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Blick von außen

Katholische Liturgie im Spiegel der religiös-weltanschaulichen Pluralität

Rituale, Gottesdienste, Liturgien: ein konfessions- und religionsübergreifen­des Thema – und ein Thema mit vielen Facetten. Martin Hochholzer stellt Beobachtungen aus der kirchlichen Weltanschauungsarbeit vor, bei denen man manches entdecken kann, was eine neue Perspektive auf das Eigene eröffnet und zum Nachdenken anregt.

Wer wie ich in der kirchlichen Weltanschauungsarbeit tätig ist, tut gut daran, regelmäßig den eigenen Schreibtisch zu verlassen und sich reli­giöse Gemeinschaften vor Ort anzuschauen. Das geht natürlich nur exemplarisch. Dennoch sind manche dieser Einblicke in die religiös-weltanschauliche Vielfalt erstaunlich genug: der Esoteriker, der den verheerenden Tsunami in Japan auf das Abschlachten von Meeressäu­gern zurückführt (als eine Art Reaktion der Natur); der Mormone, der sich als Nichttheologe in die dogmatischen Tiefen der Gotteslehre wagt; oder auch die neureligiöse Gemeinschaft, die sich auf der einen Seite des Flurs einen hinduistisch geprägten Andachtsraum eingerichtet hat und auf der anderen Seite etwas wie eine christlich-orthodoxe Kapelle (und daneben auch katholische Elemente integriert, z. B. kitschige Herz-Jesu- und Marien-Statuen).

Letzteres Beispiel zeigt: Bei solchen Exkursionen bekomme ich auch immer wieder Räumlichkeiten zu sehen, die für Gottesdienste, Rituale, Meditation etc. genutzt werden. Meistens nur die Räume, da ich nicht zu den entsprechenden Veranstaltungszeiten da bin; manche Gruppen lassen zu ihren Ritualen auch nur die Mitglieder zu. Dennoch sagen diese Räume schon einiges über die religiösen Ansichten und den Stil aus.

Vieles kann man sich aber auch am Schreibtisch anschauen: Pressearti­kel, religionswissenschaftliche Fachliteratur, Selbstdarstellungen im Internet.

In meiner Tätigkeit innerhalb der KAMP stellt sich mir auch immer die Frage: Was sagen uns diese Beobachtungen und Erkenntnisse für die Kirche und eine missionarische Pastoral? Wird uns hier ein Spiegel vorgehalten? Können wir uns einiges abschauen – oder uns auch nur besser bewusst werden, wie wir es nicht machen wollen?

Ich werde Ihnen dazu keine fertigen Antworten liefern. Aber ich lade Sie dazu ein, zusammen mit mir ein paar Beispiele anzuschauen und sich dazu einige Gedanken zu machen.

Sunday Assembly: Gott nein – Liturgie ja

Die Gottesdienstbesucherzählungen zeigen es deutlich: Kirchliche Litur­gie ist (zumindest hierzulande) – vielleicht einmal abgesehen von Kasu­a­lien und besonderen Festen – immer weniger gefragt. Und doch treffen sich seit einiger Zeit in vielen Städten der Welt – und auch in Berlin und Hamburg – Menschen regelmäßig an Sonntagen zu Versammlungen, die sich in ihrem Ablauf ganz bewusst an (west-)kirchlicher Liturgie orien­­tieren. Das Besondere: Diese Sunday Assemblys verstehen sich als nichtreligiöse, „Gott-lose“ Feiern, als ein Angebot speziell für Nichtreli­gi­öse – die sich aber dennoch einige ausgewählte Elemente und Aspekte christlicher Liturgie nicht ent­gehen lassen wollen: Treffen mit Gleichge­sinnten, gemeinsames Singen, Besinnung, Lesung von Texten und Im­pul­se für das eigene Leben. (Auch die Kollekte und ein Ausklang bei Tee und Kuchen fehlen nicht.) Das Motto: „Live Better, Help Often, Wonder More“. Es geht also – neben Ermutigung zu sozialem Engagement – vor allem um eine Feier des Lebens.

Wenn also sogar Nichtreligiöse kirchliche Liturgie in einzelnen Elemen­­ten wertschätzen, dann muss da auch in einer modernen Welt „etwas dran sein“, das Menschen grundsätzlich anzusprechen vermag. Die Sunday Assemblys setzen auf bekannte Pop-Songs, die viele (wenn der Text per Beamer eingeblendet wird) mitsingen können, auf alltagsprak­tische Themen, auf ein modernes Erscheinungsbild, auch auf Emotio­nen: Ist das vielleicht ein Rezept, um auch christliche Gottesdienste wieder attraktiv zu machen?

Hier sollte man nüchtern bleiben: Die Sunday-Assembly-Bewegung ist nach meinem Eindruck ein auf westlich geprägte Großstädte beschränk­tes Phänomen – und selbst in diesen nur marginal, wenn dort jeweils höchstens ein paar Hundert Leute zusammenkommen (in Hamburg und Berlin – den bisher einzigen Orten in Deutschland – sind es deutlich unter hundert!).

