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Die Bibel – ein Hindernis für den Glauben

Auch wenn der Titel provokant klingen mag: Für viele liefert die Bibel Grün­de gegen den Glauben. Auch insgesamt, von ihrer gesamten Anlage her, ist die Bibel keine Werbeschrift für Nichtglaubende. Doch sind die Anfragen, die die „Glaubenswidrigkeit“ der Bibel provoziert, auch Anfragen an den christ­lichen Umgang mit der Bibel – und eine Chance, über Bibel und Glaube ins Gespräch zu kommen.

Die Bibel – ein befremdendes Buch

Er [Gott] sprach: „Was hinderte dich, dich niederzuwerfen, als Ich es dir be­fahl?“ Er [Iblis] sagte: „Ich bin besser als er. Du hast mich aus Feuer erschaf­fen, ihn aber erschufst Du aus Ton.“ Er sprach: „Weg und hinab mit dir! Es geziemt dir nicht, hier hochmütig zu sein. Darum hinaus mit dir, siehe, du bist einer der Gedemütigten.“ Er sagte: „Gib mir eine Frist bis zum Tag der Auferstehung.“ Er sprach: „Fürwahr, die Frist ist dir gewährt.“ Er sagte: „Wie Du mich in die Irre gehen ließest, werde ich ihnen auf Deinem geraden Weg auflauern. Dann will ich von vorn und von hinten, von ihrer Rechten und von ihrer Linken über sie kommen und Du wirst die Mehrzahl von ihnen undankbar finden.“ Er sprach: „Weg von hier, verachtet und verstoßen! Wahrlich, wer von ihnen dir folgt, mit euch allesamt fülle Ich die Hölle!“

Alles klar? Oder kommen Sie sich gerade vor wie im falschen Film? Die­jenigen, die sich für einigermaßen bibelfest halten, seien beruhigt: Es ist ein Zitat aus dem Koran (Sure 7,12–18; Iblis: Teufel).

Es geht mir nicht um den Inhalt, sondern um die Fremdheit, um das Be­fremden. Denn auch die Bibel ist in gewissem Sinne ein zutiefst fremdes Buch für heutige Christen – doch merken sie es selten. Ich habe einmal zwei Theologiestudenten bei einer Wette erlebt: Im Matthäusevangeli­um stünde eine Stelle, wo Petrus nach Jesu Weisung einen Fisch angele, in dessen Maul er dann eine passende Münze für die Tempelsteuer fän­de – behauptete der eine; der andere hielt dagegen – was ihn dann ein Essen kostete (vgl. Mt 17,24–27).

Aber diese ziemlich unbekannte Passage in einem Evangelium, das man eigentlich zu kennen meint, kann man noch als Ausnahme abtun. Be­denk­licher ist, dass viele Christen und sogar Theologen – wenn sie sich denn einmal in diese Bereiche der Bibel verirren – z. B. in der deutero­no­mischen Gesetzessammlung (Dtn 12,1–26,19) lesen können, ohne sich zu fragen, geschweige denn erklären zu können, wieso sie sich nicht an diese Weisungen gebunden fühlen.

Deshalb also zu Beginn ein Zitat aus dem Koran – denn hier vermittelt sich (hoffe ich) dem Leser noch etwas von der Fremdheit, die die Bibel eigentlich gegenüber unserer heutigen Zeit und Gesellschaft auszeich­net. Eine Fremdheit, die Christen durch die Sozialisation mit Geschich­ten aus der Kinderbibel, durch den Religionsunterricht und durch die Lesungen in der Liturgie nicht mehr empfinden. Eine Fremdheit – ein Befremden –, das aber wohl ein ostdeutscher Konfessionsloser der vier­ten Generation empfindet, der erstmals eine Bibel in die Hand nimmt. Kann ihn die Bibel mitreißen, etwa gar zum Glauben führen?

