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anders, denn Kirche hat Zukunft

Wie Fresh X neue Wege gehen

In Fachkreisen sind die Fresh Expressions of Church (Fresh X), die ursprünglich aus der Anglikanischen Kirche her kommende Initiative der frischen Ausdrucksformen von Kirche, bereits seit langem bekannt. Einem größeren Kreis kirchlicher Interessierter könnten sie durch dieses neue Buch nähergebracht werden.

Die Fresh X sind ein praktischer Antwortversuch auf die Frage, wie das Evangelium auf neue Weise entdeckt und wirksam werden kann. Nicht unbedingt sind sie dazu gedacht, die institutionell-verfasste Kirche aufzubauen bzw. sie zu „retten“. Sie sind eher Ausdruck einer Vorstellung von Kirche, die sich im jeweiligen Kontext mit den Gaben der Beteiligten auf neue Weise und in vielfältigen Formen – oft ungewohnt und „störend“ kreativ – realisiert. Im Unterschied zu England zeigen sich Fresh X in Deutschland nicht als „einheitlicher und zentral gesteuerter Arbeitsbereich“, sondern vereinen sehr unterschiedliche Initiativen von Menschen, die unterschiedlichen Konfessionen angehören oder den konfessionellen Kontext innerlich oder äußerlich schon längst hinter sich gelassen haben.

Das Buch kommt frisch und fröhlich daher, nicht nur wegen der kreativen Covergestaltung, sondern auch, weil hier eine neue Generation von Praktiker:innen und Nachdenker:innen in kurzen, knackigen Beiträgen erzählt, wie es denn gehen kann, wenn Kirche auf andere Weise Zukunft haben kann. Dabei geht es um ein Experimentieren mit Formen, die vielfältig, fluide, prozesshaft und am sozialen Kontext orientiert sind und vielleicht gerade deshalb eine neue Erfahrung dafür darstellen, wie kirchliche Gemeinschaft auch sein kann und wie Menschen auf neue Weise zum Glauben kommen.

Das Buch führt den:die Leser:in durch drei Teile, deren erster aufweist, warum es neue Formen von Kirche braucht und wie sie jetzt schon entstehen, deren zweiter Haltungen und Prozessen gewidmet ist, die bei der Entstehung und Etablierung von Fresh X zum Ausdruck kommen, und deren dritter darstellt, was sich in einzelnen Aspekten zeigt, wenn Kirche anders wird. Gerade hier zeigt Felix Goldingers Blick auf die Netzgemeinde da_zwischen, dass ihr eine inkarnierte Theologie zugrunde liegt, zeigt Jonte Schlagner, wie die Orientierung an den iro-schottischen Wandermönchen eine Form von new monasticism etablieren kann, zeigen Anna und Erik Reppel, dass auch ein Businessplan dazugehört, eine Fresh X wie das Pixel Sozialwerk kompetent und nachhaltig zu entwickeln.

Es liegt in der Natur des gesellschaftlichen Wandels, der in sozio-kultureller Hinsicht die herkömmlichen Modelle obsolet erscheinen lässt, dass sich Glaubenskommunikation und Kirche auf frische Weise realisieren. Gleichzeitig berichten Autor:innen auch, wie problematisch es innerhalb der kirchlichen Struktur ist, mit anderen etwas Neues zu implementieren oder nur einfach Innovation auf verschiedenen Ebenen zu wagen. Zu stark scheint das Beharrungsvermögen zu sein, Kirche in einer traditionellen Weise und in herkömmlichen Prozessen, Narrativen und Verlaufsformen zu denken und zu gestalten. Hierzu gehören auch Grundhaltungen für das Teilen von Verantwortung sowie den Umgang mit Macht, mit Komplexität und Diversität und mit den Ressourcen zivilgesellschaftlichen Engagements. Viele Themen, die für die katholische Kirche in Deutschland derzeit konfliktiv auf dem Synodalen Weg diskutiert werden, zeigen sich in den Fresh X in alternativ verarbeiteter Weise.

Es gehört zum Selbstverständnis der Fresh X, dass es Gott selbst ist, der wirkt und Menschen beruft, die in Teilhabe möglichst vieler und in der Orientierung auf die unmittelbaren Herausforderungen des sozialen und kulturellen Umfelds in vielfältigen und unterschiedlichen Ansätzen gründerisch oder pionierhaft initiativ tätig werden. In der derzeitigen Transformationskrise der Kirche(n) zeigt das Buch, wie sich das Engagement von Pionier:innen mit dem Wachsen des Gottesreiches verbinden kann. Dennoch: Fresh X stellen in einer institutionell, konfessionell, hierarchisch und territorial verstandenen Kirche weithin immer noch einen Fremdkörper dar. Hierin liegt die eigentliche Sprengkraft der „Bewegung“, dass die Akteur:innen traditionell „vereinnahmende“ und „sozialisierende“ Formen von Kirche letztlich bereits hinter sich gelassen haben. Wie dann die Diskurse um Ressourcen, Deutungsnarrative und Kirchenbilder, um Verkündigungsformen und Zugehörigkeit mit den Diözesen und Landeskirchen laufen können, zeigen die Bemühungen, Erprobungsräume und neue Gemeindegründungsinitiativen in den institutionalisierten Kirchen anzuregen, zu ermöglichen, zu unterstützen und zu begleiten. Dabei wird überdeutlich, dass es schließlich nicht um ein Hineinwachsen in herkömmliche Formen von Kirche geht, sondern um etwas ganz Anderes, wo Glaube und Leben, Evangelium und Kontext sich gegenseitig neu erschließen und neue Wege von Berufung, Spiritualität, Gemeinschaft und Nachfolge kreiert werden.

 

Hubertus Schönemann