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Forschungsarbeit zum missionarischen Potenzial der katholischen Bloggerszene

Sie schreiben im Internet öffentlich lesbar über ihren Glauben, ihr Le­ben und ihren Alltag, über ihre Sicht auf die Ereignisse in der Kirche und der Welt, und all das aus ihrem Selbstverständnis als katholische Chris­­ten heraus: katholische Bloggerinnen und Blogger. Sie sind fähig, ihren Glauben zur Sprache zu bringen, und bereit, Zeugnis zu geben; wer ka­tholische Blogs liest, findet ein breites Spektrum an Glaubenserfahrun­gen, an Formen des Glaubensausdrucks, der Spiritualität, der Verknüp­fung des christlichen Glaubens mit der persönlichen Lebenserfahrung, aber auch an Stellungnahmen zu verschiedensten Themen aus einer katholischen Perspektive.

Sprachfähigkeit und Zeugnisbereitschaft der Gläubigen gelten als we­sent­liche Voraussetzungen und Elemente missionarischen Wirkens – und diese sind bei den katholischen Bloggerinnen und Bloggern offen­bar gegeben. Kann man also von einem missionarischen Potenzial der katholischen Bloggerszene sprechen?

Um dieser Frage nachzugehen, haben das Referat Medienpastoral im Seelsorgeamt Freiburg und die KAMP im letzten Jahr eine kleine For­schungsarbeit am Zentrum für angewandte Pastoralforschung (ZAP) in Bochum in Auftrag gegeben, die vom Bonifatiuswerk finanziell unter­stützt wurde. Bearbeitet wurde das Thema von Frau Anna Heiliger im Rahmen ihrer Masterarbeit, betreut von Prof. Matthias Sellmann.
Frau Heiliger führte dazu im Sommer 2014 eine Online-Befragung unter katholischen Bloggerinnen und Bloggern durch, deren Ergebnisse sie im September beim Bloggertreffen in Erfurt erstmals vorstellte. Die Arbeit wurde im Januar 2015 als ZAP Working­paper online veröffentlicht.

An der Umfrage, die vor allem über diverse Blogs, Facebook und Twitter bekannt gemacht wurde, nahmen 59 Bloggerinnen und Blogger teil. Zum Vergleich: Eine privat geführte Liste katholischer Blogs, die keine Auswahl wiedergibt, son­dern alle diesem Blogger bekannten Blogs verlinkt,  führt rund 350 aktive Blogs auf.

Die Fragen setzten drei inhaltliche Schwerpunkte:

  • Persönliche Motivation, Zielgruppe und Einschätzung des missio­nari­schen Potenzials des Bloggens
  • Vernetzung und Begriff der Blogoezese
  • Einordnung in die Lebensführungstypologie nach Otte

Daneben wurden einige Grunddaten zu Blog und Blogger/in erhoben (Beginn und Frequenz des Bloggens, Alter, Geschlecht, Ausbildung u. a.).

Einige Punkte aus den Ergebnissen, die mir besonders interessant er­scheinen, möchte ich hier aufgreifen; für die vollständigen Umfrageer­gebnisse und die Schlussfolgerungen von Frau Heiliger sei auf den beim ZAP veröffentlichten Originaltext verwiesen.

Persönliche Motivation, Zielgruppe und Einschätzung des missionarischen Potenzials des Bloggens

Bei der Frage nach Beweggründen wurde an erster Stelle genannt, dass das Bloggen Spaß bereitet (35 Nennungen); danach folgen aber drei Motive, die sich auf die potentiellen Leser beziehen: „Um andere Menschen zu inspirie­ren“ (30), „Um zu kritischem Denken anzuregen“ (25), „Um mein Wis­sen zu teilen“ (22). 

Nach der Zielgruppe wurde ohne Antwortvorgaben gefragt. Die Frei­­text­antworten lassen sich grob folgendermaßen zusammenfassen (Reihenfolge entsprechend der Häufigkeit):

  • (gläubige / praktizierende / engagierte) Katholiken
  • Kirchenferne, Ungläubige, Suchende und am Glauben Interessierte
  • An bestimmten Berufen / Berufungen bzw. Themen Interessierte
  • Alle Interessierten bzw. keine spezifische Zielgruppe

Häufig werden dabei die beiden ersten Gruppen gemeinsam genannt – viele Bloggerinnen und Blogger möchten also sowohl kirchliche Insider als auch Fernstehende und Suchende ansprechen.

