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Keine Kirche im Exil – Kirche im Hier und Heute

Christsein als schöpferische Minderheit

Das Bistum Magdeburg ist derzeit dabei, seine „kleine“ kirchliche Realität als das Zeugnis einer „schöpferischen Minderheit“ zu verstehen. Auf dem Weg von der Pastoralsynode der Kirche in der DDR über das Pastorale Zu­kunftsge­spräch bis zu den Zukunftsbildern 2019 zeigt Thomas Pogoda ein Selbstverständnis einer Ortskirche im Kon­text einer konfessionslosen Mehr­heit auf, die den/die Einzelne/n und die klei­­ne kooperierende Gemeinschaft von Christen als Schlüssel des Christseins sieht. Dieser Kirche „hier und heute“ kommt es weniger darauf an, „verstan­den zu werden“, als vielmehr, „verstehen zu können“.

Ende Mai lud der 100. Deutsche Katholikentag nach Leipzig im Osten Deutschlands ein. Mit diesem Ereignis rückte auch die Situation der ka­tho­lischen Kirche bzw. des Christlichen in dieser Region in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffent­lichte etwa am 22. Mai 2016 unter dem Titel „Gott verlassen“ eine Reporta­ge über das Leben im Bistum Magdeburg. Das Internetprojekt feinschwarz.net ging in einer mehrteiligen Reihe der Situation Ost­deutschlands als „theologisches Zukunftslabor“ nach. In der Tat fordert die kirchliche Situation, etwa im Bistum Magdeburg, dazu heraus, Ant­worten und Beschreibungen zu finden, die dieser Situation entsprechen.

Kirche in Realitäten

Das Bistum Magdeburg ist ein kleines Bistum. Zugleich ist es groß. Groß ist es in seiner Ausdehnung auf mehr als 23.000 km² in Sachsen-Anhalt und in Teilen der Länder Brandenburg und Sachsen. Klein ist es, weil in diesem weiten Raum ca. 84.000 Menschen zur römisch-katholischen Kir­­che gehören, was einem Anteil von ca. 3 % an der Bevölkerung ent­spricht. Gemeinsam mit anderen Kirchen und Religionen stehen die Christinnen und Christen im Bistum Magdeburg einer Bevölkerungs­mehr­heit von mehr als 80 % gegenüber, die konfessionslos sind. Katho­lisches Christ­sein, das Christsein überhaupt, ist in Mitteldeutschland ein Christsein in der Minderheit. Zu dieser Erfahrung gehört auch, dass die ei­genen Kräfte und Möglichkeiten begrenzt sind. In einer Region Deutsch­lands, die mas­siv von demografischen Veränderungen geprägt ist, zeigen sich diese auch innerhalb der Kirchen. Das Bistum Magdeburg verliert jedes Jahr im Schnitt fast 1.000 seiner Mitglieder und wird 2025 vermutlich 70 bis 75.000 Mitglieder haben, davon jedes zweite älter als 55 Jahre. Gut 14,5 % bzw. ca. 12.000 Menschen tragen heute die Sonn­tagsgottesdienste in den 44 Pfarreien mit ca. 180 Gottesdienstorten mit.

Zu dieser Wirklichkeit gehört auch, dass in 35 Kindertagesstätten ca. 2.350 Plätze bereitgehalten werden, in 19 Altenpflegeeinrichtungen 1.400 Pflegeplätze. Es gibt 8 kirchliche Schulen, 4 Krankenhäuser und 14 Sozialstationen. Ungefähr 5.300 Mitarbeitende sind in den karitati­ven und sozialen Einrichtungen tätig, ca. 300 in den Schulen des Bistums. Viele der Mitarbeitenden sind konfessionslos.

Der Bereich des Bistums Magdeburg ist zugleich von einem demografi­schen und wirtschaftlichen Strukturwandel geprägt, der sich in Sachsen-Anhalt und seinen Nachbarländern vollzieht. Während viele junge Men­schen, etwa angezogen durch die beiden Universtäten, in Städte wie Magdeburg und Halle ziehen und dort wohnen bleiben, leiden die meisten anderen Regionen unter dem Weggang junger Menschen und unter wirt­schaftlicher Schwäche. In der Stadt Hettstedt im Mansfelder Land z. B. ist jeder vierte Erwerbsfähige arbeitslos und zwei von fünf Kindern leben in einem erhöhten Risiko von Kinderarmut.

