Engagement an vielen Orten – Vielfalt unter dem Dach der Kirche?!
Ehrenamtsstudie der Erzdiözese Freiburg
Schon länger zeichnet sich in kirchlichen Kreisen hinsichtlich des ehrenamtlichen Engagements eine Krise ab. Immer schwerer fällt es, Menschen dafür zu werben, innerhalb der kirchlichen Organisation unentgeltlich eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen. Gleichzeitig werden – aus dem guten Willen und der gefühlten Verpflichtung heraus, trotz schwindenden (geweihten) Personals bestimmte kirchliche Leistungen und Aufgaben aufrechtzuerhalten, sowie aufgrund theologischer Erkenntnisprozesse – immer neue Aufgaben identifiziert, die in Zukunft von nicht-geweihten, ehrenamtlichen MitarbeiterInnen übernommen werden sollen. Einer sinkenden Zahl von ehrenamtlich Engagierten steht also ein immer größer werdendes Aufgabenvolumen gegenüber. So kommt es, dass den Wenigen, die noch engagiert sind, immer mehr Aufgaben übertragen werden. Dies führt in der Folge allerdings dazu, dass auch bei diesen wenigen noch in herkömmlicher Weise Engagierten die Frustration wächst und auch jene schließlich ihre Tätigkeit(en) aufgeben (wollen).
Es handelt sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die keineswegs nur die Kirchen betrifft. Ähnliche Probleme haben beispielsweise Sportvereine oder Parteien. Dabei ist die generelle Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, weiterhin groß. Unter dem Stichwort „Neues Ehrenamt“ haben Soziologen allerdings schon länger diagnostiziert, dass sich freiwilliges, unentgeltliches Engagement in Richtung eines zeitlich befristeten, projektorientierten, pragmatischen Engagements verändert. Hintergrund sind die vielfältigen gesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse. Auch die Kirchen sind bereits seit Längerem auf diese Entwicklung aufmerksam geworden. Unklar ist jedoch, wie sich die Situation im kirchlichen Ehrenamt im Einzelnen darstellt und welche Konsequenzen gezogen werden sollen.
Angesichts dieses Umstandes hat die Erzdiözese Freiburg zu Ende des Jahres 2015 beim Institut für angewandte Sozialwissenschaften (IfaS) in Stuttgart eine Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse nun vorliegen und als Kompaktversion im Internet frei abrufbar sind. Die Besonderheit der Freiburger Ehrenamtsstudie liegt darin, dass sie die Entwicklungen im Ehrenamt nicht nur für die Territorialgemeinde, sondern auch für das kategoriale und das caritative Handlungsfeld der Kirche in den Blick nimmt und in einem integrierten Prozess in Zusammenarbeit mit kirchlichen Haupt- und Ehrenamtlichen Handlungsempfehlungen erarbeitet. Die empirische Studie gliedert sich in zwei Teile: eine exemplarische Studie unter 184 ehrenamtlich Engagierten innerhalb der katholischen Kirche der Erzdiözese Freiburg und eine repräsentative Studie unter 1.003 repräsentativ ausgewählten Personen aus dem Bistumsgebiet. Der erste Studienteil zielte darauf ab, die Situation von derzeit innerhalb der Erzdiözese Engagierten zu erheben. Die Engagierten wurden von kirchlichen Mitarbeitern persönlich aufgesucht, um Gespräche über ihre Motivation, ihre Arbeitssituation, Wünsche und Perspektiven zu führen. Dagegen zielte der repräsentative Studienteil darauf ab, nicht nur kirchliche Ehrenamtliche, sondern auch anderweitig ehrenamtlich Engagierte und Engagement-bereite Menschen, die generell den Wunsch zu einem Engagement erklären, zurzeit jedoch keines ausüben, zu befragen und Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Potentiale zu erheben. Als kirchlich Engagierte kamen hier nicht nur Engagierte innerhalb der katholischen Kirche, sondern auch EhrenamtlerInnen anderer Kirchen in den Blick. Die Teilnehmenden wurden zu ihrem Lebensstil, ihrem Tätigkeitsfeld und ihrer Engagement-Bereitschaft telefonisch interviewt.
