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Kirchenmitglied bleiben?

Eine Studie des Sinus-Instituts zur Kirchenbindung von Katholik*innen in Deutschland

Es gibt nicht allzu viele Studien zur Frage, warum Menschen aus der (katholischen) Kirche austreten – oder spiegelbildlich: warum sie in der Kirche bleiben (vgl. z. B. die in euangel 1/2018 vorgestellte <link ausgabe-1-2018 aktuelle-studie kirchenaustritt-oder-nicht>Studie des Bistums Essen). In einer von der Medien-Dienstleistungs-Gesellschaft (MDG) in München in Kooperation mit dem Erzbistum München und Freising beim Sinus-Institut (Heidelberg) in Auftrag gegebenen und im Januar 2019 veröffentlichten Studie stand nicht der Kirchenaustritt, sondern die Kirchenbindung im Mittelpunkt. Es wurde untersucht, welche Gründe Katholik*innen in Deutschland für ihre Kirchen­mitgliedschaft angeben.

Anlage und Stichprobe

Die Studie knüpft an den MDG-Trendmonitor Religiöse Kommunikation von 2010 an (vgl. die Vorstellung in euangel 2/2011). Dort wurde, wie schon 1999 und 2003, eine vom Institut für Demoskopie Allensbach entwickelte Typologie verwendet, die das Verhältnis zur katholischen Kirche beschreibt. Diese Typologie wurde in der aktuellen Studie auf­genommen, jedoch ergänzt um eine weitere Typologie, die vor allem die Bindungsmotive berücksichtigt; ebenso wurde die Milieustruktur der Katholik*innen nach dem Sinus-Zielgruppenmodell erfasst.

Die Datenerhebung fand zwischen Ende Juli und Mitte November 2017 statt, also noch vor der Veröffentlichung der MHG-Studie zu sexuellem Missbrauch durch Kleriker im Bereich der Deutschen Bi­schofskonferenz im September 2018. Wahrscheinlich wären die Er­geb­nisse für die katho­lische Kirche ungünstiger ausgefallen, wenn die Erhebung nach Sep­tem­ber 2018 durchgeführt worden wäre. Es bleibt allerdings Speku­la­tion, welches Ausmaß die Verände­rungen angenommen hätten. Zudem ist zu bedenken, dass der in demo­graphischen Erhebungen gemessene Vertrauensverlust gegenüber der katholischen Kirche nach dem Miss­brauchsskandal im Januar 2010 rela­tiv schnell wieder einigermaßen ausgeglichen war; offensichtlich ist der Vertrauensverlust im „inner circle“ der Kirche höher als in der durch­schnittlichen Wahrnehmung in der Gesamtbevölkerung. Man muss also nicht befürchten, dass in der Studie völlig veraltete Daten verarbeitet wurden (auch wenn es durch­aus wünschenswert wäre, wenn es keinen so langen Zeitraum zwischen Datenerhebung und Publikation gegeben hätte). Ähnlich bewertet es Andreas Püttmann (2019, 26 f.): „Eine ganz neue Qualität des Miss­trauens kann […] zumindest demoskopisch nicht konstatiert werden, eher ein niedriger Vertrauensstand innerhalb der längst üblichen Marge.“

Die Stichprobe umfasst 1.369 Fälle; die Befragung ist nach Alter, Ge­schlecht und Bildung bundesweit repräsentativ für deutschsprachige Katholik*innen ab 18 Jahren, die in einem Privathaushalt leben. Die Befragungen erfolgten als computergestützte telefonische Interviews mit einem ausführlichen Fragebogen, dessen Beantwortung etwa eine halbe Stunde in Anspruch nahm. Zusätzlich wurden 1.004 Interviews durchgeführt, die für das Erzbistum München und Freising reprä­sen­tativ sind und gesondert ausgewertet wurden. Diese Fälle sind nicht in die publizierte und hier vorgestellte Studie eingeflossen.

