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Nachhaltigkeit als Thema in lehramtlichen und anderen kirchlichen Schriften

Nachhaltigkeit wird nicht nur von vielen Christinnen und Christen aktiv gelebt, sondern hat mittlerweile auch in die kirchliche Sozialverkündigung Eingang gefunden. Einen Überblick nicht nur über katholische Texte gibt Christoph Schinke.

Immer häufiger wird die Nachhaltigkeit als ein weiteres Prinzip der katholischen Soziallehre dargestellt – neben den bekannten Prinzipien von Solidarität, Subsidiarität, Personalität und Gemeinwohl. Der Frage einer exakten Einordnung oder Hierarchisierung dieser Prinzipien soll hier nicht nachgegangen werden. So ließe sich beispielsweise argumen­tieren, Nachhaltigkeit sei ein Unterprinzip des Gemeinwohlbegriffs. Fest steht jedenfalls, dass das Thema Nachhaltigkeit zu einem Leitmotiv jüngerer Texte der Sozialverkündigung avanciert ist. Fest steht auch, dass Nachhaltigkeit ein vielschichtiger Begriff ist, der im jeweiligen Kontext der Konkretisierung bedarf. Papst Franziskus’ im Juni 2015 veröffentlichte Enzyklika Laudato si’ ist dabei sicherlich der wichtigste Beitrag, der durch verschiedene Schriften auf lehramtlicher Ebene in Deutschland sowie aus dem ökumenischen Raum ergänzt wird. Im Folgenden soll ein Überblick über die einschlägigen Texte gegeben wer­den. Dabei wird jeweils der Frage nachgespürt, welches Verständnis von Nachhaltigkeit vertreten wird, welche Dimensionen von Nachhaltig­keit besonders im Fokus stehen und welche Schlussfolgerungen, speziell für pastorales Handeln, ggf. aus den Texten gezogen werden können.

Päpstliche Enzyklika Laudato si’

Die Enzyklika Laudato si’, deren Titel auf den Sonnengesang des heili­­gen Franziskus Bezug nimmt, ist nicht nur eine Umweltenzyklika, son­dern eine Sozialenzyklika, die die großen ökologischen und sozialen Pro­ble­me unserer Zeit als Einheit betrachtet. Das zentrale Thema ist die zunehmende Überbeanspruchung des Planeten, die in der Enzyklika konsequent im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung und globalen Ungerechtigkeiten gegenüber den Armen gesehen wird. Der Sozialethiker Markus Vogt bezeichnet die Enzyklika vor diesem Hinter­grund als Meilenstein in der Entwicklung der katholischen Soziallehre (vgl. Vogt 2015) und ihr wird ein maßgeblicher Einfluss auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Agenda 2030) sowie das Pariser Klimaabkommen, die beide im Laufe des Jahres 2015 ausge­handelt wurden, zugesprochen.

Der globale Charakter der Herausforderungen wird deutlich, wenn der Papst von der Erde als „unser gemeinsames Haus“ spricht und „die ge­samte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung“ vereinen möchte (LS 13). Aus einem öko­systemischen Verständnis heraus wird für nachhaltigen Konsum die Beachtung der Regenerationsfähigkeit der Umwelt angemahnt (140). Nachhaltige Entwicklung müsse jedoch auch die Solidarität zwischen den Generationen mit einbeziehen (159), somit braucht es sowohl eine erneuerte Solidarität zwischen den Generationen als auch innerhalb einer Generation. Die konkreten Themen, die Papst Franziskus behan­delt, sind Umweltverschmutzung, das Müllproblem und die Wegwerf­kultur, der Klimawandel, die Wasserknappheit und der Verlust der Artenvielfalt. Am derzeit die gesellschaftliche Debatte in Deutschland dominierenden Thema Klimawandel lässt sich die Verknüpfung der verschiedenen Herausforderungen gut aufzeigen: Dieser wird als „glo­bales Problem mit schwerwiegenden Umwelt-Aspekten und ernsten sozialen, wirtschaftlichen, distributiven und politischen Dimensionen“ beschrieben (25), sodass das Gemeinwohlprinzip heute global zu verste­hen ist (174). Als Lösungsansatz wird aus der Schöpfungstheologie her­aus eine ganzheitliche Ökologie entwickelt, die Aspekte der Umwelt-­, Wirtschafts­-, Kultur­- und Humanökologie zusammenführt (ab 137). So verstanden würde nachhaltige Entwicklung auch neue Formen des Wachstums mit sich bringen (193), wofür neue Leitbilder nötig sind. In pastoraler Hinsicht kommt der ökologischen Erziehung und Spirituali­tät in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu: Es gehe darum, die Menschen „zu einer verantwortlichen Genügsamkeit, zur danker­füllten Betrachtung der Welt und zur Achtsamkeit gegenüber der Schwäche der Armen und der Umwelt“ zu erziehen (214), wofür eine „gemeinschaftliche Umkehr“ gefordert ist (219; für eine ausführliche Zusammenfassung der Enzyklika vgl. Inhaltsangabe 2015).

