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„Als guter Katholik müsste ich tatsächlich ein Öko werden“

Laudato siʼ als Inspiration für Schöpfungsverantwortung in der Gemeinde

Erich Fromm hat bereits in den 70er Jahren die Orientierung am Haben statt am Sein angeprangert. Papst Franziskus greift dies in Laudato siʼ auf und mahnt dazu, die Verantwortung für die Schöpfung ernst zu nehmen. Das umzusetzen, funktioniert am besten in Gemeinschaft. Könnten Pfarreien und Gemeinden also Katalysatoren für die notwendigen Veränderungen sein?

Jesus, der Held?

Der Klassiker des Philosophen und Sozialpsychologen Erich Fromm „Haben oder Sein“ von 1976 ist aktueller denn je. Es erschreckt, dass die dort aufgeführten Dinge 45 Jahre später noch krassere Formen ange­nommen haben, ohne dass sich im Wesentlichen etwas geändert hätte. Fromm beschreibt die Auswirkungen des menschlichen Handelns auf Umwelt, Natur, Gesellschaft und den Menschen selbst, wenn er sich am Haben statt am Sein orientiert. Die Neigung des Menschen zur Habgier – also das Anhäufen von Dingen, das Besitzenwollen und die Scheu vor Verzicht zugunsten des anderen – wird durch die kapitalistische Grund­struktur unserer Gesellschaft gefördert. Fromm ist der Überzeugung, dass das Besitzen und das materielle Mehrhabenwollen allerdings nicht zum Glück führen. Im Gegenteil: Es zerstört. Es vernichtet natürliche Ressourcen, es sorgt für Ungerechtigkeit in der Welt und macht den Menschen rastlos, weil er stetig mehr haben will. Hinzu kommt, dass der Mensch sich um seine Freiheit beraubt fühlt und in stetiger Verlustangst lebt, denn „wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe, und dann verliere, was ich habe?“ (Fromm 2019, 136). Dadurch verliert der Mensch seine Weitsicht. Er steuert lieber sehenden Auges auf die Katastrophe zu, als sein Verhalten jetzt zu ändern. Den Kollaps der Ökosysteme und den Klimawandel prophezeite Fromm schon damals. In Jesus von Nazareth sieht er den Helden des Seins-Modus. Dieser stellt sich gegen die damalige gesellschaftliche Ordnung, die lautete: Wer viel hat, ist gesegnet, denn Armut und Krankheit sind die Folge von Sünde und ein Beleg dafür, dass Gott sich abgewendet hat. Jesus hingegen war ein Held der Liebe, der nichts hatte und nicht an Macht interessiert war. Er wen­dete sich den Kranken und Ausgegrenzten zu und wurde ein Märtyrer, der aus Liebe sein Leben für seine Mitmenschen gab – ohne, dass er davon etwas hatte.

Lebensstilfrage

Die Enzyklika Laudato siʼ (LS) von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015 knüpft an vieles an, was Fromm damals schon diagnostizierte. Franzis­kus macht uns Mut, neue Wege zu gehen und auszubrechen aus einer Grundstruktur des Habenwollens. „Die christliche Spiritualität regt zu einem Wachstum mit Mäßigkeit an und zu einer Fähigkeit, mit dem Wenigen froh zu sein. Es ist eine Rückkehr zu der Einfachheit, die uns erlaubt innezuhalten, um das Kleine zu würdigen, dankbar zu sein für die Möglichkeiten, die das Leben bietet, ohne uns an das zu hängen, was wir haben, noch uns über das zu grämen, was wir nicht haben. Das setzt voraus, die Dynamik der Herrschaft und der bloßen Anhäufung von Ver­gnügungen zu meiden“ (LS 222). Papst Franziskus sieht in der Fokussie­rung auf Materielles die Ursache für Umweltzerstörung und Armut.

„Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle. Es ist auf globaler Ebene ein kompliziertes System, das mit vielen wesentli­chen Bedingungen für das menschliche Leben verbunden ist. Es besteht eine sehr starke wissenschaftliche Übereinstimmung darüber, dass wir uns in einer besorgniserregenden Erwärmung des Klimasystems befin­den. […] Die Menschheit ist aufgerufen, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um diese Erwärmung oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und verschärfen, zu bekämpfen“ (LS 23).

