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„Traut euch auf die Bühne, auch wenn es weh tut“

Peter Otten ist Pastoralreferent. Der Theologe arbeitet in St. Agnes in Köln. Er schreibt Bücher, betreibt einen Internetblog und nimmt gelegentlich auch an Preacher Slams teil. 2015 wurde er zum Science Slam des Physikalischen Vereins Frankfurt eingeladen. Dort wurde er vom Publikum auf den letzten Platz gewählt. Woran das lag und warum er diese Erfahrung dennoch wich­tig fand, erzählt er in einem Interview, das er mit sich selbst geführt hat.

Du hast 2015 am Science Slam des Physikalischen Vereins in Frankfurt teilgenommen. Dabei bist du doch gar kein Wissenschaftler.

Das stimmt. Natürlich habe ich Theologie studiert, aber ich forsche ja nicht. Als Pastoralreferent bin ich mehr der Praktiker. Als mich Pro­fes­sor Deiss vom Physikalischen Verein Frankfurt anrief, habe ich darüber aber gar nicht nachgedacht. Er schien händeringend auf der Suche nach einem Theologen zu sein. Die Slams sollten sich dem Thema „Licht“ widmen. Und Deiss hatte den Ehrgeiz, einen Theologen zu finden, der etwas zu dem Thema sagen könnte. Daran lag ihm wirklich etwas. Es liegt ja auch nahe. Dass er ausgerechnet bei mir landete, hat mich dann verblüfft.

Und wie kam das?

Er erzählte mir, er habe Leute gefragt, die einen kennen könnten, der einen kennt. Wie das so ist. Jemand habe ihn dann an mich verwiesen. Damals hatte ich allerdings lediglich an Preacher Slams teilgenommen. Und offensichtlich hatte jemand einen Auftritt von mir in Euskirchen gegoogelt und als Expertise weitergeleitet. Mit einem Science Slam hat das aber in etwa so viel zu tun wie eine Salzstange mit dem Stabhoch­sprung. Ich habe das damals geahnt, aber trotzdem zugesagt.

Warum?

Ich treffe viele Entscheidungen aus einem Bauchgefühl heraus. Das Gefühl sagte mir: Das, was die da machen, klingt interessant. Das Format und die Leute, die das machen, willst du kennen lernen. Wenn man so will, hat die Neugier gesiegt.

Wir führen das Gespräch vor allem, weil wir über Scheitern sprechen sollen. Ein Slam ist ja immer ein Wettbewerb. Und beim Science Slam in Frankfurt wurdest du Letzter.

Das stimmt. Im Nachhinein auch zu Recht. Denn ich habe unterschätzt, welche Parallelwelt ich betreten würde. Der Physikalische Verein in Frankfurt hat 1.750 Mitglieder, unglaublich eigentlich. Das ganze Jahr über finden in der Universität Vorträge vor allem zu astronomischen The­men statt. Sie tragen lustige Titel wie „Wo ist die Supernova und wo ist rechts?“ oder „Kosmische Hexenkessel“. Zu den Vorträgen kommen hunderte Zuhörer jeden Alters. Physik ist – zumindest dort – unglaub­lich populär, das war mir nicht klar. Ich hatte gedacht: Na gut, jetzt ver­suchen die verstaubten Naturwissenschaften auch, mit neuen Formaten Publikum zu ziehen. Das Gegenteil war der Fall. Sie arbeiten dort seit vielen Jahren schon unglaub­lich professionell und erfolgreich. Den Science Slam gibt es dort schon seit zehn Jahren. Die Tickets kosteten neun Euro und mit 1.250 Zuhörerinnen und Zuhörern war die Bude – der größte Hörsaal der Uni – seit Tagen ausverkauft. Unfassbar war das. Und da lag die Latte einfach hoch.

Wenn Menschen neun Euro zahlen, haben sie halt auch klare Erwartungen.

Genau. Mir wurde auf einmal klar: Hier sind 1.250 Menschen, die wollen die Welt erklärt bekommen. Sie wollen Zusammenhänge und Bezüge verstehen. Und sie denken, dass die Wissenschaft ihnen dabei hilft. Das fand ich total faszinierend. Was für mich ein Gottesdienst ist, sind für viele andere eben gut gemachte astronomische Vorträge oder wie an diesem Abend sechs wissenschaftliche Slams.

