Religion, Moderne, Resonanz
Anstöße aus Hartmut Rosas „Soziologie der Weltbeziehung“
Gutes Leben in einer ambivalenten Moderne
Das 2016 von Hartmut Rosa vorgelegte Buch „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ scheint innerhalb kurzer Zeit einen neuen Suchbegriff zum besseren Verständnis der Gegenwart respektive der Moderne in der Diskussion etabliert zu haben. Allerdings ist damit dieses Schlagwort „Resonanz“ auch der Gefahr ausgesetzt, als relativ diffus verwendbare Allerweltsvokabel missverstanden zu werden. Wie anspruchsvoll und facettenreich dagegen der Resonanz-Begriff im Sinne Rosas ist, mag schon eine Umschreibung andeuten, die in seinem Buch gleich zweimal vorkommt: Resonanz ist demnach „das Aufblitzen der Hoffnung auf Anverwandlung und Antwort in einer schweigenden Welt“ (Rosa 2016, 321.750). Der damit einhergehende gegenwartsdiagnostisch-modernetheoretische Befund lässt sich dabei abgekürzt so auf den Punkt bringen: „Die Moderne ist verstimmt“ (ebd. 739). Vom Aufblitzen der Hoffnung in einer verstimmten Moderne ist also zu sprechen, wenn hier – freilich nur gleichsam aus der Vogelperspektive – einige Grundzüge dessen in den Blick kommen sollen, was Rosas Entwurf zu denken gibt.
Ein auch philosophisch großer Wurf ist das Werk des Soziologen Rosa vor allem deswegen, weil es nicht weniger versucht, als die alte Frage (nicht nur) der Philosophie, was ein gutes Leben ausmacht, im Spiegel einer durch die Krise der Moderne umgetriebenen Gesellschaftskritik erneut aufzunehmen. Er weiß natürlich darum, dass in pluralistisch-metaphysikskeptischen Zeiten auch Philosophen zurückhaltend sind gegenüber inhaltlichen, gar normativen Bestimmungen dessen, was ein gelingendes Leben ausmacht. Prominent geworden ist Rosa schon mit seinen Studien zur „Beschleunigung“ als Kernproblem moderner Gesellschaften. Anders, als von manchen Rezipienten angenommen, ergibt sich für Rosa daraus allerdings nicht die simple Losung, „Entschleunigung“ sei das Gebot der Stunde. Just gegen diese Verkürzung wehrt sich Rosa zum Auftakt seines jüngsten opus magnum: Nicht durch schlichte Entschleunigung sei den Problemen der Moderne zu begegnen, sondern: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung“ (Rosa 2016, 13).
Rosa transformiert jene Frage, die die Ethik des guten Lebens immer schon umgetrieben hat, in eine „Soziologie der Weltbeziehung“: Denn ob mein Leben gelingt oder nicht, das ist – ganz abgesehen von inhaltlich-normativen Bestimmungen, mit denen sich Philosophen in pluralistischen Zeiten, wie gesagt, oft schwer tun – zuvor eine Frage der „Qualität“ meiner Weltbeziehungen und die wiederum sind stets gesellschaftlich-kulturell vermittelt, mithin ein angemessenes Thema für Soziologie und Sozialphilosophie. Das Kriterium der Resonanz ist dabei zunächst ein eher formales, das aber durchaus nicht wertfrei bleibt und insofern auch eine normative Dimension berühren kann: Ein gutes Leben nämlich wäre eines, das auf einen bestimmten „Modus“ der Weltbeziehung angewiesen ist. Und die Frage nach der Ermöglichung oder Verhinderung entsprechender Erfahrungsräume kann dann auch ein Kriterium sozialphilosophischer Gesellschaftskritik im Blick auf die ambivalente Moderne andeuten.
