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Synodaler Weg: Partizipation in Arbeit

Der Synodale Weg ist wie ein großes, zentrales Experiment der katho­lischen Kirche in Deutschland – mit vielfältigen Bezügen und Wir­kungen darüber hinaus. Auch wenn er erst am Anfang steht, seien deshalb Äußerungen von Teilnehmenden und BeobachterInnen ein­gefangen und einige Aspekte herausgestellt, in denen sich mögliche Lernerfahrungen für eine zukunftsfähige Gestalt von Kirchesein zeigen; dabei liegt der besondere Fokus in diesem Artikel auf dem Lernfeld Partizipation.

Beteiligung

Die Vehemenz der Auseinandersetzungen – bis hin zu Entgleisungen – um den und auf dem Synodalen Weg zeigt, dass es hier ums „Einge­machte“ geht. Während die einen hier eine „letzte Chance“ dafür sehen, um den Bruch zwischen Kirchenleitung und Basis zu kitten, beschwören andere die Gefahr eines Schismas, eines nationalkirchlichen Sonder­wegs.

Bemerkenswert ist: Zumindest bei den Sitzungen des Synodalen Wegs selbst spricht man trotzdem miteinander – und das vernünftig. Auf­schlussreich ist hier der Rückzug des Kölner Weihbischofs Dominikus Schwaderlapp aus einem Synodalforum (aber nicht aus der Synodal­versammlung). Zwar beklagt er einen „massiven Dissens in Kernfra­gen“; doch seien „die bisherigen Gespräche in dem Forum […] bei allen unterschiedlichen Auffassungen ‚in einer keineswegs aggressiven, sondern konstruktiven Atmosphäre‘ verlaufen“ (katholisch.de 2020b).

Bemerkenswert ist das deshalb, weil man sonst innerkirchlich meist in den eigenen Kreisen verbleibt und außerhalb von eigens inszenierten Streitgesprächen nur mit Gleichgesinnten diskutiert – und sonst vor­zugsweise über die anderen spricht. Letzteres gibt es natürlich beim Synodalen Weg auch, doch führt er eine Vielzahl von Stimmen zusam­men – inklusive der von Papst Franziskus, der ja einen ausführlichen Brief geschrieben hat.

Ohne einen solchen Austausch gibt es ja keine Partizipation. Doch wird ganz deutlich: Ein solcher „lagerübergreifender“ Austausch ist nicht selbstverständlich, sondern braucht bestimmte und in diesem Fall sehr massive Bedingungen: Die Verknüpfung des Synodalen Wegs mit dem Missbrauchsskandal lässt (zumindest bisher) nicht zu, dass sich auch nur ein einziger Bischof gemeinsamen Beratungen entzieht.

Setzungen

Zugleich bietet der Synodale Weg ein Lehrstück über die entscheidende Bedeutung von Strukturen für gelingende Partizipation. Auf der forma­len Ebene springen hier gleich einmal die Diskussionen um Satzung und Geschäftsordnung ins Auge. Nicht nur im Vorfeld gab es hier Streit, son­dern auch auf der ersten Synodalversammlung selbst wurden die Vor­schläge der Synodenregie nicht einfach abgenickt. Vielmehr sah sie sich deutlicher Kritik wegen ihrer Vorgaben ausgesetzt; von verschiedenster Seite wurden massive Veränderungen gefordert (vgl. Langer 2020).

Hier zeigen sich Grenzen von Partizipation. Die Organisatoren des Syno­dalen Weges bemühen sich ja um breite Beteiligung: Vielerorts finden Informations- und Beteiligungsveranstaltungen zum Synodalen Weg statt, auch online kann man sich immer wieder durch das Ausfüllen von Fragebögen einbringen; zudem folgte die Auswahl der Delegierten kom­plexen Schemata, um möglichst viele Gruppen zu repräsentieren. Doch können nicht alle, die wollen, bei allen Punkten mitsprechen; und die letztlich ausgewählten Delegierten spiegeln keineswegs repräsentativ das katholische Kirchenvolk wider (vgl. auch Thillainathan 2020). Auch wenn man sich noch so sehr bemüht, wäre das nicht in Perfektion mög­lich gewesen. Die Frage freilich ist: Gibt man sich mit einer Annäherung zufrieden und versucht das Beste daraus zu machen? Die medialen De­batten darüber offenbaren jedenfalls nicht nur Machtkämpfe, sondern auch Reflexionen, wenn etwa der Paderborner Weihbischof Dominicus Meier meint: „Kann nur das Bestand vor mir haben, an dem ich selbst beteiligt war beziehungsweise wozu ich etwas sagen konnte? Oder kann ich auch anderes gelten lassen, was durch zwei Gremien entschieden wurde?“ (katholisch.de 2020a).