Was Papst Franziskus uns da ans Herz legt, ist sehr anspruchsvoll und herausfordernd. Im Grunde kann ich als Katholik nicht mehr so weiter­machen wie bisher. Als guter Katholik müsste ich tatsächlich ein Öko werden und meinen Lebensstil radikal in Frage stellen.

Ein alter Hut

Franziskus postuliert weiter: „Die Berufung, Beschützer des Werkes Gottes zu sein, praktisch umzusetzen gehört wesentlich zu einem tugendhaften Leben; sie ist weder etwas Fakultatives noch ein sekun­därer Aspekt der christlichen Erfahrung“ (LS 217). Umweltschützer_in zu werden, wird uns somit ins Stammbuch geschrieben. Es rückt etwas Neues ins Zentrum unseres Christsein, was aber im Grunde ein alter Hut ist und genuin mit unserer Religion verbunden ist. Als Geschöpfe des sechsten Tages sind wir berufen, für die Schöpfung Sorge zu tragen. In LS werden die Dinge schonungslos genannt und gleichzeitig ermutigt Franziskus uns, das Thema Schöpfungsbewahrung nun endlich und radikal anzugehen, weil die Zeit drängt. Es ist eine Mammutaufgabe, die wir alleine nicht bewältigen können.

Fromm hat Ende der Siebzigerjahre schon betont, wie wichtig ein Sin­neswandel der Gesellschaft ist und dass er radikal sein muss, damit die Menschheit nicht katastrophal zu Grunde geht. Heute können wir alle, wenn wir hinsehen, in diesen realen Abgrund blicken, und dennoch bleiben unsere Bemühungen, unseren Lebensstil und unsere Prioritäten zu verschieben, oft oberflächlich. Es ist auch verständlich: Warum sollte ich mein Leben ändern, wenn um mich herum alle so tun, als kollabiere das Ökosystem nicht? Im Jahr 2019 wurden in Deutschland so viele SUVs neu zugelassen wie noch nie zuvor, und auch für den Anstieg von Kurz- und Fernflugreisen war 2019 ein Rekordjahr. Man könnte noch viele andere Beispiele bringen.

Alleine auf weiter Flur einzustehen für mehr Klimaschutz und Gerech­tigkeit ist äußerst mühselig, steckt voller Überforderungen und endet vermutlich in schlechter Laune. Das Schöne am Christsein ist jedoch: Schlechte Laune steht uns nicht, und gleichzeitig darf die christliche Existenz auch ein wenig wehtun (vgl. Röm 12). Hinzu kommt: Wir sind erlöst und trotzdem verstrickt in unheilvolle Zusammenhänge. Alles sehr paradox. Für uns Christen ist das Paradoxe allerdings eine Lebens­grundlage. Somit wären wir Christen im Grunde die prädestinierte Gruppe, den Lernprozess des Öko-Werdens anzugehen. Wenn wir diesen Lernprozess eschatologisch betrachten und mit der Haltung des „schon, aber noch nicht (ganz)“ begegnen, schwindet die Überforderung. Nur wo und mit wem sollen wir damit anfangen?

In Gemeinschaft

Die Fridays-for-Future-Bewegung hat etwas verdeutlicht – so umstrit­ten diese auch sein mag: In Gemeinschaft und durch breites öffentliches Be­kanntwerden ist eine Dynamik entstanden, die das Thema Klima­schutz auf die Tagesordnung des politischen Betriebes gesetzt hat. Die Bewe­gung rund um Greta Thunberg hat klein begonnen (freilich wurde sie ab einem gewissen Punkt stark medial begleitet). Es war eine Gras­wurzel­bewegung, die junge Menschen um sich geschart hat, die zuerst keiner ernst genommen hat und milde belächelt wurde. Spannend dabei ist zu beobachten, dass nach dem Überschreiten einer kritischen Masse eine Art Konsens innerhalb der Gesellschaft eintrat. Nicht zuletzt deswegen, weil Kinder und Jugendliche den Lebensstil ihrer Eltern zu Hause in Frage gestellt haben und sie aufforderten, nun endlich die Klimafrage anzugehen. Was könnten wir von dieser Bewegung lernen?