Typologie nach Einstellungen zur Kirche

Vergleicht man die aktuelle Segmentierung der Katholik*innen nach der Allensbach-Typologie mit den Daten von 2009, so ergibt sich im Großen und Ganzen ein vergleichbares Bild: Der Prozentsatz der „Gläubigen Kir­chennahen“, die sich der Kirche eng verbunden fühlen, ist mit 16 % nahe­zu konstant geblieben gegenüber 17 % 2009. Den weitaus größten Anteil, mit 45 % fast die Hälfte der Befragten, machen die „Kritisch-Kirchenverbundenen“ aus („Ich fühle mich der Kirche verbunden, auch wenn ich ihr in vielen Dingen kritisch gegenüberstehe“); diese Gruppe ist sogar größer geworden (2009: 37 %). Bei der Interpretation von Sta­bilität bzw. Verbesserungen sind allerdings die so genannten Siebungs­effekte zu berücksichtigen: Das relative Gewicht der Kirchenver­bun­de­nen steigt an, weil Kirchendistanzierte bzw. ‑ferne inzwischen aus­ge­treten, sozusagen „ausgesiebt“ worden sind. Der Anteil der nun „Kir­chen­unabhängige Christ*innen“ genannten Gruppe (früher „Kirchlich distanzierte Christen“, Ankeritem: „Ich fühle mich als Christ[in], aber die Kirche bedeutet mir nicht viel“) ist von 32 % (2009) auf jetzt 21 % gesunken. Erklärbar ist dieses Absinken möglicherweise durch die Einführung eines neuen Typs, die „Individual-Religiösen“ („Ich lebe meine religiösen Bedürfnisse ganz individuell, jenseits der bestehenden Religionen“), der 6 % ausmacht, sowie durch den Zuwachs bei den Kritisch-Kirchenverbundenen. Alle weiteren Typen machen nur einen geringen Anteil der Katholik*innen aus: die „Nicht-christlich Religiösen“ („Ich bin religiös, fühle mich aber nicht als Christ[in]“) mit 3 %, die „Glaubensunsicheren“ („Ich fühle mich unsicher und weiß nicht, was ich glauben soll“) mit 3 %, die „Unreligiösen“ („Der Glaube sagt mir nichts; ich brauche keine Religion“) mit 5 %, und für 2 % ist keine Antwort möglich.

Zusätzlich wurde nach dem Thema „Biografie der Kirchenbindung“ gefragt, also danach, inwiefern sich die Kirchenbindung im Lebenslauf verändert hat. 81 % geben an, sich aktuell der Kirche verbunden zu fühlen, entweder konstant (24 %), heute mehr denn je (7 %), früher weniger (12 %) oder – mit 38 % die weitaus größte Gruppe – als „Zu­nehmend Kirchenindifferente“ („Ich fühle mich der Kirche verbunden, aber die Bindung hat nachgelassen“). Diese 81 % Kirchenverbundenen entsprechen zahlenmäßig den drei Typen der „Gläubigen Kirchen­nahen“, der „Kritisch-Kirchenverbundenen“ und der „Kirchenunab­hän­gigen Christ*innen“. Letztere geben also offensichtlich durchaus eine Verbundenheit mit der Kirche an, die aber zunehmend schwächer wird. Den 81 % Kirchenverbundenen stehen 15 % Kirchendistanzierte ge­genüber, die sich noch nie bzw. weniger denn je mit der Kirche ver­bunden fühlen.

Auf die Frage nach der Bereitschaft, aus der Kirche auszutreten, ant­wor­ten 41 % der Katholik*innen, dass sie zumindest schon einmal daran gedacht haben. 7 % äußern eine hohe Austrittsbereitschaft („Ich bin fest entschlossen, auszutreten“), 13 % eine mittlere („Ich bin noch un­entschieden“) und 21 % eine geringe („Ich werde wahrscheinlich nicht austreten“). Die Austrittsneigung ist unter den jüngeren Gruppen hö­her. Bei den Kirchendistanzierten geben 24 % eine hohe Austritts­bereitschaft an; umgekehrt sind also drei Viertel der Kirchendistan­zierten mindestens unentschlossen, ob sie aus der Kirche austreten wollen.

Erfragt wurde zudem die Nutzung kirchlicher Angebote. Drei Viertel der Katholik*innen (76 %) geben an, besondere Gottesdienste, z. B. zu ho­hen Festtagen, zu besuchen; über die Hälfte (55 %) gibt an, am Sonn­tags­gottesdienst teilzunehmen (die Nutzungsfrequenz wurde dabei nicht erhoben). Alle anderen abgefragten kirchlichen Angebote werden von weniger als der Hälfte der Befragten genutzt, z. B. Gemeinschafts­angebote, kirchliche Medien, Angebote für Familien/‌Kinder, am wenigsten Begleitung in Lebensfragen (23 %), spirituelle Angebote (21 %) oder Beratung durch katholische Fachstellen (17 %).