Unser Bibelerstleser wird sich jedenfalls schwertun. Vielleicht ist ein sprachlicher Ausdruck wie „… erging das Wort des Herrn in einer Vision an Abram: Fürchte dich nicht …“ (Gen 15,1 in der Einheitsübersetzung) noch gar nicht so sehr das Problem für ihn, da er einen solchen „alter­tüm­lich“ wirkenden Sprachduktus aus anderer Literatur (z. B. Fantasy) kennt und ihn in der Bibel vielleicht sogar erwartet. (Vielleicht ist er sogar ein wenig enttäuscht, dass die Einheitsübersetzung seine sprach­liche Klischeevorstellung nicht so sehr erfüllt wie etwa die unrevidierte Lutherübersetzung.) Aber gut möglich, dass er gar nicht bis zu dieser Stelle kommt, wenn er ganz vorne angefangen hat („Wo denn sonst?!“). Vielleicht hat er die Bibel bis dahin schon längst gelangweilt zur Seite gelegt, denn was den Aufbau eines spannenden Plots anbelangt, kann die Bibel mit einem modernen Roman nicht mithalten.

Aber auch wenn unserem fiktiven Leser nicht klar ist, dass die Bibel kei­­neswegs darauf angelegt ist, von vorne bis hinten immer der Reihenfol­ge nach gelesen zu werden (wie bei den meisten modernen Büchern), tut er uns vielleicht den Gefallen und schaut in das Inhaltsverzeichnis auf der Suche nach einer spannenderen Stelle. Die „Kapitelüber­schrif­ten“ findet er ziemlich nichtssagend; dass da fast alles „Buch“ heißt, verwirrt ihn. So schlägt er einfach mal ziemlich weit hinten auf und erwischt zufällig 1 Kor 11,26: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ Und versteht gar nichts: Was ist da in dem Kelch? Wer ist dieser Herr? Und wer ist „er“, denn das kann ja nicht der Herr sein, denn der ist ja tot. Oder ist das ein Untoter? Und was hat das Verkündigen überhaupt mit der Mahlzeit zu tun?

Selbst wenn er ein wenig den Kontext läse, brächte das unseren Erst­le­ser nicht viel weiter. Denn die Bibel setzt ziemlich viel voraus – und das „gemeinerweise“ von Anfang an. Ähnlich ergeht es jemand, der bei Harry Potter mit Band 7 einsteigt: Muggel? Todesser? Was ist das? Und er weiß auch nicht, was in der fiktiven Welt von Harry Potter Zauberer vermögen und was nicht, weiß nichts über die Lebenswelt der magisch Begabten, die parallel zur nichtmagischen Welt liegt und durch den Aufstieg von Lord Voldemort auch eine Bedrohung für die Muggel geworden ist.

Doch all das wird dem Leser, der beim ersten Band von Harry Potter ein­steigt, Stück für Stück erklärt und entfaltet. Die Bibel ist im Vergleich da­zu nicht „benutzerfreundlich“: Gott ist in Gen 1,1 einfach plötzlich da, ebenso die Kerubim in Gen 3,24, ohne dass erklärt würde, wer das ist, wie sie aussehen etc. Und auch wenn manche Bibelstellen zeitlose Klassiker sind – etwa die Goldene Regel (Mt 7,12) –, so sollten wir nicht vergessen, dass die Bibel aus einer anderen Kultur und Lebenswelt stammt und sich daher nicht genötigt fühlt, diese fremde und teilweise befremdende Kultur dem Leser nahezubringen. Besonders benutzerun­freundlich ist die Bibel für Nichtglaubende: Diese Zielgruppe hat sie nicht im Fokus, sondern setzt Leser voraus, die bereits glauben (oder zumindest einmal geglaubt haben).

Vorläufiges Fazit: Die Bibel ist gerade für den (weitgehend) unbedarften Leser sperrig – allein schon durch die Sprache. Es erfordert Mühe, sich in ihr zurechtzufinden: durch ihren Aufbau, der nicht dem moderner Bücher entspricht, und durch das Vorwissen, das sie oftmals verlangt. Und schließlich: Die Bibel ist keine Werbebroschüre für Nichtglaubende – dafür wurde sie auch nicht geschrieben.

