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„Vor Ort lebt Kirche“ – Das VOlK-Projekt im Bistum Magdeburg

Einblick in eine „Werkstatt“

Annette Schleinzer gibt Einblicke in konkrete Projekte lokaler Kirchenent­wicklung im Bistum Magdeburg, die sich der Inspiration u.a. aus den Bistümern Hildesheim und Poitiers verdanken.

1. „Wenn es da so etwas gibt…“ Der Ausgangspunkt

„Ich war eigentlich schon immer in der Gemeinde engagiert, sag ich mal. Und dann, mit der Pfarreigründung war ja klar, dass das so mit dem ‚Ver­sorgt-Sein’ in Anführungsstrichen nicht weitergeht. Und für mich war das klar: Wenn es da so etwas gibt, dann machst du da mit.“ (Die kursiv ge­druckten Zitate sind Antworten der Volk-Team-Mitglieder aus Bad Liebenwerda, die von Martin Papke im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit interviewt worden sind.)

„Wenn es da so etwas gibt“: In diesem kleinen Satz schwingen Ahnung, Sehnsucht und Hoffnung all derer mit, die sich darum sorgen, wie es mit ihrem Gemeindeleben vor Ort weitergehen soll, wenn sich die pasto­ralen Räume vergrößern und wenn es immer weniger Priester und andere hauptamtlich Tätige gibt. In der Tat sind im Bistum Magdeburg bis Ende 2007 44 neue Gemeindeverbünde entstanden, die im Jahr 2010 zu neuen Pfarreien geworden sind. Die Anfragen vieler Menschen sowie verschiedene pastoraltheologische und soziologische Untersuchungen weisen aber auf die Bedeutung der „Kirche vor Ort“ hin. Kirche lebt von Überschaubarkeit und zwischenmenschlicher Nähe; sie verwirklicht sich in den vielfältigen Lebensäußerungen eines Dorfes oder eines Stadt­teils, im alltäglichen Umfeld der Menschen. An dieser Stelle setzt das Projekt „VOlK“ – Vor Ort lebt Kirche – an: Inspiriert von den Erfah­rungen anderer Bistümer – Châlons, Poitiers, Linz und Hildesheim – versuchen wir seit einigen Jahren, eine neue Struktur der Nähe zu schaf­fen, indem Menschen gesucht werden, die vor Ort Verantwortung dafür übernehmen, dass Kirche in ihren Grunddiensten lebendig bleibt. Grund­lage dafür ist die Vision des Zweiten Vatikanischen Konzils, in der jede/r Getaufte Träger/in des Heiligen Geistes und somit als Glied der Kirche berufen und begabt ist. Aus dieser Taufwürde heraus ist das Kirche-Sein vor Ort zu gestalten – im Hören darauf, was in dem jeweils konkreten Lebensumfeld zu tun ist.

2. „Früher gab es Aufgaben…“: Unterscheidungen

Bei der Vorstellung des Projekts und in den ersten Schritten der Umset­zung hat sich gezeigt, dass die Ziele und die Grundlagen noch längst nicht klar sind. Folgende Fragen oder Bedenken kommen häufig zur Sprache: „Worin unterscheiden sich diese neuen Gruppen von bereits bestehenden: z.B. aktive Familienkreise, Bibelkreise und anderes mehr? Haben wir das alles nicht längst?“ – „Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird versucht, die Gemeinden als Trägerinnen der Seelsorge zu verstehen und zu motivieren. Aber die Realität zeigt doch, dass es nicht gelingt!“ – „Sind solche Teams nicht nur Notlösungen, solange es nicht genügend Hauptamtliche gibt?“ – „Werden solche Gruppen tatsächlich die Verdunstung des Glaubens in unserem Land aufhalten können? Spricht die demographische Entwicklung nicht eine andere Sprache?“ Solche Fragen fordern zu einer Klärung und zur Unterscheidung der Geister heraus. In der bisherigen Praxis zeigen sich verschiedene Bereiche, an denen solche Unterscheidungen Not tun:

  • Es geht nicht nur um einzelne Engagierte, und auch nicht nur um Gremien, Grup­pen und Kreise – sondern um eine kleine Zelle von Kirche, die „das Feuer hütet“. In einem überschaubaren Sozialraum lebt sie öffentlich sichtbar als Kirche vor Ort und übernimmt für die Verkündigung, den Nächstendienst und das Gebet Verantwortung. Diese Zelle von Kirche kann aus einer traditionellen Gemeinde heraus entstehen, im Zusammenhang mit einer Einrichtung (Kinder­tagesstätte, Pflegeheim etc.) oder durch Menschen, die sich unabhängig davon zusammenschließen, um Kirche vor Ort zu sein. Auf längere Sicht hin kann das „zu einem bunten und vielfältigen Gefüge unterschiedlicher kirchlicher Orte“ (Hennecke/Tewes 2012, 380) innerhalb einer Pfarrei führen. Die Erfahrung anderer Diözesen zeigt, dass sich eine bestimmte Struktur dieser „Kirche vor Ort“ bewährt hat: es gibt eine Leitung (im Bistum Magdeburg: das VOlK-Team), es gibt Beauftragungen und eine zeitliche Befristung. Das Leitungsteam ist zudem möglichst auch im Pfarrgemeinderat vertreten. Damit ist es auch strukturell in das größere Ganze der Pfarrei eingebunden.

  • „Früher gab es Aufgaben: Du musst das, du machst das! Jetzt muss man selber und eigenständig aktiv werden.“ Verantwortung zu übernehmen, bedeutet dabei mehr als mitzumachen, mitzuhelfen oder mitzubestimmen. Es geht vielmehr um die wachsende Erkenntnis, „zu welcher Hoffnung wir berufen sind“ (vgl. Eph 1,18). Sie wurzelt in Jesus Christus und seiner Botschaft vom Reich Gottes, „aus dessen Sein sie ihre Höhe, Tiefe, ihren Weg und ihre Zukunft empfängt“ (Gemeinsame Synode, Unsere Hoffnung, Teil II, 2). Deshalb kommt es für die kleinen Zellen der Kirche entscheidend darauf an, ihre Christusbeziehung zu vertiefen und lebendig zu halten. Das gemeinsame Hören auf das Evangelium, aber auch andere Weisen, Leben und Glauben miteinander zu teilen, bilden da­für die Grundlage. Auf diesem Boden erwächst dann das, was vor Ort zu tun ist.

  • Das VOlK-Team ist nicht nur „für die eigenen Leute“ da. Es versucht die Be­dürf­nisse und Nöte der Menschen im Umfeld wahrzunehmen und darauf zu reagie­ren. Darin verwirklicht sich seine Sendung: „Wir wollen eine Kirche sein, die sich nicht selbst genügt, sondern die allen Menschen Anteil an der Hoffnung gibt, die uns in Jesus Christus geschenkt ist. Seine Botschaft verheißt den Men­schen ‚das Leben in Fülle’, auch dann, wenn die eigenen Möglichkeiten ausge­schöpft sind. Deshalb nehmen wir die Herausforderung an, in unserer Dias­pora­situation eine missionarische Kirche zu sein. Einladend, offen und dialogbereit gehen wir in die Zukunft“ (Schleinzer/Sternal 2004, 38).

  • Damit das Team nicht unversehens in die Rolle der bisherigen Hauptamtlichen gerät (und der Rest der Gemeinde sich weiterhin „versorgen“ lässt), ist es wich­tig, möglichst viele Gemeindemitglieder an der gemeinsamen Verantwortung für das Leben der Kirche vor Ort zu beteiligen. Das VOlK-Team versucht so auch, die Gruppen und Initiativen zu vernetzen, die es vor Ort bereits gibt oder die entstehen.