Die Inhalte der Enzyklika waren auch prägend für die Sonder­versamm­lung der Bischofssynode für Amazonien, die im Oktober 2019 im Vati­kan statt­fand. Die Frage der ganzheitlichen Ökologie war für die Synode prägend und schlägt sich auch in Papst Franziskus’ nachsynodalem Apostoli­schen Schreiben Querida Amazonia vom 2. Februar 2020 nie­der. Dieser Text, mit dem der Papst vier Visionen – eine soziale, eine kultu­relle, eine ökologische und eine kirchliche Vision – als Antwort auf kon­krete Anliegen in den Mittelpunkt stellt, präsentiert mögliche Wege der Um­kehr und lässt sich als Konkretisierung der in Laudato si’ angespro­chenen Themen am Beispiel Amazoniens lesen. Erneut wird deutlich, dass für den Papst der Schutz der Ökosysteme und die Sorge für die Menschen untrennbar miteinander verbunden sind. „Die Erde blutet“, so Papst Franziskus, daher ruft er dazu auf, „sorgsam und respektvoll mit der Schöpfung zu leben, im klaren Bewusstsein ihrer Grenzen, das jeden Missbrauch verbietet“ (42). Dazu gehöre auch ein neuer Lebens­stil, der „weniger unersättlich ist, ruhiger, respektvoller, weniger ängstlich besorgt und brüderlicher“ (58).

Texte der Deutschen Bischofskonferenz

Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich in den letzten Jahren zu ver­schiedenen Aspekten der ökologischen Nachhaltigkeit mit Grundlagen­texten zu Wort gemeldet. Wegweisend war der Expertentext „Der Kli­mawandel: Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit“ von September 2006 (vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2007), der auch in Laudato si’ zitiert wird. Dieser Grundlagentext veranschaulicht die Bedeutung des Klimawandels als Frage der Gerechtigkeit und als Überlebensfrage der Menschheit und der Mitgeschöpfe. Dabei sollen insbesondere die Belange der Armen, Schwachen und Benachteiligten in die öffentliche Diskussion einge­bracht werden. Da der Klimawandel auf menschliches Tun und Unter­lassen zurückzuführen sei, sind alle aufgerufen, sich an der „Bewälti­gung der großen Menschheitsherausforderung des globalen Klima­wandels“ zu beteiligen (ebd. 8). Einerseits seien nationale und inter­nationale Politik und Gesellschaft durch Anpassungen der Rahmen­bedingungen gefordert. Es wird aber auch an jeden Einzelnen appel­liert, seinen persönlichen Lebensstil klimaverträglich zu gestalten. Aus pastoraler Sicht wird explizit betont, dass Schöpfungsverantwortung als „wesentliche Dimension des kirchlichen Lebens auch in der Pastoral zu entfalten und strukturell zu sichern“ sei (ebd. 66). Weiterhin wird in diesem Bereich das große Potenzial der Kirche „zur Förderung eines globalen Umweltbewusstseins und weltweiter Solidaritätsnetze“ be­tont. So könnten Christinnen und Christen „aus dem Glauben eine Kraft der Hoffnung, der Freude und des Friedens schöpfen, die zu Umkehr und verantwortlichem Handeln befähigt“ (ebd. 70). Konkret sollte die Kirche als Arbeitgeber den Gedanken der Schöpfungsverantwortung in der Aus- und Weiterbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fest etablieren und auch Bewusstseinsbildungskampagnen kirchlicher Ver­bände stärker wertschätzen und unterstützen (vgl. ebd. 68).

