Inhalt

Gott: Wie wir den Einen suchten und das Universum in uns fanden

Wenn kirchliche Verantwortliche zusammenkommen, so ist manches Mal von der (mangelnden) Sprachfähigkeit in religiösen Angelegenhei­ten heute die Rede. Es kommt einem manchmal so vor, als ob man ein­fach nur die „Gottesrede“, die oft genug noch mit der traditionellen „Kirchenrede“ verwechselt wird, als Fremdsprache erlernen müsse, um wieder „Erfolge“ bei der „Verkündigung“ zu erzielen. Allerdings: Durch „Kirchensprech“ oder „Kirchisch“ scheint manchmal gerade verhindert zu werden, dass auf eine authentische Weise Gott selbst „zur Sprache kommt“. Menschen, die genauer hinschauen, wissen: Nicht nur die Frage nach Gott, sogar ihre grundsätzliche Relevanz zeigt sich in der Gegenwart, wenn überhaupt, dann ganz neu. Damit verbunden ist, dass sich auch der Glaube und die Formen von Spiritualität und kirchlicher Gemeinschaft grundsätzlich neu konfigurieren.

Hier setzt das Buch von Isabel Hartmann und Reiner Knieling an. Es nimmt den Leser mit auf den Weg der Suche der beiden Autoren nach Gott und wie er sich in ihrem Leben zeigt(e). Es ist auch der Versuch, Anknüpfungspunkte zu finden zwischen der traditionellen Rede von Gott und einem persönlichen Wahrnehmen in der Postmoderne. Das Sympathische: Die beiden beschreiben ihre je biografischen Wege als ein Gotteslernen, das immer noch nicht zu Ende ist, und verweben die Erfahrungen und Gedanken immer mehr miteinander und mit anderen Zeugnissen von Gottes Präsenz und Wirken in der Gegenwart. Gleich­zeitig lassen sie Gott Gott sein: Gott ist immer größer als die Gedanken und Vorstellungen, die Menschen sich von ihm machen, „Gott ist ein Geheimnis geblieben“ (9).

Sie unternehmen in diesem Buch den spannenden Versuch, Gottes­erfahrung und Gottesrede auf persönliche Weise so zu kommunizieren, dass sie nicht nur durch den Text, sondern vor allem auch mit Fragen, die nach jedem Kapitel die Leserin zum Transfer locken, andere ein­laden, sich selbst auf ihren je eigenen Entdeckungsweg zu machen. Das Buch nimmt nicht eine Gotteserfahrung exemplarisch vorweg und ist kein erzählter Katechismus, sondern macht das Angebot, in den Reso­nanzen des eigenen Lebens und Suchens selbst die Beziehung zu dem aufzunehmen, was Christen „Gott“ nennen.

Wurzeln und Freisetzung, Enttäuschung und Überraschung, Wunden und Narben (Schmerz, Theodizee), Stärkung und Verbindung sind die Teile des Buches, in denen eine Gottes-„Lehre“ eigener Art entwickelt wird. Knieling und Hartmann beschreiben ihre kirchliche Sozialisation als Ausgangspunkt, aber sie geben sich damit nicht zufrieden, zeigen vielmehr kritisch, wo kirchliche Vollzüge und Formeln für sie leer ge­worden sind. Sie hinterfragen die Vorstellung einer absoluten, unwan­delbaren Wahrheit eines philosophischen geschulten Kopf-Denkens genauso wie die Betonung des Verhaltens einer bürgerlichen Wohlan­ständigkeit, die sie nicht mit Glaube verwechseln lassen wollen. Die beiden versuchen, tiefer zu gehen. Das Buch beschreibt, wo sie berührt und verletzt wurden, es beschreibt ihre Sehnsucht nach gelingendem Leben, nach Fülle, nach tiefen Beziehungen und all das in einer großen Freiheit.