Gründe für die Kirchenmitgliedschaft

Zentral ist nun das Kapitel „Gründe für die Kirchenmitgliedschaft“. Unter den zehn wichtigsten Gründen ragen die Familientradition („Ich bin Kirchenmitglied, weil das bei uns in der Familie einfach immer so war“), der Glaube an Jesus Christus und das soziale Engagement der Kirche heraus. Diesen Items pflichten jeweils ca. 70 % der Katholik*in­nen auf einer vierstufigen Skala mit „trifft voll und ganz zu“ bzw. „trifft eher zu“ bei. Beim sozialen Engagement der Kirche findet sich aller­dings nur bei 33 % die volle Zustimmung, bei den anderen beiden sind es jeweils 50 %. Die hohe Zustimmung zum Item „Weil ich an Jesus Christus glaube“ mag überraschen, darf jedoch auch nicht immer als emphatische Glaubensaussage verstanden werden: Effekte der sozialen Erwünschtheit und der internen Konsistenz des Antwortverhaltens sind miteinzubeziehen. Man darf diesen Befund also nicht dogmatisch über­frachten, zumal er durch 46 % Zustimmung zum Item „Ich glaube an eine höhere Macht, aber nicht an einen Gott, wie ihn die Kirche beschreibt“ relativiert wird.

Weitere wichtige Bindungsfaktoren sind die Kasualien (Kinder taufen lassen: 65 % Zustimmung „trifft voll und ganz zu“/‌„trifft eher zu“; kirchlich bestattet werden: 61 %; kirchlich heiraten können: 56 %), der Glaube an ein Leben nach dem Tod (60 %), Kirchenräume als Orte der Ruhe (63 %) und der gegenwärtige Papst (58 %). 54 % geben an, sich bewusst für die Kirchenmitgliedschaft entschieden zu haben. Mit prag­matischen Gründen (andere könnten schlecht über einen reden: 6 %; man würde sich berufliche Chancen verbauen: 12 %; der Kirchen­aus­tritt ist zu mühsam: 16 %; weil es dem/​der Partner/in wichtig ist: 19 %) wird die Kirchen­mitgliedschaft am seltensten begründet. Auch hier muss beachtet werden, dass es sich um Selbstaussagen zur eigenen Einstellung handelt, die den bewussten oder unbewussten Motivati­ons­beitrag zum tatsächlichen Verhalten unterschätzen können. Zumindest spricht einiges dafür, dass pragmatische Aspekte wie Bequemlichkeit, Unkenntnis über das formale Prozedere eines Kirchenaustritts, das Be­zahlen einer Gebühr auf dem Standesamt o. Ä. einen nicht unwesent­lichen Teil zum Verbleib in der Kirche beitragen, auch wenn sie nicht unbedingt bewusst reflektiert werden.

Die Einschätzung der Befragten zu den im Interviewleitfaden ange­bo­tenen Gründen für die Kirchenmitgliedschaft wurde zusätzlich einer Faktorenanalyse unterzogen. Mit deren Hilfe kann die Vielzahl der Befragungsdaten auf wenige zugrundeliegende latente Variablen oder Faktoren reduziert werden, indem eng miteinander korrelierende Items zusammengefasst werden. Um die Reichweite bzw. das Gewicht der ein­zelnen Faktoren ausweisen zu können, wurde die mittlere Zustim­mung zu den jeweiligen Leit-Items in Prozent angegeben. Das größte Gewicht (72 %) hat dabei der Faktor „Familientradition“ (Kirchenmitgliedschaft als Teil der Normalbiografie und unhinterfragte Gewohnheit, nicht als aktive Entscheidung), gefolgt von „Festigkeit im Glauben“ (Identi­fi­kation mit Glaube und Kirche: 56 %) sowie drei Faktoren, die jeweils knapp 50 % Zustimmung erreichen: „Kirche vor Ort als Heimat“, „Kir­che als weltoffene Sozialagentur“, „Wertschätzung kirchlicher Dienst­leistung“. Der Faktor „Verteidigung einer christlichen Leitkultur“ (Kirche als Bollwerk gegen Beliebigkeit und die Irrungen des Zeitgeists) erhält dagegen im Durchschnitt nur 37 % Zustimmung. Das geringste Gewicht hat der Faktor „Pragmatismus“ (egotaktische Motive und sozial-normativer Zwang zur Kirchenmitgliedschaft, um Nachteile zu vermeiden: 12 %).