Der Kollaps

Unsere Religion ist der Urtypus der Graswurzelbewegung. Jesus von Nazareth hat Menschen um sich geschart und ihnen vom Reich Gottes erzählt. Dabei hat er sich den Einfachen und Ausgegrenzten zugewen­det. Seine Jüngerinnen und Jünger waren zumeist durchschnittliche Normalbürger. Seine Botschaft vom Reich Gottes machte den Menschen Mut, dass die gesellschaftlichen Ordnungen und Plausibilitäten reversi­bel sind. Er war überzeugt, dass ein Leben jenseits von Sicherheit, Besitz und Correctness erst zum Glück führt. Es ging ihm darum, dass der Mensch das Richtige tut und nicht nach einem menschgemachten Kon­sens handelt. Freilich hat er seine Botschaft mit einer eschatologischen Perspektive postuliert, und seine Jüngerinnen und Jünger folgten ihm mit einer apokalyptischen Naherwartung, die ihre besondere Radika­lität erst möglich machte.

Wenn wir allerdings die Summe all dessen zusammenzählen, was durch die Zerstörung und Ausbeutung der Schöpfung irreversibel vernichtet und welche (Umwelt-)Katastrophen direkt oder indirekt durch den Kli­mawandel ausgelöst werden, könnte man von apokalyptischen Ausma­ßen sprechen. Uns selbst betrifft es noch nicht allzu schmerzhaft – Hitzesommer, Orkanböen und Überschwemmungen lassen sich noch relativ gut ertragen oder finanziell kompensieren. In seiner Enzyklika Laudato siʼ hat Papst Franziskus die Ärmsten der Armen im Blick, deren Leben von unerträglichem Leid geprägt ist, die vor Dürre und Hunger flüchten und keinerlei Perspektiven mehr haben. Es liegt förmlich in der Luft, dass sich etwas unumkehrbar verändert. Es rollt ein ökologisches Endgericht auf uns zu. Wir verhalten uns aber, „als seien die Dinge nicht so schlimm und der Planet könne unter den gegenwärtigen Bedingun­gen noch lange Zeit fortbestehen. Diese ausweichende Haltung dient uns, unseren Lebensstil und unsere [...] Konsumgewohnheiten beizube­halten.“ Der Mensch „schiebt die wichtigen Entscheidungen auf und handelt, als ob nichts passieren werde“ (LS 59).

Aber die Zeit drängt: Jahr für Jahr wird es ungemütlicher und der Klimawandel ist real.

Die Graswurzel

Die Kirchengemeinde, der Kirchort, die Pfarreiengemeinschaft oder wie auch immer der aktuelle Terminus lautet für ein Gebilde aus Menschen, die sich katholisch-christlich motiviert auf einem gewissen Territorium mal mehr, mal weniger regelmäßig begegnen, könnte eine Graswurzel sein, aus der heraus eine Bewegung entsteht, die ausstrahlt und andere mitzieht. Die Idee vom Reich Gottes, die die Verhältnisse auf den Kopf stellt und alte Plausibilitäten fundamental anfragt, wurde radikal in den Urgemeinden umgesetzt – freilich harmonisiert und idealisiert in der Apostelgeschichte beschrieben (vgl. u. a. Apg 2,42 ff.; 4,32 ff.). Wenn Papst Franziskus schreibt, wie oben bereits zitiert: „Die christliche Spiritualität regt zu einem Wachstum mit Mäßigkeit an und zu einer Fähigkeit, mit dem Wenigen froh zu sein. Es ist eine Rückkehr zu der Einfachheit, die uns erlaubt innezuhalten, um das Kleine zu würdigen, dankbar zu sein für die Möglichkeiten, die das Leben bietet, ohne uns an das zu hängen, was wir haben, noch uns über das zu grämen, was wir nicht haben. Das setzt voraus, die Dynamik der Herrschaft und der blo­ßen Anhäufung von Vergnügungen zu meiden“ (LS 222), dann erinnert das an diese urchristliche Tradition. Weiter schreibt er: „Wenn wir fähig sind, den Individualismus zu überwinden, kann sich wirklich ein alter­nativer Lebensstil entwickeln, und eine bedeutende Veränderung in der Gesellschaft wird möglich“ (LS 208). Das ins Leben zu übersetzen, schaf­fen wir nicht als Einzelne. Es braucht die Herde, eine Gruppe von Men­schen, die versucht, durch das Infragestellen und Ändern des eigenen Lebensstils Sorge zu tragen „für das gemeinsame Haus“. Warum einen solchen Lernprozess eigentlich nicht in der Pfarrei beginnen? Warum nicht entschieden und radikal sich mit anderen in der Gemeinde für Klimaschutz einsetzen?

