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Theologie aus Beziehung

Missionstheologische und pastoraltheologische Beiträge

Natürlich durfte in euangel 1-2019 ein Beitrag von Hadwig Müller nicht fehlen, ging es doch im Schwerpunkt der Ausgabe um die aus Frank­reich stammende „zeugende Pastoral“. Die Theologin und ehemalige Missio-Referentin ist schließlich eine der bekanntesten „Übersetze­rinnen“ von Erfahrungen der französischen Pastoral hinein in Theologie und Kirche in Deutschland: zum einen in einem wörtlichen Sinn, indem sie Texte ins Deutsche übersetzt, zum anderen, indem sie „ihren Lese­rinnen und Lesern die Möglichkeit [eröffnet], von den anderen zu ler­nen, wie diese Beziehung leben, Gott verstehen und ihr Leben deuten“ (325).

„Eine Übersetzerin“ lautet folglich der Titel der „biographisch-biblio­graphischen Notiz“ (323 ff.), mit der die HerausgeberInnen (Reinhard Feiter, Monika Heidkamp und Marco Moerschbacher) Müller und ihr Lebenswerk – ergänzt durch eine Bibliographie – vorstellen. Ansonsten besteht der hier zu besprechende Band aus 21 Beiträgen von Müller aus den Jahren 1997 bis 2016, die in den allermeisten Fällen bereits andern­orts veröffentlicht worden sind.

Dabei sieht man: Der Hintergrund von Müllers vielfältigen Reflexionen ist nicht nur die französische Kirche (insb. das Bistum Poitiers), sondern es sind wohl mehr noch die zehn Jahre, die sie in Brasilien verbracht hat. Das verbindet sich mit bestimmten Themen, die sie in ihren Aufsätzen immer wieder aufgreift: Armut, Beziehung, Hören, sich auf Unsicher­­heit einlassen, Unterschiede, Glauben, Kirche … Dabei bekommt ihr theologisches „Nach-denken“ teilweise eine spirituelle, fast schon mystische Dimension.

Besonders greifbar wird das bei ihren Reflexionen, die vom Leben mit den Armen in Brasilien ausgehen. In drei Beiträgen (11–46) stellt sie dar, wie Armut viel mehr bedeutet als nur physische Not und wie sich da­durch auch das Denken und Sprechen über Gott neu darstellt. Ein wei­terer Artikel (279 ff.) lädt explizit zu einer „Begegnung mit einer subver­siven Mystik im Leben armer Frauen in Brasilien“ ein. Aber auch sonst spricht Müller immer wieder für eine Armut im Sinne einer Selbstzu­rücknahme im Sprechen über Gott, etwa im Beitrag „Glauben – was ist das eigentlich?“ (309 ff.): Wir können über Gott und seine Anwesenheit nicht verfügen – doch gerade dieses „Fehlen dessen, an den wir glau­ben“ (316), kann eine Gabe sein. Und schließlich plädiert Müller in einem Beitrag zur „Option für die Armen“ (47 ff.) dafür, Armut nicht nur als ein Thema der Ethik zu sehen; vielmehr sei die Frage nach den Armen ein „Herzstück der Fundamentaltheologie“ (61).

Eine weitere Reihe von Beiträgen kreist um das Thema Mission (73–125). Dies verbindet sich mit einem anderen Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Denken Müllers zieht und nicht ohne Grund auch im Titel des Sammelbandes erscheint: Beziehung. Müller betont, dass kirchliches Handeln nur missionarisch ist, wenn es ganz vom Ver­langen bestimmt ist, „in Beziehung zu treten zum Fremden – zu den Menschen und zu Gott“ (113); entsprechend ist für sie das Wie wichtiger als das Was. In Beziehung zu treten, sich auf andere und Neues einzu­lassen, bedeutet aber auch, sich Verunsicherung auszusetzen: Ich weiß nicht alles, sondern muss erst wahrhaft ein Hörender werden und zu­lassen, dass mich der andere überrascht und verändert.

Das hat Müller immer wieder getan, nicht nur in Brasilien, sondern auch in der Begegnung mit pastoralen Neuansätzen in Frankreich, wovon ebenfalls eine Reihe von Beiträgen zeugt (187–261). Spannend ist in diesem Kontext auch ein Beitrag zu internationalen theologischen Lernprozessen (147 ff.): Bei einem Symposium trafen lateinamerikani­sche sowie deutsch- und französischsprachige TheologInnen zusammen – und siehe da, es zeigten sich auch zwischen den europäischen Teilneh­menden deutliche Unterschiede. Aber auch innerhalb der deutschspra­chigen Pastoraltheologie gibt es recht verschiedene Ansätze, wie ein informativer Aufsatz (129 ff.) zu den Unterschieden zwischen Kontext, Kontextualität und Kontextualisierung herausarbeitet.

Ebenso wie Reflexionen zur offenen Kinder- und Jugendarbeit (265 ff.) fällt ein Bericht zu einer von Hadwig Müller selbst durchgeführten Gemeindestudie in Aachen (161 ff.) ein wenig aus dem Rahmen der sonstigen Beiträge, demonstriert aber (zum wiederholten Mal), wie Müller zu verschiedenen Themen ungewohnte Perspektiven einzubrin­gen vermag. Im Falle der Studie, die bewusst keine Hauptamtlichen, sondern Gemeindemitglieder befragte, wird deutlich, dass auch Letzteren durchaus mehr an Reflexion und Veränderungsbereitschaft zuzutrauen ist, als das manchmal geschieht – gerade, wenn sie bereits Erfahrungen mit nicht-priesterzentrierten Formen von Gemeinde gemacht haben.

Martin Hochholzer