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Nachhaltig nachhaltig: nachhaltig-predigen.de

Nicht erst seit den „Fridays for Future“, sondern seit über 15 Jahren bietet das konfessionenübergreifende Kooperationsprojekt „nachhaltig predigen“ Auslegungshilfen für das Alte und Neue Testament unter Nachhaltigkeits­gesichtspunkten. Dadurch sollen im Blick auf die Relevanz und Dringlichkeit der ökologischen und sozialen Krisen die nicht selten überraschenden, irri­tierenden und weisen Antworten der Bibel auf diese Herausforderungen herausgearbeitet werden.

Spätestens mit dem „Skolstrejk för klimatet“ ist das Thema Klimawan­del in Medien, Gesellschaft und Politik in einer Wucht präsent wie sel­ten zuvor. Viele Menschen fragen sich, wie sie ihren Lebensstil verän­dern müssen und wie unsere Gesellschaft ihre Prioritäten neu setzen muss, damit die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten in ihrer heuti­gen Form erhalten bleiben. Daneben und zugleich damit verknüpft sehen wir uns mit dem sechsten großen und diesmal menschenge­machten Artensterben der Erdgeschichte konfrontiert, das in seinen Auswir­kungen mindestens so gravierend wie die globale Klimaerwär­mung sein dürfte, sowie – und ebenso damit im Zusammenhang stehend – mit der Verschmutzung von Wasser, Boden und Luft bzw. dem weltweiten Raubbau an Landschaften.

Mit der Beobachtung dieser desaströsen Lage von „Schwester Erde“ (Laudato si’ 53) verbindet sich erstens die Einsicht, dass es insbesondere die Armen des globalen Südens sind, die unter den Folgen des Klima­­wandels und des gegenwärtigen Paradigmas von Konsum- und Weg­werfgesellschaften leiden und zu leiden haben werden. So gehen etwa mit dem Raubbau an der Natur gravierende soziale Ungerechtigkeiten beispielsweise im Zusammenhang mit Landgrabbing in Südamerika oder der Ausbeutung menschlicher Ressourcen in den Coltan- und Gold­minen in Afrika einher, in erster Linie angetrieben durch den Lebensstil in den Industriestaaten. Zweitens sehen sich auch die Länder des Nor­dens vor der Herausforderung, sich innerhalb ihrer Gesellschaften um einen gerechten Ausgleich zu bemühen, wenn durch Maßnahmen des Klima-, Umwelt- und Naturschutzes Arbeitsplätze in bestimmten In­dustriezweigen verloren gehen und finanzielle Belastungen der Ver­braucher*innen wachsen. Drittens machen uns die vermehrten Wet­terextreme auch hierzulande bewusst, dass die kommenden Jahre mehr als ungemütlich werden, ohne dass Aussicht auf Besserung besteht.

Daraus ergibt sich eine lange Reihe an Fragen, die Menschen zutiefst bewegen und existentiell (be-)​treffen. Wie können wir sozialen Aus­gleich, Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd befördern und herstellen? Was ist das aus christlicher Sicht gebotene Handeln? Wie finde ich den nötigen Mut und die Kraft, einen neuen, umweltverträglichen Lebens­stil zu wagen? Haben wir ein inneres Auge für die Schönheit der Natur und können wir diese Schönheit für zukünftige Generationen erhalten? Wie begegnen wir der Resignation angesichts der bestenfalls zu verlang­samenden, aber doch unaufhaltsamen ökologischen Talfahrt? Wie gehe ich mit der ökologischen Schuld um, die ich im Laufe meines Lebens auf mich geladen habe? Wie kann Umkehr in einer solchen Situation glaub­würdig gelingen? Wie gewährleisten wir den gesellschaftlichen Zusam­menhalt, soziales Erleben, Mitmenschlichkeit und Solidarität, wenn sich die Lebensbedingungen verschärfen (vgl. Franzen 2020)?

Wollen wir als Kirche, in Gottesdienst und Predigt nahe an den Men­schen mit ihren Sorgen um ihre eigene Zukunft bzw. die ihrer Kinder und Enkel, ihren Befürchtungen um die Grundlagen friedlichen Zu­sammenlebens, ihren Hoffnungen auf einen guten Ausgang wider aller Realität und ihrer Verzweiflung angesichts der irreversiblen Auswir­kungen von Klimawandel und Artensterben sein, dann werden wir uns diesen Fragen stellen und ernsthaft um Antworten ringen müssen (siehe etwa Manemann 2020). Die Glaubensverkündigung anhand der Heiligen Schrift wird hierzu etwas sagen müssen, will sie Relevanz beanspruchen und Menschen davon überzeugen, dass der Glaube an den dreieinen Gott auch angesichts der Realität des 21. Jahrhunderts trägt.

Zugleich mag noch nicht in allen Köpfen und Herzen die Erkenntnis angekommen sein, wie eng das Engagement für die Armen (das „klas­sische“ Betätigungsfeld der Kirchen) und der Kampf gegen die Zerstö­rung der natürlichen Lebensgrundlagen zusammenhängen. Noch mö­gen nicht alle verinnerlicht haben, dass wir nicht eine Krise der Umwelt und eine Krise der Gesellschaft erleben, sondern es mit einer „einzige[n] und komplexe[n] sozio-ökologische[n] Krise“ (Laudato si’ 139) zu tun haben. Wenn allein in Afrika im Jahr 2017 900.000 Menschen aufgrund von Dürre ihren Grund und Boden aufgeben mussten oder laut Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Natio­nen der Klimawandel einen der gewichtigsten Gründe darstellt, wes­halb der Hunger in der Welt wieder zu steigen beginnt, dann wird die soziale Sprengkraft der ökologischen Katastrophe deutlich (vgl. Guterres 2018; FAO 2018). Doch noch sind diese Interdependenzen nicht in der Mitte jeder unserer Pfarreien angekommen.