Fast alle befragten Bloggerinnen und Blogger sehen ein missionarisches Potenzial des Bloggens (enormes Potenzial: 34, geringes Potenzial: 21). Ebenfalls fast alle (54) meinen, das vorhandene Potenzial werde nicht ausgeschöpft.

Auf die Frage, wie das missionarische Potenzial besser zu nutzen wäre, sahen die Befragten als mögliche Akteure sowohl die Bloggerinnen und Blogger selbst als auch offizielle kirchliche Stellen.

Als Handlungsoptionen für die Blogger selbst wurden u. a. genannt:

  • Inhaltliche Veränderungen (z. B. weniger nur innerkirchlich relevante Themen)
  • Verständliche Sprache, gewinnender Tonfall, Transparenz
  • Bessere Vernetzung untereinander und mit anderen (nicht katholischen / nicht religiösen) Blogs
  • Erhöhung der Sichtbarkeit durch gemeinsame Aktionen / ein gemeinsames Portal / eine übersichtliche Aufstellung der existierenden Blogs
  • Mehr Bewusstsein für den Verkündigungsauftrag

Seitens offizieller kirchlicher Stellen wünschen sich die Befragten:

  • Wahrnehmen und Wertschätzen der Blogger/innen
  • Das Medium Blog durch institutionelle Blogs bekannter machen und  be­werben
  • Private katholische Blogs verlinken und bekanntmachen

Vernetzung und Begriff der Blogoezese

Fast alle Befragten vernetzen sich in irgendeiner Form mit anderen ka­tholischen Bloggern – vor allem über Links, Kommentare, persönliche Kontakte, Mitgliedschaft in einer Vernetzungsgruppe auf Facebook.

Für die katholische Bloggerszene wird häufig der (ursprünglich scherz­haft gemeinte) Begriff „Blogoezese“ verwendet, abgeleitet von „Blogo­sphäre“ für die Gesamtheit aller Blogs und „Diözese“ für das „spezifisch Katholische“. Die meisten Befragten (43) verstehen darunter ein loses Netzwerk. 17 geben an, den Begriff nicht zu verwenden, 7 lehnen ihn ab.

In den Freitextantworten zur Frage nach der Zugehörigkeit zur Blogoe­ze­se kommt zum Ausdruck, dass sich zwar viele Befragte als zugehörig betrachten, aber auch ein bedeutender Teil sich von dieser Bezeichnung distanziert oder sie ambivalent sieht. Begründet wird das meist damit, dass damit eine enge, konservative bzw. traditionalistische oder gar fundamentalistische Ausrichtung verbunden wird.

Einordnung in die Lebensführungstypologie nach Otte

Eine Teilmenge der Fragen zielte auf Lebensstil und Lebenseinstellung der Befragten. Die Beantwortung ermöglicht die Zuordnung zu einem von neun Lebensfüh­rungs­ty­pen der von Gunnar Otte vorgeschlagenen Lebensführungstypologie. Der Auswertung nach gehören die 57 Profile, die zugeordnet werden konnten, acht verschiedenen Lebensführungs­typen an. Die Lebensführungstypen wurden danach auf die bekannte­ren Sinus-Milieus übertragen.

Ein Schwerpunkt ergibt sich mit 21 Zuordnungen beim Typ der Auf­­stiegs­­orien­tierten, der den Milieus der „bürgerlichen Mitte“ und der „Sozialökologischen“ entspricht, und mit 12 Zuordnungen dem Typ des liberal Gehobenen, der jeweils zum Teil den Milieus der „Liberal-Intel­lektuellen“, „Sozialökologischen“ und „Performer“ angehört. Mit 7 bis 5 Zuordnungen sind die Typen der Reflexiven, Hedonisten und Heimzen­trierten (entsprechend „Adaptiv-Pragmatischen“, „Performern“, „Expe­ditiven“, „Hedonisten“ sowie „bürgerliche Mitte“) vertreten. Auf die restlichen Typen entfallen jeweils maximal 3 Zuordnungen, nicht be­setzt ist der Typ des traditionellen Arbeiters.