Irritationen und Argumente

Zugegeben: Es könnte sehr schwer werden, einen solch biblisch unbe­leck­ten Leser – wie eben dargestellt – zu finden; denn immer noch leben wir in Deutschland in einer Kultur, in der man auf vielfältigste Weise mit Biblischem konfrontiert wird – und sei es nur in Zitaten in der Wer­bung und im Film. Und manchmal wird biblische Bildung im außer­kirch­lichen Bereich sogar vorausgesetzt: „Was ist das für ein Vogel über dem Mann in der Mitte?“ – als Kunstgeschichtestudent sollte man das höchstens einmal fragen, wenn der Professor im Proseminar eine Dar­stel­lung der Taufe Jesu zeigt.

Wenngleich sich die Bibel also gegenüber „Außenseitern“ als sperrig erweist, fällt dennoch auf, dass viele Atheisten/Agnostiker doch so viel mitbekommen haben, dass sie ziemlich treffsicher Vorbehalte gegen die Bibel formulieren können, die keineswegs einfach abgetan werden kön­nen als dumpfsinnige Polemik.

Analysieren wir dazu doch einige O-Töne: Das Internetprojekt www.ohne-gott.de des Erzbistums Köln lädt Nichtglaubende dazu ein, zu schreiben, weshalb sie nicht glauben und wie sie ohne Gott auskom­men. In den veröffentlichten Antworten spielt immer wieder auch die Bibel eine Rolle, manchmal positiv erwähnt, viel öfter aber als Argu­men­­tationsgrundlage gegen den Glauben. Interessante Einblicke in Denkwelten, die auch kirchennahen Christen keineswegs ganz fremd sind!

Nicht verwunderlich ist der Vorwurf, die Bibel stehe in Widerspruch zu (natur-)wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere zur Evolu­tions­theorie:

„In der Bibel steht keine einziges Wort über die Zeit vor uns mit Dino­sauriern und dem Urknall. Und es wurde auch wissenschaftlich belegt, dass Adam und Eva nicht die ersten Menschen waren, sondern dass der Menschen von den Affen abstammt.“ (Hier wie auch sonst wird die Ver­nachlässigung von Rechtschreibung etc. in den O-Tönen nicht korri­giert.)

Auch sonst wird häufig ein Befremden geäußert, das die Bibel durch verschiedene Aspekte bei heutigen (mehr oder weniger) kritischen und aufgeklärten Menschen auszulösen vermag:

„Aber die Bibel ist ein Buch voller mythologischer Vorstellungen. Diese Vorstellungen sind dem neuzeitlichen Menschen fremd und erschweren den Zugang zu biblischen Texten.“

„Zum beisbiel wird erwähnt, dass GOtt reden oder sprechen könnte. Das ist kindisch und albern. Die Gravitationskraft kann auch nicht reden.“

Als störend werden immer wieder „Widersprüche“ in der Bibel genannt – häufig ohne konkrete Beispiele. Konkret – und damit wären wir beim Themenkomplex „Ethik“ – thematisieren aber die Antworten wieder­holt die gegensätzlichen Seiten Gottes: Das Bild des „liebenden Vaters“ passe nicht zu den Passagen der Bibel, die Gott als eifersüchtig, stra­fend, gewalttätig oder gar in Versuchung führend zeichnen:

„Welch düsterer Plan Gottes muss es dann sein, das er einen Baum der verbotenen Früchte in ein Gefängnis stellt (das Paradies indem Men­schen eingeschlossen waren) um den Menschen die dort Leben zu sagen ‚esset nicht davon‘. Er wusste das sie essen werden. Warum stellte er den Baum in das Paradies obgleich er wusste was passieren würde?

Wer all das glaubt und weitere böse Dinge in der Bibel kann nicht gleichzeitig an einen liebenden Gott glauben, behauptet er dies dennoch muss er von Sinnen sein.