An dieser Stelle und an diesen Herausforderungen setzt das Projekt nachhaltig predigen ein. Es bietet, kurz gesagt, für die biblischen Texte jedes Sonn- und kirchlichen Feiertags Impulse und Auslegungen unter den Gesichtspunkten und angesichts der Amalgamierung ökologischer und sozialer Fragen. Hierbei werden die Texte sowohl aus der katholi­schen Lese- als auch aus der evangelischen Perikopenordnung heran­gezogen und die betreffenden Bezüge zur Nachhaltigkeit von Theolo­ginnen und Theologen fundiert herausgearbeitet.

Gewiss lässt sich über den Begriff „Nachhaltigkeit“ streiten. Dies betrifft sowohl den Vorwurf, er sei verwässert, beliebig oder konturlos, als auch Diskussionen hinsichtlich seiner konzeptionellen Ausrichtung (etwa die Orientierung am Konzept der sog. „starken“ oder „schwachen“ Nachhal­tigkeit; vgl. Döring/​Ott 2001). Zentral und davon unberührt bleibt aller­dings das Anliegen von nachhaltig predigen in seiner christlichen Per­spektive: die Relevanz und Dringlichkeit der ökologischen und sozialen Krisen zu akzentuieren und die – nicht selten – überraschenden, irritie­renden und weisen Antworten der Bibel darauf herauszuarbeiten.

Das Projekt ist hierbei auch in einer zweiten Wortbedeutung „nachhal­tig“, d. h. auf Dauer ausgelegt. Während manches Vorhaben endet, so­bald die Projektförderung ausläuft, erfuhr nachhaltig predigen dieses Schicksal, Gott sei Dank, nicht. Die Energie, die in die Etablierung ge­steckt wurde, wirkte weiter. So läuft dieses konfessionenübergreifende Kooperationsprojekt seit 15 Jahren, steht also jedem Aktionismus fern, der auf tagesaktuelle Trends aufzuspringen versucht.

Die Keimzelle von nachhaltig predigen liegt in Rheinland-Pfalz. Die Landeszentrale für Umweltaufklärung dieses Bundeslandes förderte von 2005 bis 2010 die Drucklegung der Predigtanregungen. Das öku­menische Projekt der Bistümer und Landeskirchen in Rheinland-Pfalz wirkte schnell über die Landesgrenzen und nationalen Grenzen hinaus. Mittlerweile beteiligen sich in Deutschland evangelische Landeskirchen (13), katholische (Erz-)​Bistümer (7) sowie die anglikanische Kirche an den Predigtanregungen, ebenso tragen Schweizer Kirchen (Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich und Katholische Kirche im Kanton Zürich) und Institutionen für Umweltbildung (5) das Projekt mit. Weitere Bistümer und Landeskirchen sind eingeladen, sich am Pro­jekt zu beteiligen und die Resonanz für diese Thematik damit zu ver­stärken. Ein eigenständiger englischsprachiger Ableger ist ebenso aus nachhaltig predigen hervorgegangen (siehe http://www.sustainable-preaching.org) wie ein „Best-of“ im Verlag Katholisches Bibelwerk (Rentz 2018). Im Laufe der Zeit wanderten die anfangs gedruckten Predigtanregungen ins Internet, wo sie mittlerweile ausschließlich abrufbar sind und damit kostenfrei allen zur Verfügung stehen, die Auslegungshilfen für das Alte und Neue Testament unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten suchen.

Zahlreiche Autoren, die aus den Reihen der Projektpartner kommen, bieten im Laufe des Kirchenjahres unterschiedliche Sichtweisen und Interpretationen an und versuchen, ihre Antworten auf die oben skiz­zierte Situation und Fragen zu geben. Das heißt, der individuelle Stil, die persönlichen Perspektiven auf das Thema fließen ein und variieren die Zugänge und Stoßrichtungen der Auslegung. Daher lohnt sich so­wohl ein erneuter Blick von Woche zu Woche als auch ins Archiv. In der Regel findet man hierbei keine ausformulierten Predigten vor, sondern Gedanken, wie eine Perikope ausgelegt werden kann.

In den letzten Jahren war es insbesondere durch die Unterstützung von Brot für die Welt zusätzlich möglich, jeweils ein Schwerpunktthema für das Kirchenjahr auszuarbeiten und übersichtlich zu erschließen. Vulne­rabilität, Teilhabe oder Suffizienz sind nur einige Themen, die im Fokus standen und Akzente setzten bzw. zu denen Hintergrundinformationen bereitgestellt wurden.

Gewiss, nachhaltig zu predigen bedeutet, „nur“ Worte zu machen. Doch wir brauchen vor allem neue Erzählungen oder, besser gesagt, eine an­dere Art, unsere alten Geschichten zu erzählen, um Orientierung zu geben und Änderungen des Lebensstils zu befördern. Die Botschaft Jesu ist in die heutige Zeit und in den aktuellen kulturellen Rahmen zu über­tragen und verständlich zu machen, um trotz bzw. angesichts der ökolo­gischen Katastrophe keine leichtfertige, aber doch im Letzten gute Bot­schaft (εὐangel-ium) verkünden zu können.