Ansprechend und herausfordernd: Resonanzerfahrungen
Generell lassen sich mit Rosa drei „Modi“ menschlicher Weltbeziehungen unterscheiden: Welt (also ganz allgemein: das, mit dem ich es zu tun habe, seien es andere Menschen, Dinge, Aufgaben etc.) kann von mir als widerständig, gar feindlich („repulsiv“) oder auch als gleichgültig („indifferent“) wahrgenommen werden. Wird meine Welterfahrung von solchen repulsiven und indifferenten Beziehungen dominiert, dann wird man sie mit dem schon von den sozialkritischen Klassikern etablierten Begriff der „Entfremdung“ charakterisieren können. Es gibt aber phänomenologisch eben auch die gegenläufige Erfahrung, dass mir Welt zugänglich ist und gleichsam antwortend („responsiv“) erscheint – eben im Modus der „Resonanz“. Umgangssprachlich kontrastiert: Ich reagiere dann nicht mit: „Das sagt mir alles nichts …“, sondern eher mit: „Das spricht mich an …“ Gelingendes Leben ist angewiesen auf solche Resonanzerfahrungen. Hier aber liegt nun die entscheidende Problematik der Moderne: Ihr attestiert Rosa nämlich eine tiefgreifende Resonanzkrise – darin freilich liegt die Ambivalenz: zugleich eine gesteigerte Resonanzsensibilität. Um das zu verstehen, ist Rosas Schlüsselbegriff zum Verständnis gegenwärtiger Weltbeziehungen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Was macht solche Resonanzerfahrungen näherhin aus? Dass Resonanz eine Antwortbeziehung meint, impliziert bereits eine wichtige Abgrenzung: Resonanz ist mehr als ein „Echo“. Wenn ich etwa zu einer Person in ein „resonierendes“ Verhältnis komme, dann finden wir sozusagen einen guten Draht zueinander; wir sind auf gleicher Wellenlänge. Das heißt aber eben auch, dass ich nicht einfach nur den Nachhall meiner eigenen Stimme vernehme. Es geht vielmehr um ein wechselseitiges Sich-Erreichen, um Hören und Antworten. Nicht ohne Grund kann Rosa die „leuchtenden Augen“ als ein Merkmal ausmachen, an dem man Menschen oft geradezu ansehen kann, dass sie eine Resonanzerfahrung machen. Ich werde buchstäblich angesprochen – und berührt oder gar ergriffen vom „Anderen“, ohne dass mich das „entfremdet“. Freilich macht entsprechende „Berührbarkeit“ mich auch verletzbar. Die „Stimme“ des Anderen (egal ob es Person, Sache, Aufgabe, Natur, Kunstwerk etc. ist) hat jedenfalls ihren Eigensinn, der mich durchaus irritieren und herausfordern kann – aber gerade das macht ja den Reiz solcher Beziehungen aus! Ich bleibe eben nicht in der eigenen Echokammer bloßer Selbstbestätigung befangen. Insofern gehört durchaus auch ein Moment widerständiger „Entfremdung“ zur gelingenden Weltbeziehung; problematisch ist nur die Dominanz entfremdeter Weltbeziehungen, die gar keine Resonanz mehr entstehen lässt, weil nichts mehr „gehört“ werden kann, was mir „antwortet“.
Resonanz ist ja eine dem akustisch-musikalischen Bereich entstammende Metapher: Rosa wählt denn auch das Bild von zwei Stimmgabeln, bei denen, befinden sie sich in Nähe zueinander, die zweite als „Resonanzeffekt“ mitklingt, wenn man die erste anschlägt. Ganz im Sinne dieses Bildes kann ich in einer Resonanzerfahrung selbst initiativ (erste Stimmgabel) oder vom Anderen „zum Klingen gebracht“ (zweite Stimmgabel) sein (vgl. Rosa 2016, 211 f.). Damit sind zugleich die beiden wohl entscheidenden Elemente einer resonanten Antwortbeziehung angedeutet: Ich muss zum einen eine, wie Rosa es nennt: „Selbstwirksamkeitserwartung“ haben können. Zum anderen bleibt doch eine „Unverfügbarkeit“ des Gelingens von Resonanz, die eben nicht etwas ist, das ich allein aus eigenen „Ressourcen“ herstellen könnte. Resonant-responsive Weltbeziehungen markieren daher auch eine grundsätzliche Grenze des Versuchs der „Aneignung“ von Welt: Resonanz gelingt nicht durch Aneignung, die über etwas zu verfügen sucht, sondern bedarf einer den Eigensinn des Anderen achtenden sensiblen „Anverwandlung“, die immer zugleich mich selbst verändern qua berühren wird. Es geht, mit Rosa gesprochen, um den „vibrierenden Draht“ zwischen dem Anderen der Welt und mir.
Resonanzerfahrungen sind offenkundig eine fragile Angelegenheit. Solche situativen „Drähte“ gelingender Weltbeziehung bedürfen einer gewissen Verlässlichkeit durch Verstetigung: Im Blick auf die individuelle Ebene spricht Rosa daher von sich lebensgeschichtlich herausbildenden „Resonanzachsen“, die ihrerseits wieder in kulturell geteilten „Resonanzsphären“ gründen.