Innerhalb der Frage nach der Motivation im exemplarischen Studienteil erhielten intrinsische Motive die meiste Zustimmung. So erhielt die Aussage „Weil es mir Spaß macht“ einen durchschnittlichen Zustimmungswert von 1,39 (1 = stimme voll und ganz zu, 5 = lehne voll und ganz ab). Ein Engagement aus extrinsischen Motiven wie Pflichtgefühl, sozialer Verpflichtung oder beruflichem Nutzen wurde dagegen weitestgehend abgelehnt (bspw. „Weil ich es nicht ablehnen konnte […]“: MW [Mittelwert] = 4,59). Auffällig ist, dass bei den Befragten aus dem territorial-pastoralen Handlungsfeld die Fragen nach der religiösen Motivation („Aus religiöser Überzeugung“: MW = 1,75 und „Weil ich mich als Christ/in dazu berufen fühle“: MW = 2,00) weit mehr Zustimmung erhielten als im kategorial-pastoralen (MW = 2,45 und MW = 2,57) und im caritativen Handlungsfeld (MW = 3,07 und MW = 3,00). Einerseits erscheinen hier Unterschiede aufgrund der (beigemessenen) Bedeutung der religiösen Motivation für die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder durchaus nachvollziehbar. Andererseits ließe sich aber auch vermuten, dass sich territorial Engagierte durch die gewählte Formulierung der Fragestellungen eher angesprochen fühlten, da ihre Tätigkeit stärker mit religiöser Praxis identifiziert wird. So erfolgt das Engagement von kategorial und caritativ Engagierten möglicherweise zwar durchaus aus einer christlichen Grundhaltung heraus, dennoch wird diese Basis nicht durch die Fragestellungen abgedeckt und auch insgesamt als Religionsausübung weniger wahrgenommen.
Bei Frage nach der Ausgestaltung der Tätigkeit unter den in der Erzdiözese Engagierten wurde sowohl ein Soll- als auch ein Ist-Wert erfragt. Interessant ist, dass die traditionelle Form des langfristigen ehrenamtlichen Engagements nicht nur als die am weitesten verbreitete ausgewiesen, sondern auch am meisten gewünscht wurde (MW-Ist = 1,42, MW-Soll = 1,59 ⇒ MW-Differenz = 0,17; 1 = sehr oft, 5 = nie). Die größte Differenz zwischen Nachfrage und Angebot zeigt sich beim projektbasierten Engagement (MW-Differenz = –0,61). Es sind also innerhalb der Kirche vor allem (noch) solche Menschen engagiert, die mit der von ihr am häufigsten vorgehaltenen traditionellen Ausgestaltung weiterhin einverstanden sind. Dennoch werden auch von jenen Befragten auch neue Formen des Ehrenamts gewünscht, dieser Wunsch findet aber keine Entsprechung in einem ausreichenden Angebot vor.
Darüber hinaus besteht bei den Befragten ein großer Wunsch nach Beteiligungsmöglichkeiten. Insbesondere bezieht sich dieser Wunsch auf die Ausgestaltung von Fort- und Weiterbildungsangeboten (MW-Differenz = –0,62), die Beteiligung bei der Umsetzung neuer Engagementprojekte (MW-Differenz = –0,59) und die Mitgestaltung von Wandlungsprozessen (MW-Differenz = –0,52). Außerdem wird eine Verbesserung des Informationsflusses zwischen Haupt-und Ehrenamtlichen und der fachlichen Begleitung sowie Ausstattung mit materiellen Ressourcen gefordert. FreiwilligenkoordinatorInnen, die das breiteste Spektrum an Unterstützungsleistungen für Ehrenamtliche abdecken, sind nur im caritativen Bereich nennenswert vertreten (20 %).
Zur Gewinnung neuer Ehrenamtlicher müssten nach Ansicht der derzeit Engagierten vor allem in der Kommunikation zu potentiell Interessierten sowie zur Verbesserung inhaltlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen Maßnahmen ergriffen werden. Innerhalb der Befragten findet sich eine „Avantgarde“, die Veränderungsprozesse für nötig hält und sich an diesen aktiv beteiligen möchte, bisher jedoch nach eigenem Eindruck nicht ausreichend zum Zuge kommt.
