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Katholische Identität (I)

Katholische Identität – was ist das?

Was macht eine (oder: die?) katholische Identität heute aus? Dazu dürfte es, schaut man auf die reale Vielfalt des Christ- und Katholischseins in unserer Zeit, viele verschiedene Sichten geben. Wir haben zwei Autor/innen mit unterschiedlichen innerkirchlichen Perspektiven – die Pastoraltheologin Birgit Hoyer und den Philosophen Josef Bordat – um ihre Antwort und um eine Replik auf die Antwort des jeweils anderen gebeten. In ihren Beiträgen zeigt sich, dass nicht nur die inhaltliche Bestimmung, sondern schon der Begriff der Identität selbst strittig ist.

Das Prinzip der Identität gehört zu den philosophischen Axiomen. Das be­deutet, wer Gleiches nicht als gleich erkennt und Ungleiches nicht als un­gleich, kann nicht zu wahren Aussagen über die Welt kommen. Ord­nung basiert auf Zuordnung. Das gilt auch über die Philosophie hinaus, im Alltag. Identität ist wichtig. Menschen brauchen Identität und su­chen sie entspre­chend, als Angehörige eines Geschlechts, eines Volkes, eines Kulturraums und nicht zuletzt auch als Anhänger einer Religion.

Die Verunsicherung in Sachen Identität ist dennoch groß. Keiner will sich festlegen, keine Option will verpasst werden. Menschen haben heute Identitäten – Plural. Zugleich wird das, was ehedem einheitlich angeboten wurde, immer weiter ausdifferenziert. Die Kirche, so heißt es im Zuge dieses Trends, gebe es schon lange nicht mehr. Beides führt dazu, dass „Religionskomponisten“ (Paul M. Zulehner) entstehen, die sich aus dem Angebot das für sie in der jeweiligen Lebenssituation Passende aussuchen.

Katholische Identität ist das nicht. Sie lebt von der Identifikation mit der Kirche als Ganzer, mit dem Lehramt, auch mit denen, die es vertre­ten, also dem Papst und den Bischöfen. Hier ist vor allem die innerka­tho­lische Polemik erstaunlich. Mit brachialer Vehemenz kritisieren einige Basiskatholiken ihre Hirten und zeigen eine tiefe Identitätskrise. Der Religionssoziologe Andreas Püttmann konstatiert in seiner vor wenigen Monaten erschienenen Analyse „Wie katholisch ist Deutsch­land … und was hat es davon?“, dass die innerkirchlichen Debatten in letzter Zeit „aggressiver und unversöhnlicher“ (Püttmann 2017, 195) geführt werden, einhergehend mit dem „Verlust der Kritikfähigkeit“ (ebd. 196). Und das ist alles, aber nicht katholisch.

Besonders Papst Franziskus steht in der polemischen Kritik – ausgerech­net der Heilige Vater! Ein Katholik sollte in Treue zum Papst halten, ohne dessen Position zu verabsolutieren – das wäre wiederum gegen seine christliche Identität gerichtet. Ohne zum Papisten zu werden, soll er aber versuchen, das, was der Vatikan beschließt und berät, vor sei­nem Gewissen ernsthaft und wohlwollend zu prüfen. Selbstverständ­lich darf auch der Papst kritisiert werden (auch das ist Teil der katho­lischen Identität), aber in Würde und Achtung vor Amt und Person.

Was heißt es aber heute – positiv gesprochen –, katholischer Christ zu sein? Mal abgesehen von der ultramontanen Grundorientierung sollte er in den gesellschaftlichen Debatten, die über die Fragen der katholi­schen Dogmatik hinausgehen, auf der Basis schöpfungstheologischer und christologischer Erkenntnisse eine biophile Grundhaltung entwi­ckeln, die sich einsetzt für Frieden, die Bewahrung der Schöpfung, an­gemessene Arbeitsbedingungen, gerechte Verfahren in Justiz und Ver­waltung sowie eine lebensförderliche Forschung und die sich erhebt gegen Abtreibung, Sterbehilfe, Folter, Todesstrafe, Krieg und Umwelt­zerstörung.

Er muss sich also einsetzen für moralische Werte, die nur die Kirche in der ihr eigenen, in zwei Jahrtausenden erprobten und bewährten Radi­kalität vertreten kann: eine Haltung gegen Abtreibung und für Flücht­­lin­ge, gegen die Ehe für alle und für Respekt gegenüber allen. Die Kirche muss aber begründen, wie sie darauf kommt. Das Argument ersetzt heu­te den Gehorsam. Auch so entsteht gestärkte Identität.

Theologisch geht es ferner darum, das katholische Profil zu schärfen und wieder zu einer besonderen Wertschätzung des identitätsstiftenden Kul­­tus und Ritus zu gelangen, in den Sakramenten, insbesondere der Eucharistie, im Ehe-, Weihe- und Amtsverständnis, in der angemesse­nen Marienfrömmigkeit und auch in der Heiligenverehrung – Allein­stel­­lungsmerkmale der katholischen Kirche. Diese Akzentuierung ist kein Selbstzweck, etwa um sich allein aufgrund des Differenzbedürf­nisses von der evangelischen Konfession abzugrenzen oder die Kirche in einer nach Form und Ordnung suchenden Postmoderne interessant zu machen, sondern weil es den Kern des Glaubens betrifft.