  • Eine kontinuierliche Begleitung des Teams durch eine(n) Hauptamtliche(n) vor Ort ist unabdingbar. Diese Begleitung fördert die Charismen der einzelnen Mit­glieder und hilft ihnen, ihre Berufung als getaufte und gefirmte Christen und Christinnen zu leben. Darüber hinaus lassen sich die Mitglieder des Teams ent­sprechend ihres Charismas und ihrer zeitlichen Ressourcen für bestimmte Dienste ausbilden und beauftragen.

3. „Wir sind noch am Anfang“: Konkretionen

Derzeit sind es drei Pfarreien, die sich näher auf das VOlK-Projekt einge­lassen haben: Die Pfarrei St. Benedikt, Huysburg, die Pfarrei St. Franzis­kus, Bad Liebenwerda, und die Pfarrei Halle-Nord. Diese letztere geht bereits seit längerem einen Weg in Richtung „lokaler Kirchenentwick­lung“ und wird darin auch von außen begleitet. Ich beschränke mich hier nun auf die beiden ersten Pfarreien, für die dieser Weg ganz neu war und ist.

3.1. Pfarrei St. Benedikt, Huysburg

In dieser Pfarrei ist es eine kleine – ehemals selbstständige – Gemeinde, die sich dazu entschieden hat, sich auf „VOlK“ einzulassen: die Gemein­de Schwanebeck. In Schwanebeck gab es über viele Jahre einen Diakon, bei dem „die Fäden zusammenliefen“. Die Gemeinde war es zwar ge­wohnt, ihm bei anfallenden konkreten Aufgaben zu helfen – ansonsten aber fühlte sie sich gut „versorgt“. Für die meisten Gemeindemitglieder zeigte sich deshalb kein Bedarf, sich selbst aktiv einzubringen. Als der Diakon vor drei Jahren eine neue Aufgabe an einem anderen Ort über­nahm, zeichnete sich ab, dass es keinen Nachfolger für ihn geben würde. Die Gemeinde würde dann zwar innerhalb der Pfarrei weiterhin gottes­dienstlich „versorgt“ werden, aber vor Ort würde es keine(n) Hauptamt­liche(n) mehr geben. Das Pastoralteam und der Pfarrgemeinderat haben sich in dieser Situation dafür entschieden, etwas Neues im Sinne des VOlK-Projekts zu wagen: Ein Team von ca. fünf Personen sollte gesucht werden, das das Leben vor Ort tragen würde. Der Pfarrer würde sie regel­mäßig begleiten. In einer Gemeindeversammlung hat sich dann gezeigt, dass sich die Menschen – trotz anfänglicher Skepsis – darauf einlassen wollten. Die Motivation war ganz klar: „Wir möchten als Gemeinde weiterhin lebendig bleiben! Dafür reicht es uns nicht, wenn drei Mal im Monat sonntags eine Eucharistiefeier stattfindet“. Die Frage war nun, ob und wie sich Menschen finden lassen würden, die in einer völlig ungewohnten Weise Verantwortung übernehmen sollten.

Von unserem Partnerbistum Châlons-en-Champagne gab es dafür eine hilfreiche Anregung: Die Gemeinde reicht schriftliche Vorschläge ein; die Personen, die dabei genannt werden, werden vom Pfarrer ange­sprochen und nach ihrer Bereitschaft gefragt. Auf diese bewährte Weise kommen in der Diözese Châlons die sogenannten „Equipes Pastorales“ zustande. Noch bevor der Pfarrer der Pfarrei St. Benedikt allerdings in dieser Richtung initiativ werden konnte, hat sich die Gemeinde Schwanebeck selbst organisiert: Nach einem Gottesdienst fand eine Gemeindeversammlung statt, in der ein Team von fünf Personen (zwei Frauen, drei Männer) benannt wurde. Im Herbst 2010 nahm dieses Team seine Arbeit auf. Zwei seiner Mitglieder haben sich im Lauf der Zeit dafür entschieden, sich lieber nur bei Bedarf einzubringen, wäh­rend sich die anderen drei nach wie vor ein Mal im Monat zusammen mit ihrem Pfarrer treffen. Es zeigt sich zudem, dass es inzwischen einen größeren Kreis von Personen gibt, die zu bestimmten Anlässen oder bei praktischen Arbeiten gerne bereit sind, mitzuhelfen. Darunter sind auch Menschen, die gar nicht zur kirchlichen Gemeinde gehören, sich aber angesprochen fühlen.