Bei der Bewältigung des Klimawandels als entscheidender Herausforde­rung der Nachhaltigkeit ist der Umgang mit Energie zentral. Im Mai 2011 hat sich die Deutsche Bischofskonferenz daher kurz nach der Reak­torkatastrophe von Fukushima mit einem Expertentext zur Frage des nachhaltigen Umgangs mit Energie zu Wort gemeldet. Inmitten einer breiten gesellschaftlichen und politischen Debatte über die Zukunft der Energieversorgung legt der Text „Der Schöpfung verpflichtet“ aus der Perspektive einer christlichen Ethik der Nachhaltigkeit dar, dass um­welt­ethisches Handeln im Schöpfungsglauben verankert ist und dass die Energiefrage auch eine Gerechtigkeitsfrage ist (vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2011). Gefordert werden „Lebens- und Verhaltensweisen, die von Maßhalten und Solidarität geprägt sind“ (ebd. 7), während eine Gleichgültigkeit von Gesellschaft und Staat gegenüber den angerichteten Schäden angeprangert wird. Als Leitlinien der Energiepolitik der Zukunft wird der Dreiklang von Maßhalten, Effi­zienzsteigerungen und Ausbau von erneuerbaren Energien empfohlen. Im Dezember 2013 erschien zudem der Diskussionsbeitrag „Empfehlun­gen zur Energiewende“, der auf die zahlreichen Interessenkonflikte und Belastungen Bezug nimmt, die mit einer Umstellung von einem eta­blierten, auf fossilen und nuklearen Energieträgern basierenden System zu einer neuen, auf regenerativen Energieträgern fußenden Energie­versorgung einhergehen (vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonfe­renz 2013). Die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz unterbreitet in dem Text Vorschläge, wie die als wünschenswert erachteten Ziele der Energiepolitik weiterver­folgt werden können, ohne die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die soziale Verträglichkeit und die Akzeptanz der notwendigen Belastungen außer Acht zu lassen.

Einem anderen, aber für die Nachhaltigkeit nicht minder wichtigen Thema widmete sich die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz im September 2016 mit ihrem Expertentext „Der bedrohte Boden“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2016). Damit wird die Bedeutung der Böden für Mensch und Umwelt als wichtiges Thema christlicher Schöpfungsver­antwortung dargelegt. Erläutert wird nicht nur der Beitrag, den Böden zum Leben und für die Ökosysteme leisten, sondern auch deren Gefähr­dung – etwa durch Versiegelung, intensive landwirtschaftliche Nutzung oder belastende Konsumgewohnheiten. Die Notwendigkeit einer nach­haltigen Bodennutzung wird aus schöpfungstheologischer und sozial­ethischer, ökonomischer sowie rechtswissenschaftlicher Perspektive aufgezeigt und es werden Handlungsempfehlungen formuliert wie beispielsweise, die Bodennutzung an Nachhaltigkeitskriterien zu binden.