Typologie nach Bindungsmotiven

Schließlich wurde ein weiteres statistisches Verfahren angewendet, um Katholiken-Typen mit jeweils ähnlichen Einstellungen, Motiven und Präferenzen abgrenzen und beschreiben zu können: Durch so genannte Clusteranalysen wurde dazu die Gesamtmenge der Befragten in eine überschaubare Zahl in sich möglichst homogener Gruppen (Typen) zerlegt. Zur Typenbildung wurden die Einstellungen zu Glaube und Kirche sowie die Motive der Kirchenmitgliedschaft sowie passive Vari­ablen (z. B. soziodemographische Merkmale) herangezogen. Schließ­lich wurden die Typen im Sinus-Milieumodell verortet. Es gibt kein mathe­matisches Kriterium für eine optimale Typenlösung, daher fließt in die Bildung der Typologie ein hohes Maß an Interpretation durch die Forscher*in ein.

Die ermittelte Typologie umfasst sieben Typen, die zwischen 7 und 26 % der Katholik*innen ausmachen. Die „Bekennenden“ (13 %) zeigen im Typenvergleich die stärkste Verbundenheit zur katholischen Kirche und eine hohe Glaubensgewissheit; 85 % von ihnen haben noch nie an einen Kirchenaustritt gedacht. Eine ähnlich hohe Glaubensüberzeugung weisen die „Gemeindeverwurzelten“ (16 %) auf. Sie nutzen die kirch­li­chen Angebote im Typenvergleich am häufigsten und sind v. a. der Kir­che vor Ort am stärksten verbunden; 90 % zeigen keine Austritts­nei­gung. Der Typus „Sozial-Fokussierte“ macht den kleinsten Anteil der Katholik*innen aus (7 %). Seine Glaubensüberzeugung ist durch­schnitt­lich ausgeprägt; er ist am stärksten von der sozial-karitativen Relevanz der Kirche (v. a. von ihrem Einsatz für sozial Benachteiligte) überzeugt. 65 % zeigen keine und 25 % eine schwache Austritts­neigung.

Ein sehr interessanter Typus im Hinblick auf den erstarkenden Rechts­popu­lismus ist der des „Kompromisslos-Beharrenden“, dem 13 % der Katho­lik*innen angehören. Ähnlich wie die „Bekennenden“ und die „Ge­mein­deverwurzelten“ weist dieser Typ eine feste Glaubens­über­zeugung, eine starke Orientierung an katholischen Traditionen, eine intensive reli­giö­se Praxis und eine geringe Austrittsneigung auf (80 % haben noch nie an einen Austritt gedacht). Besonders stark ist hier jedoch der Bin­dungs­faktor „Verteidigung der christlichen Leitkultur“: Z. B. äußern 84 % Angst vor einer Islamisierung der Gesellschaft, während dies bei den „Bekennenden“ nur 9 % und bei den „Gemeinde­verwurzelten“ 16 % tun (Durchschnitt der Katholik*innen: 28 %). „Phänotypische ‚Kir­chennähe‘ muss offenbar genotypisch verschieden qualifiziert werden. Es gibt einen identitären Christianismus, der nur oberflächlich im Evangelium wurzelt, auch wenn er eifriger als andere zu Felde zieht ‚gegen die religiöse Beliebigkeit‘ (85 Prozent der Kom­pro­misslos Beharrenden, 46 Prozent der Bekennenden) und für eine Kirche, die ‚konservative Werte vertritt‘ (74 Prozent zu 36 Prozent)“ (Püttmann 2019, 28).

Schließlich machen drei weitere Typen gut 50 % der Katholik*innen aus: Geordnet nach zunehmender Kirchenferne sind dies die „Dienst­leistungsorientierten“ (9 %), die „Religiösen Freigeister“ und die „Ent­fremdeten“ (26 %). Die „Dienstleistungsorientierten“ sind mit dem Glauben und der Kirche vor Ort durchschnittlich verbunden, die ihnen besonders in Krisenzeiten Rückhalt geben (die Studie spricht von „Situ­ationsgläubigen“). Bei ihnen ist der Anteil von „Zunehmend Kirchen­indifferenten“ mit 59 % im Typenvergleich am höchsten, eine Aus­tritts­neigung aber nicht (62 %) oder nur schwach (25 %) ausgeprägt. Kasu­alien und professionelle Dienstleistungen sind am wichtigsten, der Traditionsbestand der Kirche hingegen kaum. „Religiöse Freigeister“ haben eine sehr hohe Affinität zu einer Patchwork-Spiritualität, sind nur schwach im christlichen Glauben verankert und weisen wenig Bezüge zur Kirche vor Ort auf. Sie sind starke Kritiker der Kirche, aber noch mehrheitlich von der sozial-karitativen Relevanz der Kirche überzeugt. Ihre Austrittsneigung ist überdurchschnittlich ausgeprägt (38 % mittel oder stark, nur 38 % keine Austrittsneigung). Die „Ent­fremdeten“ haben im Typenvergleich die geringste Affinität zu Glaube, Religion und Kirche, sie üben scharfe Kritik an der Kirche und äußern im Typenvergleich relativ starkes Unbehagen und Scham in Bezug auf Religion und den Austausch darüber. Sie haben eine starke Austritts­neigung (25 % haben noch nie daran gedacht, 15 % sind fest ent­schlossen). Allen Kirchenbindungsmotiven wird stark unter­durch­schnittlich zugestimmt – außer pragmatischen Gründen: Ein Drittel der Entfremdeten ist nur noch in der Kirche, weil ihnen der Austritt zu mühsam ist.