Sowohl nach dem Schema Ottes als auch in der bekannten Sinus-Grafik sind damit vorwiegend die Typen bzw. Milieus in den beiden oberen Zeilen und den beiden rechten Spalten vertreten. Ein Schwerpunkt liegt in der Mitte, aber auch die modernen Typen bzw. Milieus der Neuorien­tie­rung sind gut vertreten.

Einordnung der Ergebnisse und weiterführende Gedanken

Wie die Ergebnisse zu Motivation und Zielgruppe zeigen, ist ein missio­narisches Wirken bei den befragten Bloggerinnen und Bloggern durch­aus im Blick und wird positiv beurteilt, aber oft gilt das Interesse doch an erster Stelle den schon gläubigen und engagierten katholischen Le­sern. Missionarisch sein gehört nicht unbedingt zur persönlichen Moti­vation und zum Selbstverständnis der meisten Bloggerinnen und Blog­ger. Zwar ist die Zustimmung hoch, dass es ein großes, nicht ausge­schöpf­tes missionarisches Potenzial des Bloggens gibt, aber es scheint fast, als ob viele der Befragten dieses Potenzial nicht unbedingt bei sich selbst und ihrem Blog sehen. Hier scheint es lohnend, das Bewusstsein für den missionarischen Auftrag jedes Christen weiter zu stärken – wobei es vermutlich beim durchschnittlichen katholischen Blogger bereits stärker vorhanden ist als bei anderen Katholiken.

Die Zuordnung zu Lebensführungstypen macht deutlich, dass ein brei­tes Spektrum an Typen bzw. Milieus unter den Bloggerinnen und Blog­gern vertreten ist; hier zeigt sich – neben der Fülle an Themen und un­terschiedlichen Persönlichkeiten, die man wahrnehmen kann, wenn man sich mit katholischen Blogs näher beschäftigt – ein weiterer Aspekt der Vielfalt der katholischen Bloggerszene. Interessant ist hier vor allem, dass auch die modernen Typen bzw. Neuorientierungs-Milieus gut vertreten sind, die in den Gemeinden häufig fehlen; zu vermuten ist, dass diese Blogger in besonderer Weise Anknüpfungsmöglichkeiten gerade für Leser dieser Typen / Milieus eröffen können.

Die – für mich überraschend häufige – negative Reaktion auf den Begriff der „Blogoezese“ führt zu der Frage, ob man überhaupt von einer katho­lischen Bloggerszene sprechen kann. Während tatsächlich viele Blogger aus dem konservativen Spektrum eine stark vernetzte „Szene“ bilden, die sich mit dieser Bezeichnung weitgehend identifiziert, aber durchaus auch Andersdenkende dazuzählt und einzubeziehen bereit ist, fühlen sich Bloggerinnen und Blogger mit einer anderen Ausrichtung oft nicht zugehörig und distanzieren sich. Zum Teil wird der Begriff „Blogoezese“ sogar mit einer eher extremen Teilgruppe gleichgesetzt. In der dauer­haf­ten Beobachtung der Blogs entsteht zudem der Eindruck, dass sich die Bloggerinnen und Blogger der verschiedenen kirchenpolitischen Richtungen vor allem jeweils untereinander, aber wenig mit anders ausgerichteten Bloggerinnen und Bloggern vernetzen; zum Dialog oder auch nur zu einer erkennbaren gegenseitigen Wahrnehmung kommt es anscheinend kaum. Unter anderem haben die verschiedenen „Lager“ auch durchaus verschiedene Auffassungen von missionarischem Han­deln, was in der Umfrage nicht thematisiert wurde, aber etwa in der Diskussion beim Bloggertreffen in Erfurt sehr deutlich wurde. 