Kirche auf der Suche

Soweit die Wahrnehmungen einer Statistik, die die Realität der katholi­schen Kirche im Bereich des Bistums Magdeburg zwischen der Erfah­rung einer wachsenden Kraftlosigkeit und zugleich zahlreichen Po­tentia­len in den Einrichtungen illustriert. Wie aber kann das Kirchesein im Mit­teldeutschland des 21. Jahrhunderts bestimmt werden? Die Her­ausforde­rung einer Antwort dar­auf liegt wohl gerade darin, dass diese nur dann wirklich tragend werden kann, wenn sie sich mit den Wirklich­keiten und den sich daraus ergebenden Konsequenzen versöhnt. Um unser eigenes Kirche­sein beschreiben zu können, kommen wir nicht um die Voraussetzung her­um, die eigene Kraftlosigkeit und den Status einer Minderheit anzuneh­men. Genau diesen Status einer Minderheit gilt es positiv mit Leben zu erfüllen und dabei nicht der Versuchung zu erlie­gen, auf einen anderen, besseren Ort oder eine andere, bessere Zeit zu schielen und in Bezug darauf auf eine Besserung der Umstände zu hof­fen. Letztlich gilt es zu verstehen, worin die Berufung von Christinnen und Christen im Mittel­deutschland unserer Zeit liegt. Die Zeichen dieser Zeit (und ich würde hinzufügen: dieser Situation) wollen im Licht des Evangeliums ausgelegt werden (vgl. Gaudium et spes 4,1).

Diesem Impuls des Vaticanums II sich zu stellen, hat die katholische Kirche in der dama­li­gen DDR auf der 1973 bis 1975 in Dresden tagen­den „Pasto­ralsynode der Jurisdiktionsbezirke in der DDR“ versucht. Dabei setzten sich die Synodalen im Grundbeschluss Glaube heute vom 4. Dezember 1974 auch mit ihrer Situation als kleine Herde auseinan­der, die sie als Chance begriffen wissen wollten. Zentraler Begriff ihrer Deutung war der Begriff Diaspora, der ausdrücklich nicht „das Leben von Katholiken unter Christen anderer Konfession […], sondern die Existenz der Christen in einer nichtchristlichen Umwelt“ meinte (Glaube heute, Nr. 32). Den Syno­dalen war die Last und die Chance eines Christseins in der Diaspora be­wusst und zugleich die unzureichende Vorbereitung der Gemeinden auf diese Situation (ebd.). Dennoch haben die Synodalen von Dresden ver­sucht, die Situation der katholischen Kirche in der DDR positiv zu be­schrei­ben. Sie waren sich dem Potential ihrer eigenen Situa­tion bewusst: „Durch gläubige Christen in der Diaspora wird der Geist des Evangeliums in einer nichtchristlichen Umwelt gegenwärtig und wirksam“ (Glau­be heute, Nr. 34). Diese selbstbewusste Bestimmung erhielt gleich im folgen­den Artikel ihre Weitung. „Darüber hinaus läßt ein Leben unter Nicht­chris­ten erkennen, daß der Geist Gottes auch außerhalb der christlichen Gemeinden wirkt. Die Vielfalt des Wirkens Gottes zu sehen, anzuerkennen und sich daran zu freuen kann eine Stär­kung des Glaubens an den Gott sein, der für alle Menschen da ist“ (Glaube heute, Nr. 35). Die Kleinheit der Gemeinden solle nicht schrecken. Mit den biblischen Metaphern von Sauerteig, Licht und Salz erinnerten die Synodalen an die Kraft des Glau­bens einzelner und klei­ner Gruppen (vgl. Glaube heute, Nr. 36). Das Leben in der Diaspora deu­teten sie mit dem Begriff der Stellvertretung: „Wir sind dazu berufen, stellvertretend für die Welt Lob und Dank, Sühne und Fürbitte vor Gott zu bringen sowie Gottes Güte und Menschenfreund­lich­keit in der Welt zu bezeugen“ (Glaube heute, Nr. 38). Folglich verlange dieses Leben, „daß wir unser Christ sein nicht nur für uns leben oder es vordergründig nach dem Gewinn oder Schaden messen, der uns daraus erwächst“ (Glaube heute, Nr. 39).

