Inhalt

Gottes Wort in Menschenworten. Auf dem Weg zu einer Theologie der performativen Verkündigung

Wer sich mit Grundfragen des Missionarischen befasst, stößt immer wieder auf die Thematik der Verkündigung. Oft als „Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation“ oder als amtliche Homilie engge­führt, ist „Verkündigung“ jedoch ein Grundthema, an dem sich viele theologische und pastoral-praktische Fragen brechen. Es ist das Ver­dienst von Isabelle Senn, mit dieser Dissertation ein elementares Kom­pendium, eine fundierte Theologie der Verkündigung vorzulegen. Das dargebotene und aufbereitete systematische, fundamentaltheologische und kommunikationswissenschaftliche Material und Senns Reflexionen bieten immer wieder Ansatzpunkte, die den pastoraltheologisch inter­es­sierten Leser inspirieren und weiterdenken lassen. Verkündigung als zentraler Vollzug von Kirche wird als „Praxisgeschehen der Mitteilung des Evangeliums“ (14) verstanden. Der Ansatzpunkt für die Reflexion ist die Begrifflichkeit vom „Gotteswort in Menschenworten“. Damit gelingt Senn eine interessante Dynamik von Kommunikation, Begegnung, Dia­log, Sendung und Zeugnis als Eckpunkte eines theologischen Verkündi­gungsverständnisses. Die biblischen Schriften als schriftgewordenes Wort Gottes werden zum Ausgangspunkt der Ausführungen zu Vortrag und Hören der Schrift und (rezeptionsorientiertem) Umgang mit ihr. Die Schrift wird als (allein und gemeinsam) rezipierte Schrift erst zum Wort Gottes. Das „Wort Gottes“ ist Christus selbst als auferstanden Prä­senter, das Heil von Gott im Hier und Jetzt. Die metaphorische Redewei­se ist genauer zu bedenken, wenn man sagt: „Gott spricht“; hinzu kom­men Überlegungen über Sender und Empfänger, über die Art und Weise der Mitteilung, ihren „Gehalt“, das Mittel der Vermittlung und die „Ant­­wort“ des Hörers/​der Hörerin, der/​die seinerseits/​ihrerseits als Zeuge/​Zeugin zum Verkündiger/​zur Verkündigerin wird. Senn stellt gegen ein traditionelles instruktionstheoretisches Verständnis von Offenbarung (satzhafte Wahrheit, fides quae) im Rückgriff auf Rezep­tionsästhetik und Sprachphilosophie (Sprechakttheorie, Performation) das Moment des wirksamen göttlichen Wortes im Menschenwort in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Das erlaubt ihr, dann auch den mensch­lichen Verkündiger und die Bedingungen dieses nachgelagerten Kommunikations- und Offenbarungsvorgangs zu beschreiben.

In einem ersten, theologiegeschichtlichen Teil entwickelt die Autorin Grundlagen eines biblischen und theologischen Verständnisses von Ver­kündigung: Der biblische Befund der Rede vom „Verkündigen“ wird dar­geboten, ebenso die Rolle der Bibel selbst in der Verkündigung bedacht; Senn beschreibt katholische und protestantische Theologie und Praxis der Verkündigung und zeigt das neuscholastisch-vorkonziliare Ver­ständ­nis von Offenbarung als „Information“ oder „Lehre“ mit der kirch­lichen Amtlichkeit als dem Primat (und Monopol) des Lehrens auf. Kirchliche Erneuerungsbewegungen, die Wiederentdeckung des Keryg­mabegriffs und die Beiträge der Mysterientheologie sowie der Inns­brucker Verkündigungstheologie führen in der neueren katholischen Theologie zu einem erneuerten Verständnis von Verkündigung. Dabei sind Wort und Sakrament stärker aufeinander bezogen, Verkündigung erscheint hier stärker als Aktualisierung des im Schriftwort zugesagten Heils, das Gott in Jesus Christus im Heute wirkmächtig und zeichenhaft realisiert. Insbesondere evangelische theologische Ansätze, die das Wort im Zentrum des gnadenhaften Erlösungs- und Rechtfertigungsgesche­hens sehen, und eine durch Symbol- und Sprechakttheorie erneuerte Theologie führen u. a. in Karl Rahners Konzept des „exhibitiven Wortes“ zu einem veränderten Verkündigungsverständnis. Jesus Christus als der Auferstandene im konkreten Hier und Jetzt ist das worthafte Ereignis der Gnade. Das Wort Gottes schafft (neue und erlöste) Wirklichkeit. Mit diesen „Vorarbeiten“, so stellt es Isabelle Senn glaubhaft dar, formulier­te das Zweite Vatikanische Konzil in Dei verbum ein vom Ersten Vatika­num abweichendes Verständnis: Jesus Christus als lebendiges Wort Gottes ist das wirkmächtige Symbol der Offenbarung Gottes als Selbst­offenbarung. Gott offenbart nicht mehr „etwas“ über sich, satzhafte Wahrheiten, die – in Katechismusschriften und Lehrsätze gegossen – geglaubt im Sinne von „für wahr gehalten“ werden sollen. Vielmehr entwickelt das Konzil eine Offenbarungstheologie, bei der Gott sich selbst als der in Liebe Zugewandte kommuniziert und vermittelt, der die Menschen wie Freunde anspricht und sie in die Gemeinschaft seines göttlichen Lebens einlädt. Menschliche Verkündigung, die diese göttli­che Offenbarung aufnimmt und weiterwirken lässt, muss diesem dia­loghaften und einladenden Gemeinschaftscharakter Rechnung tragen, sie findet zeugnishaft als Antwortgeschehen des Menschen in der Kon­textualität und Situativität der jeweiligen Lebenswelt statt. Für das Konzil ist Verkündigung so ein zentraler Begriff in der (durchgetrage­nen, nicht aufgehobenen) Spannung von allgemeiner Berufung des Gottesvolkes zur Verkündigung und spezieller amtlicher Beauftragung der Ordinierten. Diese Spannung wird in der Folge des Konzils das Verständnis von Evangelisierung (und Neuevangelisierung) weiter durchziehen. Nach Ansicht des Rezensenten ist dies auch heute noch Ursache für viele Missverständnisse, was das Ver­ständnis und auch die Praxis von Evangelisierung und kirchlicher Sendung (Mission) ist. Die „Vermittlung“ religiöser Inhalte wird im Konzil eingeordnet in eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen. Verkündigung wird zur wirksa­men Ansage des Heils, das Gott selbst als Befreiung aus konkreten Be­drängnissen, als Gabe und Heilung, als Verheißung und Geschenk von Lebenssinn und ‑wahrheit bewirkt. Auf diesem Hintergrund beschreibt Senn Verkündigung in einem missionstheologischen Kontext als einen umfassenden Prozess des Christwerdens und Christbleibens und denkt dies weiterhin in kirchenrechtliche und homiletische Kontexte hinein. Dieser erste, ganz starke Teil der Arbeit entwickelt einen klaren roten Faden und nimmt den Leser auf eine spannende Reise mit.