Nicht unterschätzen sollte man aber auch informellere strukturelle Set­zungen. Michael Thurn spricht vom „Laboratorium Frankfurt“ (Thurn 2020, 97) und betont, die Wahl des Tagungsortes mitten in einer Groß­stadt und damit inmitten der modernen Welt (und nicht etwa in einem abgeschiedenen Kloster) sei für den Verlauf der Gespräche relevant: „Wenn die Synodalversammlungen in der City von Frankfurt und seinem Dom stattfinden, prägt das nicht nur die Personen und Themen der Versammlungen selbst, sondern ist zugleich eine Aussage darüber, in welchem Kontext sich Kirche und ihr Glauben künftig bewähren soll“ (ebd. 94).

Ebenso wird der ungehinderte Zugang der Presse zu den Versammlun­gen sowie die Übertragung per Livestream hervorgehoben. Das korre­liert mit anderen Bemühungen der katholischen Kirche hierzulande, mehr Transparenz zu zeigen.

Ganz unterschiedlich gesehen wird die Sitzordnung, nicht nach „Stän­den“ geordnet, sondern nach dem Alphabet. „Allein, dass manch einer aufgrund der Sitzordnung gefühlt nicht unter Seinesgleichen sitzt, son­dern neben jemand Fremden und dass beide sich über zwei Jahre hin­weg miteinander auseinandersetzen müssen, erscheint mir schon nach der ersten Sitzung als ein unfassbarer Gewinn und zwar für alle Beteilig­ten“, schreibt Pia Dyckmans in einem Kommentar und erkennt hier Potential für das Gespräch über divergierende Ansichten (Dyckmans 2020). Eine divergierende Ansicht dazu äußert Kardinal Rainer Maria Woelki: Darin und in anderen Zeichen sei das rechte Verhältnis von Geweihten und Nichtgeweihten, die hierarchische Verfassung der Kirche in Frage gestellt (vgl. Kirche+Leben Netz 2020).

Hier geht es um eine noch einmal andere Form von Struktursetzung, um die ebenso heftig gerungen wird: um die Setzung von Denkstruk­turen. Soll man bei den Diskussionen von einer gewissen tradierten Lehre ausgehen, wie es Woelki vorschwebt: „Es gelte zunächst zu ver­stehen, was Glaube und Lehre der Kirche sei, um dann die Fragen im Jahr 2020 zu reflektieren und Antworten zu geben“ (ebd.)? Wie gestaltet man denkerisch das Verhältnis von Theologie/theologischer Tradition und heutiger Lebensrealität? Welche Relevanz für innerkirchliche Strukturen billigt man Untersuchungen wie der Missbrauchsstudie zu? Wie sieht man die Beziehung zwischen kirchlichen Strukturen und Evangelisierung? Welches Bild von Klerus und Hierarchie soll den Umgang miteinander prägen?

Damit wird zugleich offengelegt, welche institutionellen Strukturen sich im Laufe der Zeit nicht nur faktisch, sondern auch denkerisch verfestigt haben – mit weitreichenden Konsequenzen für Partizipation – und jetzt mühsam neu gestaltet werden müssen. Dass Laien und Kleriker Seite an Seite beraten und auch abstimmen, ist nämlich nichts Neues: Das gab es bereits bei der Würzburger Synode in den 1970er Jahren. Ein bischöflicher Vorbehalt war freilich auch damals gegeben: Die Bischöfe konnten per Veto eine Abstimmung verhindern (vgl. Renzikowski 2015). Dennoch: Die Aufregung über das Verhältnis von LaiInnen und Klerikern auf dem Synodalen Weg kann als Hinweis auf einen kirchenentwicklerischen Stillstand in den letzten Jahrzehnten gelesen werden.

Hinter dem Streit um Abstimmungsregeln liegt aber auf einer tieferen Ebene noch einmal eine wesentliche denkerische Struktursetzung: nämlich das Verständnis von Einheit in der Kirche. Kann die Einheit nur bewahrt werden, wenn die bischöfliche Lehr- und Entscheidungsvoll­macht hoch gehängt wird (ungeachtet der Tatsache erheblicher Mei­nungsverschiedenheiten zwischen den Bischöfen) und zudem vielleicht noch Diskurse, die irgendwie die katholische Lehre in Frage stellen könnten, von vornherein verhindert werden? Oder kann (und muss) man nicht auch LaiInnen eine verantwortungsvolle Mitsorge um die Einheit der Kirche zutrauen? Oder haben wir die innerkirchliche Einheit bereits verloren und müssen sie erst wiederfinden?