In der Deutung der Synodalen von Dresden erschien christliches Leben in der Diaspora als ein Christsein, dass sich seiner Berufung für die Men­schen im Land bewusst war. Die Wirksamkeit von synodalen Überlegun­gen zeigt sich in dem Maß, wie sie im Nachgang an die eigentliche Syno­de rezipiert werden bzw. rezipiert werden können. Für die katholische Kirche in der DDR war dies letztlich durch den Rahmen einer Diktatur bestimmt und begrenzt. Hinzu kam eine „innere Begrenzung“, die sich daraus ergab, dass viele Kirchenmitglieder bzw. ihre Familien als Ver­trie­bene ihre Wur­zeln in volkskirchlich geprägten Regionen Tschechiens und Polens hatten. Mit dieser Kirchenerfahrung prägten sie christliches Leben in der Diaspo­ra. Diaspora war in diesem Fall vermutlich nicht eine positive Bestim­mung der Kirchlichkeit im Gefolge der Dresdener Syno­de, sondern viel­mehr eine Chiffre für ein nicht vollständiges Christsein. Mit dem Ende der DDR hofften nicht wenige auf „ein Mehr an Vollstän­dig­keit“ in den Aus­drucks­formen christlichen Lebens. Vieles wurde auf­gebaut und begonnen.

Fast 30 Jahre nach der Pastoralsynode trat das Bistum Magdeburg in einen eigenen synodalen Prozess ein: das Pastorale Zukunftsgespräch (PZG). Die Beschlüsse des PZG setzten sich dabei zum Teil kritisch mit den Stär­ken und Schwächen der eigenen Kirchenerfahrung auseinander. Der Be­schluss Das Leben bezeugen. Glaubenszeugnis im Bistum Magdeburg vom 29.11.2003 stellte fest: „Kirche in der Diaspora kann ‚Entscheidungskir­che‘ sein. Die ständige Herausforderung der Christen durch die Minder­hei­­ten-Situation kann das Bewusstsein von der Not­wen­­digkeit einer per­sönlichen Glaubenshaltung und eines bewussten Glaubensvollzuges ver­tiefen“ (Das Leben bezeugen, Abschnitt 2.1). Das PZG markierte ein star­kes „Gefühl für Zusammengehörigkeit“, sah „vie­le Ansätze, die die gefor­derte Offenheit und die Zeichenhaftigkeit der Kirche in der Welt bzw. der Gläubigen vor den Nichtglaubenden zu ver­wirklichen suchen“, und es schätzte „die christliche Haltung vieler Ein­zel­ner“ als „sprechendes Zei­chen des Glaubens in unserer Gesellschaft“ (ebd.). Zugleich nahm das PZG auch Begrenzungen wahr. „Pastoral, Gemeindeleben und oft auch die Men­­talität einzelner Christen“ habe zum Teil „Züge der Volkskirche“ (Das Leben bezeugen, Abschnitt 2.2). Eine religiöse Sprachlosigkeit gehe mit einer weitgehenden Priesterzen­trierung einher. Eine nachhaltiges Nahe-Sein mit den Fragen und Nöten der Gesellschaft sei schwach ausgeprägt, „die Brücke zwischen kirchli­chem und außerkirchlichem Bereich schmal“ (ebd.). Es wurde festgehal­ten: „Es fällt schwer, auf die Herausfor­de­rungen der kleinen Zahl positiv zu reagieren. Es herrscht ein klagender Ton vor, der eher mutlos macht als ermutigt“ (ebd.). Das PZG setzte dieser Erfahrung jedoch das Ziel entgegen, einen Men­­talitätswandel zu vollzie­hen, der den entfalteten Pastoralstil einer Diasporakirche hinter sich lassen will (vgl. Das Leben be­zeugen, Abschnitt 3). Das PZG formulierte am 29.11.2003 für das Bistum Magdeburg entsprechend ein Leitbild: „Wir wagen den Auf­bruch. Wir wollen eine Kirche sein, die sich nicht selbst genügt, sondern die allen Menschen Anteil an der Hoffnung gibt, die uns in Jesus Christus geschenkt ist. […] [Wir nehmen] die Herausforderung an, in unserer Diasporasituation eine missionarische Kirche zu sein. Einladend, offen und dialogbereit gehen wir in die Zukunft“ (Der Hoffnung Raum geben, Abschnitt 5).

