Passagere Pastoral Frankfurt Airport
Reisende zwischen A und B, Angestellte und Bedienstete des Flughafens, Flüchtlinge, Obdachlose sowie aus sonstigem Grund hier Verweilende, sie alle sind die potentielle Klientel der Katholischen Flughafenseelsorge am größten Deutschen Flughafen Frankfurt Airport. Für den Leiter der Einrichtung, Pallottiner-Pater Heinz Georg Goldkuhle, und sein Team, das neben ihm aus Pater Benjamin Atanga SAC, Sekretärin Sabine Schremb und ca. 15 Ehrenamtlichen besteht, sind sie ihre „Gemeinde“ – eine Gemeinde von rund 78.000 Flughafen-Beschäftigten mit mal geringerer, mal größerer religiöser Bindung sowie Tausenden stetig wechselnden Reisenden täglich. „Volkskirche gibt es nicht mehr“, meint Pater Goldkuhle. In Abkehr vom statisch, fest-gefügt verstandenen Begriff der „Pfarr-Gemeinde“ wird bei ihm der Gemeindebegriff wieder stärker als Relationsbegriff deutlich.
Zuflucht
Auch am Flughafen wird die Gemeinde aus einer Ansammlung von Menschen in einem bestimmten Raum gebildet, jedoch von solchen ganz unterschiedlicher Herkünfte, religiöser Überzeugungen, sexueller Orientierungen, sozialer Stände, Ziele und Verweildauern. Für alle diese unterschiedlichen Menschen bemühen sich die Mitarbeitenden der Flughafenpastoral vorbehaltlos da zu sein. Im hektischen Treiben des Flughafens, im Hin und Her zwischen Ankommen und Aufbruch, im Auf und Ab von Starts und Landungen versuchen sie, Hilfesuchenden ein Stück von der Geborgenheit des Menschen in Gott (vgl. Jes 43,1) zu vermitteln. Die Website der Flughafenpastoral illustriert diese Ausrichtung mit folgendem Gedicht von Lothar Zenetti:
Wir kommen und gehen
Wolken im Wind
wer kann es verstehen
wozu wir sind?
Wir kommen und gehen
Spuren im Sand
die Spuren verwehen
keinem bekannt.
Wir gehen und wandern
wer treibt uns voran
von einem zum andern
wer zieht uns an?
Wir gehen und hoffen
gegen den Schein
die Zukunft ist offen
sind wir nicht sein?
Wichtig ist es Pater Goldkuhle, nicht nur zu warten, bis jemand kommt, sondern missionarisch aktiv dorthin zu gehen, wo Menschen Hilfe benötigen. Eine Haltung, die sich bereits in seiner vorherigen zehnjährigen Tätigkeit bei der Citypastoral in Dortmund herausgebildet hat und die sein Kirchenbild prägt: „Es ist Zeit für eine Kirche, die nicht sitzt und wartet, bis einer kommt, sondern die auf andere zugeht, die da ist, wo die Menschen sind.“ Es kommen einem die Worte von Papst Franziskus in den Sinn, wie er von einer „Kirche im Aufbruch“ spricht (vgl. Evangelii gaudium 24). So kann es vorkommen, dass ein Gottesdienst nicht in der flughafeneigenen Kapelle, sondern auf dem Rollfeld per Megafon zwischen Flugzeugen, Fahrzeugen und Containern abgehalten wird. Sei es, weil dies eben der Ort ist, an dem ein Unglück geschehen ist, oder schlicht, weil die Kapelle nicht genügend Platz bietet. Anders als meist noch in der Pfarrgemeinde werden solche Gottesdienste, wie auch die regelmäßigen, nicht durch kirchturmeigenes Glockengeläut, sondern über die Lautsprecher des Flughafens angekündigt.
Vielfalt
Es sind aber zum Glück in der aller Regel nicht die großen Unglücke, die eine der vielen möglichen Krisen- oder Bedürfnissituationen am Flughafen herbeifördern. Den Alltag, wenn man hiervon in einem Arbeitsgebiet so wechselhafter Schicksale sprechen mag, bilden vielmehr
- Reisende, die aktuell nicht weiterreisen können,
- Obdachlose, die sich am Flughafen aufhalten,
- Flüchtlinge ohne gültige Papiere in der Transitzone,
- das Monitoring (Überwachen) von Abschiebungen und
- Gottesdienste mit Flughafenangestellten und Reisenden.
Trotz der meist von Flüchtigkeit und einer konkreten Erwartung geprägten Art der Begegnung bietet sich den Mitarbeitenden bei entsprechender geistlicher Sensibilität immer wieder die Gelegenheit zum tiefergehenden seelsorglichen Gespräch. So kann der vorübergehende Aufenthalt am Flughafen zum Kairos für die Beichte eines Managers werden, der abseits von zu Hause über seine familiäre Situation gerade besser sprechen kann als vor Ort. Kurzweilig sind häufig auch die Begegnungen, wenn Wartende vor dem Abflug noch schnell um die Spendung des Reisesegens bitten, zugleich kann dieser aber auch den Abschluss eines längeren geistlichen Gesprächs bilden. Schließlich sei an Menschen gedacht, die in ihrer Orientierungslosigkeit die Flughafenpastoral als Anlaufstelle wahrnehmen, um zu erfahren, wo sie Hilfe erhalten können und, indem sie an entsprechende kirchliche oder staatliche Stellen weitervermittelt werden, sofort wieder aus dem Blickfeld verschwinden.
