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Einfach nur Jesus?

Eine Kritik am „Mission Manifest“

Im Januar 2018 erschien das Mission Manifest (vgl. dazu die <link ausgabe-2-2018 rezensionen mission-manifest>Rezension sowie die <link ausgabe-1-2018 termine-berichte implikationen-eines-christentums-a-la-mission-manifest>Analyse in euangel) – und fand erstaunlich viel Echo in kirch­lichen Kreisen. Ebenso erstaunlich ist, dass im Oktober desselben Jahres bereits ein Band mit theologischen Kritiken vorliegt, den es hier zu be­sprechen gilt. Für den akademischen Betrieb eine schnelle Produktion!

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass der relativ dünne Sammel­band Zeichen dieser schnellen Produktion aufweist, etwa relativ viele inhaltliche Doppelungen in den Beiträgen – bestimmte zentrale Defizite des Mission Manifests werden wiederholt thematisiert. Auch wird das Mission Manifest als Einheit behandelt: Das ist nicht selbstverständlich, da die Verfasser der einzelnen Kapitel des Mission Manifests doch jeweils deutlich ein eigenes Profil erkennen lassen, aber vereinfacht die Analyse und lässt sich auch sachlich rechtfertigen, da das Mission Manifest sich auf ein übergreifendes Kernprogramm (nämlich die zehn Thesen) be­zieht. (Zudem ist in den meisten Beiträgen des zu besprechenden Ban­des bei Bezugnahmen auf das Mission Manifest neben der Seitenzahl auch jeweils der Autor angegeben.)

Zu den Hauptkritikpunkten, die sich jeweils bei mehreren der acht Au­torinnen und Autoren finden, gehören: eine einseitige (negative) Welt­wahrnehmung, die Ersetzung theologischer Reflexion durch Entschie­denheit und Pathos, das Setzen auf Vereinfachung statt der Auseinan­dersetzung mit Komplexität, die Vernachlässigung der diakonischen Dimension von Christsein und Kirche, die Abwertung anderer Weisen des Christseins, ein mangelhaftes Verständnis von Schrift und Tradition etc. Auch die Nähe zum evangelikal-charismatisch-freikirchlichen Christentum wird untersucht.

Wenn hier die Autorinnen und Autoren mit ihrer Kritik in dieselbe Rich­tung gehen, verweist das zum einen darauf, dass sie alle zu einer ähnli­chen Richtung der Theologie gehören, die u. a. die anthropologische Wende der Theologie mit dem Zweiten Vatikanum stark betont, zum anderen, dass es offenbar keine systematisch abgesprochene Aufgaben­teilung gab. Dennoch setzen die einzelnen Beiträge auch eigene Akzen­te, die hier nur exemplarisch genannt werden können:
Gunda Werner betont die dichotomische Grundstruktur des Mission Manifests, also das wertende Aufstellen von Gegensätzen (etwa zwi­schen Theologie und Gotteserfahrung), verbunden mit dem Versuch, Ambiguität in Eindeutigkeit aufzulösen, und sieht hier eine Nähe zu Deutungsmustern im Pentekostalismus.
Hans-Joachim Höhn vermisst das „Moment des Dialogischen“ (45) im Missionsverständnis und kritisiert „spirituelle Echokammern“ (51), in denen sich die hinter dem Mission Manifest stehende Szene selbst bestä­tigt, ohne wirklich eine „neue Sprache“ (52) für die christliche Botschaft zu finden.
In ähnlicher Weise bemängelt Magnus Striet, dass das „Entschieden­heits­christentum“ (59) sich als „Märtyrer, der dem ‚Zeitgeist‘ nicht nachgibt“ (61), inszeniert und sich damit Anfragen von außen entzieht; doch sei das Mission Manifest selbst so „Ausdruck eines bestimmten Zeitgeistes in Reinform“ (62).
Ursula Nothelle-Wildfeuer spricht gar von einer „demagogischen Grund­struktur des ganzen Textes“ (77) und verweist dazu darauf, dass im Mission Manifest Zitate im eigenen Sinn umgedeutet werden; weiterhin spricht sie sich entschieden gegen „ein Leistungs- und in Folge ein Elitechristentum“ (92) aus.
Franca Spies erinnert an den „Zusammenhang von Mystik und Politik“ (118) und kritisiert: „An einem weltpolitischen Engagement um seiner Selbst [sic!], nicht um des ‚Comeback[s] der Kirche‘ willen, zeigt das Mission Manifest ebenso wenig Interesse wie an einer wirklich zeitge­mäßen Gestalt christlicher Frömmigkeit, die das Individuum als auto­nomes, zweifelndes, fragendes ernst nimmt“ (119).
Bernhard Spielberg fragt – was in den bisherigen Beiträgen so nicht der Fall war – explizit danach, was Theologie von den Thesen des Mission Manifests lernen kann, fokussiert dann freilich doch stark auf seine eigenen Thesen, die sich um die kirchliche Kommunikation nach außen und die kirchliche Strukturentwicklung nach innen drehen.
Albert Gerhards schließlich betrachtet das Mission Manifest unter litur­giewissenschaftlichem Blickwinkel, entlarvt dabei Einseitigkeiten in manchen Thesen und hebt hervor, was in Liturgiewissenschaft und -praxis jenseits eines Christentums à la Mission Manifest bereits an Innovativem da ist.
Aus dem Rahmen fällt – nicht inhaltlich, aber formal – der Beitrag von Christiane Florin: Er ist keine theologische Abhandlung, sondern ein journalistischer Meinungsartikel.

Insgesamt bietet der Sammelband eine reiche Fundgrube und Hilfestel­lung für jeden, der sich nicht einfach von der missionarischen Begeiste­rung des Mission Manifests mitreißen lassen will, sondern nach der theo­logischen Fundiertheit des dort propagierten Programms fragt. Man wird aufmerksam gemacht auf Aussagen, die man vielleicht überliest, die aber einer kritischen Bewertung bedürfen, sowie auch auf das, was im Mission Manifest an den Rand gedrängt bzw. nicht thematisiert wird.

Der Band ist jedoch nicht nur kritische Analyse, sondern dokumentiert auch, wie im gegenwärtigen Katholizismus verschiedene Richtungen zusammenstoßen. Die Autorinnen und Autoren stellen die eigene theo­logische Linie dem Mission Manifest deutlich entgegen. Dabei ist das Bemühen, sich vom Denken der Mission-Manifest-Autorenschaft selbst kritisch anfragen zu lassen, unterschiedlich ausgeprägt. Dass hier aber nicht nur Fronten geklärt werden, sondern der Sammelband auch zu einem kritischen Austausch über zukünftige Formen von Kirche bei­trägt, ist zu hoffen.

Martin Hochholzer