Aber manche Christen bleiben nicht nüchtern – und machen mit popkul­tu­­rellen Elementen Furore.

International Christian Fellowship: Popkultur trifft Konservativismus

Das International Christian Fellowship – oder kurz: die ICF – fällt auf. Diese pfingstlerisch geprägte Freikirche in Zürich legte seit Mitte der 1990er Jahre ein rasantes Wachstum hin und hat mittlerweile auch einige Ableger in anderen Städten. Und Elemente, die man auch bei anderen Pfingstkirchen findet, setzt sie besonders professionell und gebündelt ein, gerade bei den Gottesdiensten, die dort Celebrations heißen und mehr einer popkulturellen Bühnenveranstaltung als einem herkömmlichen Gottesdienst gleichen: mitreißende Musik mit Live- Band, Bühnenbeleuchtung und -effekte, Videoprojektionen, kurze, aber emotionalisierende Interaktionen im Frage-Antwort-Stil zwischen Pub­likum und Leiter, der damit wie ein Moderator auftritt.

Im Mittelpunkt der „Show“ aber steht die Predigt, die entsprechend auch im Webauftritt einen prominenten Platz einnimmt. Unter http://www.icf.ch/podcast/ kann man sich vergangene Predigten als Video anschauen – z. B. die vom 1. November 2015 mit dem Titel „Gefährliche Einflüsse“ aus der „Toxic“-Serie (also nicht eine Leseord­nung, sondern eine selbst gewählte Thematik bestimmt die Auswahl der in den Predigten behandelten Schrifttexte): Ausgehend von der Radio­aktivität, die wir Menschen mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen, die aber dennoch tödlich sein kann, kommt ICF-Leiter Leo Bigger schließlich auf moralisch negative Einflüsse zu sprechen; er stellt (ab Minute 11) sechs Aussagen dar, die seiner Meinung nach von den Medien verbreitet werden und sexuelle Freizügigkeit und Pornografie propagieren – und quittiert diese jeweils mit einem Schlag auf einen roten Knopf, worauf ein Alarmsignal ertönt. Plakativ, unterhaltsam, emotional, eindeutig, mit klarer Abgrenzung gegen die „Welt“ (gleich anschließend auch mit Rückgriff auf Elemente aus der Gender-Verschwörungstheorie), in die Entscheidung rufend.

Das trifft sich auch mit der Analyse von Rafael Walthert (vgl. Walthert 2010): Die ICF erreicht vornehmlich ein junges Publikum (unter 30), setzt auf Emotionen (etwa auch durch die Lieder), auf persönliche An­sprache und den Aufbau einer Beziehung zwischen dem Publikum und dem Prediger, der viel in Ich-Form aus seinem eigenen Leben erzählt, anstatt theologische Reflexionen anzustellen. „Beim ICF wird durch den Fokus auf die Person und ihre Entscheidung für Jesus dieser theologisch zu überbrückende Abstand zwischen Lehre und Leben durch ein einziges Manöver umgangen. An die Stelle von Interpretationen rückt das Zeug­nis, dessen Geltung durch die Nacherzählung von Alltagssituationen dargestellt wird“ (Walthert 2010, 257).

Die Predigten gewinnen also ihre Anschaulichkeit und Prägnanz wesent­lich durch das Zeichnen eines deutlichen Gegensatzes zwischen den Glaubenden und der glaubensfeindlichen Welt, weiterhin durch einen moralischen Rigorismus, der eine Eindeutigkeit in ethischen Fragen konstruiert. Doch wird das der Welt in ihrer Ambivalenz gerecht? Und wird das der Bibel gerecht, die eher zur Illustration und Bestätigung der Meinung des Predigers herangezogen wird, als dass sie Ausgangspunkt der thematischen Betrachtung ist? Eine feste Leseordnung, wie wir sie etwa in der katholischen Kirche haben, kann in Verbindung mit einer Schulung in modernen exegetischen Methoden dagegen eine Chance sein, sich von der Bibel immer wieder zu neuen Fragen bezüglich Gott und Welt anregen zu lassen (eine Chance freilich, die in der Praxis oftmals nicht genutzt wird).

Weiterhin frage ich mich: Inwiefern ist die ICF auch Kirche für Men­schen, die mit diesem jugendlichen Stil nichts anfangen können? Es gibt dort mittlerweile auch diversifizierte Angebote für verschiedene Ziel­grup­pen/Altersgruppen – aber die Jahrgangsstufen, zu denen Pastor Leo Bigger (* 1968) mittlerweile gehört, sind offenbar nicht im Blick. Oder braucht es in einer differenzierten Gesellschaft auch spezialisierte Got­tes­dienstangebote? Überfordern wir uns in der katholischen Kirche, wenn bei uns der Normalfall des Gottesdienstes (immer noch) auf eine Gesamtgemeinde zielt? Oder vermeiden wir damit eine ungute Konkur­renz, einen Kampf um Marktanteile (ein ausgeprägtes unternehmeri­sches Denken ist bei der ICF nicht zu verkennen)? Oder ist es genau anders herum: Sind wir zu sehr eine Verwaltungskirche und zu wenig unternehmerisch im Sinne einer missionarischen, einer gewinnenden Pastoral?

