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Ein spannendes Verhältnis

Tagung zu Weltanschauungsarbeit und Religionswissenschaft

Betreibt kirchliche Weltanschauungsarbeit einen Sekten- und Gefahren­dis­kurs, der Neue Religiöse Bewegungen verzerrt und einseitig als Be­dro­­hung darstellt und damit womöglich sogar die Religionsfreiheit ge­fähr­det? Solche und ähnliche Vorbehalte sind immer wieder aus religi­onswissenschaftlichen Kreisen zu vernehmen. Grund genug für die katholischen Weltanschauungsbeauftragten, dem Verhältnis von Religi­onswissenschaft und Weltanschauungsarbeit nachzugehen – so gesche­hen bei der Frühjahrstagung vom 24. bis 26. März 2014 in Fulda.

Dabei lässt sich durchaus eine Annäherung der beiden Disziplinen fest­stellen. Heute befasst sich Religionswissenschaft – was für die Weltan­schau­ungsarbeit spannend ist – zunehmend mit Europa und der Gegen­wart, während sie in ihren Anfängen stark auf außereuropäische Kultu­ren und philologische Studien konzentriert war. Zu seiner Studienzeit habe man, anders als heute, eine außereuropäische Sprache erlernen müssen, so Michael Stausberg, Professor für Religi­onswissenschaft in Bergen (Norwegen) und Hauptreferent der Tagung. Weiterhin hat Religionswissenschaft mittlerweile viele der kulturwissenschaftlichen „turns“ (linguistic turn, iconic turn, postcolonial turn …) rezipiert und geht mit einer Fülle an Zugängen an ihre Gegenstände heran. Dabei sei sie, so Stausberg, aber mehr Nehmende als Gebende. Das liege freilich auch daran, dass zumindest in Deutschland Religionswissenschaft ein kleines Fach sei und ein Professor an einer Universität meist das gesam­te Spektrum vertreten muss, was eine Spezialisierung erschwert.

Ebenso hat sich die Weltanschauungsarbeit seit ihren Anfängen deut­lich gewandelt. Zwar steht die Beratung in Konfliktfällen nach wie vor bei den Diözesanstellen im Vordergrund, doch besteht die Herausfor­derung heute zunehmend darin, generell die religiös-weltanschauliche Pluralität als Grundlage heutigen kirchlichen Handelns wahrzunehmen und zu analysieren. Dafür bieten religionswissenschaftliche Studien wertvolle Informationen und können helfen, neureligiöse Bewegungen unter neuen Gesichtspunkten zu sehen. Umgekehrt ist Weltanschau­ungs­arbeit oft „näher dran“ an diesen Gruppierungen und erhält Ein­blicke in das konkrete Leben in diesen Glaubensgemeinschaften, die sich mitunter von offiziellen Darstellungen deutlich unterscheiden. Wiederum umgekehrt kommen Religionswissenschaftler – etwa in eth­no­grafischen Studien – auf eine ungezwungene Art mit Gläubigen in Austausch, wie es die Weltanschauungsarbeit, die häufig stark auf Aussteiger angewiesen ist, nicht vermag.

Es bestehen also viele Chancen, gegenseitig voneinander zu lernen. Frei­lich wurden bei der Tagung auch die unterschiedlichen Heran­gehens- und Denkweisen deutlich, etwa am Beispiel der Begriffe „Religion“ und „Magie“: Während man kirchlicherseits gerne die Unterschiede herausarbeitet, ist – so Stausberg – hier religions­wissenschaftlich keine Unterscheidung begründbar, sondern vielmehr ein (Ausgrenzungs-)Diskurs zu konstatieren, den man religionswissen­schaftlich untersuchen kann.

Grundlegend ist die Frage nach der (Wert-)Neutralität. Kirchliche Weltanschauungsarbeit will und kann nicht auf das Bewerten von religiösen Phänomenen verzichten; dagegen kennzeichnet die Religionswissenschaft das Bemühen um ein wertneutrales Herangehen an ihre Gegenstände. Aber lässt sich das völlig durchhalten? Einmal abgesehen davon, dass die religionswissenschaftliche Fremdbeschrei­bung Rückkopplungseffekte auf die untersuchten religiösen Subjekte aufweist: Auch der methodologische Atheismus hat ein gewisses Verzerrungspotential. Und erst recht schwierig wird es bei der Untersuchung normativer Fragen, zu denen prinzipiell kein Zugang von einer absoluten, gänzlich „objektiven“ Humanität her möglich ist.

Mit seinem Plädoyer für Religionsfreiheit überschreitet REMID (Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e.V., Marburg) klar diese Neutralität. Er will dazu beitragen, „ein Klima von Akzeptanz und Anerkennung gegenüber anderen Religionen zu schaffen sowie fremde religiöse Überzeugungen verständlich zu machen, damit die Vielgestaltigkeit produktiv für die friedliche weitere Entwicklung der Gesellschaft genutzt werden kann“ (www.remid.de). So warnte REMID-Vorstandsmitglied Christoph Wagenseil bei der Tagung insbesondere vor dem Gebrauch von Begriffen, die durch pauschali­sierende, pejorisierende Tendenzen zur Ausgrenzung von Religions­gemeinschaften führen. Insbesondere der Begriff „Sekte“, der immer noch schnell und schlagwortartig gebraucht wird, sei hochproble­matisch. Demgegenüber wurde von Seiten der Weltanschauungsarbeit betont, dass der kritische Umgang mit dem Sektenbegriff hier längst zum Standard gehöre, dass Weltanschauungsarbeit oftmals Medien­vertreter etc. erst auf diese Problematik aufmerksam mache – was aber anscheinend noch nicht überall in der Religionswissenschaft wahrgenommen werde.

Insgesamt bot die Tagung den Teilnehmenden aus der Weltanschau­ungs­arbeit verschiedene Einblicke in eine ihrer wichtigsten Bezugs­wissenschaften und Ansatzpunkte für das Gespräch – ein Gespräch, das viel Ertrag zu bringen vermag, das freilich immer noch mit Vorbehalten und Missverständnissen zu kämpfen hat.