„… triffst du nur das Zauberwort“: Resonanzkrise und Resonanzsensibilität
Wieso aber sind nun in der Gegenwart die Möglichkeiten solch anverwandelnd-responsiver Weltbeziehung nach Rosas Diagnose massiv gestört? Oder anders gefragt: Wie kommt es zur „Verstimmung“ der Moderne? Denn nicht weniger dramatisch ist tatsächlich Rosas sozialkritischer Befund: Maßgebliche Krisenphänomene unserer Zeit, von Rosa abgekürzt „Ökokrise“, „Demokratiekrise“, „Psychokrise“ etc. genannt, wurzeln nach seiner Überzeugung in einer umfassenden „Resonanzkrise“. Die anstehende Gesellschaftskritik sei mithin als Kritik der gegenwärtigen Resonanzverhältnisse zu formulieren. Die Moderne wird demnach durch Entfremdung dominiert; die Welt bleibt „stumm“ – und das liegt in dem der Moderne zugrundeliegenden Projekt selbst begründet. Rosa definiert als spezifisches Merkmal moderner Gesellschaften das Ziel der „Weltreichweitenvergrößerung“: Immer mehr und immer schneller soll Welt in „Reichweite“ gebracht und durch entsprechende Aneignung verfügbar gemacht werden. Moderne Gesellschaften können sich damit nur „dynamisch stabilisieren“ – durch immer weitere „Mengensteigerung pro Zeiteinheit“. Daraus aber ergibt sich eine „eskalatorische Tendenz“, wie sie etwa in der Beschleunigungs-Problematik deutlich wird. „Weltreichweitenvergrößerung“ und entsprechende „Ressourcenfixierung“ führen nun aber unweigerlich zum Verlust von Resonanzmöglichkeiten: Nur weil ich mir etwa mittels eines Smartphones jeden x‑beliebigen Weltbereich unverzüglich heranholen und „aneignen“ kann, „sagt“ er mir noch nichts. Im Gegenteil: Die Gefahr, dass ich gerade nicht in eine „Antwortbeziehung“ komme und Welt insofern stumm‑nichtssagend bleibt, dürfte zunehmen. Ressourcen statt Resonanz, Aneignung statt Anverwandlung, Beschleunigungs-Eskalation statt Zeit‑Räume für sensible Responsivität: Hartmut Rosa geht so weit, dass er für die durch die kapitalistische Systemlogik im Sinne dieser Prioritäten geprägte „Spätmoderne“ geradezu von einer „Resonanzkatastrophe“ spricht. Denn die Kehrseite – und zwangsläufige Folge – des Projekts der Weltaneignung ist die Angst vor dem „Weltverstummen“, wie sie ihrerseits vor allem in der modernen Literatur, aber auch Philosophie ihren Ausdruck gefunden hat.
Mit diesem Hinweis auf die ästhetisch-intellektuelle Artikulation der Angst vor dem Weltverstummen ist allerdings schon angedeutet, dass der Resonanzverlust nur die eine Seite der Medaille ist – und damit erscheint bei Rosa tatsächlich auch ein Hoffnungsschimmer am düsteren Horizont. Gerade die Kultur der Moderne ist nämlich zugleich durch eine einzigartige Resonanzsensibilität ausgezeichnet. Dafür stehen gerade die Romantik und die von ihr ausgehenden Stränge der modernen Literatur, Kunst und Philosophie, die nicht nur die Angst vor dem Weltverstummen artikulieren, sondern ihr auch das Verlangen nach Resonanz und Anverwandlung entgegenzustellen vermögen. „… Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort“: Joseph von Eichendorffs Gedicht Wünschelrute liest sich geradezu als literarischer Programmtext des Resonanz-Konzepts. Und im Blick auf konkrete Resonanzmöglichkeiten gibt es in der Moderne keineswegs nur „Wüsten“, sondern ebenso „Oasen“ (vgl. Rosa 2016, 615 ff.). Freilich werden entsprechende Resonanzräume nach Rosas Einschätzung oft durch die an sie gestellten Erwartungen überfordert – wenn etwa familiär-intime Beziehungen als „Resonanzhafen“ dienen sollen in einer ansonsten ganz durch entfremdende Sachzwänge einer kapitalistischen Arbeitswelt geprägten Lebenssituation. Daher führt – unbeschadet auch in modernen Gesellschaften möglicher Resonanzerfahrungen – an der prinzipiellen Kritik der diese Gesellschaft prägenden Resonanz(verhinderungs)verhältnisse für den Soziologen kein Weg vorbei. Bei der Suche nach Perspektiven einer „Postwachstumsgesellschaft“ muss folglich der Frage besonderes Augenmerk gelten, wie die Sensibilität für Resonanzräume neu zu fördern wäre.
