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Ein Schritt nach vorn auf dem Weg zurück

Was obdachlose Menschen brauchen. Ein Praxisbericht aus dem Franziskustreff in Frankfurt am Main

Obdachlosigkeit ist die wohl extremste Form von Armut, und sie ist in unse­ren Städten sichtbar. In den letzten Jahren ist die Zahl der Betroffenen immer weiter angewachsen. Br. Michael Wies OFMCap, Leiter des Franziskustreffs in Frankfurt am Main, erläutert Ursachen von Obdachlosigkeit und wie be­troffenen Menschen Hilfe angeboten wird – und dies aus einer franziska­nisch geprägten Perspektive.

In Deutschland sind ca. 52.000 Personen obdachlos, leben also auf der Straße bzw. im öffentlichen Raum; hinzu kommen ca. 860.000 Perso­nen, die eine Unterbringung, jedoch keine eigene Wohnung haben. Diese Zahlen basieren auf Schätzungen. Sie werden veröffentlicht von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe, einem bun­desweit tätigen Verein mit Sitz in Berlin. Diese leistet Koordinations- und Integrationsaufgaben für die kommunale und frei-gemeinnützige Wohnungslosenhilfe und versteht sich als Interessenvertretung der wohnungslosen und sozial ausgegrenzten Menschen. Sie koordiniert auf Bundesebene die Kommunikation und den fachlichen Austausch über fachübergreifende Probleme mit angrenzenden Hilfesystemen der Sozialarbeit und den Sozialleistungsträgern der Sozial-, Gesundheits- und Wohnungspolitik sowie den Akteuren der Gesellschafts- und Sozi­alpolitik. Unter ihrem Dach finden sich öffentliche und freie Träger der Wohlfahrtspflege ebenso wie Selbsthilfeorganisationen der wohnungs­losen Menschen.

Es braucht eine Bundesstatistik!

Die genannten Schätzzahlen müssen aus Befragungen der Mitglieder der BAG gewonnen werden. Denn – und das ist ein Skandal – in Deutschland fehlt eine bundeseinheitliche Wohnungsnotfallstatistik. Diese würde zu einer bundeseinheitlichen Wohnungsnotfallberichter­stattung führen. Auf deren Basis könnten auf Bundes-, Landes- und Kommunenebene passgenauere Hilfen angeboten werden in Zusam­menarbeit mit den vielen freien Trägern in diesem Bereich. Dies würde wohl zu Mehrausgaben führen, was seitens der Bundesregierung schon seit Jahrzehnten vermieden werden soll. Wegen der fehlenden offiziel­len Zahlen, die von allen Behörden anerkannt werden müssten, bleibt es bei einem oft zufälligen und unkoordinierten Hilfeangebot, das an den Symptomen laboriert und nicht in der Tiefe notwendige Verände­rungen herbeiführt. Es wäre wünschenswert, dass sich die Forschung vermehrt dem Thema Wohnungslosigkeit in Deutschland zuwendet, um auch von dieser Seite Druck auf die Regierung auszuüben.

Leben in der Obdachlosigkeit

Armut begegnet uns im Franziskustreff in verschiedener Form. Zum einen finden Menschen zu uns, darunter die, die im öffentlichen Raum leben und schlafen. Einigen sieht man das auch deutlich an, da sie ihr Äußeres vernachlässigen. Andere geben darauf acht, dass man ihnen auf den ersten Blick nicht ansieht, dass sie draußen leben. Sie achten auf ihre Körperhygiene, indem sie Angebote zum Duschen oder Kleider­wäsche und Kleiderspenden in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe annehmen.

Der Schlafplatz obdachloser Menschen, die nicht das ihnen zustehende Bett in einer Unterkunft annehmen wollen oder können, ist eher etwas abseits. Für den Schlafsack und Dinge des persönlichen Gebrauches müssen sie immer wieder neue Orte ausfindig machen, damit sie vor Nässe und Diebstahl geschützt sind. Es gibt zu wenig bezahlbare öffent­lich zugängliche Schließfächer für sie.

