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Gemeinden gründen!

Skizzen für eine Selbstorganisation der Christgläubigen

In den pas­to­ra­len Um­bruchs­pro­zes­sen und den land­auf, land­ab statt­fin­den­den Ver­än­de­run­gen der pas­to­ra­len Struk­tu­ren setzt das klei­ne Büch­lein von Pe­ter Hun­dert­mark ei­nen wich­ti­gen Ak­zent. Der Au­tor, pro­mo­vier­ter Pas­to­ral­re­fe­rent, geist­li­cher Be­glei­ter und Lei­ter des Re­fe­rats Spi­ri­tu­el­le Bil­dung/Ex­er­zi­ti­en­werk des Bis­tums Spey­er, ist spür­bar ge­prägt von der igna­tia­ni­schen Un­ter­schei­dung der Geis­ter. Er fragt „noch ein­mal neu, wie die Ge­tauf­ten ih­ren Glau­ben ge­mein­schaft­lich le­ben kön­nen und wie und wo christ­li­che Ge­mein­de ei­nen Ort in und für die Ge­sell­schaft fin­det“. Und das an­ge­sichts der Er­fah­rung, dass ei­ne Bei­be­hal­tung des bis­he­ri­gen ge­meind­li­chen Pas­tor­al­mo­dells  zu er­heb­li­chem Down­si­zing führt. Das Prin­zip des Christ­li­chen ist aber Wachs­tum, nicht Rück­gang. So kommt die Auf­for­de­rung (man be­ach­te das Aus­ru­fungs­zei­chen im Buch­ti­tel!), im Ho­ri­zont der Wie­der­ent­de­ckung der Tauf­be­ru­fung und der Cha­ris­men neue Ar­ten von „Ge­mein­de“ zu grün­den. Hun­dert­mark nennt sie be­wusst – ein we­nig künst­lich – „Ek­kle­si­en“ und will sie als „ek­kle­si­el­le“ Er­neue­rung ei­ner Kir­che ver­stan­den wis­sen, die sich von der or­ga­ni­sier­ten, fi­nan­zier­ten und „an­ge­stell­ten“ Kir­che der Ver­sor­gung zu­neh­mend zur „Frei­wil­li­gen-Kir­che“ ent­wi­ckelt. So ganz neu sind die Ide­en ja nicht ge­ra­de; der Au­tor nimmt An­lei­hen so­wohl an das II. Va­ti­ka­ni­sche Kon­zil mit sei­nen Kir­chen­bil­dern, eben­so an die Pro­zes­se der la­tein­ame­ri­ka­ni­schen Ba­sis­ge­mein­schaf­ten und der Small Chris­ti­an Com­mu­nities (Klei­ne Christ­li­che Ge­mein­schaf­ten), die aus dem afri­ka­ni­schen und asia­ti­schen Kon­text mitt­ler­wei­le in der deut­schen Pas­to­ral­land­schaft an­ge­kom­men sind, an die Kri­te­ri­en der Na­tür­li­chen Ge­mein­de­ent­wick­lung nach Chris­ti­an A. Schwarz als auch an die Er­fah­run­gen der „Fresh Ex­pres­si­ons of Church“ der An­gli­ka­ni­schen Kir­che. Eben­so be­greift er die Ek­kle­si­en als Ge­stalt ei­ner nach wie vor statt­fin­den­den Su­che nach Spi­ri­tua­li­tät, die sich in der Nach­fra­ge nach geist­li­cher Be­glei­tung und Ex­er­zi­ti­en im All­tag, aber auch in ka­techu­me­na­len Pro­zes­sen des Zum-Glau­ben-Kom­mens, oft in ei­nem cha­ris­ma­tisch-pen­te­kos­ta­len Ge­wand, ma­ni­fes­tie­re.  Sein Ziel ist ei­ne er­neu­er­te „Lo­ka­le Kir­chen­ent­wick­lun­g“. Es geht ihm nicht dar­um, mit den „Ek­kle­si­en“ of­fen ge­las­se­ne Be­rei­che hier und da, und mög­lichst dann flä­chen­de­ckend, wie­der auf­zu­fül­len, son­dern Kir­che im Gan­zen zu ver­än­dern, ihr ei­ne neue Ge­stalt zu „grün­den“, Ge­mein­schaft an neu­en Or­ten wahr­zu­neh­men. So liest sich das gan­ze Buch als ein span­nen­der Ver­such, ei­ne Vi­si­on von kirch­li­cher Ge­mein­schaft zu ent­wi­ckeln, die die von Gott ge­schenk­ten Ga­ben, den so­zia­len Raum als Kon­text und den auf­er­stan­de­nen Chris­tus und sein Evan­ge­li­um als Be­zugs­punkt und Mit­te ernst nimmt. Ek­kle­si­en sind laut Hun­dert­mark eher durch Be­zie­hun­gen statt durch Struk­tu­ren, we­ni­ger durch ein Ter­ri­to­ri­um als viel­mehr durch ei­ne be­stimm­te kom­mu­ni­ka­ti­ve Pra­xis ge­prägt. Sei­ne De­fi­ni­ti­on: „Ei­ne Ek­kle­sie wird […] ver­stan­den als:

  • un­ter dem An­drän­gen des wach­sen­den Got­tes­rei­ches
  • auf ge­wis­se Dau­er ge­stell­te und den­noch blei­bend fra­gi­le, selbst­or­ga­ni­sier­te
  • von Frei­wil­li­gen ge­grün­de­te und ge­tra­ge­ne
  • kom­mu­ni­ka­ti­ve Pra­xis
  • von Ge­tauf­ten (und Ka­techu­me­nen)
  • um ih­ren Herrn Je­sus Chris­tus
  • in und für die Ge­sell­schaf­t“ (18).

Hun­dert­mark gibt sich ei­ner­seits Mü­he, die Ek­kle­si­en als „Teil­ge­stal­t“ von der her­kömm­li­chen So­zi­al­form zu un­ter­schei­den und auf die um­fas­sen­de­re Pfar­rei hin zu­zu­ord­nen (z. B. „sie ist zu schwach für qua­si-ver­pflich­ten­de Pro­gram­me“ [30], wo­bei er wohl auf ei­ne jahr­gangs­wei­se Sa­kra­men­ten­ka­te­che­se re­kur­riert). Auf der an­de­ren Sei­te ist das Be­mü­hen sicht­bar, auf­zu­zei­gen, dass Ek­kle­si­en den­noch voll­gül­tig Kir­che sind, in­so­fern sie dann doch „in ir­gend­ei­ner Wei­se“ die ek­kle­sia­len Grund­diens­te ab­bil­den soll­ten (71). Span­nend ist der Teil, in dem der Au­tor leicht holz­schnitt­ar­tig den Wan­del von ei­ner her­kömm­li­chen Kir­chen­ge­stalt, in die man durch So­zia­li­sa­ti­on „ein­ver­leib­t“ wird, zu ei­ner neu­en be­schreibt, als de­ren Leit­bild die In­itia­ti­on gilt (43 ff.). Die­ser Wan­del kann als Ver­än­de­rung von der volks­kirch­li­chen Selbst­ver­ständ­lich­keit hin zu ei­ner grund­sätz­li­chen Dia­spo­ra-Ge­stalt von Kir­che durch­buch­sta­biert wer­den. Glau­be wird von ei­nem selbst­ver­ständ­li­chen „Ha­bi­tus“ – oft un­ter­halb der Ver­sprach­li­chungs­gren­ze – zu ei­nem „Aben­teu­er“, das kom­mu­ni­ka­tiv er­lebt und ge­teilt wer­den will. Bei al­ler Sym­pa­thie für den An­satz blei­ben je­doch Fra­gen of­fen:

  • Die Ek­kle­si­en blei­ben für Hun­dert­mark not­wen­di­ger­wei­se ver­wie­sen auf die grö­ße­re Wirk­lich­keit der Pfar­rei, sind von Er­laub­nis­sen, För­de­rung, Wohl­wol­len sei­tens der Pries­ter und Haupt­amt­li­chen […] ab­hän­gi­g“ (30), gren­zen sich al­so dar­in von Frei­kir­chen ab, ver­kör­pern aber in sich kirch­li­che Grund­voll­zü­ge. Hun­dert­mark un­ter­nimmt hier den Ver­such, zwi­schen dis­zi­pli­nar-hier­ar­chi­scher Ein­bin­dung ei­ner­seits und kirch­li­cher Ei­gen­be­deu­tung zu ver­mit­teln. Wie ist das Ver­hält­nis zwi­schen Ab­hän­gig­keit und ei­ge­ner Kirch­lich­keit und da­mit die Fra­ge nach Ein­heit und Viel­falt ge­nau­er zu be­stim­men? Und was be­deu­tet dies prak­tisch für Fel­der, in de­nen Ge­mein­schaf­ten von Gläu­bi­gen in ei­nen Kon­flikt mit der amt­lich re­prä­sen­tier­ten Kir­che ge­ra­ten (bspw. do­num vi­tae)?
  • Bei der im Hin­ter­grund ste­hen­den Com­mu­nio-Ek­kle­sio­lo­gie war die kri­ti­sche Nach­fra­ge schon im­mer, wer denn über die Kri­te­ri­en und Be­din­gun­gen der Ge­mein­schaft ent­schei­det.
  • Wie kann (sym­bol­haft) kom­mu­ni­ka­tiv deut­lich wer­den, dass Chris­tus in der Mit­te ist, dass ei­ne Ek­kle­sie auf der Dy­na­mik von Ruf und Ant­wort, von Be­ru­fung und Nach­fol­ge be­ruht?
  • Wie kön­nen Par­ti­zi­pan­tin­nen und Par­ti­zi­pan­ten – „Mit­glie­der“ kann man sie ja kaum noch nen­nen – ei­ner „fra­gi­len“ Ek­kle­sie den Glau­ben auch sa­kra­men­tal fei­ern? Ist die kirch­li­che Ge­mein­schaft schon Sa­kra­ment ge­nug, das sich in Ge­mein­schaft, Ge­bet und Tei­len des Le­bens und der Schrift rea­li­siert? Wel­che Rol­le spielt dann doch das ge­weih­te Dienst­amt, des­sen Trä­ger zur sa­kra­men­ta­len Fei­er in die Ek­kle­sie „hin­zu­komm­t“? Wel­che sa­kra­men­ta­len Voll­zü­ge wer­den zu­künf­tig von Lai­en ge­tra­gen; wel­che For­men von Be­auf­tra­gun­gen braucht es da­für? Was be­deu­tet dies für ei­nen Kir­chort wie bspw. ei­ne Schu­le o. Ä. (z. B. Eu­cha­ris­tie- oder Firm­ka­te­che­se in der Schu­le; Tauf­vor­be­rei­tung und -fei­er in der Ki­Ta)? Wer­den sich dann nicht neue Ty­pen von sa­kra­men­ta­len Voll­zü­gen und Fei­ern ent­wi­ckeln?
  • Müs­sen die frei­wil­li­gen Glie­der der Ek­kle­si­en nicht doch – auch wenn sie sie nur in be­grenz­tem Um­fan­ge auf­grei­fen kön­nen – in qua­li­tät­vol­ler Wei­se die so ge­nann­ten „Ser­vice­an­fra­gen“ (30)  (z. B. Be­er­di­gung) tra­gen, wenn es im­mer we­ni­ger Haupt­be­ruf­li­che ge­ben wird?

Und schlie­ß­lich: Bleibt Hun­dert­mark sich und sei­nem An­lie­gen treu, ei­ne Vi­si­on von kon­tex­tu­el­ler, fra­gi­ler und li­qui­der kirch­li­cher Ge­mein­schaft sich ent­wi­ckeln zu las­sen, wenn er im Fort­gang sei­nes Ban­des im­mer stär­ker die Kri­te­ri­en der „Ek­kle­si­en“ be­schreibt, ih­nen al­so doch im­mer stär­ker ein struk­tu­rel­les Kor­sett an­legt? Mit dem Fort­gang des Bu­ches ent­steht beim Le­sen­den näm­lich im­mer mehr ei­ne doch fes­te Form der Vor­stel­lung. Man möch­te dem Au­tor zu­ru­fen: Es ist wun­der­bar, wie du Kir­che wach­sen las­sen willst. Lass sie sich doch im Blick auf Chris­tus, auf die ge­tauf­ten (und nicht-ge­tauf­ten) Be­gab­ten und auf die Her­aus­for­de­run­gen vor Ort ent­wi­ckeln!

Das Büch­lein bün­delt vie­le ak­tu­el­le Fra­ge­stel­lun­gen und stellt ei­nen span­nen­den und mu­ti­gen Vi­si­ons­ent­wurf dar, der in die rich­ti­ge Rich­tung weist. Hin­ge­gen: In Deutsch­land schei­nen wir in der theo­lo­gi­schen De­bat­te und pas­to­ra­len Ent­wick­lung nicht ein Er­kennt­nis­pro­blem, son­dern eher ein Um­set­zungs­pro­blem zu ha­ben. Das Buch „Ge­mein­den grün­den!“ er­mu­tigt und for­dert da­zu her­aus, end­lich da­mit an­zu­fan­gen, christ­li­che Be­ru­fung un­ter ver­än­der­ten Vor­zei­chen kirch­lich zu ge­stal­ten und ge­stal­ten zu las­sen.

Hubertus Schönemann