Ein Vater behandelt seine Kinder nicht so, auch nicht abtrünnigen und verständnislosen.“

Dabei taucht auch die Theodizeeproblematik auf:

„Aber ich kann nicht an den Gott der Bibel glauben. An einen Gott, der allmächtig und liebevoll und strafend zugleich ist. Die ganzen Rechtfer­ti­gungen der Theodizee (‚Warum lässt Gott das Leiden zu‘) und der gött­lichen Strafen aus dem Christentum erscheinen mir alle sehr unzurei­chend.“

Nicht nur die Höllenvorstellung, sondern auch sexualethische Aussagen werden kritisiert:

„Moralisch ist Gott ein Fehlschlag, da moralische Menschen nur auf­grund der Angst vor Bestrafung moralisch sind und nicht weil sie es von sich aus für richtig halten.

Nicht mal Hoffnung und Trost könnte ein logisch betrachteter Gott stif­ten. Da man an ihn glauben muss, wäre gerade in der Sterbephase eine erhöhte Angst vor der Hölle vorhanden. Sollte man zumindest denken. Denn die Bibel bestraft schon für kleinlichste Vergehen mit der Hölle. Die Bibel an sich ist ein weiterer Punkt für die Unhaltbarkeit der Gottes­hypothese.

Gott hasst Homosexuelle und ‚Krüppel‘, Transvestiten und Ehebrecher. Sie sind ihm ein Gräuel.“

Ein Fazit: „Das Alte Testament ist ethisch weit unterhalb unseres heuti­gen Niveaus und auch das Neue Testament ist bei weitem keine Frohe Botschaft. Viele gesellschaftliche Errungenschaften, wie z. B. die Gleich­stellung der Frau, spielen noch keine Rolle, denn die Zeiten waren da­mals andere.“

(Nebenbemerkung: Dass bei diesen negativen Wahrnehmungen immer wieder neben der Bibel auch der Koran im selben Atemzug genannt wird, macht die Sache keineswegs besser.)

Neben harscher Kritik und Polemik gibt es auch wohlwollend formulier­te Beiträge auf ohne-gott.de so wie diesen:

„Wenn man die Menschen das lehrt, was die Theologiestudenten ler­nen, dass – so meine ich – das NT ein historischer Text ist und nicht wörtlich zu verstehen ist und man somit die christliche Grundlehre vermitteln würde, würden mehr Menschen glauben.“

Bemerkenswert ist nun aber, dass sich in den Beiträgen immer wieder der gegenteilige Effekt zeigt: Erkenntnisse der modernen wissenschaft­lichen Forschung zu Bibel und Religion haben sich zwar über Fachkreise hinaus verbreitet, doch werden sie für die Argumentation gegen den Glauben in Stellung gebracht:

„Die moderne Bibelforschung hat fast alle Dogmen und den Katechis­mus, der auf Jesus begründet ist, als Legende entlarvt. Sogar die Mehr­zahl der katholischen und evangelischen Exegeten (Bibelforscher) ist sich inzwischen über folgendes einig: 1. Jesus ist nicht wirklich aufer­standen. […] 4. Jesus verstand seinen Tod nicht als Sühnetod für die Menschen. Dies wurde ihm nachträglich in den Mund gelegt. Folglich sind auch die Ereignisse des Abendmahls Legenden.“

Dabei zeigt sich eine bedenkliche Halbbildung bzw. Falschwissen: „Warum erkennt die Kirche das Thomas-Evangelium nicht an […]? Die Schrift, die von Wissenschaftlern mehrheitlich, wenn nicht einstimmig, als der wahren Lehre des geschichtlichen Jesu Christi am nächsten ein­gestuft wird?“

Wie wir sehen, sind hier Vorwürfe gegen „die Kirche“ nicht weit. Kriti­siert wird gerne der Unterschied zwischen biblischer und kirchlicher Lehre: „Zahlreiche Kernelemente des Christentums wie etwas die Drei­faltigkeitslehre tauchen in der Bibel überhaupt nicht auf. Es spricht alles dafür, dass die Geschichte des Christentums die Geschichte einer My­then­bildung ist.“