Erste Schritte

Die ersten Schritte des VOlK-Teams waren ganz traditionell. Es ging vor allem darum, Aufgaben zu verteilen: „Wer macht was: Rasen mähen, die Kirche putzen usw.?“ Die Gruppe verstand sich sozusagen als „loka­les Organisationskomitee“ für die anfallenden Aufgaben. Sie sah sich dabei weiterhin als „Helferin“ des Pfarrers, dessen Anweisungen sie befolgen wollte.

Inzwischen hat sich manches geändert: Das Team hat sich als erstes darin ausbilden lassen, Wortgottesdienste zu leiten. Dass sich die Gemeinde sonntags auch dann versammeln kann, wenn vor Ort keine Eucharistiefeier möglich ist, war eines der zentralen Anliegen aller Beteiligten, zumal es unter der Leitung des Diakons eine jahrzehn­te­lange vertraute Praxis war. Bis auf wenige Ausnahmen werden diese Gottesdienste von der Gemeinde gut angenommen. Im letzten Jahr ergab sich dann aber darüber hinaus eine gute Gelegenheit, den eigenen Auftrag neu zu verstehen: Im Rahmen eines Stadtjubiläums kam die Frage auf, wie sich die katholische Kirche vor Ort einbringen könnte – zumal ein großer Teil der Feier auf ihrem Gelände stattfinden würde. Der erste Gedanke war, einen Stand anzubieten, an dem Kaffee und Kuchen angeboten würden. Das war den Menschen vertraut – so hatten sie sich bisher bei ähnlichen Gelegenheiten in der Öffentlichkeit präsen­tiert. Doch hier zeigte sich nun exemplarisch, welche Rolle dem geistli­chen Begleiter oder der Begleiterin dieser Gruppe zukommt: Es gilt einerseits, die Menschen frei zu lassen und sie nicht zu bevormunden; andererseits braucht es immer wieder auch die Ermutigung, über die Grenzen des Gewohnten hinauszugehen – von sich selbst, vom eigenen Auftrag und letztlich von Gott größer zu denken. Im gemeinsamen „Hören auf das, was sein soll“, ist so die Idee geboren worden, die Chan­ce zu nutzen, die ihre kleine Wallfahrtskirche bietet. Ein Referent aus dem Fachbereich Pastoral im Bischöflichen Ordinariat hat die Gruppe dabei begleitet. Die Kirche wurde dann schließlich zum einen als Raum der Stille gestaltet, zum anderen als Raum, in dem durch Zeichen, Sym­bole und interaktives Tun entdeckt werden konnte, was der christliche Glaube bedeutet. Die Mitglieder des VOlK-Teams standen dabei auch für Fragen und Gespräche zur Verfügung. Die Erfahrungen, die sowohl das VOlK-Team als auch die ganze Gemeinde damit gemacht haben, haben alle Erwartungen übertroffen. Fast alle Besucher des Festes sind in die Kirche gekommen, haben Fragen gestellt und sich offenbar inner­lich ansprechen lassen. Als Folge davon gibt es jetzt einmal im Jahr je einen „Projekttag Kirche“ für die dritte Klasse der staatlichen Grund­schule und für die örtliche Kindertagesstätte. Beide Veranstaltungen wurden und werden vom VOlK-Team und weiteren Gemeinde­mit­glie­dern mit vorbereitet und begleitet. So ist im Tun die Ahnung gewach­sen, was es heißt, als Getaufte eine Berufung und eine Sendung für die Menschen des ganzen Ortes zu haben. Trotz solcher guter Erfahrungen sind für das Team und für alle, die es auf den verschiedenen Ebenen begleiten, noch viele Fragen offen: Müsste es nicht eine offizielle kirch­liche Beauftragung für dieses Team geben (bisher sind die Mitglieder des Teams eher davor zurückgeschreckt)? Wie steht es um die zeitliche Befristung? Wie kann es gelingen, dass es immer mehr eine „geistliche Gruppe“ wird? Welche Bewusstseinsbildung ist für alle Beteiligten vonnöten – und wie soll sie konkret geschehen?