Räume, Traditionen und Heimat

Freikirchen sind schon eine eigene Welt, die evangelische Landeskirchler und Katholiken durchaus beeindrucken und zum Nachdenken bringen kann. Die ICF ist eher untypisch: Die meisten Freikirchen sind klein, vie­le haben nicht einmal 100 Gottesdienstteilnehmer. Aber sie vermögen Menschen – gerade auch durch ihre Gottesdienste – ungemein zu einem entschieden (evangelikal-)christlichen Lebensstil zu motivieren, bieten „Empowerment“. Gerade auch die „jungen Wilden“ mit pfingstkirch­licher Prägung wie die ICF.

Interessant ist es, in die Räumlichkeiten einer solchen großen Freikirche, einer „Megachurch“, zu blicken, wenn mal gerade kein Betrieb ist. Unter http://www.missionswerk.de/info/rundgang.php können Sie ein wenig mitverfolgen, was mir bei einem Besuch im Missionswerk Karlsruhe, einer pfingstlich-evangelikalen Megachurch, aufgefallen ist: Der Ein­druck ist der eines großen Tagungszentrums, dass sich um einen edlen Eindruck bemüht (viel Naturstein!), aber auch geschäftsmäßig wirkt. Der Haupt-Gottesdienstraum ist wie ein großer runder Veranstaltungs­saal gebaut mit Empore, bequemen Sesseln und einer Bühne, ist aber nüchtern und schmucklos gehalten; die Orgel ist ziemlich ungewöhnlich für eine solche große Freikirche (wo man mehr auf Musikbands setzt), der Altar steht an der Seite, an der Wand nur ein großes Kreuz.

Gewiss, das wirkt moderner als mancher katholische Kirchenbau. Es lässt sich sogar noch toppen: Beim Gospel Life Center, einer großen Freikirche in einem Gewerbegebiet am Rande Münchens, besticht der Hauptgottesdienstraum durch Betonsäulen, die die vielleicht drei Meter hohe Decke voller schwarz angestrichener Lüftungsrohre tragen; kein Kreuz ist zu sehen – es wird bei Gottesdiensten eingeblendet.

Natürlich ist auch die katholische Messliturgie in gewisser Weise eine „heilige Schau“ – in den Megachurches aber werden Gottesdienste zur Show, die multimedial inszeniert und vermarktet wird: Beim Missions­werk Karlsruhe stehen ganz selbstverständlich Kameras bereit (eine ist sogar an einem Kranausleger befestigt), und die moderne Aufnahme­zen­trale ist vom Saal nur durch eine Glasscheibe getrennt.

Ich komme noch einmal auf die moderne Architektur und die Schmuck­lo­sigkeit dieser Megachurches zurück: Das spiegelt auch eine gewisse Traditionslosigkeit bzw. Unabhängigkeit von Tradition wider. Der große Vorteil: Man ist weit weg vom Mief, den man häufig mit „Kirche“ asso­ziiert; man erscheint jung und dynamisch. Und der Nachteil?

Schauen wir dazu auf katholische (und landeskirchlich protestantische) Kirchenbauten: Das sind zumeist „Traditionskirchen“, so etwas wie die gute Stube der Ortsgemeinde – und häufig auch des Dorfes bzw. der Stadt. Grabdenkmäler, gestiftete Seitenkapellen und manchmal auch Glasfenster zeugen vom Repräsentationsbedürfnis früherer Geschlech­ter und Zünfte; Kreuzwegstationen, aufwändig gestaltete Altäre, Wand­gemälde etc. in oft buntem Stilmix laden nicht nur zu Andacht und Glaubensreflexion ein, sondern künden als „Möblierung“ auch davon, dass sich hier über Jahrhunderte hinweg immer wieder Gläubige von Neuem häuslich eingerichtet haben. Und wenn es gut geht, ist die Kirche auch unter der Woche offen, als Ruhe- und Gebetsraum für alle, die vorbeikommen.

Durch das Alter ergibt sich Tradition, aber auch Beheimatung: ein Raum, der Geborgenheit geben und schützen kann. Und der auch „Gäste“ mit­tragen kann: Menschen, die nur peripher am Gemeindeleben teilneh­men, auswärtige Besucher, Kunstinteressierte … Solche kirchlichen Räu­me sind ein Schatz für die gesamte Gesellschaft.

