Inhalt

Mission: Sustainability

Theologie und Kirche als Impulsgeber für eine nachhaltige Entwicklung. Bericht von der Jahrestagung des Instituts für Weltkirche und Mission (IWM), 25.–27. März 2015 in Frankfurt/St. Georgen

Erstaunlicherweise gibt es in Kirche und Theologie eher bloß verhaltene Reaktionen auf die globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Bevölkerungswachstum, die die gesamte Menschheit existenziell be­tref­fen und unter dem Stichwort „Nachhaltigkeit“ diskutiert werden. Die Jahrestagung des Instituts für Weltkirche und Mission machte es sich daher zur Aufgabe, das Thema Nachhaltigkeit in interdisziplinärer Perspektive anzugehen und nach einem christlich-theologischen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung, lokal wie global, zu fragen.

Ottmar Edenhofer, Professor für Ökonomie des Klimawandels an der TU Berlin, verwies darauf, dass wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einem anthropogenen, also durch den Menschen und seinen CO2-Ver­brauch verursachten Klimawandel auszugehen haben. Die Folgen dieses Klimawandels sind weniger sicher abzuschätzen, doch wird das Erd-Kli­ma in der zweiten Hälfte des 21. und im 22. Jahrhundert irreversibel durch heutige Entscheidungen geprägt, sodass dringender Anlass zum Handeln besteht. Würden Treibhausgase wie bisher emittiert, wäre im Laufe des Jahrhunderts ein Anstieg der mittleren Temperatur auf der Erde um 4 bis 5 °C zu erwarten – mit voraussichtlich katastrophalen Folgen für das Erdklima und in der Konsequenz für Landwirtschaft, Biodiversität, Wasserversorgung etc. Ungefähr 1.000 Gigatonnen CO2 können noch in der Atmosphäre abgelagert werden, um eine über 2 °C hinausgehende Erderwärmung wahrscheinlich zu verhindern; an fossi­len Ressourcen sind aber noch 11.000 Gigatonnen vorhanden (gemessen an der Aufnahmekapazität der Atmosphäre gibt es also keine Knappheit an fossilen Brennstoffen, die noch für 300 Jahre reichen würden). Tech­nischer Fortschritt allein kann dieses Problem nicht lösen: Obwohl die CO2-Intensität pro Bruttosozialprodukt in den letzten Jahren abgenom­men hat, ist die Summe der Emissionen absolut gestiegen. Es ist also nicht gelungen, durch effizientere Technologien das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum zu kompensieren. Edenhofer schlägt daher eine Besteuerung von CO2-Verbrauch vor – als ein wirksames Mittel zur Ar­mutsbekämpfung, das zudem deutlich machen könnte, dass die Atmos­phäre ein Gemeinschaftseigentum ist, das nicht wie bisher als Allmende verbraucht werden darf.

Deutlich wird an dieser Stelle das entscheidende Dilemma zwischen glo­baler Nachhaltigkeit und Wohlstand für alle: Denn mit welchem Recht können die Industrieländer von den die industrielle Entwicklung nachholenden Ländern einen Verzicht auf steigenden Energieverbrauch fordern, nachdem sie selbst jahrzehntelang am meisten Energie ver­­braucht und CO2-Emissionen verursacht haben? Da wirtschaftliches Wachstum in Industrieländern oft keinen Zusammenhang mit höherer Lebensqualität hat, wäre nach Potenzial zu suchen, in reichen Ländern auf Wachstum zu verzichten zugunsten von Ländern, in denen Wachs­tum zur Armutsbekämpfung nötig ist. Gefordert ist also besonders von reichen Ländern, alternative, ressourcenschonende Lebensstile zu ent­wickeln und ihre Praktikabilität zu erweisen.

Welche Rolle könnten die Kirchen in diesem Zusammenhang spielen? Als global präsente und lokal verwurzelte Akteure haben sie durchaus Chancen, ihren Einfluss geltend zu machen, sei es in ihrer politischen Anwaltschaft, als Experimentierfeld für alternative Ansätze, in der Wahr­nehmung marginalisierter Gruppen oder in der Entwicklung und Förderung einer Spiritualität der Nachhaltigkeit. Einen Baustein hierzu lieferte der Beitrag des Salzburger Dogmatikers Hans-Joachim Sander, der die These vertrat, dass nicht der Glaube nachhaltig ist, sondern die Zeichen der Zeit. Denn Zeichen der Zeit sind verbunden mit Anders-Orten/Heterotopien, denen man gern oder leicht ausweichen kann, aber nicht darf. Mission hat die Aufgabe, sich auf diese Orte zu bezie­hen, weil sie gotthaltig sind. Doch gerade die Nachhaltigkeitsproblema­tik, die Überlebensfragen der gesamten Menschheit betrifft, führt zur Selbstrelativierung, zur Infragestellung des eigenen Standpunkts. Die­ser Selbstrelativierung kann man gerade als einzelner leicht ausweichen und die Augen davor verschließen, dass wir selbst die Attentäter sind, weil es unsere Lebensweise ist, die den katastrophalen Klimawandel be­wirkt. Politisch entscheidend ist es, wie es gelingt, sich mit diesen un­aus­weichlichen Fragen zu identifizieren und eine entsprechende Empa­thie zu entwickeln. Wenn der Glaube jedoch im Habitus erhabener Selbstreferenz daherkommt, der nicht scheitern kann und sich für die Probleme anderer nicht interessiert, so ist er nachhaltig bedeutungslos und zu umkehrfähiger Empathie nicht in der Lage. Es sind also nach Sander die Fragen an die Religionen, die nachhaltig sind, nicht ihre je­weiligen Antworten, da diese sich mit der Zeit ändern. Ein Beispiel für das Gemeinte ist die Parabel vom Samariter, die verdeutlicht, dass nicht der Glaube oder die Religionszugehörigkeit nachhaltigen Charakter hat, sondern die Zeichen der Zeit, nämlich die Menschen, die um die Aner­kennung ihrer Würde betrogen sind. Diese Zeichen der Zeit, so die The­se, sind verbunden mit markanten Orten, und es ist eine (zu entwi­ckeln­de) spirituelle Fähigkeit, sich diesen Orten auszusetzen und sie als loci theologici alieni, als befremdliche Orte, anzusehen, die verlangen, sich auf Neues einzustellen, das man bisher so nicht gesehen hat, und darin Gott zu entdecken.