Draußen zu leben ist sehr aufwändig. Zur stets notwendigen Suche nach neuen Plätzen kommt die Angst vor Räumung durch Ordnungsamt und Polizei, bei der man wieder das meiste von dem Wenigen verliert, was man besitzt. Die Termine, die wegen des Andrangs für die Körper­pflege oder das Wäschewaschen in den Tagesaufenthalten vergeben werden, können oft nicht eingehalten werden, von den Betroffenen selbst oder von der Einrichtung. Das bedeutet, dass die Tüten mit Bekleidung wieder umhergetragen werden müssen. Wenn die Wäsche gewaschen werden konnte, muss sie am Nachmittag wieder abgeholt werden.

Täglich müssen „Sitzungen“ zum Sammeln von Zuwendungen durch Passanten gemacht werden, die oft an einer bestimmten Stelle und zu bestimmten Zeiten erfolgen. Der Erfolg hängt von den täglich vorbei­gehenden Passanten ab, die einen schon kennen. Manchmal sind es persönliche Beziehungen, die zu Spenderinnen und Spendern entste­hen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diesen bestimmten Men­schen direkt zu unterstützen.

Unter unseren Gästen finden sich auch solche, die über einen mietrecht­lich gesicherten eigenen Wohnraum verfügen. Persönliche oder zum Teil auch gesundheitliche Probleme führen dazu, dass sie die alltäg­lichen Erfordernisse vom Reinigen bis zum Bezahlen von Rechnungen und Miete nicht mehr hinbekommen. So wird es nach und nach immer schwerer, den wachsenden Berg abzuarbeiten. Ein Teufelskreis beginnt. Keine Bearbeitung der Behördenbriefe, neue Briefe, nicht bearbeitet, wieder neue Briefe. Wenn dann noch der Kühlschrank streikt oder die Waschmaschine, sind der Zusammenbruch und die Räumungsklage nicht mehr weit.

Zusammenbruch des geregelten Lebens

Wenn Probleme über den Kopf wachsen, wird auch die Gefahr einer Sucht- oder einer psychischen Erkrankung oder auch von beidem zu­sammen größer. Es ist schwer, den Faden zu finden, wo etwas wieder angegangen und schrittweise gelöst werden kann. Verpflichtungen wie die Vorsprache beim Jobcenter zur Einhaltung der Zielvereinbarungen sind nicht einlösbar, was fatale Auswirkungen hat. Wenn beim Amt nicht beantragt wurde, die Miete direkt an den Vermieter zu über­weisen, kann dies mit dem Wohnungsverlust verbunden sein. Was bleibt, ist der Rückzug auf das Leben im Abseits. Sozialhilfe und kom­munale Versorgungsangebote sind mit der Einhaltung von Terminen und Absprachen verbunden, die einzuhalten oft die Kraft fehlt – oder der Suchtdruck hindert daran. Die Betroffenen ziehen sich zurück und erfahren buchstäblich am eigenen Leibe: Wer keine Wohnung mehr hat, ist in der Gesellschaft am extremsten ausgegrenzt.

Weitere Punkte, die zur Armut führen, sind Scheidung, Krankheit, Job­verlust, Schulden oder Beziehungsprobleme. Zu betonen ist, dass es nicht nur Einzelschicksale sind, sondern auch eine neoliberale Politik zur Verdrängung und Verschärfung am Arbeits- und Wohnungsmarkt zur extremsten Form der Armut, nämlich der Obdachlosigkeit, führt.

Obdachlosigkeit wird international

Anders als etwa in Ungarn – so merkwürdig es ist, dies besonders her­ausstellen zu müssen – ist Obdachlosigkeit in Deutschland Gott sei Dank nicht illegal. Seit 2006, dem Jahr der Föderalismusreform, sind nun ganz im Sinne des Subsidiaritätsprinzips der katholischen Sozial­lehre als unterste Gefahrenabwehrbehörde die örtlichen Kommunen verantwortlich dafür, dass niemand obdachlos ist oder wird und dafür geeignete Maßnahmen zu ergreifen – und das, ohne offizielle Zahlen zu kennen oder erheben zu dürfen (s. o.).