Natürlich kann man auch ohne solche Tradition Beheimatung bieten: Freikirchen sind häufig jung, richten sich aber dennoch in ihren Räum­lichkeiten ein, so gut es geht. Und vor allem: Sie bieten Beheimatung über die Gemeinschaft, die gerade auch durch die Gottesdienste hergestellt wird.

Russlanddeutsche Freikirchen: Bewahrung und Abgrenzung

Damit wären wir von den Räumen wieder zu den Liturgien gekommen. Natürlich ist auch für Katholiken die Form des Gottesdienstes ein we­sent­liches Element für Beheimatung in ihrer Gemeinde: Viele suchen sich heute ganz bewusst eine Gottesdienstgemeinde, die ihnen zusagt, wo sie sich zu Hause fühlen. Das gilt noch mehr für Migranten.

Dass Traditionen aber nicht nur beheimaten, sondern auch einengen und ausschließen können, zeigt das folgende Beispiel:

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen zahlreiche Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland, darunter auch etli­che Mennoniten, Brüder, Pfingstler etc. Nur ein kleiner Teil fand eine neue religiöse Heimat in Gemeinden innerhalb deutscher freikirchlicher Gemeindeverbünde. Der größte Teil gründete eigene russlanddeutsche Gemeinden, die sich häufig nicht nur durch ein streng konservatives bis fundamentalistisches Profil auszeichnen, sondern in denen auch die Gottesdienste ganz nach den eigenen Vorstellungen gefeiert werden kön­nen. Natürlich spielt es hier auch eine Rolle, dass viele deutschstäm­mige Gemeinden in der Sowjetunion im Laufe der Zeit zur russischen Sprache übergegangen sind; grundsätzlicher sind die Vorbehalte bis hin zu massiver Ablehnung der auch in vielen Freikirchen mittlerweile libe­ra­ler gewordenen Theologie und einer ökumenischen Öffnung. Doch – und darauf will ich hinaus – auch manches, das eher formal und äußer­lich erscheinen mag, hat für nicht wenige russlanddeutsche Freikirchler entscheidende Bedeutung: In herkömmlichen deutschen Gemeinden finden sie die Gottesdienste als zu kalt, zu anonym und zu kurz, vermis­sen Predigten mit aufrüttelnden Aufrufen zur Umkehr; und ihnen fehlen die gewohnten Lieder, die extrem langsam und emotional gesungen werden – in einer Brüdergemeinde ist es sogar wegen der Frage des verwendeten Gesangbuchs zur Gemeindespaltung gekommen (vgl. Graßmann 2006, 490 Anm. 1776).

Tradition und Beheimatung können also auch „Nebenwirkungen“ haben: vor allem dann, wenn bestimmte Gewohnheiten nicht mehr als histo­risch bedingt, sondern als normativ gesehen werden. Das gilt auch für die katholische Kirche: Man denke nur an den Streit um die tridentini­sche Messe, der nicht nur mit unterschiedlichen theologischen Ansich­ten, sondern auch mit dem Versuch des Festhaltens einer vertrauten Kirchengestalt zu tun hat. Hier wird auch deutlich: Gebräuche können, wenn sie absolut gesetzt werden, als Ausdruck einer eigenen Identität und als scharfe Abgrenzung gegen andere dienen.

Doch entspricht solche Ab- und Ausgrenzung dem Wesen christlicher Liturgie? Ist es nicht vielmehr Aufgabe von Kirche, möglichst alle Men­schen auf ihrem Weg zu Gott zu begleiten (vgl. Lumen gentium 1)? Und muss sich dann nicht auch Liturgie in diesen Grundauftrag einfügen?

Hier sind zum einen Sensibilität und Rücksichtnahme gefragt. Sensibili­tät auch für die kleinen Eigenheiten, die man erst bemerkt, wenn man den Ort wechselt: Innerhalb Deutschlands gibt es allein schon bei den Kirchenliedern deutliche regionale Unterschiede, was Melodie und Text und was die Bekanntheit einzelner Lieder betrifft. Aus dieser Sensibilität folgt Rücksichtnahme: Gerade wenn man um die Bedeutung des Behei­ma­tungsaspekts der Liturgie weiß, wird man auch bei Gravierenderem als den Liedvarianten (an die man sich schnell gewöhnen kann) etwa Migranten entgegenzukommen suchen – muttersprachliche Gemeinden innerhalb der katholischen Kirche haben eine lange Tradition in Deutschland.

Doch darüber hinaus sind wir hier wieder bei Fragen der Inkulturation: Wie zeigen und wandeln sich Liturgieformen, Rituale, Sakralräume etc., die in einem bestimmten kulturellen Umfeld entstanden sind, wenn sie sich in einem neuen Kontext etablieren? Gerade, wenn sich die Frage nach Tradition und Beheimatung unter umgekehrten Vorzeichen stellt: wenn es nicht um Zuwanderer geht, die mit ihren religiösen Gebräuchen auch ein Stück Heimat mitbringen und festhalten, sondern wenn eine Religion mit ihrer herkömmlichen kulturellen Prägung Menschen mit anderer kultureller Prä­gung erreichen will. (Und das ist übrigens auch die Situation von pastoralen Mitarbeitern, die mit volkskirchlicher Prä­gung aufgewachsen sind, wenn sie mit Jugendlichen arbeiten, deren Erfahrungs- und Denkhintergrund eine stark säkularisierte Gesellschaft ist!)