In der Suche des PZG wurde stärker als in der Vergangenheit der missio­na­rische Auftrag eines Kircheseins für andere bewusst. Der Gedanke selbst wird mehr und mehr zu einem Gemeingut in den Gemeinden, Gemein­schaften und Einrichtungen. Hier gibt es immer mehr Vorhaben und Akti­vitäten, mit den Menschen im Land in Beziehung zu treten. Zu­gleich man­gelt es an konkretisierenden Vorstellungen und Erfahrungen, wie sich solch ein Christsein entfalten kann. Auch ist ein Leben dieser Sendung schwer, weil der „Erfolg“ nicht kurzfristig greifbar oder über­prüf­bar ist – es braucht Geduld. Geduld braucht auch der erhoffte Wan­del der Mentalität.

Hinzu tritt noch etwas anderes: die Wirklichkeit der Kleinheit. Zwar deu­tete sich dies in der Zeit des PZG bereits an, doch wurde die ganze Trag­weite erst später bewusst. Der durch das PZG formulierte Leitbildtext rechnete Ende 2003 mit damals nicht realistischen 160.000 katholi­schen Kirchenmitgliedern. Ende 2014, also reichlich 10 Jahre nach dem PZG, waren es 85.000. Der Lernprozess setzte sich nach dem PZG fort und drückt sich gerade darin aus, die Kleinheit ehrlich anzunehmen und darin Vorstellungen zu entwickeln, wie sich christliches Leben unter die­sen Bedingungen gestalten kann. Eine Bistumsversammlung 2011 bis 2012, gut 8 Jahre nach Ende des PZG durchgeführt, dachte dazu über konkrete Anre­gungen nach. Die Herausforderung des demografischen Wandels geriet während dieser Versammlung tiefer in den Blick.

Um der Entwicklung im Bistum Magdeburg eine Richtung zu geben, ent­­standen Ende 2013 die Zukunftsbilder Bistum Magdeburg 2019, die ver­suchen, die auf Basis und im Gefolge des PZG gemachten Erfahrun­gen zu sammeln und zu sichern. Hier findet sich auch eine andere Selbst­beschrei­bung: „schöpferische Minderheit“. Dieser Begriff verbin­det zwei Dinge miteinander: zum einen die realistische Annahme der Situation der Kir­che im Bistum Magdeburg, zum anderen das Anliegen, den missionari­schen Auftrag Christi zu gestalten. Eben dieser Auftrag, die Hinwendung zu den Menschen, ist auch der missionale Grundton, der die Entwicklung des Bistums durchziehen möge. Zwei der einzelnen Zukunftsbilder illust­rieren dies: „Wir nehmen die Menschen in unserer Umgebung wahr. Wir leben in Kontakt mit ihnen und versuchen, daraus unser weiteres Handeln abzuleiten.“ Und: „Das Leben in den Gemein­den, Gemeinschaften und Einrichtungen lässt Menschen auf ihren Glau­benswegen wachsen, es befähigt und ermächtigt zum Zeugnis.“ Dieser Grundton möge in einer ehrlichen Wahrnehmung der eigenen Potentiale und Grenzen zum Tragen kommen, denn die Berufung zu „Gottes Zeu­gen“ kann nur „im Hier und Heute“ gelebt werden.