Das klingt, als habe dich das überrascht.

Total. Und hinzu kam eine weitere Erkenntnis: Was die Qualität von Vor­trägen angeht, spielen andere Wissenschaftler, vor allem die Na­tur­wis­­sen­­schaft­ler, einfach in einer anderen Liga. Ich kenne keinen einzigen Theologen, der auch nur annähernd so unterhaltsam und fesselnd vor­tragen kann wie die fünf, die außer mir noch vorgetragen haben. Das kann Zufall sein und sicher gibt es auch in der Physik totale Langeweiler. Der Trend an dem Abend war aber ein anderer. Jetzt ist mir auch klar, warum Professor Deiss keinen Theologen gefunden hat: Offensichtlich gibt es nicht so viele davon, die bei solchen Slams mit­machen würden. Wenn es so wäre, fände ich das schade. Denn wenn Menschen die Wis­­senschaft als Instrument der Welterklärung so wichtig ist, gehört die Theologie natürlich auch dahin. Also, ihr Theolo­ginnen und Theologen da draußen: Traut euch auf die Bühne, auch wenn es weh tut. Es lohnt sich.

Was haben die anderen denn so überzeugend hinbekommen?

Okay, es gab auch mindestens einen Vortrag, den ich nicht so gelungen fand, einfach oberflächlich vorgetragen. Aber die Siegerin beispiels­weise war überragend. Sabine Hornung ist Archäologin. Ihren Vortrag hatte sie „Ein Quantum Erde – mit Laser, Magnetik und Spaten auf der Suche nach Julius Cäsar“ genannt. Allein bei dem Titel geht ja schon ein Film los. Sie hatte herausgefunden, dass Soldaten von Julius Cäsar zu einer ganz bestimmten Zeit an einem ganz bestimmten Ort im Süd­westen Deutschlands gewesen sein mussten. Den Beweis lieferte die Länge der Schuhnägel, die die Soldaten eben nur in einem gewissen Zeitraum ver­wendeten – nämlich als Julius Cäsar römischer Kaiser war.

Das klingt jetzt nicht besonders aufregend.

Naja, aber sie hat es so erzählt, als sei ihr Thema das wichtigste Thema der Menschheit. Sie erzählte von ihrer Forschung im Gewand einer James-Bond-Geschichte. Sie kam wie der Zwilling von Lara Croft ver­kleidet auf die Bühne. Ihre Powerpoint-Präsentation hatte gefühlte 300 Folienwechsel. Ihr gelang es, eine unglaubliche Dynamik und Drama­tur­gie aufzubauen. Ihr Vortrag war einfach sehr durchdacht, fesselnd, aber auch unterhaltsam und sehr lustig. Ich hätte mich anschließend am liebs­ten sofort für Archäologie eingeschrieben. Ich dachte: Wenn du dein Leben nicht verschwenden willst, musst du jetzt Archäologe werden. Ernsthaft. Und das willst du mit deinem eigenen Vortrag ja auch errei­chen. Du gehst auf die Bühne, weil du Fans haben willst. Du willst von deiner Leidenschaft für ein Thema erzählen und erreichen, dass das Pub­likum sagt: Das will ich auch machen. Oder wenigstens: Davon will ich mehr wissen. Oder: Wann geht der auf Tournee?

Wie hat das Publikum denn entschieden?

Es waren etwa zwanzig Punktekarten von eins bis zehn im Zufallsprin­zip im Publikum verteilt. Zusätzlich gab es zwei Dezibelmesser auf bei­den Seiten des Saales. Damit wurde die Stärke des Applauses gemessen. Aus allen drei Werten wurde dann nach einem bestimmten Koeffizien­ten die Platzierung errechnet. Das war sehr gewissenhaft vorbereitet, aber auch sehr lustig. Meine Applauswerte waren ziemlich gut, aber die Punktewertung nur durchschnittlich. Das hat dann den Ausschlag gege­ben. Ob ich gescheitert bin, weiß ich gar nicht. Einerseits ja, denn der letzte Platz ist eben der letzte Platz. Andererseits haben die Leute konzen­triert zugehört. Ich würde eher sagen, ich habe das Thema verfehlt.

