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Gerettet durch Begeisterung

Reform der katholischen Kirche durch pfingstlich-charismatische Religiosität?

„Reform der katholischen Kirche durch pfingstlich-charismatische Reli­giosität?“ Der Untertitel des zu besprechendes Bandes drückt eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner aus, der die Beiträge zusammenklam­mert. Inklusive des Fragezeichens (das übrigens auch vier der acht Aufsätze im Obertitel aufweisen!), denn die Beiträge thematisieren nicht nur die Stärken und Erfolge, sondern auch Problematiken des derzeitigen Booms von pfingstlich-charismatischer Religiosität.

Umgekehrt heißt das: Der Rezensent nimmt eine deutliche Disparität der Beiträge wahr – allein schon dadurch, dass sie zwar alle mit charis­matischem Christentum und dessen Verhältnis zum Katholizismus zu tun, aber trotzdem verschiedene Untersuchungsgegenstände haben. Nehmen wir etwa gleich den ersten, informativen Beitrag von Jörg Haustein und Giovanni Maltese: Sie geben Einblicke in die durchaus vielfältige akademische pfingstliche Theologie und ermuntern dazu, mit dieser ins ökumenische Gespräch zu kommen; allerdings befinden wir uns hier im Bereich der ersten Welle des v. a. US-amerikanischen Pente­kostalismus – also der schon älteren, „gesetzteren“ Pfingstkirchen –‍, der im Rest des Buches quasi keine Rolle spielt. Dagegen ist der folgende Beitrag des Kirchenrechtlers Bernhard Sven Anuth auf neue innerkatho­lische Bewegungen und Gemeinschaften gerichtet, die zwar (in einem weiteren Sinne) ihre Charismen haben, aber nur teilweise (im engeren Sinne) charismatisch geprägt sind. Thomas Schärtl-Trendel wiederum arbeitet sich – insbesondere ausgehend von Erfahrungen in den USA – an jüngeren evangelikalen und charismatischen Einflüssen auf den Katholizismus ab, während Margit Eckholt den lateinamerikanischen Neopentekostalismus und katholischen Charismatismus im Blick hat und von daher eine Reihe von Themen behandelt (z. B. Inkulturation, Subjektwerdung aller Christinnen und Christen, neue Gemeinschafts­formen, ökumenische Öffnung versus neue Konfessionalisierungen). Und so weiter.

Freilich gibt es auch übergreifende Themen, so etwa das Verhältnis von Amt und Charisma. Der bereits genannte Beitrag von Anuth zeigt ins­besondere kirchenrechtliche Herausforderungen auf, die sich dadurch ergeben, dass die jungen innerkirchlichen Bewegungen mit ihrem Cha­risma oft nicht recht in die herkömmlichen kirchlichen Organisations­schemata (z. B. Orden, Vereine) passen, weist aber auch auf Probleme hin, die sich ergeben, wenn diese Bewegungen (etwa das Neokatechu­menat) Parallelstrukturen zu den Ortsgemeinden entwickeln. Aus sys­tematisch-theologischer Sicht plädiert Paul D. Murray in Auseinander­setzung mit Karl Rahners eher passivischer Darstellung des Hl. Geistes für eine Sicht der dritten göttlichen Person als „initiierend-transformie­rende Handlung Gottes in der immanenten Trinität“ (160) und damit auch für eine andere Sicht des Verhältnisses von „Charisma und Ord­nung in der Kirche“ (163). Und schließlich thematisiert auch Gunda Werner die kirchlichen Einhegungsversuche von charismatischen Auf­brüchen; es geht ihr in ihrem Beitrag aber noch um etliche weitere Fra­gen, die durch die Binnencharismatisierung der katholischen Kirche neue Aktualität gewinnen und das Verhältnis von Kirche und Moderne betreffen: etwa danach, inwiefern das Diktum von der ecclesia semper reformanda nicht nur die äußere Gestalt von Kirche betrifft, sondern auch ein dynamisches Verständnis von Tradition fordert.