Die Gemeinde als Katalysator

„Man kann wenig benötigen und erfüllt leben, vor allem, wenn man fähig ist, das Gefallen an anderen Dingen zu entwickeln und in den geschwisterlichen Begegnungen, im Dienen, in der Entfaltung der eigenen Charismen, in Musik und Kunst, im Kontakt mit der Natur und im Gebet Erfüllung zu finden“ (LS 223). Das hört sich einfach und naiv an, und dennoch sind dies Ansätze, die der Papst uns ans Herz legt. Es sind im Grunde die Kernkompetenzen unserer Religion. Es sind Dinge, die wir in unseren Gemeinden schon dahaben. Diese Ermutigung kann uns helfen, die Lethargie abzuschütteln, um ins Handeln zu kommen. Die Problematik der Klimakrise final zu lösen ist eine Aufgabe, die auch eine Kirchengemeinde überfordert, aber es geht eben darum, den An­fang zu machen für das große Ganze. Wie Jesus von Nazareth, der die Welt von der Graswurzel aus verändert hat. Wenn sich in den Gemein­den Menschen zusammenschließen, die versuchen, die Dinge neu anzugehen, dann verändert sich etwas. Man kann Dinge teilen – und wenn es nur die Bohrmaschine ist – oder sich gegenseitig ermutigen, Urlaub zu Hause und im vielleicht gemeinschaftlich bewirtschafteten Garten zu verbringen und Erholung in der Begegnung mit Menschen zu suchen statt an fernen Stränden. Kirchliche Einrichtungen und Bil­dungshäuser könnten klar machen: Fleisch und nicht ökologisch pro­duzierte Lebensmittel sind schlecht fürs Klima, also verzichten wir darauf. Stattdessen gelten Paradigmen wie vegetarisch, saisonal, regional, weniger und nachhaltig. Man kann sich auch mit Gleich­gesinnten zum Filmschauen treffen, statt jeder einzeln vor seinem TV – die CO2-Bilanz von einer Stunde Onlinestreaming ist die gleiche, wie einen Kilometer Auto zu fahren.

Gemeinsam singen wäre annähernd klimaneutral und gleichzeitig wunderbar für Körper und Seele. Einkaufen, Wege zur Arbeit und zur Kinderbetreuung könnten gemeinschaftlich statt im Einzelstress be­wältig werden. Als Gemeinde könnte man den ökologischen Fußab­druck (vgl. www.fussabdruck.de) berechnen. Wenn dann die Einzelnen verändert oder bewusster handeln, würde das im großen Gemeinde-Fußabdruck schnell sichtbar werden. Es geht einfach besser, wenn man als Gemeinschaft den Versuch startet, Überflüssiges und Unnötiges zu lassen, und man sich gegenseitig motiviert.

Heldenhaft

Es sind kleine und naive Schritte, und dennoch führen sie in die richtige Richtung. LS ermutigt uns, religiös-ökologische Lernprozesse anzusto­ßen. Wenn dabei andere mit im Boot sind, kann aus der Überforderung ein Gemeinschaftserlebnis werden. Wenn „jedes Geschöpf etwas von Gott widerspiegelt“ und „Christus [...] als Auferstandener im innersten eines jeden Wesens wohnt“ (LS 221), dann kann der Einsatz für die Schöpfung auch zu einer Christusbegegnung werden und Gott konkret im Handeln erfahrbar werden. Als Beteiligte einer ehemaligen Graswur­zelbewegung, die vor 2.000 Jahren die Welt auf den Kopf gestellt hat, dürfen wir darauf vertrauen, dass es noch nicht zu spät ist. Hoffnung ist das, was uns ausmachen sollte. Unsere Religion geht auf einen Helden zurück, dem es heute egal wäre, was für ein Auto er fährt und wo er im Urlaub war. Erich Fromm sagt, er war ein Held des Seins und nicht des Habens. Wir müssen keine Heldinnen und Helden werden, aber dem Idol nacheifern wäre ein Anfang – denn die Welt zu retten ist kein frommer Wunsch, sondern der Anspruch unserer Religion. Am besten, wir fangen einfach damit an, an den Orten, an denen wir sind, und mit den Menschen, die um uns herum sind.