Inwiefern? Lag’s am fehlenden Kostüm?

Im übertragenen Sinn schon. Mein Vortrag war letztlich nicht wissen­schaftlich genug, denke ich. Die Qualität der Powerpoint-Präsentation hatte auch Luft nach oben. Gerade mal sechs Folien hatte ich vorbe­rei­tet. Jetzt weiß ich: Bei einem guten Science Slam blinkt’s und klackert’s und flackert’s pausenlos. Da ist immer was los. Doch zusammenfassend kann man schon sagen: Mein Vortrag hätte eher zu einem Preacher Slam gepasst.

Worum ging’s denn?

Als mich Professor Deiss anrief und erzählte, der Slam werde sich um das Thema Licht drehen, fiel mir sofort das Lied „There Is a Light That Never Goes Out“ von Morrissey ein. Er erzählt die Geschichte von einem jungen Mann, der mit einem Mädchen im Auto durch die Nacht fährt. Als sie durch einen Tunnel fahren, will er all seinen Mut zusammenneh­­men und dem Mädchen seine Liebe gestehen. Diesen Moment kennt ja jeder. Im Lied lautet die Passage: „Nimm mich irgendwohin mit, mir egal wohin. Nur in deinem Auto rumfahren. Ich will niemals mehr nach Haus’ zurück. Weil ich keins habe. Da ist ein Licht, das niemals ver­löscht.“ Dieses Lied habe ich als Rahmen genommen, ich habe es am Anfang kurz angesungen und am Ende noch mal zitiert. Diese Sehn­sucht, die in diesem Bild vom Licht ausgedrückt wird, habe ich als Aufgabe der Theologie beschrieben: Es ist nicht unvernünftig, Gott anzunehmen als den, der diese Sehnsucht des Menschen erfüllt. Dazu dient eben die Metapher vom Licht, beispielsweise in der Bibel. Sie er­zählt, dass das Licht erschaffen wurde, bevor es überhaupt die Gestirne gab. Sie kommen erst am vierten Tag dran. Ich hatte darüber noch nie nachgedacht, aber Professor Deiss meinte, das sei ja unlogisch.

Hhm. Da hat er Recht, oder?

Schon. Aber den Theologen der Genesis ging es nicht um Logik. Das Licht, das von Gott kommt, strukturiert die Welt. Das war der entschei­den­de Gedanke. Wie Gott das macht, hat die Menschen damals nicht interessiert. Gott schafft Ordnung. Wie, ist egal. Ich habe dann noch zwei weitere Bilder aus der Bibel beschrieben, zunächst die Geschichte vom brennenden Dornbusch. Hier steht das Licht für den Gedanken, dass Gott einerseits unzugänglich ist, andererseits eben der treue Gott ist. Dazu dient das Bild vom Feuer, dass eben nie ausgeht. Im Neuen Testa­ment ändert sich der Fokus: Wenn Johannes schreibt: „Ihr seid das Licht der Welt“, steht das Licht für die Wirksamkeit Gottes in der Welt durch die, die Jesus nachfolgen. Zum Schluss habe ich noch einen Schlenker zum Richterfenster im Kölner Dom gemacht, sozusagen zu einem post­modernen Ausdruck der Lichtmetapher. Während die Dompilger früher die Welt hinter sich ließen, um durch die gotische Architektur und die mittelalterliche Glasmalerei einen dechiffrierten Blick ins himmlische Jerusalem zu tun, ist Richter am Zufall inter­essiert, der auch für das Heilige bedeutsam ist. Die Menschen erleben ihre Welt nicht mehr als geordnet, sondern als zufällig, chaotisch. Aber gerade das hat für Gott eine Bedeutung. Was ich in einem Schluss­gedan­ken zusammenfasste: Ist es Zufall, dass ich meine Liebe gefunden habe, während andere Menschen zeitlebens verachtet werden? Was wäre, wenn Morrissey Recht hätte und es plausibel wäre, darauf zu hoffen, dass jede Sehn­sucht irgendwann ans Ziel kommt?