Auf der Suche nach „Tiefenresonanz“ – oder: Moderne und Religion
Auch und gerade in der ambivalenten Moderne suchen und finden Menschen jedenfalls Resonanzräume, ja besteht laut Rosa angesichts der eklatanten Resonanzkrise zugleich eine besondere Resonanzempfänglichkeit. Die entsprechenden (individuellen) Resonanzachsen bzw. (kulturellen) Resonanzsphären mit ihren Möglichkeiten und Grenzen werden in Rosas Untersuchung ausführlich behandelt: Da ist erstens die Dimension „horizontaler“ Achsen bzw. Sphären, die Resonanzerfahrungen im Bereich sozialer Beziehungen betreffen (Familie, Freundschaft, Politik); zweitens die von Rosa als „diagonal“ bezeichnete Dimension eines über die „Dingwelt“ vermittelten Bereichs (Arbeit, Konsum, Sport) und schließlich drittens die „vertikale“ Dimension, bei der es um Resonanzsuche im Blick auf die Welt „im Ganzen“ geht. Mit dieser die „Totalität“ der Welt betreffenden Dimension rückt die Frage einer möglichen „Tiefenresonanz“ in den Fokus des modernetheoretischen Interesses: Vier Bereiche sind es, in denen nach Rosa in der Moderne entsprechende Resonanzräume gesucht werden: Religion, Kunst, Natur und Geschichte. Notabene: Es ist bemerkenswert, wie sich die drei genannten Dimensionen gerade im Bereich religiöser Riten (wie der Feier des christlichen Gottesdienstes) auch verbinden und gegenseitig verstärken können (vgl. Rosa 2016, 443).
Damit ist schon angedeutet, dass gerade auch „Religion und religiöse Sehnsucht im Leben (spät-)moderner Menschen“ (ebd. 436) durchaus eine wichtige Rolle spielen können; Rosa widmet der „Verheißung der Religion“ ein eigenes Kapitel (vgl. ebd. 435–453). Religion bietet nämlich gerade auch im Kontext der Moderne ein verheißungsvolles „Resonanzversprechen“ angesichts dieser Suche nach „Tiefenresonanz“. Sie reagiert damit auf ein „existentielles Antwortbedürfnis“, das den Menschen umtreibt. Rosa profiliert Religion mit diesem Verständnis dezidiert als Beziehungsgeschehen, wenn er deren „Urvertrauen“ in eine Antwortfähigkeit der Welt mit Gott als Chiffre für eine entsprechende Ansprechbarkeit und somit als Vertrauensgrund zusammenbringt. Vor diesem Hintergrund hat die frömmigkeits- und kulturgeschichtliche Wirkung des Christentums in der Moderne ihre markanten Spuren hinterlassen. (Rosa erinnert etwa an die Bedeutung des protestantischen Kirchenlieds oder auch an die weite Ausstrahlung des Weihnachtsfestes in die säkulare Kultur hinein.) Freilich: Die Erfahrung der Abgründigkeit einer „schweigenden Welt“ und die Angst vor dem „Weltverstummen“ ziehen in der säkularen Moderne auch die religiöse Sehnsucht und Verheißung in Mitleidenschaft. Der religionskritische Zweifel ist heute gerade auch im religiösen Resonanzraum nicht zu übertönen, sondern klingt notwendigerweise mit. Obendrein kann Religion, wie angedeutet, kein Monopol mehr für die Suche nach „Tiefenresonanz“ beanspruchen; gerade Natur und Kunst sind in metaphysikskeptischen Zeiten zu „funktionalen Äquivalenten“ entsprechender Suchbewegungen geworden.
Wie auch immer: Die Bedeutung der Religion – und damit auch der Theologie – für eine Theorie der Resonanz und Soziologie der Weltbeziehung ist jedenfalls nicht zu unterschätzen. Hartmut Rosa selbst hat diese Bedeutung unlängst im Blick auf drei Aspekte prägnant zusammengefasst (vgl. Rosa 2017, 46–51). Erstens bietet demnach das Resonanzverlangen eine plausible Erklärung für die bleibende Bedeutung der Religion(en) in der Moderne. Zweitens sind vor diesem Hintergrund gerade Konzepte in Theologie und Religionsphilosophie, die auf den „dialogischen Aspekt“ ausgerichtet sind (etwa zur Phänomenologie des Gebets), ein wichtiges „Reservoir“ für die Resonanztheorie. Drittens – und das dürfte für das sozialphilosophisch-gesellschaftskritische Interesse entscheidend sein – bieten die religiösen Traditionen selbst einen wichtigen „Fundus“ für den Ausdruck von Resonanzerfahrungen und Resonanzverlangen und damit ein entscheidendes Widerstandspotential gegen die moderne Steigerungslogik und für die notwendige Resonanzsensibilität.