Obdachlosigkeit in Deutschland betrifft auch die Menschen aus jenen Ländern, die in Deutschland im Rahmen der Niederlassungsfreiheit in der EU Arbeit und auch Wohnung suchen. Dabei ist zu betonen, dass die meisten von ihnen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und wie bei den Deutschen auch unter den Ausländern nur ein kleiner Teil obdachlos ist oder in Wohnungsnot. In der Praxis entsteht seit einigen Jahren ein ordentliches Maß an zusätzlicher Arbeit in verschiedenen Sprachen, weil jeweils geprüft werden muss, welche Ansprüche etwa dieser oder jener EU-Bürger, diese oder jene EU-Bürgerin hat und nach dem Sozialgesetzbuch stellen darf oder ob er/​sie nach dem Ordnungs­recht lediglich unterzubringen ist.

Kommunale Hilfen sind gesetzlich vorgeschrieben

In Frankfurt gehen wir von ca. 2.700 wohnungslosen Menschen aus, die das ihnen vom Steuerzahler zur Verfügung gestellte Bett in einer Unter­kunft annehmen. 40 bis 60 obdachlose Menschen halten sich Tag und Nacht im Frankfurter Flughafen auf, ca. 200 in der Innenstadt. Hinzu kommen die Menschen, deren Lebensform es seit alters her ist, auf der Straße zu leben, mit ihren Familien, und die nach der Öffnung der Gren­zen nun auch hier zum Stadtbild gehören.

Zur Betreuung und Begleitung obdachloser Menschen im Winter bieten wir wie zahlreiche Kommunen in Deutschland auch sogenannte Winter­hilfen an. So fährt ein sogenannter Kältebus jede Nacht von Obdachlo­sem zu Obdachlosem und bietet Tee oder eine Decke an. Zudem werden temporäre Übernachtungsmöglichkeiten geöffnet, hier in einer U-Bahn-Station und in Einrichtungen der Caritas sowie der Diakonie. Mit Be­ginn des Frühlings, wenn die Winterhilfen auslaufen, verschwindet das öffentliche Interesse an direkter Unterstützung obdachloser Menschen deutlich, das Problem jedoch bleibt.

Leider sind trotz zahlreicher Anstrengungen in der vergangenen Win­tersaison 2017/2018 in Deutschland mindestens sieben wohnungslose Men­schen an den Folgen von Unterkühlung gestorben (Stand 17.4.2018).

Einige Kommunen und Städte bieten in Deutschland auch Straßen­sozialarbeit an, um die Klienten auf der Straße aufzusuchen und ihnen Hilfen anzubieten. Auf diese Weise ist in Frankfurt sichergestellt, dass obdachlose Menschen fast täglich angesprochen werden und mit ihnen auf diese Weise Kontakt gehalten wird.

Beispiel: unser Franziskustreff

Der Franziskustreff kümmert sich mitten in der Innenstadt von Frank­furt zwischen Deutschlands umsatzstärkster Einkaufsmeile, der Zeil, und dem Rathausplatz Römer um arme und obdachlose Mitmenschen. Unser Kapuzinermitbruder Wendelin Gerigk († 2010) rief ihn am 24. November 1992 ins Leben. An jedem Werktag und an hohen kirch­lichen Feiertagen laden wir zu einem Frühstück und zu Sozialberatung ein.

Uns ist wichtig, dass wir jeden als Gast willkommen heißen, ohne ihn nach dem Namen zu fragen oder danach, ob er anspruchsberechtigt ist. Er wird im Gastraum am Tisch bedient und kann vom Frühstückstisch weg fachkundige Sozialberatung erhalten. Dafür geht eine Sozialarbei­terin öfter durch den Raum, um direkt ansprechbar zu sein und nach kurzem Gespräch am Tisch oder im eigens eingerichteten Gesprächs­raum für Sozialberatung kurz zu klären, ob man sich für nachmittags und ein längeres Gespräch vereinbaren will. Vom Tisch weg ergibt sich so manchmal ein Schritt nach vorn auf dem Weg zurück in die Gesell­schaft.

Vier Hauptamtliche und 60 Ehrenamtliche bilden jeden Tag ein aktives Team von sieben Mitarbeitenden. So ist ein ruhiger, gastfreundlicher Ablauf gesichert. Die Lebensmittel, die wir anbieten, sind frisch einge­kauft. Manche der Wohltäterinnen und Wohltäter, von deren Geldspen­den allein wir dieses Angebot bestreiten, bringen Marmelade und Kuchen aus der eigenen Küche.