Fremdheit und Offenheit

Beheimatung ist, wie wir bereits gesehen haben, ein wichtiger Aspekt, um die Unterschiedlichkeit von Liturgien (und Sakralräumen!) zu verstehen. Beheimatung korreliert aber auch positiv oder negativ mit Fremdheit und Offenheit.

Ein markantes Beispiel ist dieses hier: http://www.ustream.tv/recorded/72650720. Auf dem Video aus dem Gottes­dienst einer Pfingstgemein­de sieht man eine Frau minutenlang nur la­chen und mehr oder weniger Unverständliches von sich geben – als Außenstehender ist man zunächst völlig verwundert und fragt sich (freundlich ausgedrückt), was hier los ist. Doch: Wo sonst traut man sich, so aus sich herauszugehen und ent­gegen üblicher gesellschaftlicher Konventionen zu verhalten, wenn nicht dort, wo man unter Freunden ist, wo man so etwas wie Heimat hat! Auf der anderen Seite errichtet ungewohntes Verhalten – wie gerade in Pfingstgemeinden – auch eine hohe Hürde für Außenstehende. Das wusste schon der Apostel Paulus, der in 1 Kor 14,23 warnte: „Wenn also die ganze Gemeinde sich versam­melt und alle in Zungen reden, und es kommen Unkundige oder Ungläu­bige hinzu, werden sie dann nicht sagen: Ihr seid verrückt!“

Die Hemmschwellen können aber schon weit vorher beginnen: In Erfurt ist der Domberg mit der markanten Silhouette von Dom und St. Severi neben der Krämerbrücke das Wahrzeichen der Stadt. Dennoch bekom­men Christen in Erfurt etwa von ihrer unreligiösen Friseurin manchmal zu hören, im Dom drin sei sie noch nie gewesen. Eine eigentümliche Scheu vor dem Raum des Religiösen? Oder schlicht und einfach Desinte­resse? Oder Angst, in irgendein Fettnäpfchen zu treten? Oder Unsicher­heit bezüglich der Frage, inwiefern man eine Kirche oder einen Sakral­raum als Nichtmitglied überhaupt betreten darf? Dass hier auch bei Christen vielfach Unsicher­­heit (aber auch Neugier!) besteht, zeigt das rege Interesse auf Katholikentagen an geöffneten Moscheen und Syna­gogen im Rahmen des Katholikentagsprogramms!

Noch fremder und befremdender als ein Sakralraum kann aber eine Liturgie sein. Haben Sie schon einmal versucht, sich probeweise auf den Standpunkt eines Menschen zu stellen, der noch nie einen christlichen Gottesdienst erlebt hat und jetzt erstmals eine katholische Messe besucht?

Sollte sich also die Tatsache, dass christliche Liturgie auch für viele kir­chen­ferne Christen immer fremder wird, auf die Gestaltung dieser Litur­gie auswirken? Braucht es Verstehenshilfen? Und noch grundlegender: Inwiefern sind katholische und landeskirchliche Gottesdienstgemeinden darauf ausgerichtet, Neue aktiv willkommen zu heißen und anzuspre­chen? Wo gibt es institutionalisierte Möglichkeiten zur Kontaktaufnah­me – sei es die Verabschiedung durch den Pfarrer an der Kirchentür oder der Gemeindekaffee nach dem Gottesdienst?

Viele Freikirchen, aber auch andere neue religiöse Gruppierungen, sind dagegen stark darauf ausgerichtet, Besucher als potentielle neue Mitglie­der zu identifizieren, anzusprechen und zu betreuen. So berichten etwa Wissenschaftler, die eine Studie zu Schweizer Freikirchen erstellten, dass sie bei Gottesdienstbesuchen stets als Neulinge wahrgenommen wurden: „Dieser Eindruck entsteht sogar in Gottesdiensten mit über 100 Teilnehmenden. Die fragenden Blicke, die uns schon beim Betreten des Raums empfingen, wiesen uns direkt eine Sonderrolle zu, die Rolle der Unbekannten, der Neulinge. Stets höchst freundlich empfangen, zuwei­len gar vom Pastor oder seiner Frau, wurden wir nie uns selbst überlas­sen. Sogar wenn das Lokal keineswegs voll besetzt war, setzte sich im­mer jemand zu uns. In der Regel wurden wir im Anschluss an den Got­tesdienst auf ein Glas oder zu einem Essen mit der ganzen Gemein­schaft eingeladen. Meist wurden uns zum Abschied verschiedene Broschüren mit den von verschiedenen evangelischen Freikirchen oder Netzwerken angebotenen Aktivitäten überreicht“ (Buchard 2014, 117 Anm. 11).