Möglicherweise ist es realistischer, eher von mehreren Netzwerken oder Szenen – und wahrscheinlich auch vielen „Einzelgängern“ – auszuge­hen statt von einer gesamten katholischen Bloggerszene. Hier stellt sich die Frage, ob nicht ein stärkerer Kontakt der verschiedenen Teilszenen wünschenswert wäre und, wenn ja, wie das gefördert werden kann. Für eine stärkere Nutzung des missionarischen Potenzials des Bloggens könnte wichtig sein, wie stark das Gemeinschaftsbewusstsein der Blog­gerinnen und Blogger ist, wie groß auch die Bereitschaft ist, die Vielfalt der Positionen zu akzeptieren und als katholische Bloggerinnen und Blogger gemeinsam zu agieren. Möglicherweise wäre es auch hilfreich, den Blick dann gleich über den katholischen Bereich hinaus zu weiten und auch die Kontakte unter den christlichen Bloggerinnen und Blog­gern zu stärken, sich also statt um eine katholische eher um eine öku­me­nische christliche Bloggerszene zu bemühen – was nicht heißt, dass nicht in manchen Teilszenen das stark katholisch geprägte Selbstver­ständnis weiterhin erhalten bleiben kann und wird. Für gemeinschaft­liche Initiativen wird wichtig sein, auf welches „Wir“ sie sich beziehen – auf eine Teilszene mit einer bestimmten Ausrichtung, die Gesamtheit der katholischen Blogger oder der christlichen Blogger – und wie stark jeweils das Zugehörigkeitsgefühl der Einzelnen zu und die Identifi­ka­tion mit dieser Gruppe ist.

Bei den Vorschlägen zur besseren Nutzung des missionarischen Poten­zials sind, was die Handlungsmöglichkeiten der Blogger angeht, natür­lich zuerst diese selbst gefragt. Hier spielt sicher auch die persönliche missionarischen Haltung eine entscheidende Rolle: Wer es als seine Aufgabe ansieht, missionarisch zu wirken, wird auch bereit sein, diese Perspektive in seinem Handeln zu berücksichtigen, sowohl bezogen auf das eigene Blog als auch auf eine Gesamtheit der Blogs bzw. Blogger auf einer der genannten Ebenen.  

In anderen Vorschlägen wird der Wunsch nach Unterstützung durch offizielle kirchliche Stellen für die katholischen Blogs geäußert. Tatsäch­lich verhalten sich die meisten institutionellen Stellen jedoch nach wie vor meist sehr zurückhaltend gegenüber privaten Bloggerinnen und Blog­gern. Hier wäre zu klären, wie diese Zurückhaltung einzuordnen ist – ob es sich um Vorbehalte handet, die evtl. ausgeräumt werden kön­nen, ob private katholische Blogs einfach nicht im Blick sind oder ob weitere Gründe mitspielen. Selbst institutionelle Blogs vernetzen sich kaum mit nichtinstitutionellen, vielleicht auch, weil den institutionel­len Bloggern die (Arbeits-)Zeit zum Knüpfen und Pflegen von Kontakten mit anderen Bloggern fehlt.

Möglichkeiten der Wahrnehmung und Unterstützung gäbe es viele – so könnten etwa Bistümer Kontakte knüpfen zu den Bloggerinnen und Bloggern, die im Bistum leben oder besonderes Interesse an ihm haben,  sie etwa im Zusammenhang mit Ereignissen und Veranstaltungen zu regionalen Bloggertreffen einladen, sie auf der Bistumsseite verlinken. Ähnlich könnten Verbände, Hilfswerke und andere Institutionen Kon­tak­te zu Bloggerinnen und Bloggern suchen, die sich mit bestimmten passenden Themen auseinandersetzen. Ein Blick nach Österreich und in die Schweiz zeigt, wie Kooperationen auf nationaler Ebene aussehen können: die Website der katholischen Kirche in Österreich katholisch.at bietet ein auf der Startseite gut sichtbar verlinktes Blogportal, auf dem einige ausge­wählte Personen als Blogger zu Wort kommen, in dessen Blogroll aber auch etliche private österreichische Blogs verlinkt sind. In der Schweiz bietet der katholische Mediendienst unter kirchenblogs.ch katholischen schweizer Bloggerinnen und Bloggern die Möglichkeit an, direkt auf dieser Plattform ein Blog einrichten zu lassen und zu führen.

Insgesamt bieten sich somit einige Ansätze und Möglichkeiten, die mis­sionarische Wirksamkeit katholischer (bzw. christlicher) Blogs zu erhö­hen. Ob dies gelingt, wird selbstverständlich vor allem von Interesse und Bereitschaft der Bloggerinnen und Blogger selbst abhängen, die jeweils frei und eigenverantwortlich agieren und einer bestimmten Agenda weder verpflichtet werden können noch sollen. Hier kann nur immer wieder versucht werden, das Thema eines missionarischen Wirkens anzusprechen, um das Bewusstsein dafür zu stärken.