Insgesamt erscheint nicht nur die Bibel unglaubwürdig, sondern auch der Umgang von Christen und Kirche mit der Bibel. In den Beiträgen wer­den nicht nur wiederholt hermeneutische Probleme bzw. das Fehlen einer überzeugenden, klaren Hermeneutik thematisiert – wie z. B. hier: „Was die Warheit angeht hatt Gott ein echtes Problem. Denn Gottes Wort und seine Warheit steht ja bekanntlich in der Bibel. Sie sollte des­halb wahr, eindeutig und klar sein. Doch das ist sie nicht. Das die Welt an 7 Tagen erschaffen wurde glaubt heute keiner mehr. Doch wenn eine Information aus der Bibel falsch ist, oder zumindest nur bildlichern Charakter hat, wieso nicht alle?“

Darüber hinaus wird den Christen angekreidet, dass sie ihre eigene Hei­li­ge Schrift nicht kennen: „Meine Erfahrung aus dem Gespraech mit Christen ist, dass sie noch nicht einmal die Bibel kennen. Vor solchen Leuten kann ich keinen Respekt haben, denen ich als Nicht-Christin erst einmal ihre eigene Religion erklaeren muss. Zitierst du das alte Testa­ment, kommen sie dir damit an, dass sie das ja selber nicht toll finden, dass aber das neue Testament so toll sei. Kommst du mit dem neuen Testament an ‚Ihr Frauen ordnet euch den Maennern unter. So gefaellt es dem Herrn.‘, so ist es auch wieder nicht richtig. Kommst du mit der Bergpredigt an, die ja angeblich so toll sei, dann stoesst du bei Christen sehr schnell an Grenzen, wenn es um die praktische Umsetzung geht.“

Diese mangelnde Vertrautheit und kritische Auseinandersetzung mit der Bibel durch Christen ist besonders problematisch angesichts dessen, dass Nichtglaubende nicht nur immer wieder mit Verweisen auf die Bi­bel argumentieren, sondern sich teilweise sogar intensiv mit der Bibel befassen: „Ferner habe ich angefangen, die Bibel, die ich als Hundert­wasser-Ausgabe besitze zu lesen. Denn ich möchte ja auch wissen, was ich kritisiere.“

Bedingtheiten und Zumutungen

Aus diesen O-Tönen heraus ist dreierlei für die Thematik dieser euangel-Ausgabe – Bibel und Mission – festzuhalten:

  1. Auch wenn die Heilige Schrift das Fundament des Glaubens ist, so besteht doch eine grundlegende Differenz zwischen der Bibel und dem Glauben. Das wird auch den Kritikern immer wieder bewusst: Wenn sie etwa feststellen, dass kirchliche Lehren nicht eins zu eins in der Bibel stehen oder dass Gläubige manches „bild­lich“ verstehen, anderes dagegen nicht. Dennoch ist die Erwartung verbreitet, mit einer heiligen Schrift auch den Glau­ben (nicht nur die religiöse Lehre, sondern auch die religiöse Pra­xis) erfassen zu können; doch ist das bei einer Islampolemik, die mit einzelnen aus dem Zusammenhang gerissenen Koranstellen um sich wirft, genauso unsinnig wie bei einer Christentums­kri­tik, die sich dazu einer einseitigen Auswahl von Bibelstellen bedient.