Im repräsentativen Studienteil wurden die Teilnehmenden zunächst nach ihrem derzeitigen ehrenamtlichen Engagement befragt. Von den 1.003 waren 31,6 % derzeit ehrenamtlich engagiert, 9,3 % unter dem Dach der Kirche(n) (dies entspricht einem Anteil von 29,3 % aller derzeit auf dem Gebiet der Erzdiözese ehrenamtlich Engagierten). Weitere 40,5 % äußerten die Bereitschaft, sich zukünftig ehrenamtlich engagieren zu wollen. Falls ein ehrenamtliches Engagement bejaht oder beabsichtigt wurde, wurde die Befragung fortgeführt und wurden anfangs statistische Daten wie Geschlecht und Alter erhoben. Anders als außerhalb der Kirche(n) bilden Frauen unter den kirchlich Engagierten die Mehrheit (56,6 %; außerkirchlich Engagierte: 47,9 % Frauen, Engagement-Bereite: 49,4 % Frauen). Außerdem sind die kirchlich Engagierten im Schnitt fünf Jahre älter als anderweitig Engagierte (MW = 51 im Gegensatz zu MW = 46), zu den Engagement-Bereiten (MW = 42) ergibt sich eine Differenz von neun Jahren.
Ferner wurden Engagierte und Engagement-Bereite eingangs zu Religiosität und Bildungsniveau befragt. Während sich nicht-kirchlich engagierte und Engagement-bereite Menschen im Durchschnitt eher nur als „mittel“-religiös bezeichnen würden (MW = 3,33 bzw. 3,35; 1 = sehr, 3 = mittel, 5 = gar nicht), bezeichnen sich kirchlich Engagierte im Durchschnitt eher als „ziemlich“ religiös (MW = 2,18; 2 = ziemlich). Auch andere Fragen nach der Religiosität erhielten bei Befragten im kirchlichen Ehrenamt signifikant höhere Intensitätswerte, während jene jeweils zwischen nicht-kirchlich Engagierten und Engagement-Bereiten relativ stark übereinstimmen. Hinsichtlich des Bildungsniveaus trat zutage, dass der gesamtgesellschaftlich oft konstatierte Bildungs-Bias, nach dem Personen mit höherem Bildungsabschluss im Ehrenamt deutlich überrepräsentiert sind, innerhalb der Kirche(n) weniger ausgeprägt ist. Im kirchlichen Bereich finden vor allem Menschen mit mittlerer Bildung (45,0 %) ein Betätigungsfeld, Menschen mit niedriger (22,5 %) und höherer (29,5 %) Bildung sind jedoch ebenfalls gut vertreten.
Weniger durchmischt zeigte sich der Personenkreis der kirchlichen Engagierten hingegen, wenn man auf deren Lebensstiltypologien schaut. Bei den Lebensstiltypologien handelt es sich um ein Modell, das auf den Sozialwissenschaftler Gunnar Otte zurückgeht und Personenkreise aufgrund ihres Ausstattungsniveaus sowie ihrer Modernität und biographischen Perspektive in bestimmte Typologien unterscheidet. Im Gegensatz zum bekannteren Modell der Sinus-Milieustudie ist dieses frei zugänglich und modifizierbar (vgl. dazu auch den Beitrag in euangel 2/2017: Heyse/Stelzer 2017). Innerhalb der Kirche(n) verteilen sich 75 % der Engagierten auf die drei Lebensstiltypen Aufstiegsorientierte (32,3 %), traditionelle ArbeiterInnen (24,4 %) und KonventionalistInnen (18,1 %). Auch im nicht-kirchlich engagierten und Engagement-bereiten Personenkreis sind diese drei Lebensstiltypen zwar am stärksten repräsentiert, machen jedoch nur 63,3 % bzw. bei den zu einem Engagement Bereiten nur 57,5 % aus. So finden beispielsweise Menschen mit einem reflexiven Lebensstil wenn, dann vor allem außerhalb der Kirche Platz (4,9 % der nicht-kirchlich ehrenamtlich Engagierten im Gegensatz zu 1,6 % der kirchlich Engagierten). Auch im Bereich des Ehrenamtes zeigt sich also eine kirchliche Milieuverengung mit der Konsequenz, dass bestimmte Personengruppen überrepräsentiert sind, andere dagegen im kirchlichen Ehrenamt nur schwer einen Andockpunkt finden.
Generell zeigten sich aber auch Menschen mit anderen Lebensstiltypologien, anderen sozialen Hintergründen und anderen religiösen Prägungen als den derzeit dominanten bereit, sich unter dem Dach der Kirche zu engagieren. Insgesamt könnten sich 60,7 % der Engagement-bereiten Personen und etwa die Hälfte (51,6 %) der bereits außerhalb der Kirche Engagierten ein kirchliches Engagement vorstellen. Diese Personen würden sich jedoch niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten wünschen. Vor allem die Aussicht, dass man sich bei einem Engagement „verbindlich“ (gemeint scheinen insbesondere langfristige Verpflichtungen zu sein) einbringen müsste, schreckt viele Engagement-bereite Menschen ab, ein solches aufzunehmen (27,9 %). Dies stellt gerade angesichts der großen Verbreitung langfristigen Engagements innerhalb der Kirche ein Problem dar.