Klassische Gottesvorstellungen und Umgangsformen mit diesem Gott werden hinterfragt: der Überblicksgott, der Machtgott, der Automaten­gott, an den sich der Bittbetende richtet, um etwas für sich zu erreichen. Der Friede-Freude-Eierkuchen-Gott, der nicht wehtut und keinen stört, der keine Ecken und Kanten hat. Vielleicht sind gerade solche Gottes­vorstellungen mit dafür verantwortlich, dass so viele Zeitgenossen Scheu und Scham haben, mit ihm oder von ihm zu sprechen. Oder da­für, dass sich hinter einem selbstverständlichen Mitvollzug von mehr oder weniger personal gefüllten Riten und Zeremonien Indifferenz und Gleichgültigkeit verbergen. Hartmann und Knieling steuern bereitwillig und ehrlich ihre Erfahrungen mit dem Gebet ein, mit der Stille, der Meditation, mit dem Gottsuchen anderer Traditionen und Kulturen. Sie formulieren biblische Text kreativ weiter. Charmant kommen die unter­schiedlichen Schriftarten daher: kursiv für sie, für ihn gerade ohne Seri­fen, für beide zusammen in einer Serifenschrift. So entsteht der Ein­druck eines Gesprächs der beiden unterschiedlichen Glaubensbiogra­fien. Im Verlauf des Buches wird dann auch deutlich, dass die Liebe, die beide füreinander und miteinander entdecken und erleben, für beide auch ein Weg der Erfahrung Gottes ist. Dieser Weg ist nicht ohne Verlet­zungen, da Knieling offen damit umgeht, dass seine erste Beziehung zerbrochen ist. Die Stärke des Buches ist es, dass die beiden Autoren gerade jenseits von Konventionen versuchen, einen tieferen Sinn zu finden, sie machen es sich nicht einfach. Aber gleichzeitig ist das auch die Gefahr der Lektüre: Die Autoren muten dem Leser stellenweise sehr persönliche, fast zu intime Gedanken zu, es ist nicht jedermanns Sache, sich darauf ohne leichtes Schamgefühl einzulassen. Die Autoren lassen sich auf diese Gefahr ein, indem sie sich öffnen, und wagen viel. Ich nehme ihnen ab, dass sie es ernst meinen.

Heutige christliche Gottesrede muss sich der Herausforderung stellen, dass es einerseits um einen personalen Gott geht, den ich mit „Du“ ansprechen kann, um den Gott Israels und den Vater Jesu Christi. Die zeitgenössische Gottsuche stellt sich jedoch andererseits eher in der Suche nach wirkmächtigen Kräften, nach Energien, nach einem Prinzip dar. Es ist sicher spannend – und das wird im Buch ja auch angedeutet, dass dies der Lebensmittelpunkt der beiden Autoren in Ostdeutschland mit sich bringt –, dieses Buch gemeinsam mit Menschen zu lesen, die keine religiöse Sozialisierung haben. Das Buch bietet Dialogflächen zwischen Gottsuchern und anderen Sehnsüchtigen. Es ist ein in guter Weise dialogisches Buch, es fördert den Dialog der Einzelnen mit ihrer Glaubensgeschichte, den Austausch mit Menschen, die auf ihre eigene Weise Gott suchen und entdecken. Die expliziten Gesprächsteile zwi­schen den beiden Autoren kommen manchmal jedoch etwas künstlich und gestylt daher in der gegenseitigen Affirmation oder Abgrenzung der Meinungen.

Ein weiterer Eindruck des Rezensenten: Es ist irgendwie „alles drin“, jeder Aspekt ist berücksichtigt. Es ist alles irgendwie so „vollständig“ und bietet eine solche Fülle an Aspekten, dass das Lesen in der Mitte des Bandes etwas ermüden lässt. Wahrscheinlich ist dies ein Buch nicht zum einmaligen Durchlesen, sondern zum Mitnehmen für mehrere stille Tage, als Begleiter für Exerzitien oder für Gesprächsrunden, die mehrere Treffen haben.

Es lässt sich nicht verhehlen, dass die beiden im Gemeindekolleg der VELKD in Neudietendorf arbeiten: Es gibt auf dessen Website gleich wieder eine Arbeitshilfe dazu, wie man das Buch verwenden kann. So verständlich das Anliegen ist, das Buch zum Gegenstand von metho­disch-didaktischen Gesprächsanregungen zu machen, so stellt sich gerade deswegen der Nachgeschmack einer Verzweckung ein. Schade! Denn das: Verzweckung, Benutzung – so verstehe ich den Duktus des gesamten Buches – soll im Zusammenhang mit Gott doch nicht sein.

Das Buch ist dennoch eine attraktive Einladung an unterschiedliche Menschen, das „Geheimnis des Lebens neu (zu) buchstabieren“ (33). Knieling und Hartmann sind – „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ zeigen es an – Kinder einer bestimmten Generation. Der Leser in einem ähnlichen Lebensalter mit ähnlicher Sozialisierung wird vieles bei sich selbst wiedererkennen. Spannend wäre es, wie jüngere Personen einer ganz anderen, eher jüngeren Generation (z. B. Millenials oder Generation Z) dieses Buch lesen. Am Ende bleibt für den Rezensen­ten zurück: Gott ist Gegenwart, Erfahrung und irgendwie mittendrin. Aber ich bekomme Gott nicht präsentiert. „Ich muss mich selber auf die Suche machen“ (25).

Hubertus Schönemann