Sorry, wenn ich das sage, aber das klingt ein bisschen wie eine Predigt …

… nicht wie eine Predigt, schon wie ein lockerer Slam. Schau ihn dir mal an. Ich finde ihn übrigens immer noch gut. Aber es stimmt: Der Vortrag war letztlich zu katechetisch, mindestens hat er am Ende diesen Drall bekommen. Im Nachhinein dachte ich, ich hätte mich inhaltlich be­schrän­ken müssen. Das logische Problem, warum das Licht in der Gene­sis vor den Gestirnen entsteht, wäre beispielsweise schon ausreichend genug gewesen für einen spannenden Vortrag: Wie ist der Schöpfungs­bericht entstanden? Warum gibt es ihn überhaupt? Warum wird er so erzählt und nicht anders? Aber du kannst halt nur von dem erzählen, womit du befasst bist. Und ich bin eben kein Alttestamentler, sondern Seelsorger und in der Funktion eben auch Katechet. Und man hat ge­merkt, dass die anderen, die mitten in Forschungsprojekten stehen, einfach auch viel mehr Akribie auf ihren Vortrag verwenden konnten. Manche, nicht nur die Siegerin, gehen regelmäßig zu Science Slams.

Da gibt es inzwischen ja auch deutsche und internationale Meisterschaften.

Genau. Eine faszinierende Welt. Tobias Beuchert hatte für seinen Vor­trag „Das Universum – Ekstase am frühen Morgen trotz Verdauungspro­blemen“ einen ganzen Haufen Cartoons gezeichnet, die irre witzig wa­ren. Kotzende Sterne und solche Sachen. Dadurch gelang es ihm, sein eigentlich staubtrockenes Thema zu popularisieren. Ich habe trotzdem nichts verstanden, aber das lag an mir. Denn beim Science Slam ist mir noch aufgefallen, wie wenig ich selbst Kontakt zu anderen Wissenschaf­ten habe – und andere Wissenschaften zur Theologie. Als Theologe bin ich oft in einer Blase unterwegs. An dem Abend dachte ich: Das ist ir­gendwie schmerzhaft. Du kennst gar keinen Physiker, habe ich festge­stellt, und das fand ich auf einmal sehr schade. Ich habe von Naturwis­senschaften keine Ahnung, sie haben mich auch nie groß interessiert. Ich habe da eine Lücke, das habe ich wohl noch nie so deutlich gemerkt wie an diesem Abend. Immerhin hat er mich dazu motiviert, die Seite „Wis­sen“ in der Süddeutschen Zeitung nun hin und wieder zu lesen und nicht sofort umzublättern.

Immerhin. Aber du hast gesagt: Ob ich gescheitert bin, weiß ich gar nicht.

Mir machen solche Formate wie Slams irre viel Spaß. Auch bei Preacher Slams musst du ja versuchen, einen komplexen theologischen Gedan­ken populär auszudrücken. Du musst lernen, Pastoralsprech zu ver­mei­den. Du musst radikal von der Zielgruppe her denken und so for­mu­lie­ren, dass jemand ohne viel Ahnung weiß, was du sagen willst. Einfache, kurze Hauptsätze sind Pflicht. Die Sprache darf auch mal schnoddrig sein. Du musst narrativ unterwegs sein und nicht be­schrei­bend. Du musst auf die Zeit achten, denn sonst wirst du abgepfiffen. Du lernst also Kreativität und Disziplin und das alles in einem Format, das man durchaus unter­hal­tend nennen kann. Du kannst dich ausprobieren. Du bekommst knall­hartes Feedback. Das ist herausfordernd, aber total hilfreich. In Frankfurt habe ich mich jedoch auf einmal gefühlt wie jemand, der plötzlich nichts­ahnend im Kader von Real Madrid steht, aber gar nicht weiß, was eine „abkippende Sechs“, eine „rotierende Raute“ oder „Gegenpressing“ ist. Trotzdem war ich im Kader, und das war letztlich toll.

Gab es denn noch Reaktionen auf deinen Vortrag?

Einige Leute haben sich per Mail für den Vortrag bedankt. Er habe sie inspiriert und zum Nachdenken angeregt. Einer schrieb: „Super, dass Sie da waren! Vermutlich haben viele aber etwas Anderes erwartet.“ Besser kann ich den Abend auch nicht zusammenfassen.