  2. Hier wird bereits deutlich: Es gibt keinen direkten Zugang zum Glau­ben über die Heilige Schrift. Dies gilt zum einen für die be­reits Gläubigen, insbesondere für die als Kinder religiös Soziali­sierten: Viele kommen – zur Verwunderung von manchen Nicht­glaubenden – „mühelos“ ohne eine regelmäßige Lektüre der Bi­bel aus, weil für sie nicht die Heilige Schrift (abgesehen von eini­gen „Kernstellen“) entscheidend für das praktische Glaubensle­ben ist, sondern religiöse Gewohnheiten und Moralvorstellun­gen, die zwar in Auseinandersetzung mit der Bibel entwickelt wurden, aber nicht von ihnen selbst; sie kamen ihnen somit nicht direkt aus der Bibel, sondern nur vermittelt zu. Aber auch, wer der Vermitteltheit der Bibel in Predigt und Katechese entgehen will und sich – wie einige der Schreiber in ohne-gott.de – selbst an eine systematische eigenständige Lektüre der Bibel macht, erfährt die Bibel nicht unvermittelt, sondern nur unter den Vor­zeichen des eigenen Vorwissens, der eigenen Bildung, der eige­nen Interessen, der eigenen Gestimmtheit zur Zeit der Bibel­lektüre …
    Im Lesen, in der Auseinandersetzung mit der Bibel sind also stets Hermeneutiken im Spiel – auch wenn diese meist mehr unbe­wusst als bewusst sind. So scheint etwa die wiederholte Kritik an Widersprüchen eine Sicht der Bibel als ein einheitliches Buch aus einem Guss vorauszusetzen (und nicht als eine Sammlung von Tex­ten, die die Auseinandersetzung unterschiedlicher Menschen in unterschiedlichen Situationen mit dem einen, aber doch im­mer wieder anders erfahrenen Gott widerspiegeln); und wenn manche die Bibel stark unter dem Aspekt eines Gegensatzes zwi­schen Glaube und Naturwissenschaft lesen, so scheint hier eine Hermeneutik wirksam zu sein, die eigentlich überwunden ist, aber etwa durch Kreationisten weiter perpetuiert und verbreitet wird. Wenn die Bibel von vielen Nichtglaubenden mehr als Argu­ment gegen als für den Glauben erfahren wird, liegt das also auch daran, dass sie andere Hermeneutiken als die Gläubigen haben oder aufgrund ihrer Hermeneutiken andere Bewertungskriterien an die Bibel anlegen.

  3. Die Bibel mutet einiges zu – glaubenden wie nichtglaubenden Lesern gleichermaßen! Ihre Einladung, sich auf die persönliche Begegnung mit Gott in ihr einzulassen, kann man zwar ausschla­gen. Worauf man aber bei einer fundierten, differenzierten, un­vor­eingenommenen Auseinandersetzung mit ihr nicht verzich­ten kann, ist ein beträchtliches Maß an Zeit und Energie: Als Werk anderer Zeiten und Kulturen setzt ihr Verständnis eine ge­wisse Bildung voraus, die ein säkulares Schulsystem nur bedingt vermittelt. Eine solche Bildung oder das Bemühen darum ist aber – so muss man nüchtern konstatieren – bei ihren Kritikern nicht immer selbstverständlich. Leider korrespondieren weitverbreite­ter Halb- und Unbildung Wissensdefizite der Gläubigen und eine mangelnde Auskunftsfähigkeit bei den oft harschen Anfragen der Kritiker.

Wie damit umgehen?

Nein, der Verfasser dieses Aufsatzes hat kein Patentrezept. Und viel­leicht kann es auch gar keines geben in unserer heutigen Gesellschaft, wo Glaube eine Sache der persönlichen Entscheidung geworden ist. So kann Kirche – nicht nur das Amt, nicht nur die Hauptamtlichen, son­dern alle Getauften – sich in einer pluralen Gesellschaft nur um Bedin­gungen bemühen, unter denen die Bibel möglichst kein Hemmnis, son­dern ein Wegbegleiter zum Glauben ist. Einige Aspekte:

Das bedenkliche Halbwissen zur Bibel und auch zur wissenschaftlichen Bibelforschung lässt danach fragen, wie diese Informationen und Desin­formationen verbreitet werden. Kirche hat keine Kontrolle über die sä­ku­laren Medien, jedoch durchaus Ansehen, Kompetenz und Einfluss, der auf sachliche, durch Vernunft überzeugende Weise ins Spiel ge­bracht werden kann und muss. Es gibt genügend andere, die gerne die Informationshoheit an sich reißen möchten!