Angesichts einer neuen gesellschaftlichen Dynamik, u. a. verursacht durch Laudato si’ sowie das Pariser Klimaschutzabkommen aus dem Jahr 2015, hat die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz im Januar 2019 die wesentlichen Inhalte des Grundlagentextes zum Klimawandel aus dem Jahr 2007 in Form von „Zehn Thesen zum Klimaschutz“ aufbereitet und aktualisiert (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2019). Erneut werden basierend auf ökonomischen, natur- und rechtswissenschaftlichen Überlegungen Empfehlungen mit konkreten Umsetzungsschritten zum Klimaschutz dargelegt. Ähnlich wie bei den vorhergehenden Publika­tionen wird auch hier an zentraler Stelle auf die Vorbildfunktion der Kirche hingewiesen: „Das Ziel der Treibhausgasneutralität ebenso wie die Ziele der Agenda 2030 gelten analog auch für kirchliches Handeln. Will Kirche glaubhaft sein, dann muss sie gerade beim Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen“ (ebd. 26). Dazu wird verwiesen auf die Arbeitshilfe „Schöpfungsverantwortung als kirchlicher Auftrag“, die zehn konkrete Empfehlungen zu Ökologie und nachhaltiger Entwick­lung für die Praxis in den Bistümern enthält und von der Deutschen Bischofskonferenz im September 2018 beschlossen wurde (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2018b). Neben dem nachhaltigen diözesanen Verwaltungshandeln etwa in den Bereichen Gebäude­management, Mobilität, Umgang mit Kirchenland sowie der Wahr­nehmung von gesellschaftspolitischer Verantwortung wird die pastorale und spirituelle Dimension des Nachhaltigkeitsengagements hervorge­hoben. So wird empfohlen, Schöpfungsverantwortung „noch bewusster zu einem Gegenstand kirchlicher Verkündigung und Katechese“ (ebd. 2) zu machen und ihr regelmäßig einen Platz in der Feier des Gottesdiens­tes einzuräumen. Es folgen konkrete Anregungen, wie etwa das Bege­hen des Erntedankfestes und der Ökumenischen Schöpfungszeit, das Fasten und die Neuentdeckung von Flurprozessionen (vgl. ebd. 2 ff.).

Einen weiteren Grundlagentext zur Nachhaltigkeit, der sich der Rolle von Wirtschaftswachstum mit Blick auf Umweltfragen und eine nach­haltige Entwicklung widmet, hat die von der Deutschen Bischofskon­ferenz berufene Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben im Jahr 2018 vorgelegt. Die Studie „Raus aus der Wachstums­gesellschaft?“ bietet eine sozialethische Analyse von wirtschaftlichem Wachstum und nimmt eine Bewertung verschiedener Postwachs­tumsstrategien vor (vgl. Wissenschaftliche Arbeitsgruppe 2018).

Ökumenische Verlautbarungen und Texte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Den jüngsten ökumenischen Text, der auch Aussagen zum Thema Nachhaltigkeit enthält, stellt das Gemeinsame Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutsch­land „Vertrauen in die Demokratie stärken“ von April 2019 dar (Sekre­tariat der Deutschen Bischofskonferenz und Kirchenamt der EKD 2019). Die Probleme des Klimawandels werden beispielhaft aufgeführt, um für internationale Kooperation und den Multilateralismus zu werben – ein zentrales Anliegen der Institution Kirche (vgl. ebd. 15). Der Mitverant­wortung für das Gemeinwohl könne sich niemand entziehen (vgl. ebd. 32).

Zur Frage, welche Herausforderungen die Agenda 2030 für die Kirchen bedeutet, hat die EKD im September 2018 ein Impulspapier veröffent­licht. Wie es in „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ heißt, möchte die Evangelische Kirche in Deutschland bei der Umsetzung der Agenda 2030 „Mahner, Mittler und Motor“ sein (vgl. Evangelische Kirche in Deutschland 2018, 7). Anliegen des Textes ist es, zur Umkehr zu mahnen, in gesellschaftlichen Zielkonflikten zu vermitteln und in der eigenen kirchlichen Praxis noch nachhaltiger und glaubwürdiger zu werden. Weiterhin hat die EKD im September 2019 ein Impulspapier präsentiert, das sich dem Thema Nachhaltigkeit aus der Sicht von Tier­wohl und Ernährungsethik widmet (Evangelische Kirche in Deutschland 2019). Der Text „Nutztier und Mitgeschöpf!“ fordert eine neue Wert­schätzung für Nutztiere und die aus ihnen gewonnenen Lebensmittel sowie eine deutliche Verringerung des durchschnittlichen Fleischkon­sums. Vor dem Hintergrund der theologischen Frage zum Verhältnis von Mensch und Tier, aber auch der Auswirkungen der Nutztierhaltung auf die Umwelt und die globale Entwicklung betrachtet der Text aktu­elle Fragen der Nutztierhaltung, der Tiertransporte, der Tierschlachtung und der Ernährungsethik. Es wird betont, dass zum Paradigmenwechsel hin zu schöpfungsverträglichen, gesunden und nachhaltigen Formen von Ernährung und Landwirtschaft alle gesellschaftlichen Gruppen etwas beitragen müssen.