In einem zweiten, systematisch-theologischen Grundlagenteil unter­nimmt die Autorin den Versuch, die bereits umrissene Theologie der Verkündigung systematisch weiter zu entfalten. Schade, dass nach dem einleitenden Teil so vieles erwartbar ist. Die Systematik, die sich jeweils am Verständnis von „Gotteswort“ (Sender), des „im“ (Vermittlungspro­zess) und des „Menschenworts“ (Empfänger und bezeugender Sender zugleich) orientiert, liest sich wegen der Fülle an dargebotenem Materi­al etwas mühsamer; durch gelegentliche Redundanzen wird das Lesen hier eher zur „Arbeit“, hier wünschte sich der Rezensent eine stärkere Straffung.

Der dritte Teil des Bandes kündigt schließlich praktisch-theologische Perspektiven an. Es ist sehr kreativ, das bislang Entwickelte auf pasto­raltheologische Zentralthemen und mit diesen vermittelte Spannungs­fel­der durchzubuchstabieren: Vergegenwärtigung (zwischen Tradition und Situation), Glaube (zwischen Information und Inspiration), Voll­macht (zwischen Amt und Charisma), Überzeugung (zwischen Argu­ment und Existenz), Dialog (zwischen Ich und Du) und Gemeinde (zwi­schen gemeindlichem und gemeindebildendem Vollzug). Dennoch bleibt der pastoral-praktisch interessierte Rezensent etwas enttäuscht zurück, da der Schwerpunkt auch hier – wie bei einer fundamentaltheo­logischen Arbeit ja natürlich auch zu erwarten ist – nicht die pastorale Praxis oder eine entsprechende Reflexion auf kirchlich-pastorale Ent­wicklung ist. Aber Senn bietet eben an dieser Stelle pastoral-theologi­sche Grundeinsichten, die es nun noch einmal in pastoral-praktische Vollzüge zu übersetzen gälte, was das Dargebotene nämlich für Haltun­gen, Strukturen, Ziele und Praxis einer „verkündigenden“ Kirche bedeu­ten würde. Dieser Dialog ist noch zu führen und würde sich lohnen.

Alles in allem ist die Lektüre aufschlussreich und lohnenswert. Das Verkündigen selbst wird zum Thema, Verkündigen ist mehr als bloßes „Ausrichten“ einer Botschaft. Durch die Verkündigung und in der Ver­kündi­gung ereignet sich bereits ein Geschehen der Kommunikation, der Begegnung und Beziehung. Wenn sich das göttliche Wort heute und hier performativ ereignet, dann sind auch solche pastoralen und ekklesialen Ansätze dadurch legitimiert, die das Geschehen des Heils und das Han­deln Gottes als eigenen Impuls von Gott her sehen (missio Dei). Erst wenn Christen und Kirche sich selbst unter das Wort stellen, das Jesus Christus als fleischgewordener Logos selbst ist, wenn sie sich selbst öff­nen, um das Wort Gottes als Beziehungsgeschehen an sich geschehen zu lassen, dann können sie aufmerksam werden auch für das Gotteswort, das „am anderen Ort“ oder in nicht-kirchlichen Kontexten wirksam wird. Hier kommt dann die Kategorie des hinweisenden Bezeugens ins Spiel. Verkündigung bleibt somit göttliches Wirken, das durch mensch­liche (kirchliche) Verkündigung unterstützt und materialisiert wird, insofern sich Gläubige und die Glaubensgemeinschaft in ihrer Lebens- und Verkündigungspraxis immer wieder selbst dem irritierenden, her­ausfordernden und erneuernden Wirken des Geistes Gottes aussetzen. Auch und gerade der Verkündiger/​die Verkündigerin des Wortes bleibt selbst immer Hörer/in des Wortes.

Hubertus Schönemann