Eine solche missionarische Ausrichtung kann Gottesdienste wesentlich prägen. In ganz eigentümlicher Weise geschieht das bei Jehovas Zeugen.

Jehovas Zeugen: Gottesdienst oder Missionsschulung?

„Jehovas Zeugen haben pro Woche zwei reguläre Gottesdienste (Hebräer 10:24, 25). Im Mittelpunkt dieser öffentlichen Zusammenkünfte steht die Bibel und wie man sie im Alltag lebendig werden lässt.

In unseren Zusammenkünften steht das gemeinsame Lernen im Vorder­grund. Bei den meisten Programmpunkten können alle aktiv mitma­chen. Das Programm beginnt und endet mit Lied und Gebet“ (http://www.jw.org/de/jehovas-zeugen/zusammenkuenfte/).

So weit eine Selbstbeschreibung des Gottesdienstverständnisses von Jehovas Zeugen. Das Abendmahl findet sich bei ihnen nur noch als ein­mal im Jahr stattfindendes „Gedächtnismahl“. An einem gewöhnlichen Sonntag – wie ich es selbst miterlebt habe – läuft es in etwa so ab: Nach Begrüßung und Lied gab es einen Vortrag, nach einem weiteren Lied schloss sich das ausgiebige Wachtturmstudium an; zum Abschluss Lied, Segen, Hinweis auf den Vortrag am nächsten Sonntag und Verabschie­dung.

Insgesamt wirkte das Ganze für mich weniger wie ein Gottesdienst, son­dern vor allem wie eine Schulungsveranstaltung; ich sah auch viele Ak­tentaschen, in denen die Teilnehmer ihre Unterlagen mitbrachten. Schon beim Vortrag wurde immer wieder dazu aufgefordert, Bibelstel­len mitzulesen. Das Studium eines Abschnitts aus der Zeitschrift Wacht­turm schließlich erfolgte im Frontalunterricht-Stil: Ein Stückchen lesen, dann stellte der Leiter eine Frage zu dem Gelesenen, die in Fußnoten im Heftchen schon vorgegeben war. Darauf kamen aus dem Publikum Ant­worten mit eigenen Worten. Keine Fragen der Teilnehmer, keine Diskus­sionen, wenig eigenständige Erfahrungen und Gedanken, sondern vor allem eine paraphrasierte Wiederholung dessen, was eben gelesen worden war, gegebenenfalls mit Verweis auf eine Bibelstelle.

Generell gilt: Gottesdienste führen Gläubige auch zusammen, um sich des gemeinsamen Glaubens zu vergewissern und die Glaubenslehre zu vertiefen – und um den Gläubigen Hilfestellungen für ein vom Glauben geprägtes Leben auch außerhalb der Gottesdienste zu geben. Bei Jeho­vas Zeugen freilich zielt die Schulung nicht nur auf das alltägliche Leben, sondern zu einem Großteil speziell auf den Missionsdienst ab – eine deutliche Verzweckung mit klarer Zielrichtung.

Liturgien und Rituale: wie und wozu?

„Form follows function“ – ein grundlegender (allerdings nicht immer beachteter) Design-Grundsatz. Er gilt prinzipiell auch für Liturgie.

Bei Jehovas Zeugen sehen wir das sehr deutlich. Aber bevor wir auf Ein­zelheiten schauen, lohnt sich bei Glaubensgemeinschaften mit mehr als einem Standort ein Blick darauf, wie weit Liturgien und Gottesdienste normiert sind:

  • Bei Jehovas Zeugen ist das eindeutig der Fall: Die Inhalte und Materi­alien werden einheitlich für alle Standorte weltweit von der Zentrale vorgegeben; die Gottesdienste dienen offenkundig wesentlich auch dazu, die Gläubigen auf eine Linie zu bringen.
  • Anders liegt der Fall bei der Christengemeinschaft, die christliches und anthroposophisches Denken zu verbinden versucht: Die von Rudolf Steiner vermittelte Liturgie der „Menschenweihehandlung“ – so die Bezeichnung des an der katholischen Messe orientierten Hauptgottesdienstes – ist zwar verbindlich und auch normierend für das eigene Glaubensverständnis, doch ansonsten wird die Lehr- und Bekenntnisfreiheit des einzelnen Geistlichen hervorgehoben.
  • Bei den anfangs vorgestellten Sunday Assemblys gibt es ein Grund­schema für den Ablauf und auch Richtlinien. Das lässt aber sehr viel Gestaltungsfreiraum für die einzelnen Versammlungen.
  • Dagegen ist im Islam das Pflichtgebet stark reglementiert – mit ge­nauen Vorschriften für Texte und Körperhaltungen. Individuell sind dagegen die Predigten im Rahmen des Freitagsgebets.