Ein weiteres Thema, das in mehreren der Beiträge aufscheint, ist die affektive und körperliche Seite des Glaubens, wie er gerade in pente­kostalen Kreisen gelebt wird. Der Liturgiewissenschaftler Stefan Böntert widmet sich der unüberschaubaren Vielfalt pfingstlicher Gottesdienste, benennt „einige Grundkonstanten“ (196) und geht gesondert auf die von Medialität und Entertainment geprägten Gottesdienste von Mega­churches ein. Bedenkenswert sind die Herausforderungen für die katho­lische Kirche, die er dabei herausarbeitet: etwa die „Einbeziehung kör­perlicher Ausdrucksformen in die Liturgie“ (212) oder die Anpassung der Gottesdienste an die Feiernden: „Eine Kirche, die allein die Fortset­zung ihrer rituellen Traditionen betreibt, geht das Risiko ein, dass sich auch in Zukunft viele Menschen nach Alternativen umsehen werden, von denen sie sich eine individuelle und auf ihre Bedürfnisse hin zuge­schnittene religiöse Beheimatung versprechen“ (211). Auch der Pasto­raltheologe Michael Schüßler benennt als Erfolgsfaktor der Pfingstkir­chen, dass sich bei ihnen viele Menschen mit ihren Bedürfnissen besser aufgehoben fühlen als in der katholischen Kirche: etwa bei der körper­lichen Seite des Spirituellen und bei der Frage nach dem persönlichen, greifbaren Nutzen des Glaubens. Schön zeigt er den Gegensatz zwischen einer akademischen Theologie, die sich der Vernunft verpflichtet weiß, und affektiv-ereignishaften Glaubensformen mit gefühlten Wahrheiten, die von vielen vorgezogen werden, auf. Eine Lösung dieses Spagats hat er aber auch nicht zu bieten, sondern hebt Absichtslosigkeit und einen Blick für die Wunden des Lebens als Kriterien für einen verantwortungs­vollen Glauben hervor.

Den Hintergrund des vorliegenden Bandes bildet aber – wie bereits ein­gangs angedeutet – letztlich eine Thematik: „die Binnencharismatisie­rung [der katholischen Kirche; M. H.] und ihre vielfältigen theologi­schen und kirchlichen Implikationen“ (8). „Welche Konsequenzen könnte eine evangelikale oder eine pfingstliche Einfärbung des Katho­lischen zeitigen?“, fragt auch Thomas Schärtl-Trendel (96); er benennt dann etwa die Suche nach „pragmatischer Evidenz“ (100) des Glaubens oder eine antithetische Haltung zur modernen Welt. Freilich zeigt sich in seinem Beitrag auch, dass man gründlich klären muss, was man un­ter „evangelikal“ oder „pfingstlich-charismatisch“ eigentlich versteht; so überzeugt Schärtl-Trendels Versuch, hinter dem Priesterbild von Robert Barron (bekannt durch „Word on Fire“) „sowohl eine evangeli­kale als auch eine pfingstlich-charismatische theologische Schablone“ (110) zu entdecken, den Rezensenten nicht.

Insgesamt ist der Band vielleicht am ehesten als ein Kreisen um diverse Themenkomplexe und unterschiedliche Ausprägungen des Pentekosta­lismus zu beschreiben. Er thematisiert verschiedene Aspekte, die sich durch den zunehmenden Einfluss pfingstlich-charismatischer Religio­sität für die katholische Kirche ergeben, und bietet zwar keine Lösungs­ansätze, aber wichtige Problematisierungen und Überlegungen. Das ist die Stärke des Bandes! Von daher ist er weniger für Leser und Leserinnen geeignet, die sich erstmals mit dem Pfingstchristentum befassen, be­nennt aber wichtige Fragen für Theologinnen und Theologen, die sich intensiver mit der Zukunft der Kirchenentwicklung vor dem Hinter­grund der Pentekostalisierung befassen.

Martin Hochholzer