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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Kirche befindet sich auf dem Markt, und das ist eigentlich nicht wirk­lich neu: Die Erfahrung des Paulus auf dem Areopag (Apg 17), die ja für ihn nicht sonderlich erfolgreich ausgeht, ist eine paradigmatische. Es gibt Bedingungen dafür, ob die Botschaft ankommt oder nicht. In einer Zeit, in der durch die Ökonomisierung aller Lebensbereiche das Handeln der Kirche und die Art und Weise, wie sie ihre Botschaft „aus­richtet“, als Teil der vielen kulturellen turns unter den Zustimmungs­vorbehalt des Kunden geraten sind, ist diese Erkenntnis auch nicht ganz neu, scheint aber mancherorts schwer zu akzeptieren und für die Gestaltung kirchlicher Prozesse umzusetzen zu sein. Die Ökonomie kann eben in postmoder­nen Zeiten (übrigens wie die Kunst und die mediale Kommunikation) nicht mehr als ancilla theologiae (Magd der Theologie) domestiziert werden. Sie entwickelt vielmehr eine eigene Dynamik, die kirchliches Handeln zur Veränderung herausfordert.

Eine Kirche, die lange Zeit den Communio-Gedanken mit zentraler Defi­nition der Bedingungen zur Partizipation an dieser Gemeinschaft verknüpft hat, tut sich schwer, sich als Dienstleister zu verstehen. Dabei ist anzumerken, dass communio und ministratio (vgl. Gaudium et spes 4) nicht voneinander zu trennen sind: Die Formate der Gemeinschaft wer­­den vom „Kunden“ unter Dienstleistungsgesichtspunkten betrachtet und „evaluiert“ und umgekehrt. Aber allein die Rede vom „Kunden“ ist innerkirchlich gewöhnungsbedürftig und nicht unumstritten. Für den einen bedeutet „Marktförmigkeit“ die Anpassung der Botschaft an den Zeitgeist und damit den Verlust des christlich-katholischen Profils. Die Frage nach dem „Markenkern“ oder dem „Alleinstellungsmerkmal“ kirchlichen Tuns wird als „knallharte und gefühlskalte Berater- und Unternehmerlogik“ diskreditiert. Dies führe ebenfalls in die Profilie­rungsfalle oder trage zumindest die Gefahr in sich, diesen Markenkern in der binnenkirchlichen Logik der intensiven Aktivmitgliederbetreu­ung oder der eng verstandenen Sakramentenversorgung zu sehen. Bei der Wahrnehmung der Kirche als „Bedürfnisbefriedigungsanstalt“ kriti­sieren Zeitgenossen wie bspw. der Münsteraner Pfarrer Thomas Frings ein angebliches Auseinanderklaffen von ritueller Dienstleistung nach dem Gusto der Nachfragenden und einem nicht vorhandenen Glauben auf der „anderen Seite“, was ihnen als „Hüter des Heiligen“ Probleme bereitet.

Und dann die Rede von den „Werkzeugen“, neudeutsch tools: Oft wird die Sorge vor einer technokratischen Sprache und Denkweise geäußert, die nicht die des Evangeliums sei. Die „Qualität“ kirchlicher Prozesse und Angebote liege auf einer anderen Ebene. So steht das Thema der vorliegenden Ausgabe von euangel zwischen Kritik und Übernahme ökonomischer Vorstellungswelten. Natürlich ist „Entwicklung“ der Kirche, was per­sön­lichen Glauben und Kirche als Leib Christi letztlich ausmacht, un­ver­fügbares Ereignis und Geschenk. Das desavouiert ex­treme Steue­rungs- und Kontrollfantasien und ‑bemühungen von Lei­tung und Funk­tionsstellen. Für den Teil, der tatsächlich gestaltbar ist, zeigt sich die Logik eines Kunden nicht nur in der Frage nach Eintreten, Bleiben oder Austreten, sondern auch für die Formen der Partizipation: Was habe ich davon? Aktuelle Bemühungen um Kirchenbindung dürfen daher nicht auf der Ebene der Bindung des Kirchensteuerzahlers stehen bleiben. Zu durchsichtig ist dann das Ziel, mit der Verfügung über die damit ver­bun­­de­nen materiellen Ressourcen auch diese aktuelle Gestalt von Kir­che (und ihre Abläufe, Kommunikationsformen und weit­gehen­de Bin­nenlogik, was die Relevanz betrifft) möglichst lange zu erhalten. Die Kunst ist, die Rahmenbedingungen des Marktes anzunehmen und in ihnen zu agieren, sie aber nicht zu verabsolutieren. „Wie auf dem Markt bestehen, ohne ihm zu verfallen?“ (Rainer Bucher).