Das zeigt: Um eine gewisse Normierung von Liturgie und Ritualen kom­men Glaubensgemeinschaften offenbar nicht herum. Eine solche Ein­heitlichkeit ist u. a. dafür wichtig, dass sich eine Glaubensgemeinschaft als Gemeinschaft begreifen kann. Entsprechende Normierungen oder Traditionen schließen freilich auch ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit und sogar Experimentierlust nicht unbedingt aus. Auf der anderen Seite kann sich auch schon durch eher äußerliche Eigenheiten von Liturgie eine Abgrenzung gegen andere manifestieren – wir haben das an den russlanddeutschen Freikirchen gesehen, wir erleben das aber auch bei den Piusbrüdern.

Die katholische Kirche ist insofern interessant, da sie nicht nur eine Li­tur­­gieform kennt, sondern mehrere – etwa den ambrosianischen Ritus oder den byzantinischen Ritus bei unierten Ostkirchen. Für die Frage der notwendigen Einheit wird dann auf anderes verwiesen, etwa auf die Gemeinschaft mit dem Papst.

Dennoch beschäftigt die Frage der Einheitlichkeit die römisch-katholi­sche Kirche immer wieder. Gerade während des Pontifikats von Benedikt XVI. kam es zu heftigen Diskussionen, als eine Neuübersetzung und damit verbunden eine strenge Uniformierung der liturgischen Bücher verordnet wurde; andererseits wurden der tridentinischen Liturgie (und damit implizit auch einer vorkonziliaren Theologie) neue Freiräume eröffnet.

Dies zeigt die nicht unwesentliche und zugleich doch auch begrenzte Bedeutung von einheitlicher Liturgie für Einheit und Gemeinschaft im Glauben. In einem größeren Kontext (zeitlich, konfessions- und religi­ons­übergreifend) gesehen relativiert sich aber mancher Streit: Trotz teilweiser großer Beharrungstendenzen – man denke daran, dass manchmal Liturgien und Rituale das einzige „Biotop“ für ansonsten ausgestorbene Sprachen sind – verändern sich Liturgien beständig (das gilt auch für die tridentinische!); und dennoch finden sich manche Ele­mente (z. B. Segnungen, Fürbittgebete) in deutlicher Ähnlichkeit in ganz verschiedenen Religionen wieder – bis hin zur deutlichen Rezeption christlicher Gottesdienstelemente in den areligiösen Sunday Assemblys.

Liturgien, Gottesdienste, Rituale haben aber nicht nur eine wichtige Be­deutung für Einheit und Zusammengehörigkeit. Sie können auch noch verschiedene andere Funktionen haben, es können unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund treten:

  • Im Evangelikalismus ist die bewusste Bekehrung (Annahme von Jesus Christus als Herr und Erlöser o. Ä.) wichtig, sie wird häufig an einem ganz bestimmten Ereignis oder Punkt im Leben festgemacht. Den­noch finden wir gerade im pfingstlichen Segment des Evangelikalis­mus häufig eine Perpetuierung dieses Bekehrungsaktes: Jeder Got­tesdienst gestaltet sich wesentlich als ein erneuter Ruf zur Umkehr, als eine erneute bewusste Entscheidung für Jesus (vgl. Petzke 2013, 369). (Dieses Vor-die-Entscheidung-Stellen können wir auch bei der oben analysierten Predigt in der ICF gut beobachten.) Auch der katho­lischen Sonntagsliturgie ist dieser Aspekt nicht ganz fremd: Nicht nur das Schuldbekenntnis verweist auf die Dimension von Entfernung von und Rückkehr zu Gott. Weitgehend überwunden – und viele sagen: zum Glück! – ist aber der starke Dualismus von sündiger Welt und reiner, unbefleckter Frömmigkeit, wie er in früheren Zeiten etwa durch „Höllenpredigten“ vor Augen gestellt wurde. Mittlerweile tra­gen jedoch neue geistliche Bewegungen und Initiativen diesen Ent­schei­dungsaspekt wieder stärker in die katholische Kirche hinein, teilweise auch mit deutlichen Anleihen aus dem evangelikalen For­menspektrum. Mögliche (!) Nebenwirkungen: ein Schwarz-Weiß- Denken, dass der Ambiguität der Welt nicht gerecht wird, und das Drängen auf eine punktuelle und gegebenenfalls öffentlich zu voll­ziehende Glaubensentscheidung, die der Spiritualität des Einzelnen nicht unbedingt gerecht wird.
  • Im asiatischen Volksbuddhismus spielen Rituale und Zeremonien ei­ne wichtige Rolle; ja, der Laienbuddhismus kann sich (im Gegensatz zum Mönchtum, der religiösen Elite, und unter weitgehendem Desin­teresse für Einzelheiten der Lehre) sogar weitgehend auf solche Prak­tiken beschränken, die Segen und Hilfe für das konkrete irdische Le­ben verheißen und Lebensübergänge begleiten. Anders als in der Tra­dition der Reformation, der viel an Zeichenhaftigkeit und religiösem Brauchtum zum Opfer gefallen ist, ist die katholische Kirche bis heute offener für solche Formen, die oftmals in die Liturgie integriert sind oder an deren Rand ihren Platz haben (z. B. Blasiussegen), die sich aber in der Volksfrömmigkeit auch verselbständigen und unabhängig von offizieller Liturgie und Lehre weiter entwickeln können; gerade rund um Privatoffenbarungen können sich Gruppen und Netzwerke bilden, die solche paraliturgischen Formen über Gebühr in den Mit­telpunkt stellen, z. B. bestimmten Gebeten und Praktiken geradezu magische Wirkungen zuschreiben. Trotzdem gilt: Es ist offenbar ein verbreitetes menschliches Bedürfnis, über die Zuwendung Gottes zum Menschen nicht nur abstrakt zu hören, sondern diese auch indi­viduell und zeichenhaft erfahrbar zugesprochen zu bekommen. So sind z. B. auch in der Kirche Jesu Christi die Heiligen der Letzten Tage (die Hauptgruppe der Mormonen) und in der Neuapostolischen Kirche Segnungen zu verschiedenen Anlässen beliebt und verbreitet. Hier wird deutlich: Rituale und Liturgien sind ein Verbindungsglied zwi­schen der Transzendenz Gottes (des Göttlichen …) und dem konkre­ten irdischen Leben.
  • Nicht nur einfache Rituale, sondern auch ganze Liturgien können den Aspekt der Heilung in den Mittelpunkt stellen. Beispiele findet man nicht nur in der Esoterik, sondern auch im Christentum: etwa pfingst­kirchliche Gottesdienste, in denen man teilweise nicht mehr zwischen den Dimensionen Exorzismus und körperliche Heilung unterscheiden kann. Gerade, weil hier eine große Sehnsucht von Leidenden, über­höhte Erwartungen und (scheinbar) spektakuläre Erfolge zusammen­­treffen, besteht ein gewisser „Konkurrenzdruck“ auf andere Konfes­sionen und Religionen, der auch katholische Heilungsgottesdienste betrifft, die zwar ebenfalls Heilung in den Mittelpunkt einer liturgi­schen Feier stellen, aber (hoffentlich!) die Differenz zwischen göttli­chem Heils- und Heilungswillen und Eigenständigkeit der irdischen Realitäten ernst nehmen.

Hilfreicher Außenblick

Zu Risiken und Nebenwirkungen … werfen Sie doch bitte einen Blick auf andere! Das haben wir getan in diesem Artikel: Wir haben durch die Be­trachtung von Beispielen aus anderen Konfessionen und Religionen ver­sucht, unseren Blick auf das Eigene – hier: katholische Liturgie – zu schärfen. Nicht nur zu Risiken und Nebenwirkungen, sondern auch zu anderen Aspekten.

Häufig machen wir uns keine Vorstellung davon, wie wir auf andere wir­ken. Vieles ist uns viel zu geläufig, als dass wir noch seine mögliche Pro­blematik ohne Weiteres erkennen. Zum Beispiel suchte eine Kollegin nach einem positiven, aufmunternden Psalmzitat; sie dachte an: „Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern“ (Ps 18,30) – bis ihr auffiel, dass es in dem Bild ja eigentlich um einen Sturm­angriff auf eine Stadt geht, um einen gewalttätigen, blutigen militärischen Akt! (Über die Eigentümlichkeiten und Problematiken von Sprache und Texten in den verschiedensten religiösen Gemeinschaften könnte man viele Worte verlieren …)

Gerade in einer Situation zunehmender religiös-weltanschaulicher Plu­ralität, gerade angesichts der Herausforderungen einer missionarischen Pastoral lohnt es sich, sich immer wieder einmal den Spiegel vorhalten zu lassen. Dabei kann man auch entdecken, dass vieles für selbstver­ständlich Gehaltene alles andere als selbstverständlich ist. Der Blick auf andere zeigt zahllose Möglichkeiten und Optionen – manches wird man vielleicht sogar ausprobieren und übernehmen, von anderem wird man sich distanzieren. Und von manchem ist man vielleicht schon unbewusst beeinflusst: Derzeit kommt mir immer wieder mal etwas in der katho­li­schen Kirche evangelikal vor (ohne dass ich im Einzelfall immer wüsste, ob hier eine Übernahme stattgefunden hat oder ob es eine eigenständige Analogbildung ist). Auf der anderen Seite sehen wir gerade bei pfingst­lich-evangelikalen Megachurches wie der ICF eine deutliche Übernahme eigentlich säkularer popkultureller Elemente.

Und vielleicht lernt man im Blick auf andere auch das Eigene neu zu schätzen, erscheinen manche Elemente der eigenen Liturgie dann nicht nur bieder und altertümlich, sondern auch bewährt, fundiert und solide.