Resonanzvertrauen?
Eine entscheidende Frage bleibt aber noch offen: Ist ein „Resonanzvertrauen“, wie es in religiösen Traditionen artikuliert wird, überhaupt letztlich begründet? Die Gretchenfrage läuft hier ja darauf hinaus: „Schweigt“ oder „antwortet“ die Welt eigentlich? Der Zuversicht des Eichendorffschen Gedichts, dass die Welt „zu singen“ anfangen kann, steht eben der die Moderne ebenso tiefgreifend prägende Verdacht von Albert Camus und anderen gegenüber, dass gegen alles menschliche Sinnbedürfnis bzw. Resonanzverlangen die Welt am Ende absurderweise „schweigt“. Eine soziologische Beschreibung der Modi moderner Weltbeziehungen wird eine solche Frage „agnostisch“ (Rosa 2016, 289) offenhalten. Als religionsphilosophisch-fundamentaltheologischer Frageüberhang von Rosas Resonanz-Konzept und erst recht existentiell legt sie sich gleichwohl unweigerlich nahe – und wird von Rosa auch als solche thematisiert: „Ob am ‚Grund der Welt‘ die Resonanz des Universums steht […] oder nur das öde Schweigen des eisigen Weltenraumes […], lässt sich mit den Mitteln des Verstandes nicht entscheiden. Es lässt sich vielleicht nur resonanzsensibel ‚erspüren‘, und was bei diesem Spürtest herauskommt, hängt dann von der – nicht zuletzt im Bildungsprozess erworbenen – dispositionalen Resonanz oder Entfremdung eines Menschen ab“ (Rosa 2016, 450 f.). Auf diese Weise bleibt notabene Blaise Pascals „Wette auf eine Gottesstimme“ (ebd. 448; Hervorhebung im Original) unvermindert aktuell und herausfordernd im „säkularen Zeitalter“, in dem alle Glaubenshaltungen ihren Charakter als umstrittene Optionen einzugestehen haben (vgl. Taylor 2009).
Das Resonanz-Konzept selbst ist im Übrigen nicht harmonistisch misszuverstehen: „An der Wurzel der Resonanzerfahrung liegt der Schrei des Nichtversöhnten und der Schmerz des Entfremdeten. Sie hat ihre Mitte nicht im Leugnen oder Verdrängen des Widerstehenden, sondern in der momenthaften, nur erahnten Gewissheit eines aufhebenden ‚Dennoch‘“ (Rosa 2016, 322). Rosa spricht sogar einmal beiläufig von den „Bedingungen eines unerlösten Daseins“ (ebd. 750). Hier bekommt die biblisch-christliche Tradition im Sinne des eben genannten dritten Aspekts, als religiöser „Fundus“ für die Artikulation von Resonanzerfahrungen und Resonanzverlangen also, besondere Bedeutung: Denn die Erfahrung des Stummbleibens der Welt und des Ausbleibens einer ersehnten Antwort bzw. die Dialektik von Schweigen und Antworten wird, so weiß auch Rosa, von diesem Glauben ja selbst artikuliert (vgl. Rosa 2017, 48). Die in der biblischen Glaubenserfahrung verwurzelten Traditionen negativer Theologie entsprechen der „Erfahrung der Verborgenheit Gottes“, die man zugleich als „Charakteristikum der religiösen Erfahrung des Menschen der Spätmoderne“ ausmachen kann (Halík 2015, 62). Gerade vor diesem Hintergrund mag jenes „Aufblitzen der Hoffnung auf Anverwandlung und Antwort in einer schweigenden Welt“ (Rosa 2016, 321.750) zu denken geben, das womöglich das Vertrauen in einen letzten Antwort- und Resonanzgrund inmitten aller modernen „Verstimmungen“ doch motivieren kann.
Gekürzte und durchgesehene Fassung des Beitrags „Resonanz – oder: Vom Aufblitzen der Hoffnung in einer verstimmten Moderne“ in: Der Prediger und Katechet 157 (1/2018) 145–153. Wiederveröffentlichung in εὐangel mit freundlichem Einverständnis der Schwabenverlag AG, Ostfildern.