiger geistlicher Begleitung weiß, aber insgesamt in seinem Beitrag doch ein sehr traditionelles Modell von priester- und sakramentenfixierter „Seelenführung“ reproduziert. Es sind also noch dicke Bretter zu bohren! Dass dies nicht nur ein „deutsches Problem“ ist, zeigt sich im Aufsatz von Hans Zollner, der aus seinen weltkirchlichen Erfahrungen heraus bestätigt, wie bestimmte Denkmuster (Klerikalismus, Verdrängungsmechanismen …) ein allgemeines kirchliches Problem sind.

Von daher ist der kirchliche Problemkomplex Sexualität und Macht auch weltkirchlich aufzuarbeiten. Das ist work in progress, vieles geschieht schon (weswegen der instruktive Beitrag von Klaus Mertes zum Stand der Missbrauchsaufarbeitung schon nicht mehr ganz up to date ist), viel mehr steht noch an. Vielfältige Aspekte, Schwierigkeiten, Möglichkeiten, Ambivalenzen und Fallen auf dem Weg zeigen die Beiträge dieses Sammelbandes auf.

 

Martin Hochholzer