Der Lernprozess, der nach dem Konzil in der Pastoralsynode mit einer posi­tiven Bestimmung von Diaspora begann, steht zurzeit im Bistum Magdeburg an einem Punkt, an dem er in den Zukunftsbildern auf den Begriff „Diaspora“ verzichtet. Vermutlich ist dies gut so! Der Begriff Diaspora impliziert immer auch einen Bezug auf etwas anderes: in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, in anderen Zahlenverhältnissen. Das kann dazu verleiten, nicht mehr die tatsächlich eigenen Antworten dazu zu finden, wie Christen in diesem „Hier und Heute“ leben wollen und können. Für das Bistum Magdeburg ist dieses „Hier und Heute“ das mehr­heitlich konfessionslose Mitteldeutschland in Sachsen-Anhalt und in Teilen von Brandenburg und Sachsen. Und hier bleibt immer die Auf­gabe, das eigene Christsein und das Christsein mit anderen in einer po­sitiven Weise zu bestimmen. Gelänge dies nicht, dann könnte die Mei­nung ent­stehen, die eigene Kirche sei eine Kirche im Exil, fern einer idea­len Gestalt anderswo. Doch es ist keine Kirche im Exil, sondern eine Kirche im Hier und Heute.

Kirche als schöpferische Minderheit

Eine an der Wirklichkeit orientierte Wahrnehmung wird zu dem Schluss kommen, dass Kirche ihren Platz in einer von Konfessionslosigkeit ge­präg­ten Gesellschaft neu finden muss. Sie hat für die große Mehrheit der Zeit­ge­nossen keine Bedeutung. Diese „Bedeutungslosigkeit“ braucht nicht in eine Klage zu führen, kann aber zu einer ehrlichen Wahrneh­mung und An­nahme der Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Han­delns ermutigen. Wie dieser Platz zu beschreiben ist, ergibt sich vermut­lich nicht allein aus uns selbst und aus unserem christlichen Erbe, son­dern auch aus unse­rer Begegnung mit unseren (konfessionslosen) Mit­menschen im Land und unserer Begegnung mit Gott. Damit wird deut­lich, dass sich diese Veror­tung von Kirche im Hier und Heute nur als Prozess verstehen lässt. Wie könnte sich dies gestalten? Was lässt sich erahnen?

In einem Umfeld, in dem eine große Mehrheit dem Glauben keine Be­deu­tung zu geben scheint, wird es grundlegend sein, dass Menschen als Ein­zelne oder in vermutlich kleinen Gemeinschaften ihrem christlichen Glau­ben eine Bedeutung geben (wollen). Dort, wo dies geschieht, ver­wirk­licht sich Kirche auch sehr wandelbar in unterschiedlichen Kontex­ten. Die konkreten Ausdrucksformen sind dabei durch die Möglichkeiten und Begabungen der Einzelnen geprägt. Stellvertretendes Gebet Einzel­ner für andere hat dann genauso eine Bedeu­­tung wie gesellschaftliches Engage­ment, Arbeit in Kindertagesstätten und Schulen oder Sorge um Pflegebe­dürftige (Angehörige). Kirchliche Gemeinschaften – etwa eine Gruppe, die gemeinsam betet, Gottesdienst (dann und wann gerade auch die Eucha­ristie) feiert oder sich im Glauben austauscht – unter­stützen Menschen in ihren Versuchen, dem Glauben im Leben eine Bedeutung zu geben. Ent­scheidend dürfte für diese Gemeinschaften – sei es vor Ort oder in einer Einrichtung, in einer Region oder in einem Bistum – die gegenseitige Wahr­nehmung und Wertschätzung sein, dass sich in diesen Ausdrucks­formen tatsächlich Kirche vollzieht. Nicht ein (vermuteter) Mangel steht im Vordergrund, sondern das Wohlwollen für die Entscheidung der Men­schen und ihr Potential. In einer Minderheit bedeutet dies zugleich, dass diese Gemeinschaften sehr klein sein wer­den. Das in der Vergangenheit eingeübte Modell der Pfarrgemeinde als auf Dauer angelegtes Generatio­nenprojekt hat vermutlich keine Zu­kunft. An seine Stelle tritt eine christ­liche Lebenspraxis, in der Einzelne auf die Berufung Gottes zu einem Christsein – in Mitteldeutschland – ihre je eigene Antwort finden.