3.2. Pfarrei St. Franziskus, Bad Liebenwerda

In dieser Pfarrei haben sich das Pastoralteam und der Pfarrgemeinderat vor zwei Jahren dazu entschlossen, sich in allen sechs Gemeinden der Pfarrei auf das VOlK-Projekt einzulassen. Auch hier haben sich – zum Erstaunen aller – in kurzer Zeit in allen Gemeinden örtliche Teams ge­funden, die nun seit über einem Jahr auf dem Weg sind. Sie treffen sich regelmäßig und werden dabei von den derzeit zwei Hauptamtli­chen (einem Priester und einer Gemeindereferentin) begleitet. An einem ersten „Vernetzungstreffen“ aller Gemeindeteams, das im Juni 2012 mit Begleitung aus dem Fachbereich Pastoral stattfand, hat sich Folgendes gezeigt: Die Menschen sind hoch motiviert, dass das Leben vor Ort wei­ter­geht; gleichzeitig leiden sie unter dem Gestaltwandel der Kirche, den sie gerade in den kleinen Gemeinden als einschneidend erleben. Ganz ähnlich wie in Schwanebeck hatten die meisten Beteiligten zunächst vor allem die Frage, worin denn nun ihre Aufgabe besteht: „Was genau sollen wir jetzt tun? Sagt es uns – dann machen wir es!“ Nach einer intensiven Bibelarbeit und der gemeinsamen Reflexion ihres Auftrags hat sich diese Blickrichtung für die meisten der Anwesenden verändert. Einige Mitglieder dieser Teams hatten bereits auch an einem internatio­nalen Kongress zum Thema „Lokale Kirchenentwicklung“ teilgenom­men, der im Herbst 2011 auf der Huysburg stattgefunden hatte. Bei diesem Kongress, bei dem das Thema „Taufweihe“ im Vordergrund stand, ging es vor allem um einen Erfahrungsaustausch all derer, die sich in den verschiedenen Bistümern (Poitiers, Châlons, Linz, Hildes­heim und Magdeburg) auf den Weg zu einer neuen Gestalt von Kirche gemacht haben (vgl. Wie weiter mit der „Kirche vor Ort“). Für die VOlK-Teams aus unserem Magdeburger Bistum war vor allem die praktische Erfahrung der Christen und Christinnen ermutigend, die schon länger als Volk Gottes in diesem Sinne unterwegs sind.

Doch nicht zuletzt die Feier der Tauferneuerung wurde für manche zu einer Schlüsselerfahrung: „Bei diesem Gottesdienst, wo die Tauferneue­rung war, das war für mich ein ganz einschneidendes Erlebnis, (…) zu wis­sen: dass ich durch die Taufe berechtigt bin, meinen Glauben auch weiterzu­geben und nicht nur sich hinter irgendetwas zu verstecken, sondern wir sind durch die Taufe alle berechtigt,  unseren Glauben zu leben und auch der Bevölkerung nahezubringen. Und da an dem Abend (…) das war für mich: JA…“.