Maßgebliche Faktoren, sich in eine Organisation einzubringen, sind laut der Befragung die Werte der Organisation selbst (kirchlich Engagierte: MW = 1,4; Engagierte: MW = 1,46; Engagement-Bereite: MW = 1,71; 1 = sehr wichtig, 5 = überhaupt nicht wichtig) sowie, insbesondere bei den kirchlich Engagierten (MW = 1,57), die Werte und Vorstellungen der (ehrenamtlich wie hauptamtlich) in ihr Tätigen. Hierin zeigt sich unter anderem, dass die oben in Bezug auf das Ehrenamt im kirchlichen Bereich konstatierte Milieuverengung eine sich selbst verstärkende Tendenz hat. Weitere Gunstfaktoren für ein ehrenamtliches Engagement liegen im Feld der Wertschätzung, Unterstützung, Zusammenarbeit, Mitbestimmung und Eigenverantwortlichkeit sowie in der örtlichen Erreichbarkeit.
Außerdem wurden im repräsentativen Studienteil auch die Tätigkeitsfelder kirchlich-engagierter Ehrenamtlicher erhoben. Es zeigte sich, dass das diakonische Arbeitsfeld den Schwerpunkt kirchlichen ehrenamtlichen Engagements bildet (bspw. Persönliche Hilfeleistungen/Unterstützung: 29,7 %; Organisation, Durchführung, Mitarbeit Hilfsprojekte: 25,8 %). Administrative und weitere institutionelle Aufgaben werden ehrenamtlich meist in Kombination mit anderen Tätigkeiten übernommen (wie bspw. im Pfarrgemeinderat).
Im Rahmen der Diskussion über die Ergebnisse innerhalb der Lenkungsgruppe wurde anscheinend immer deutlicher, dass es zur Gewinnung neuer Ehrenamtlicher nicht allein um Veränderung einiger Rahmenbedingungen geht, sondern es eines grundlegenden Kulturwandels bedarf. „Wir begannen mit einer Diskussion über das Ehrenamt und sind angekommen bei unseren Bildern von Kirche der Zukunft“, lässt sich ein Mitglied der Lenkungsgruppe im Vorwort der Studie zitieren. Hierin zeigt sich, dass, wenn ehrenamtliches Engagement als flexible Einbringungsmöglichkeit angeboten werden soll, um es für moderne Menschen attraktiv zu machen, zunächst Kirche selbst in der Struktur ihrer Angebote, Tätigkeiten und Orte flexibler werden muss. Erst so kann ehrenamtliches Engagement tatsächlich als praktischer Vollzug des persönlichen Christseins in den Blick kommen und nicht als Lückenbüßer für ehemals hauptamtlich übernommene Aufgaben.
Als Handlungsempfehlungen leiten die AutorInnen der Studie daher aus den Ergebnissen zunächst grundsätzliche „Basis-Weichenstellungen“ ab, die die Voraussetzung für weitere „Rahmen-Weichenstellungen“ bilden: Es bedarf der Einrichtung von „Erprobungsräumen“, in denen Engagement-Bereite ihre Ideen für neue, vielfältige, selbstbestimmte Engagement-Formate frei umsetzen können und dabei Rückendeckung und Unterstützung erhalten. Dieser Prozess kann, so die AutorInnen, zwar zentral von oben her angestoßen, aber nur dezentral, von den Ideen der Engagement-Bereiten vor Ort her umgesetzt werden. Innerhalb der Rahmen-Weichenstellungen wird für bestehende Formate eine kritische Sichtung und eine „Kultur des würdigen Abschieds“ von solchen, die keine Zukunft haben, empfohlen.
Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg (Hg.), Engagement an vielen Orten – Vielfalt unter dem Dach der Kirche?! Ehrenamtsstudie der Erzdiözese Freiburg. Kompaktversion des Studienberichts, freier Download.
Roß, Paul-Stephan/Schlicht, Julia/Werhahn, Dirk, Engagement an vielen Orten – Vielfalt unter dem Dach der Kirche. Gesamtbericht Ehrenamtsstudie Freiburg, unveröffentlicht.