Grundsätzlich steht die Kirche wohl vor der Frage, wie sie die katholi­sche Identität wahren und stärken kann, gleichzeitig aber attraktiv bleibt für Menschen, die diese Identifikation erst noch oder erst wieder entwickeln müssen. Der mittlerweile zumindest deutschlandweit be­kannte Priester Thomas Frings hat sich dazu Gedanken gemacht und diese in seinem Bestseller „Aus, Amen, Ende? So kann ich nicht mehr Pfarrer sein“ wirkmächtig veröffentlicht. Er will keine Kirche für eine glaubensstarke, liturgisch geschulte Elite, sondern Angebote, die mehr oder minder kirchenferne Menschen individuell zurückführen an den Glauben. Nicht „ganz oder gar nicht“, nicht „alles oder nichts“, sondern eine „gestufte Nähe“ zur Kirche schwebt Frings vor.

Das ist natürlich nicht ganz unproblematisch und wäre zunächst von der ohnehin um sich greifenden Patchwork-Religiosität dogmatisch und pastoral abzugrenzen. Wer das „Paket“ des Katholizismus aufschnürt, muss sich vorsehen, wie dann die Identität des christlichen Glaubens katholischer Prägung noch gewahrt werden kann. Andererseits hat Frings freilich Recht: „Wir sollten den Menschen Hilfestellung geben und sie nicht als sakramentale Nichtschwimmer vom Zehnmeterturm springen lassen und uns dann wundern, dass die meisten am Ende ertrunken sind“ (Frings 2017, 99 f.). Das ist die eine Seite der Medaille, auf welcher die Gefahr der „Religionskomposition“ deutlich erkennbar eingeprägt ist.

Die andere Seite zeigt das strahlende Sakramentsverständnis der katho­li­schen Kirche, das für sie als Glaubensgemeinschaft und Institution glei­chermaßen fundamental ist. Auch um den Preis, dass ihr keiner fol­gen mag. Besonders deutlich zeigt sich die katholische Identität derzeit ausgerechnet dort, wo es der Sache nach um Dualität geht: beim Ehebe­griff. Der sakramentale Gehalt der Ehe im Verständnis der katholischen Kirche vertieft in diesen Tagen den Graben zwischen den Konfessionen: Während die evangelische Kirche in Deutschland kaum ein größeres Pro­blem mit der sogenannten „Ehe für alle“ zu haben scheint und einige Landeskirchen bereits die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaf­ten routiniert durchführen, besteht die Deutsche Bischofskonferenz darauf, „dass die Ehe – nicht nur aus christlicher Überzeugung – die Lebens- und Liebesgemeinschaft von Frau und Mann als prinzipiell lebenslange Verbindung mit der grundsätzlichen Offenheit für die Weitergabe von Leben ist“ (Deutsche Bischofskonferenz 2017).

Die Ehe ist der katholischen Kirche also kein „weltlich Ding“ (Luther), das der Staat willkürlich definieren darf. Das kantige katholische Profil stärkt die Identität einer Institution in der Krise, zugleich aber bedeutet es im Reformationsjahr einen Rückschritt in der Ökumene. Nicht nur die mit Bismarcks Zivilehe begonnene Differenz zwischen Kirche und Staat, sondern auch der Unterschied zwischen evangelisch und katho­lisch wird in diesen Tagen größer. Ein hoher Preis, aber einer, der ge­zahlt werden muss. Denn zunächst muss man die Einheit mit sich selbst herstellen, in sich möglichst geschlossen und klar bestimmt sein, bevor man die nächste Stufe der Einheitsskala erklimmen kann.

Identität als Selbstbestimmung, als Definition durch Abgrenzung, schließt damit freilich die Pflege von Beziehungen mit dem Blick auf die Einheit nicht aus. Sie schließt nur aus, dass um der Harmonie willen We­ge eingeschlagen werden, die das Eigene bis zur Unkenntlichkeit verzerren. Das gilt für das Verhältnis der Katholiken zu ihrer Kirche ebenso wie für das Verhältnis der Kirche zum Staat, zu anderen zivil­gesellschaftlichen Institutionen und nicht zuletzt auch zu anderen Konfessionen und Religionen. Gewissensfreiheit und Traditionsbe­wusstsein kennzeichnen das Ringen um Identifikation und Identität. Das erfordert von allen besondere Anstrengungen. Ein unreflektiertes „Weiter so!“ fällt hinter das Streben nach Identität, also die Antwort auf die Frage, was es heißt, Katholik zu sein, ebenso zurück wie eine Aufga­be von Kerninhalten des christlichen Glaubens katholischer Prägung zugunsten von Umfragewerten und Mitgliederzahlen. Differenz zu dem, was „man“ halt denkt und tut, ist nicht das Schlechteste.