Die O-Töne aus ohne-gott.de spiegeln auch das Nebeneinander verschie­de­ner Hermeneutiken wider, die sich nicht unbedingt miteinander ver­einbaren, aber sehr wohl gegeneinander ausspielen lassen. Dass funda­mentalistische Deutungen der Bibel aus katholischer Sicht inakzeptabel sind (vgl. Päpstliche Bibelkommission 1996, 61–63), ist keineswegs all­gemein bekannt; hier ist durchaus auch einmal öffentliche Abgrenzung gefragt. Mehr noch sollten aber mündige Christen nach ihren eigenen, zumeist unbewussten Hermeneutiken fragen.

Letzteres ist teilweise unabdingbar, sollen Christen nicht nur in Glau­bens-, sondern speziell auch in Bibelfragen auskunftsfähig sein. Denn mangelnde Antwortbereitschaft und -kompetenz bei hermeneutisch kniffligen Fragen wie etwa nach der Geltung alttestamentlicher Ritual­gesetze kann nicht nur Zugänge zum Glauben – der wesentlich durch persönliche Begegnung erschlossen wird – verschließen, sondern auch Getaufte, denen sich häufig dieselben Fragen stellen wie Nichtglauben­den, vom Glauben abkommen lassen. Nicht nur die Bereitschaft, son­dern auch die Kompetenz, vom Glauben Rechenschaft abzulegen, sind also auch im Bereich der Bibel zu fördern.

Die Bibel ist, wie bereits erwähnt, an sich kein Buch, um andere zum Glauben zu bringen, sondern ein Buch für bereits Glaubende, das viel voraussetzt. Freilich können Bibeltexte auch Nichtglaubende ins Herz treffen, sie (im positiven Sinne) herausfordern, neugierig machen oder zum Nachdenken anregen. Möglichkeiten für produktive Begegnungen mit der Schrift zu erschließen, gäbe es viele Wege, bei denen es aber auf die Auswahl und auf die Weise der Präsentation ankommt: Literatur, Film, Musik … Einige Beispiele stellt dieser euangel-Schwerpunktteil vor.

Dabei haben auch die sperrigen, schwierigen Passagen der Bibel ihre Berechtigung. Gerade die „altertümliche“ Vorstellungswelt und Moral der Bibel stößt, wie wir gesehen haben, vielen auf. Doch heißt das nicht, dass nicht auch diese Seiten vermittelbar sind. Da sie Teil der Bibel sind, unaufgebbarer Teil der Heiligen Schrift der Christen, dürfen sie nicht aus­geklammert werden. Und sie sollten es auch nicht, denn sie korres­pondieren mit den sperrigen, befremdlichen Seiten des Lebens und (auch heutiger) menschlicher Kulturen. Somit kann die Auseinanderset­­zung mit ihnen gerade wegen der Schwierigkeiten auch einen besonde­ren Reiz haben, erfordert aber vielleicht auch eine besonders kompeten­te Begleitung.

Natürlich geschieht in all diesen Bereichen bereits viel. Es kann an die­ser Stelle nur dazu ermutigt werden, hier nicht nachzulassen und sich auf die Vermittlung von Bibel- und Glaubenswissen auch auf ganz nie­derschwelliger Ebene und mit ganz kirchenfernen Zielgruppen einzu­lassen.

Letztlich sollte man nicht vergessen, dass die Kritik von Nichtglauben­den an der Bibel auch eine Chance ist, signalisiert sie doch ein Interesse an der Bibel oder zumindest eine Bereitschaft, sich mit ihr auseinander­zusetzen. Ein guter Anlass, um miteinander ins Gespräch zu kommen! Doch dafür ist zuerst eines unabdingbar: die Bibel zu lesen. Das gilt für Nichtchristen und Christen gleichermaßen!