Die Vielfalt von immer wieder schwierigen, mitunter verzweifelten Situationen verlangt von den Mitarbeitenden ein hohes Maß an Empathie, Geduld und Fachwissen und zugleich eine gewisse innerliche Distanz und Sachlichkeit. Gerade im Umgang und in der Betreuung von Flüchtlingen zeigt sich, dass die Möglichkeiten der Flughafenpastoral, auf Schicksale Einfluss zu nehmen, begrenzt sind und eine Verbesserung allgemeiner Rahmenbedingung eine große Beharrlichkeit erfordert. Die Begegnungen in der Flughafenseelsorge richten sich seit jeher danach, wie Menschen gerade Zeit haben, wovon sie sich eingeladen fühlen, was sie gerade benötigen. Auch bei bleibend flüchtigen Begegnungen gilt es, den konkreten Menschen in seiner Bedürftigkeit wahrzunehmen und ihm aus christlicher Gastfreundschaft eine offene Tür und ein offenes Ohr zu schenken – sei es auch nur in der Geste eines Frühstücks oder Kaffees.
In der von Menschen derart unterschiedlicher Herkünfte geprägten Gemeinde des Flughafens spielt die Ökumene eine wichtige Rolle. Dies gilt sowohl interkonfessionell als auch interreligiös; neben einer evangelisch-katholischen Kapelle verfügt der Frankfurter Flughafen auch über eine griechisch-orthodoxe Kapelle sowie über einen jüdischen und einen muslimischen Gebetsraum. Der kirchliche Sozialdienst, der bei finanzieller Bedürftigkeit Unterstützung anbietet, und die Abschiebebeobachtung werden bespielweise in ökumenischer Zusammenarbeit von evangelischer und katholischer Kirche organisiert. Im Falle konkreter religiöser Anfragen verweisen die verschiedenen Religionsgemeinschaften am Frankfurter Flughafen gegenseitig aufeinander und leiten das Anliegen an die entsprechenden Ansprechpartner weiter. Außerdem stimmen sich die jeweiligen Verantwortlichen häufig untereinander ab, beispielsweise wenn es um die Frage geht, wer nach einem Unglücksfall der Ausrichtung einer Trauerandacht vorstehen soll. Besonders stolz ist man auf ein gemeinsames sogenanntes „Fest der abrahamischen Religionen“, das als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September entstanden ist und seitdem in unregelmäßigen Abständen alle monotheistischen Religionsgemeinschaften am Flughafen zusammenführt.
Charisma
Die Motivation für seine Arbeit schöpft Pater Goldkuhle aus seiner Gottesbeziehung. Dem Ordenscharisma der Pallottiner entsprechend will er Gottes Gegenwart und seine bedingungslose Zuwendung zu allen Menschen ausstrahlen und so Menschen in Einsamkeit, Traurigkeit, Nachdenklichkeit oder Verlassenheit Hoffnung schenken. Der Antrieb für seine Arbeit sei für ihn das Evangelium und die Freude daran (vgl. Papst Franziskus, Evangelii gaudium). Am Ort des Flughafens versucht er mit seinen Kollegen und Kolleginnen, den Menschen diese Freude des Glaubens und der Hoffnung zu vermitteln. Sie möchten ihnen die Erfahrung schenken, dass hier jemand ist, der/die eine innere, von Gott her rührende Motivation hat, für sie da zu sein und auf diese Weise missionarisch zu wirken (vgl. Deus caritas est 31). Auch die oft hektische, meist im Vorübergehen geschehende Begegnung am Flughafen kann nach der Erfahrung des Paters viel Inneres, was verschlossen ist, wieder öffnen und einen Zugang zu den Seelen der Menschen bahnen.
Dem missionarischen Gedanken entsprechend ist es zunächst unwichtig, welche Konfession, Religion oder Weltanschauung ein Mensch hat, der sich mit seinem Bedürfnis, mit seiner Not an die Mitarbeitenden der Flughafenseelsorge wendet oder in einer Bedürfnissituation von den Mitarbeitenden vorgefunden wird. Es geht ihnen zunächst darum, die konkrete Not des Menschen, dessen Antlitz sie anspricht (vgl. Emmanuel Lévinas), zu stillen. Manchmal, aber nicht zwangsweise, berühren sie dabei auch seine oft verborgenen, dahinterliegenden Sehnsüchte. Beides tun sie freilich aus einem bestimmten spirituellen Hintergrund und in einer bestimmten spirituellen Grundhaltung und unter Rückgriff auf die geistlichen Ressourcen der christlichen Tradition. Wichtiger, als ihre persönliche Weise des Glaubens zu vermitteln, ist es ihnen allerdings, den Menschen ihre eigene, spezifische Gottesbegegnung zu ermöglichen, in der Weise, wie sie es jetzt gerade in ihrer Situation und in ihrem Alltag benötigen. Als Leitwort ihrer Arbeit dient den Mitarbeitenden der Flughafenseelsorge daher ein Zitat des Schriftstellers Reiner Kunze:
Wer da bedrängt ist,
findet Mauern, ein Dach
und muss nicht beten.