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re:publica 2022 – „Anyway the wind blows …“

Nach zwei Jahren im, wie die Gründer und Macher es nannten, digitalen Exil fand die re:publica vom 8. bis 10. Juni 2022 wieder präsentisch und mit der gewohnten Fülle von Vorträgen, Panels, Ausstellungsständen und Workshops in Berlin statt. Die neue Location, Arena Berlin und Festsaal Kreuzberg, brachten zudem eine Atmosphäre von Neuanfang mit sich.

Als „Festival für die digitale Gesellschaft“ bezeichnet die Konferenz sich selbst inzwischen. Der Fokus scheint sich allmählich vom Digitalen auf die Gesellschaft zu verlagern – diese natürlich gesehen aus der Perspektive der Digitalität. Vielleicht lag es aber auch daran, dass es derzeit gegenüber früheren Jahren einfach weniger Social-Media-Innovationen gab, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen? Stattdessen bestimmten eher die großen Krisen der Zeit und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen das Bild. Im Blick auf die Pandemiejahre stand weniger deren Bedeutung für die Digitalisierung im Zentrum (allenfalls offenbar gewordene Mängel der öffentlichen digitalen Infrastruktur), sondern vielmehr Fragen um den gesellschaftlichen Einfluss von Wissenschaft, Verschwörungserzählungen und die durch Corona bedingte Veränderung von Städten. Anknüpfend an den Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen sprachen Bernhard Pörksen zu dessen Aspekt als medialem Informationskrieg und Claudia Kemfert über erneuerbare Energien als Friedensenergien. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach und diskutierte in einem Panel zu den Folgen des Ukrainekriegs für das digitale Deutschland, Bundeskanzler Olaf Scholz zu Digitalpolitik in der Zeitenwende. Weitere Schwerpunkte des Programms bildeten Klimakrise, Natur und Ökologie (u. a. Mark Benecke zum Artensterben), beginnend mit der Keynote „Her mit der besseren Zukunft“ von Maja Göpel zur Eröffnung, und klassische netzpolitische Themen wie die von der EU-Kommission geplante Chatkontrolle.

Aber auch speziellere Thematiken fanden ihren Platz. Zum wiederholten Mal widmete sich ein (nicht als Aufzeichnung verfügbarer) Workshop dem Umgang mit Tod und Sterben – ein Programmpunkt, dessen besondere Anknüpfungsfähigkeit für Kirchenleute sich (vielleicht zum Erstaunen der Initiatoren) im Gruppengespräch zeigte, in dem sich zahlreiche Theolog:innen zu Wort meldeten. Explizit kommen Kirche, Glaube, Spiritualität im Rahmen der re:publica kaum vor; für die digitale Gesellschaft scheinen sie keine nennenswerte Rolle mehr zu spielen. Tatsächlich sah das Programm diesmal aber – wohl im Blick auf den Ukraine-Krieg – auch tatsächlich zwei ausdrücklich religiös geprägte Punkte zum Thema „Frieden“ vor: Die evangelische Pfarrerin Sara Burghoff und der buddhistische Lehrer Wilfried Reuter erhielten an verschiedenen Tagen jeweils eine Viertelstunde auf der Hauptbühne für einen kurzen Impuls aus ihrer Perspektive unter dem Titel „‚You may say I‘m a dreamer…‘- vom Frieden träumen trotz Krieg und Krise“. Die Zahl der interessierten Zuhörer und die Resonanz auf die Vortragenden war in beiden Fällen für die zentrale Stage 1 verhältnismäßig gering. Es wäre interessant zu erfahren, wie es zu diesen Beiträgen und ihrer Platzierung auf der Hauptbühne kam; der gemeinsame Titel beider Impulse scheint vielleicht eher auf eine Einladung durch die Programmverantwortlichen als auf eigene Bewerbungen der Vortragenden zu verweisen. Frieden scheint also ein Thema zu sein, das man den Religionen immerhin noch zutraut, zu dem man sich hilfreiche Gedanken von ihnen erhofft. In einem solchen Kontext einen religiösen Impuls vorzutragen, der nicht als Fremdkörper erscheint und für das wohl vorwiegend säkular geprägte Publikum nachvollziehbar und einladend ist, mitzudenken und „mitzuträumen“, ist sicher keine kleine Herausforderung; diesmal schien es, trotz echten Bemühens der Vortragenden, nicht ganz gelungen. Vielleicht wird es ja einmal wieder die Gelegenheit geben, es im Rahmen der re:publica zu versuchen.

Zu Ende ging die Konferenz übrigens wie immer mit ihrem eigenen, längst traditionellen Schlussritual: dem gemeinsamen Singen von „Bohemian Rhapsody“, dessen letzte Worte der diesjährigen Veranstaltung das Motto gegeben hatten: „Anyway the wind blows …“