Des Weiteren lädt der Franziskustreff die Gäste ein, gemeinsam ins Museum zu gehen, sich kreativ in einem Maltreff zu betätigen, ins Kino zu gehen oder ein Sommerfest mitzugestalten. Wir sind froh, dass wir auch als offen wahrgenommen und angenommen sind von Menschen, die von Altersarmut betroffen sind oder unter Beziehungsarmut nicht nur im Alter leiden – oder die im Niedriglohnsektor tätig sind und de­nen das Einkommen nicht einmal für die Dinge des Alltags ausreicht.

Die Franziskustreff-Stiftung

Damit dieses persönliche Angebot Bestand hat, haben wir Kapuziner im Blick auf die Zukunft entschieden, den Franziskustreff zu sichern, in­dem wir eine eigene Stiftung dafür gründen. Seit dem 13. März 2013 – übrigens dem Wahltag von Papst Franziskus – ist es die Stiftung, nicht mehr der Orden, der die Spenden der Wohltäterinnen und Wohltäter entgegennimmt; sie ist Anstellungsträgerin für die Hauptamtlichen, sichert den Betrieb der Einrichtung und bringt das Anliegen durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit in die Gesellschaft ein. Vorstand der Stiftung ist zur Zeit der Kapuziner Bruder Paulus. Die Stiftung ist dann auch Rechtsträgerin, wenn Gäste sich ein gesicherteres eigenständiges Wohnen wünschen, aber ihnen die Voraussetzungen fehlen. Mit der Stiftung mieten wir z. B. eine Wohnung, sofern wir eine finden, und bieten obdachlosen Menschen Wohnen ohne Vorbedingungen an.

Unsere franziskanische Grundhaltung

Unsere Einrichtung trägt den Namen des heiligen Franziskus, der auch „Bruder aller Menschen“ genannt wird. Er entdeckte den beziehungsrei­chen und beziehungsschaffenden Gott, der in Jesus Christus demütig besonders den Armen begegnet und ihnen vermittelt, dass sie der Wohn­ort der Herrlichkeit des Vaters sind im Heiligen Geist. Diese göttlich gestiftete Würde des Einzelnen bringt ihn auf Augenhöhe mit allen Mitmenschen; keiner darf sich über den anderen erheben, keiner darf den anderen kleinmachen. Bei uns drückt sich dies darin aus, dass jeder Gast mit 50 Cent zum Frühstück beiträgt als Zeichen des gegen­seitigen Respektes: Geld als Kommunikationsmittel, das verbindet und Mittel der gegenseitigen Anerkennung ist, Leben verstanden als Geben und Nehmen. Wer sich an den Tisch setzt und unseren Ehrenamtlichen auf diese Weise Respekt zollt, zeigt, dass er verstanden hat, dass wir hier nicht von oben herab Almosen geben, sondern jedem geben, was ihm von Gott her sowieso gehört – zumindest im Rahmen des Frühstücks. Wir prüfen nicht, wir dienen jedem Gast, gleich welcher Herkunft, Nationalität oder Religionszugehörigkeit. Unsere Gäste und Mitarbei­tende aller Religionen und Weltanschauungen fühlen sich in der Atmo­sphäre der franziskanischen Geschwisterlichkeit im Schatten des Kapu­zinerklosters und der Liebfrauenkirche spürbar angenommen und tra­gen, jede und jeder auf ihre und seine Weise, dazu bei. Im Kirchenjahr feiern wir mit allen Advent, Weihnachten, Ostern und Pfingsten mit besonderen, auch gottesdienstlichen Akzenten. Trauriger Höhepunkt ist die alljährliche ökumenische Feier zum Gedenken an die verstorbenen Wohnungslosen und Drogentoten eines Jahres.

Unsere Gäste schätzen es, dass ich als geistlicher Bruder aus dem Kapu­zinerorden mit dem Ordensgewand erkennbar und ansprechbar bin.