Fazit

Die Studie gibt einen methodisch fundierten und inhaltlich validen Ein­blick in die gegenwärtigen Einstellungen der deutschen Katho­lik*in­nen zu ihrer Kirche. Sie bietet auch die Möglichkeit, durch Längsschnitt­ver­gleiche Entwicklungen im Zeitverlauf zu erfassen. Man kann allerdings fragen, welche relevanten Aspekte zur Motivation, in der Kirche zu bleiben, von der Studie nicht erfasst werden, welche blinden Flecken sie also möglicherweise hat. Jedenfalls können, wie bereits angedeutet, mit der quantitativen Methodik eines Telefoninterviews nicht alle Bereiche von Glaube, Religiosität und Einstellung zur Kirche erfasst werden, besonders, wenn es um persönlichere, intimere Aspekte geht. Zudem werden zwar bewusste Einstellungen erfragt, eventuell kommen aber tiefere, nicht unmittelbar bewusste Motivationen zu einer Handlung (oder ihrer Unterlassung) nicht oder nicht in Gänze in den Blick. So könnten in dieser Studie z. B. der Faktor Gewohnheit/‌Bequemlichkeit oder der Gedanke „Vielleicht ist da nicht doch irgendetwas, weswegen man besser doch nicht aus der Kirche austritt“ („religiöse Sozial­versicherung“) unterschätzt werden.

Was bedeuten die Einsichten der Studie nun für pastorales Handeln? Sie bieten eine Menge an Informationen darüber, wie bestimmte Typen „ticken“, was wichtige Einstellungen und Motive sind, die ihr Verhält­nis zur Kirche prägen. Gemäß dem Motto des Sinus-Instituts „Nur wer weiß, was Menschen bewegt, kann auch Menschen bewegen“ liefert die Studie Ansatzpunkte dafür, wie die Kirchenbindung von Katholik*innen differenziert gestärkt und ihre Austrittsneigung abgeschwächt werden könnte – ähnlich wie es bei früheren Studien des Sinus-Instituts (und anderen) auch schon der Fall war. Bei welchen Typen etwa könnte be­sondere Aufmerksamkeit notwendig oder erfolgsversprechend im Hinblick auf ihren Kirchenverbleib sein?

Die Tatsache, dass die Studie bislang relativ verhalten rezipiert wurde, weist nicht nur darauf hin, dass ein solches Vorgehen sehr ambitioniert ist, sondern auch, dass grundlegende strategische, aber auch ekklesi­olo­gische Fragen noch nicht hinreichend geklärt sind. Soll es z. B. darum gehen, Kirche als Mitgliederorganisation aufrechtzuerhalten, sie als Dienstleistungsanbieterin zu profilieren oder zu einer Kirche der Betei­ligung zu entwickeln? Die anstehenden Veränderungen und Entwick­lungen können von kirchlicher Seite aus nicht vollständig kontrolliert werden. Was der Kirche an Gestaltungsspielräumen bleibt und vor allem wie man sie nutzen will, darüber braucht es noch mehr und offenere Diskussionen als bislang.

 

Calmbach, Marc/‌Flaig, Bodo B./‌Möller-Slawinski, Heide, Kirchen­mitglied bleiben? Ergebnisse einer repräsentativen Befragung des Sinus-Instituts unter Deutschlands Katholiken. Herausgegeben von der MDG Medien-Dienstleistung Gesellschaft, Heidelberg/​München 2018.
Die Studie kann bezogen werden über die Website der MDG.