Freimut

Die faktische Kirchenentwicklung geht in Deutschland jedenfalls nicht in eine paternalistisch bewahrende Richtung. Ganz im Gegenteil: The­men kommen mit einer Offenheit auf den Tisch, wie das noch vor zehn Jahren eher nicht vorstellbar war. Die Erfurter Dogmatikprofessorin und Teilnehmerin am Synodalen Weg Julia Knop berichtet aus der ersten Synodalversammlung: „[…] Es folgte eine Aussprache im Plenum. Sie war in mancher Hinsicht bemerkenswert. Einmal deshalb, weil über­haupt solch ‚heiße Eisen‘ – im Jargon der Boulevardpresse ausgedrückt: Macht, Sex, Zölibat und Frauen – in einem solchen Gremium angefasst wurden. Aber vor allem deshalb, weil sie so angefasst wurden, wie es in Frankfurt zu erleben war, nämlich in einer bis in die Sitzordnung hinein bunt gemischten, nicht hierarchisch organisierten Konferenz und in einer Offenheit und Authentizität, die ihresgleichen sucht. Die Intensi­tät der Beteiligung am Gespräch war groß, ebenso die Herausforderung, in diesem Setting die eigene Rolle (neu) zu (er‑)​finden. Viele Frauen, viele der jungen Leute und viele Pfarrer meldeten sich zu Wort und sie äußerten sich frisch und klar, ohne Verharmlosung und Harmonisie­rung, ohne Angst und voller Entschiedenheit“ (Knop 2020). Ähnlich der Frankfurter Pfarrer und Delegierte Werner Otto: „Der intensive hierar­chiefreie Austausch zwischen Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, BDKJ-Vertreter*innen, ZdK-Mitgliedern, Wissenschaftler*innen und vielen anderen hat der Versammlung eine ganz eigene Qualität gege­ben, die ich so in der Kirche noch nicht erlebt habe. Das könnte die große Chance des Synodalen Wegs werden“ (Emunds/​Otto 2020, 101).

Und trotz dieser Stimmung des Freimuts sind die Themen Angst und Macht gegenwärtig beim Synodalen Weg. Aber: Sie werden offen an­gesprochen. Wie wichtig und nicht selbstverständlich das ist, zeigte sich beim Statement von Sr. Philippa Rath und den vielen Reaktionen dar­auf, die sie zu einem ausführlicheren Artikel in der Herder Korrespon­denz veranlassten (Rath 2020).

Allein dieser Aspekt macht klar, dass der Synodale Weg noch weit und anspruchsvoll ist. Doch er wird gemeinsam angegangen – als geistlicher Weg. Das ist offenbar für manchen gewöhnungsbedürftig: „Ich war am Anfang etwas skeptisch. Aber die basalen eutonischen Übungen, die jeweils in ein Gebet mündeten, haben uns geholfen, trotz vieler Emotio­­nen aufmerksam zu bleiben. So ein Tag, an dem die Versammlung von morgens bis spätabends tagt, ist ja schon ein Kraftakt. Da war es gut, zwischendurch auch einmal durchatmen zu können“, so Bernhard Emunds (Emunds/​Otto 2020, 104 f.). „Geistlicher Weg“ kann aber viel mehr heißen. Stefan Kiechle etwa schreibt u. a.: „Ein geistlicher Prozess setzt voraus, dass alle, die teilnehmen, indifferent hineingehen; dieses Schlüsselwort ignatianischer Spiritualität meint zunächst ergebnis­offen, aber tiefer noch: von persönlichen Vorlieben, Vorurteilen, Vor­festlegungen so frei, dass man ganz auf den Geist hören kann, der vielleicht ganz Neues wirken will“ (Kiechle 2019).

An dieser Stelle wie auch bei den anderen bereits genannten Aspekten zeigt sich der Synodale Weg vielleicht noch nicht als Kirchenentwick­lung „in voller Fahrt“, sondern im Modus des Möglichen, des Fragens, des Sich-Entfaltenden. Das schließt auch überraschende Entwicklungen und Lernerfahrungen mit ein, etwa aktuell durch die Coronakrise, in der auch der Synodale Weg mit neuen – u. a. digitalen – Besprechungsfor­maten experimentiert. Zu den offiziellen Themen des Synodalen Wegs, die ja für eine neue kirchliche Partizipationskultur hochrelevant sind, ist jetzt in diesem Artikel noch gar nichts gesagt; das ist eine andere Geschichte und mag ein andermal thematisiert werden. Doch ist auch so deutlich zu sehen: Selbst wenn die inhaltlichen Ergebnisse hinter den Erwartungen vieler deutlich zurückbleiben sollten, entspringen allein der Durchführung des Synodalen Wegs vielfältige (positive und nega­tive) Lernerfahrungen, die der Einübung einer partizipativeren Gestalt von Kirche dienen und dadurch, dass die Delegierten aus ganz verschie­denen Kontexten kommen und der Synodale Weg (kirchen‑)​medial breit rezipiert wird, vielfältig in die Kirche in Deutschland (und darüber hin­aus) hineinwirken. Von daher scheint der Synodale Weg auf einem guten Weg zu sein.