Dabei bleibt es vermutlich ein Trugschluss, Dienstleistung als lediglich hauptberuflich angebotene zu verstehen. Denn wer soll künftig ange­sichts knapper werdender Finanz- und Personalressourcen diese Dienst­leistung(en) vorhalten? Hauptberuflichkeit in der Kirche und das (nicht zu eng gedachte) Gottesvolk als Subjekt der kirchlichen Dienstleistung müssen in eine neue Beziehung und Balance kommen. Die Kirche wird ernst nehmen und realisieren müssen (dürfen!), dass sie sich von ein­seiti­gen Kommunikationsbeziehungen verabschieden und in Bezie­hun­gen der Gegenseitigkeit eintreten muss. Dadurch verändert sich auch die „Kundenbeziehung“: vom Kunden als Objekt der Betreuung und Versorgung hin zum Subjekt, auf das auch das Dienstleistungs­para­digma selbst zurückwirkt. Betroffene müssen zu Beteiligten gemacht werden. Nur: Über die Bedingungen der Beteiligung und damit über deren Relevanz und soziale Gestalt entscheidet nicht mehr die kirch­liche Institutionen­ver­tretung allein.

Ein ehrliches und nachhaltiges Marketing als Kundenkommunikation und ‑dialog wird dazu führen, dass Kirche „neu geboren“ wird; sie bleibt nicht, wie sie ist, wenn sie sich diesem Kundendialog aussetzt, sie lässt sich auf die Dynamik einer Kirche im Werden mit flüssigen Grenzen ein. Dies verändert das Wesen und die Art der kirchlichen „Gemeinschaft“.

Der Duktus von Gaudium et spes hat in die Ekklesiologie den Hinweis ein­getragen, dass die Kirche in der Gegenwart nicht (mehr) wissen kann, wer sie ist und welches ihr Auftrag ist, ohne dies in der Einbezie­hung der „Außenperspektive“ immer wieder – und immer wieder er­neut – zu klären. Verkündigung des Evangeliums heißt dann, dass die Kirche Ernst damit machen muss, dass das, was das Evangelium meint und anzielt, bereits im Leben des „Kunden“ verwirklicht ist und durch das Tun der Kirche und ihrer Glieder zur deutenden Darstellung und Reifung gebracht werden soll. Die Wirklichkeit Gottes ist bereits in denen am Werk, die mit und in „der Kirche“ eine wie auch immer gear­tete Kommunikation aufnehmen und zulassen. Spannend: Auch der Bereich der tools ist – wie der Überblick über unsere aktuelle euangel-Ausgabe zeigt – in sich nicht eindeutig und homogen, sondern horizon­tal und vertikal vielfältig. So begegnen in kirchlichen Entwicklungstools neben solchen, die eher auf „klassische“ Managementtheorien von kyber­netisch-zentraler Zielsetzung und ‑erreichung zurückzuführen sind, andere Ansätze, die eher die postmoderne Unplanbarkeit eines sich nicht linear entwickelnden Umfeldes aufnehmen.

Wo und wie sich kirchliche Reform- und Gestaltungsvorstellungen reali­sieren, spiegelt die große Vielfalt von Ekklesiologien und Kontextsitua­tionen wider, die es in der deutschen Kirche gibt. Es kann nicht darum gehen, diese zu einem „schlagkräftigen“ Entwicklungsimpetus zu har­mo­nisieren, sondern vielmehr, sich in diesem und durch diesen vielfäl­tigen Dialog zu öffnen für die „Logik“ und die Wirkkraft des Evange­liums.

Ich wünsche Ihnen im Namen des Teams der KAMP eine anregende Lektüre!

Ihr