Wachsen mit den Armen

Die Armen wecken in staunenswert vielen Menschen den Willen, sich für sie einzusetzen. Unsere obdachlosen und armen Gäste laden in ihrer Wehrlosigkeit zu einer Liebe ein, die manchen unserer Ehrenamtlichen immer neu zum Staunen führt. Viele hätten nicht gedacht, dass eher sie beschenkt werden, obwohl sie doch eigentlich schenken wollten. Werte wie ein einfaches Wort, ein dankbarer Blick oder auch ein klares Ja oder Nein kommen neu zur Geltung. Wir lernen, wieviel der Mensch eigent­lich tragen kann, und auch, was Menschen einander antun können; für uns eine tägliche Mahnung, Achtsamkeit und den Glauben an einen Gott, der zum Neuanfang befähigt, zu pflegen. In der franziskanischen Gewissheit, dass jede und jeder reich ist und dass vom Teilen noch keiner arm geworden ist, werden unsere Ehrenamtlichen und Haupt­amtlichen zu Botschafterinnen und Botschaftern in die Gesellschaft hinein. In einer Zeit, in der alles immer schneller gehen muss und alle gern sofort noch heute Ergebnisse sehen wollen, lernen wir von unseren Gästen, dass alles seine Zeit braucht, Liebe vor allem einen langen Atem meint, göttliche Geduld und eine barmherzige, sprich: stets neu sich entfaltende einladende Haltung. Was für den einen ein kleiner Schritt ist, ist für einen anderen Gast ein riesiger. Unser Team bietet Bezie­hungsaufnahme an, zwingt aber niemanden; wir pflegen die Gast­freundschaft und können sie auch schützen, indem wir jemanden bitten, zu gehen und dann wiederzukommen, wenn er sich auf unsere Art, ihm Nächstenliebe anzubieten, wieder einlassen kann. Mit unseren Erfahrungen können wir nicht schweigen. Uns drängt die Mission, die Themen von armen und obdachlosen Menschen öffentlich zu machen und ihnen auch so, als Lobby, zur Seite zu stehen.

Vielfalt schätzen und schützen

Mir geht mein Glaube an den dreifaltigen Gott in meiner Arbeit im Franziskustreff neu auf. Er wird dort praktisch. Denn jede und jeder ist in der Situation der Obdachlosigkeit ganz eigen wertvoll. Es ist nicht alles mono, eher stereo und mehr, was ich höre und sehe. Denn jeder und jedem freundlich zu begegnen, sie und ihn so anzunehmen, wie sie und er ist, kann ich nur, weil ich so dem dreifaltigen Gott die Ehre gebe. Es sind alles seine Kinder, ich bin unter ihnen ein Bruder, der respekt­voll umgehen will mit der und dem andern und der seinerseits auch respektiert werden will. Das erfordert von mir als Leiter der Einrichtung Klarheit und auch Konsequenz, damit im Gastraum eine gastfreund­schaftliche Atmosphäre bleibt, zum Schutz aller Gäste, aber auch der Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen. Mich leitet dabei, dass ich auch im Konflikt jede und jeden ernst nehmen und ihre und seine Würde achten will, indem ich sie oder ihn dort abhole, wo sie oder er gerade steht, und sie oder ihn nicht bloßstelle.

Deutschland muss sich bewegen

Im Rhein-Main-Gebiet sind unsere Gäste besonders betroffen von den gesellschaftlichen und wohnungspolitischen Rahmenbedingungen. Wir brauchen in Deutschland eine offizielle Wohnungsnotfallstatistik. Es muss viel mehr gesetzlich geregelt werden, wie Wohnungsverlusten entgegenzutreten ist. Wer obdachlos ist, sollte in Normalwohnungen in der Gesellschaft integriert werden. Es muss klarer werden, dass es ein gesellschaftlicher Auftrag ist, bezahlbaren Wohnraum vorzuhalten. Finnland spielt da eine Vorreiterrolle mit dem Konzept des Housing First; dort kam es zu einem erfreulich starken Rückgang der Obdach­losigkeit. Deutschland muss sich bewegen, um seinen obdachlosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern glaubwürdige Rahmenbedingungen zu schaffen, damit diese einen Schritt nach vorn tun können und wollen auf dem Weg zurück in die Gesellschaft.