Gleichzeitig wurde ihnen auch bewusst, dass es längerer geistlicher Reifungsprozesse und einer tiefen Bewusstseinsbildung bedarf, um tatsächlich aus der Taufe heraus Verantwortung zu übernehmen. In einem Bild gesprochen: „Es ist wie mit einem Menschen, dem lange Zeit ‚glaubhaft’ versichert wurde, er könne nicht laufen und der infolgedes­sen in einem Rollstuhl herumgeschoben wird. Er wird nicht plötzlich laufen können, wenn jemand definiert, dass er grundsätzlich alle Voraus­setzungen dafür hätte… Es wird viel Krankengymnastik, viel Übung und Training notwendig sein“ (Ballestrem 2003, 531). Die Interviews, die Papke in seiner Bachelorarbeit mit einigen Teams aus der Pfarrei geführt hat, bestätigen dies: „Vielleicht müssten wir uns mehr zutrauen… Aber wir sind ja noch am Krabbeln, wir stehen noch nicht. Wir sind noch am Anfang.

4. Folgerungen und Ausblick

In alldem zeigt sich, dass wir uns tatsächlich in einer „Werkstatt“ be­finden. Vieles ist noch offen. Die ersten kleinen Schritte sind aber ermu­tigend. Sie weisen zugleich darauf hin, was in Zukunft weiter im Blick zu behalten ist:

  • Die Rollen aller Beteiligten verändern sich tiefgreifend, während sich zugleich die Prägungen durch verschiedene Gottes- und Kirchenbilder bemerkbar ma­chen. Deshalb braucht es die kontinuierliche (theologische, geistliche und pa­storal-praktische) Begleitung aller Beteiligten: der Teams vor Ort, aber auch derer, die diese Teams begleiten. Denn viele der hauptamtlich Tätigen sind für eine solche Begleitung nicht ausgebildet und müssen in ihre neuen Rollen im Umgang mit ihren Schwestern und Brüdern erst hineinwachsen. Deshalb haben sich unserer Erfahrung nach gerade auch die Vernetzungstreffen der Haupt­amt­lichen auf Bistumsebene als notwendig und fruchtbar erwiesen.
  • VOlK kann einerseits nicht im Sinne eines Projekts flächendeckend „gegründet“ werden. Es entsteht aus örtlichen Gegebenheiten und bedarf der Bewusstseins­entwicklung. Andererseits gilt aber auch: Es braucht die Wachheit dafür, wo eine Pfarrei oder eine Gemeinde / Gemeinschaft dazu ermutigt werden kann, sich konkret auf VOlK einzulassen.
  • Das VOlK-Projekt ist keine „Notlösung“ oder „Sonderlösung“ für spezielle Ge­mein­den, sondern ein Beitrag zur Entwicklung einer zukünftigen Gestalt von Kirche.
  • Zu VOlK gehört auch das Vertrauen darauf, dass die Eucharistie – durch das gemeinschaftliche Leben aus dem Geist des Evangeliums – eine neue Bedeu­tung gewinnt, auch da, wo derzeit nicht jeden Sonntag eine Eucharistiefeier möglich ist.
  • Es braucht alles viel Zeit, Geduld und wachsame Unterscheidung der Geister – und es braucht die Entschiedenheit, den Weg gehen zu wollen.

„Glaubt man …, dass Christus uns treu bleibt und das Ende einer Struk­tur nicht schon den Tod der Kirche bedeutet, dass Gott dieser Kirche die Arbeiter zugesteht, die sie heute benötigt, dann öffnet die Hoffnung die Tür zum Erfindungsgeist. Anders gesagt: Sie öffnet die Tür zum Ver­trauen“ (Rouet 2009, 25f).

Tauferneuerungsfeier während des Internationalen Kongresses „Lokale Kirchenentwicklung“ im Oktober 2011 auf der Huysburg.

Dieser Artikel ist – leicht verändert – auch veröffentlicht in: Lebendiges Zeugnis 68 (2013) 111–117.