Die Gestalt dieser christlichen Lebenspraxis wird durch die Begegnung mit den Mitmenschen geformt werden. Dabei kann es wichtig sein, das Wertvolle, aber auch die Fragen und die Suche im Leben der (konfes­sions­losen) Mitmenschen zu entdecken. Zu postulieren, das Land sei von Gott verlassen, indem Christinnen und Christen eine kleine Minderheit sind, wäre zu kurz gegriffen. Auch wenn es durch die empfangene kirch­liche Prägung anfänglich nicht zugänglich scheint, besteht die Einla­dung, Zeugen von Gottes Wirksamkeit im Leben der Menschen zu sein. Damit schließt sich der Kreis zur Synode von Dresden, die mit einem Wirken Gottes auch außerhalb unserer gewohnten kirchlichen Orte, außerhalb der Gemeinden und kirchlichen Gruppen rechnete. Diese Zeugenschaft erfordert vermutlich, die eigene, von christlichen Zusam­menhängen und Formulierungen geprägte Sprache zu hinterfragen. Da­bei geht es weniger darum, verstanden zu werden, als verstehen zu können, wie sich ein gutes Leben, Sehnsucht, Verzweiflung, Glaube, Hoffnung und Liebe im Denken, Fühlen und Sprechen der Menschen ausdrücken. Folglich ist für eine wei­te­re Entwicklung christlichen Lebens in einem mehrheitlich konfessions­losen Mitteldeutschland die Begeg­nung mit den Mitmenschen wesent­lich. Eine Sprache lernt man nur gut im Sprechen. In dieser Begegnung und den vielleicht daraus erwachse­nen Beziehungen kann sich dann auch zeigen, wo Menschen sich im Geist des Evangeliums engagieren können und sollten. Christliche Ge­meinschaften werden vermutlich Orte sein, an denen die Wahrnehmun­gen im Glauben und Leben gemeinsam gedeutet werden können. Genau an diesen Orten, im Austausch untereinander, kann sich eine kreative Dynamik entfalten, die in ein Engagement für die Mitmenschen führt – sei es im Gebet, in der Sorge um die Linderung sozialer Not oder auch in der Anwaltschaft für Schwächere.

Eine christliche Minderheit sollte aber nicht der Versuchung erliegen, sich für alles zuständig zu sehen bzw. in allem für sich die beste Kompe­tenz zu beanspruchen. Es gibt in der Gesellschaft viele Menschen, die sich für ähnliche Anliegen engagieren wie Christen und dies in vielem auch besser tun. Dies ist zuerst ein Grund zur Freude! Zugleich besteht die Einladung, mit diesen Menschen in einem gemeinsamen Anliegen zu kooperieren. Als eine Kirche in der Minderheit, deren Kräfte begrenzt sind, kann die Kooperation mit anderen ein Betrag sein, Welt und Zu­sam­menleben der Menschen im Geist des Evangeliums zu gestalten. Und: Kooperation ist eine der besten Gelegenheiten zur Begegnung und zum Lernen.

Angesichts einer Gesellschaft, in der konfessionelle Unterschiede in der Wahrnehmung der Mehrheit ohne Belang oder wenig nachvollziehbar sind, scheint auch eine ökumenische Zusammenarbeit umso dringlicher. Zum einen liegen hier Gelegenheiten, die eigenen Fähigkeiten zur Ko­ope­ration zu stärken. Zum anderen kann ein gemeinsames Handeln von Chris­ten an bestimmen Orten eine größere Wirksamkeit annehmen, als dies für eine Konfession alleine möglich wäre. Dabei geht es nicht nur um eine ge­genseitige Stärkung angesichts kleiner Ressourcen und Zah­len, sondern auch um eine gegenseitige Stärkung im Glauben.

Sakramentale Präsenz

In all ihren kleinen Bemühungen kann eine schöpferische Minderheit in einem mehrheitlich von Konfessionslosigkeit geprägten Umfeld ein greif­barer Ausdruck zeichenhafter Präsenz der Hinwendung Gottes zu den Menschen sein (vgl. Lumen gentium 1). Dieses Selbstverständnis einer Teilhabe an Gottes Sendung will angenommen sein und lebt von den Entscheidungen der Einzelnen. Und: Sie ist nicht von Quantitäten abhängig.